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Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.

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Martin Schulze Wessel

Tschechien – Institutionen, Methoden und Debatten in der Zeitgeschichte

Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 19.09.2011
https://docupedia.de//zg/Tschechien_-_Institutionen,_Methoden_und_Debatten_in_der_Zeitgeschichte

DOI: https://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.284.v1

Artikelbild: Tschechien - Institutionen, Methoden und Debatten in der Zeitgeschichte

Der rosa angemalte Panzer als Symbol der "samtenen" Revolution. Hier verfremdet in einer Skulptur des Bildhauers David Černý. Foto: Matěj Baťha, 23.8.2008, Quelle: Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0).

Der Beitrag von Martin Schulze Wessel ist eine Wiederveröffentlichung des 2004 in der Publikation „Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven in Europa“ erschienenen Artikels und behandelt die Zeitgeschichte in Tschechien. Diese ist reich an Zäsuren, die von den Zeitgenossen als Erschütterungen wahrgenommen wurden. Drei Zäsuren allerdings – die Gründung des tschechoslowakischen Nationalstaats 1918, die sozialistische Revolution 1948 und der Umbruch von 1989 – wurden nicht nur als Epochenwenden, sondern auch als Beginn einer „Neuen Zeit” verstanden. Gegenwartsnahe Geschichte hatte in diesen Fällen eine besondere Funktion: sie beleuchtete eine Epochenschwelle, die mit verschiedenen weltanschaulichen Vorzeichen als (Neu-) Beginn von Geschichte überhaupt gedeutet werden konnte.
Tschechien - Institutionen, Methoden und Debatten in der Zeitgeschichte

von Martin Schulze Wessel

Die tschechische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist reich an Zäsuren, die von den Zeitgenossen, darunter auch professionellen Historikern, als Erschütterungen wahrgenommen wurden: Der Zerfall des Habsburgerreichs und die Gründung des Tschechoslowakischen Nationalstaats, die Zerschlagung und anschließende Besetzung dieses Staats 1938/39, der Zweite Weltkrieg und der sozialistische Umsturz von 1948, der Prager Frühling und schließlich die „Samtene Revolution” von 1989 bildeten Einschnitte, die zu einer gegenwartsnahen Reflexion von Geschichte anregten. In vielen Fällen handelte es sich um Ereignisse, an denen Intellektuelle als Mitschaffende oder Opfer in besonderer Weise beteiligt waren. Drei Zäsuren – der Gründung des tschechoslowakischen Nationalstaats 1918, der sozialistischen Revolution 1948 und dem Umbruch von 1989 – wurden von den Zeitgenossen nicht nur als Epochenwenden wahrgenommen, sondern teilweise auch als Zeit der Erfüllung säkularer Hoffnungen, als Beginn einer „Neuen Zeit”. Gegenwartsnahe Geschichte hatte in diesen Fällen eine besondere Funktion: sie beleuchtete eine Epochenschwelle, die mit verschiedenen weltanschaulichen Vorzeichen als (Neu-) Beginn von Geschichte überhaupt gedeutet werden konnte.

Es ist daher nicht erstaunlich, dass die „Sache” der Zeitgeschichtsschreibung in der tschechischen Tradition älter ist als das Wort. Das in der Ersten Tschechoslowakischen Republik von Jan Opočenský verfasste Werk über das „Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie” war im Sinne des von Thukydides begründeten Genres Zeitgeschichtsschreibung. Opočenskýs Buch und die Studien weiterer Historiker, die teilweise an den umstürzenden Zeitereignissen selbst mitgewirkt hatten, mussten sich in der Ersten Tschechoslowakischen Republik nicht gegen den Vorwurf der Befangenheit des Zeitzeugen wehren. Allerdings etablierte sich die gegenwartsnahe Geschichtsschreibung nicht sofort als Subdisziplin an den Universitäten und Forschungsinstituten. Erst in den sechziger Jahren begann der institutionelle Ausbau der gegenwartsnahen Geschichte, die nun offensiv gegen ein Geschichtsverständnis verteidigt wurde, das den Grenzbereich von Geschichte und Gegenwart ausklammerte. Gleichzeitig tauchte das Wort „Zeitgeschichte” (soudobé dějiny) vereinzelt auf, in der Regel aber stand das Wort „neueste Geschichte” (novější dějiny) für die gegenwartsnahe Geschichte.[1]

In diesem Bereich wurden nun erhebliche Ressourcen geleitet, die Zeitgeschichte, d. h. vor allem die Erforschung der nationalsozialistischen Okkupation und der sozialistischen Revolution, begann sich breit zu institutionalisieren. Die Politik erkannte in dem Ausbau von zeithistorischer Forschung eine wesentliche Quelle ihrer Legitimität. Trotz der quantitativen Zunahme von Studien zur neuesten Geschichte in den sechziger Jahren spricht viel dafür, vom Beginn der Zeitgeschichtsschreibung in Tschechien erst nach 1989 zu sprechen. Erst jetzt, mit der Gründung des Instituts für Zeitgeschichte (Ústav pro soudobé dějiny) am 1. Februar 1990, wurde die Disziplin terminologisch und
methodisch begründet, erst jetzt wurden in größerem Umfang die ausländischen Diskussionen über Zeitgeschichte und ihre methodischen Probleme rezipiert.[2]

Institutionelle Entwicklung der Zeitgeschichte

Der institutionelle Aufbau zeithistorischer Forschung begann in den 1960er Jahren, als eine Reihe von entsprechenden Forschungsinstitutionen entstand. Alle Institutionen hatten einen relativ schmal bemessenen Forschungsauftrag. So kümmerte sich die Kommission für die Geschichte des nationalen Befreiungskampfs um die Zeit des Zweiten Weltkriegs, das Institut für die Geschichte der Kommunistischen Partei widmete sich der Geschichte der Kommunistischen Partei und der Arbeiterbewegung, eine Abteilung im Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften konzentrierte sich ganz auf den Zeitabschnitt zwischen 1945 und 1948. Aber auch in anderen Instituten bildeten sich zeitgeschichtliche Schwerpunkte heraus, so in dem Militärhistorischen Institut oder im Akademie-Institut für die Geschichte der sozialistischen Länder. Nicht weniger als 300-400 staatlich finanzierte Historiker waren mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Die geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften, die sich überwiegend zeithistorischen Themen widmeten, erreichten hohe Auflagenzahlen: die Příspěvky k dějinam KSČ (Beiträge zur Geschichte der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei) 7000, Historie a vojenství (Geschichte und Kriegswesen) 2000 und Slovanský přehled (Slavischer Überblick) 2600. Mit der Zeitschrift Dějiny a Současnost (Geschichte und Gegenwart) entstand in den sechziger Jahren eine attraktive populäre Zeitschrift, die zeithistorische und kulturelle Fragen miteinander verband.

Das unmittelbare politische Interesse, das sich an die zeithistorischen Forschungen über den „nationalen Befreiungskampf” im Zweiten Weltkrieg und die sozialistische Revolution 1948 knüpfte, verhinderte aber, dass sich eine Methodendiskussion oder auch nur Methodenvielfalt entwickelte, wie dies zur gleichen Zeit in der tschechischen Mediävistik und Frühneuzeitforschung der Fall war. Freilich war auch in der zeithistorischen Forschung im Verlauf der sechziger Jahre der Trend zu einer Entideologisierung von Wissenschaft zu spüren. Dies schlug sich z. B. in dem vierten Band der Synthese „Überblick über die tschechoslowakische Geschichte IV: 1945-1948”[3] nieder, die am Akademie-Institut für Geschichte in den sechziger Jahren erarbeitet wurde, dann aber nach dem Prager Frühling nicht erscheinen durfte. Das offizielle Geschichtsbild der fünfziger Jahre wurde von Zeithistorikern nun allmählich in Zweifel gezogen. Ein Beispiel für die öffentliche Bedeutung, die Zeitgeschichte im Vorfeld des Prager Frühlings gewann, war der offene Brief, mit dem zehn Zeithistoriker 1966 gegen einen Artikel des mächtigen Historikers Václav Král protestierten. Den Kritikern ging es um eine Revision des offiziellen Bildes vom Slowakischen Nationalaufstand als „Volksaufstand”.[4] Auch im Themenfeld der Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen war eine Neubewertung im Gang, die nach 1968 durch die Politik der sogenannten „Normalisierung” unterbrochen wurde. Die Niederschlagung des Prager Frühlings bedeutete für die tschechische Historiografie insgesamt, für die Zeitgeschichtsschreibung insbesondere, einen tiefen Einschnitt. Das politische Interesse an Zeitgeschichte unterbrach nach 1968 nicht nur einen öffentlichkeitswirksamen Diskurs über strittige zeitgeschichtliche Fragen, sondern machte auch das „Überwintern” von Zeithistorikern in institutionellen Nischen – wie es sie für tschechische Mediävisten durchaus gab – unmöglich. Für die Zeithistoriker stellte sich am deutlichsten die Alternative, in einer politisch geregelten, offiziellen Geschichtswissenschaft zu bleiben oder die eigene Arbeit im Exil oder als Teil einer unabhängigen, staatlich nicht unterstützten, z. T. verfolgten Historiografie fortzusetzen. Die tschechische Zeitgeschichte im Exil widmete sich vor allem Themen der kommunistischen Machtübernahme 1948 und der Etablierung des Herrschaftssystems in den fünfziger Jahren. Eine herausragende Rolle spielte dabei der nach 1968 in München lebende Historiker Karel Kaplan, dem es gelungen war, in großen Mengen Dokumente aus Partei- und Staatsarchiven in das Exil mitzunehmen.[5]

Zu den hervorragenden Themen der unabhängigen Historiografie zählte die Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen, einschließlich der Zwangsmigrationen und Vertreibungen. Obwohl den unabhängigen Historikern der Zugang zu Archiven verwehrt blieb, erreichten sie doch ein hohes Reflexionsniveau und befreiten sich von den geltenden Tabus.[6]

Insgesamt überwogen in den Samizdat-Veröffentlichungen der unabhängigen Historiografie zeitgeschichtliche Themen. Die Publikationen konzentrierten sich auf Personen oder Ereignisse, die potentiell eine Bedeutung für die Bewertung der Gegenwart hatten. Das galt etwa für die Geschichte der Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit oder für den nicht-kommunistischen Anteil am Widerstand im Zweiten Weltkrieg. Methodisch war dies zwangsläufig damit verbunden, dass politischer Geschichte der Vorzug gegenüber neueren methodischen Zugängen gegeben wurde. Zum Anlass der Internationalen Historikerkongresse in San Francisco, Bukarest und Stuttgart (1975, 1980 und 1985) wurden englische Übersetzungen von Teilen der Samizdat-Sammelbände angefertigt.[7]

Für das politische Exil wie für die unabhängige Geschichtsschreibung in der Tschechoslowakei war Zeitgeschichte also eines der vorrangigen Medien der Selbstverständigung. Nur einen Monat nach der „Samtenen Revolution” von 1989 entstand in der Historischen Kommission des Bürgerforums, der dominierenden politischen Vereinigung nach dem Umbruch, der Plan, ein Institut für Zeitgeschichte ins Leben zu rufen. Die Leitung des bereits im Februar 1990 gegründeten Instituts übernahm Vilém Prečan, der vorher im Exil das Scheinfelder Dokumentationszentrum der unabhängigen tschechoslowakischen Literatur aufgebaut hatte. Zwischen der Geschichtswissenschaft im Exil und der neuen Zeitgeschichte in der Tschechoslowakei bestand so eine enge Klammer. Als wichtigstes Forum der neuen Zeitgeschichte etablierte sich die vom Institut herausgegebene Zeitschrift Soudobé dějiny (Zeitgeschichte). Der Name des Instituts und seiner Zeitschrift markierten einen Einschnitt in der Begriffsgeschichte von „Zeitgeschichte”: das Wort setzte sich jetzt durch und mit ihm auch eine Methodendiskussion, die sich am Stand in anderen Ländern orientierte.[8] Die Gegenwärtigkeit früherer geschichtlicher Epochen für die heutige Zeit wurde terminologisch von der Wirkung der Zeitgeschichte auf die Gegenwart geschieden: Soudobnost (Gegenwärtigkeit) – soudobé dějiny (Zeitgeschichte). Als Grenze des Übergangs zwischen Geschichte und Zeitgeschichte setzte sich die gestreckte Zäsur der Jahre 1938-1948 durch.[9] Das Institut für Zeitgeschichte und seine Zeitschrift wurden – neben den Historikertagen und der Traditionszeitschrift Český časopis historický (Tschechische historische Zeitschrift) – zur wichtigsten Bühne für die Auseinandersetzung um Methodenfragen und einen unter dem Vorzeichen des Generationenkonflikts geführten Streit um die politische Vergangenheitsbelastung führender tschechischer Historiker.[10] Grundlegende Fragen des zeithistorischen Selbstverständnisses der Tschechischen Republik, etwa des Umbruchs von 1945-1948, der Geschichte des Prager Frühlings und des Umbruchs von 1989, wurden vorrangig hier erforscht und diskutiert. Bemerkenswert ist auch, dass es Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte waren, die nach 1989 öffentlichkeitswirksame Debatten über tschechische Geschichte anstießen. Dabei ging es weniger um genuin zeithistorische Fragen als um – in alter tschechischer Tradition – den „Sinn der tschechischen Geschichte”.[11] Während die geschichtswissenschaftlichen Institutionen der Neuesten Geschichte in den 1950er und 1960er Jahren zweifellos der offiziellen Politik besonders nahe standen und mehr als die mediävistischen und frühneuzeitlichen Institutionen eine Legitimationsaufgabe erfüllten, hat das Institut für Zeitgeschichte in den vergangenen zehn Jahren Freiraum zu öffentlichen Debatten und auch Revisionen vorherrschender Geschichtsbilder geboten.

Neben dem Institut für Zeitgeschichte entwickelte sich das Schlesische Institut des Schlesischen Museums in Opava seit 1989 zu einer der aktivsten zeitgeschichtlichen Forschungsstätten in der Tschechischen Republik. Dabei konzentrierte das Schlesische Institut seine Forschungen gerade auf die Themen, die in die politische Diskussion hineinreichen: auf die Vertreibung der Deutschen, die Retributionsgerichtsbarkeit nach 1945 und die politischen Verfolgungen nach der kommunistischen Machtübernahme.

Für die Arbeitsweise der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung ist es kennzeichnend, dass sie durch eine Reihe von bi- oder trilateralen historischen Kommissionen internationalisiert ist. Die Deutsch-tschechische Kommission nimmt sich seit 1990 zusammen mit der deutsch-slowakischen Historikerkommission insbesondere der im internationalen Dialog noch strittigen Fragen an. Die Ergebnisse der jährlich stattfindenden Konferenzen werden in tschechischer, slowakischer und deutscher Sprache publiziert. Daneben gibt es auch eine Tschechisch-slowakische Historikerkommission, die über ein eigenes Jahrbuch verfügt, ferner eine Tschechisch-polnische, eine Tschechisch-österreichische und eine Tschechisch-russische Historikerkommission. Die Vielzahl bilateraler Kommissionen weist auf eine Funktion hin, welche die Disziplin der Zeitgeschichte in der Tschechoslowakei heute hat: durch Forschung und Geschichtsschreibung eine Grundlage für die internationale Diskussion mit den Nachbarstaaten zu schaffen, die durch verschiedene Fragen historisch belastet ist. Diese offiziöse Form der internationalen Kooperation kann gewiß nicht ein endgültiges Urteil über historische Fragen fällen, aber der stete Kontakt und das gemeinsame Publizieren führen tendenziell dazu, dass die Fragestellungen der jeweils anderen Nationalhistoriografie in die eigene Geschichtsschreibung eingehen und sich ein Grundkonsens auch in strittigen Fragen bildet. Die Arbeit der Historischen Kommissionen zeigt, dass diese ein Ort der Entpolitisierung und damit der Verwissenschaftlichung von Geschichte sind. In bestimmten hoch politisierten Fragen wie dem Streit um die Beneš-Dekrete hat die Deutsch-Tschechische Historikerkommission den beteiligten Wissenschaftlern eine Form geboten, sich gemeinsam gegen die Politisierung zu wehren.[12] Gleichwohl birgt die Arbeit der Kommissionen die Gefahr, dass – bei aller Annäherung – historische Fragen in nationalen Lagern verhandelt werden und damit die traditionelle, in der deutsch-tschechischen Geschichtsdebatte tief verankerte Vorstellung genährt wird, es gäbe zu bestimmten Fragen einen eigentlich tschechischen oder eigentlich deutschen Standpunkt.

Die Historikerkommissionen sind indessen nicht der einzige Ort der internationalen Kooperation der tschechischen Zeitgeschichte. Zur deutschen Geschichtswissenschaft bestehen im Bereich der Zeitgeschichte intensive Kontakte zum Collegium Carolinum in München, ferner zum Hannah Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden und zum Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Während die deutsche Geschichtswissenschaft bislang nicht durch ein Deutsches Historisches Institut in der Tschechischen Republik präsent ist, verfügt Frankreich mit dem Centre francais de recherche en sciences sociales (CEFRES) über ein Institut in Prag, das auch im Bereich der Zeitgeschichte zu einem wichtigen Vermittler zwischen französischer und tschechischer Wissenschaft geworden ist.

Die zunehmende Internationalisierung der tschechischen Zeitgeschichtsforschung manifestiert sich schließlich auch in einer Reihe von großen Konferenzen, die Wendepunkte der tschechischen Zeitgeschichte international diskutiert: die Konferenzen über die Sowjetisierung Ostmitteleuropas (1993), den Prager Frühling (1994), die Kommunistische Machtübernahme 1948 (1998) und den Umbruch von 1989 (1999).

Themenfelder der Zeitgeschichte

1. Geschichte der Tschechoslowakei zwischen den Weltkriegen

Die Geschichte der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) war für die unabhängige tschechische Geschichtsschreibung in der Zeit des „Normalisierungsregimes” zweifellos ein zeithistorisches Thema, insofern die (überlieferte) Erinnerung an die Zeit der Demokratie und Nationalstaatlichkeit für die unabhängigen Historiker ein wirksamer Faktor zur Orientierung in der Gegenwart war. Ein beträchtlicher Teil der zeithistorischen Geschichtsschreibung diente der Revision des offiziellen negativen Bilds der Ersten Republik, nicht zuletzt ihres Gründungspräsidenten Thomas Masaryk. Dieser Impetus ist nach 1989 erhalten geblieben und hat durch die Gründung des T.G. Masaryk-Instituts eine feste Form gewonnen. Unter den neuen Bedingungen nach 1989 sind in der tschechischen Beschäftigung mit der Zwischenkriegszeit divergierenden Tendenzen auszumachen: Eine „optimistische” Richtung bewertet die Erste Tschechoslowakische Republik als einzige nicht von innen zerstörte Demokratie Ostmitteleuropas zwischen den Weltkriegen entschieden positiv und nimmt sie zum Maßstab für die Gegenwart,[13] eine „pessimistische” Richtung sieht in der Konstruktion der Republik, in ihrem Verhältnis zu den nationalen Minderheiten, in ihrem Verhältnis zu den Konfessionen und in ihrer Geschichtspolitik, erhebliche Mängel. Auch wenn die Mängel teilweise aus dem Kontext genommen und überspitzt wurden, so ist doch nicht zu übersehen, dass diese Richtung in den letzten Jahren einen großen Beitrag zur Erforschung der politischen Kultur der Ersten Tschechoslowakischen Republik geleistet hat.[14]

Bemerkenswert ist das Interesse, das die kurze Periode der Zweiten Republik (1938) in den letzten Jahren auf sich gezogen hat. Dabei steht weniger das politische System als die tschechische Gesellschaft nach dem Diktat von München 1938 im Vordergrund. Die wichtigsten Monografien legten Jan Gebhart und Jan Rataj vor. Jan Gebhart beschrieb, wie die Sozialdemokraten unter den autoritären Bedingungen der Zweiten Republik eine Kontinuität zur politischen Kultur der Ersten Republik zu halten versuchten. Jan Rataj analysierte die endogenen Faktoren der Entwicklung hin zu einem nationalen autoritären Regime der Zweiten Republik, die er in den Verwaltungsund Universitätseliten sowie in dem antidemokratischen Programm eines „katholischen Faschismus” erkannte.[15] Die Tatsache, dass sich die Forschungen zur Zwischenkriegszeit auf das äußerste Ende des Zeitabschnitts, die Zweite Republik (1938), konzentriert, ist symptomatisch für die Entwicklung des zeitgeschichtlichen Interesses insgesamt: Dieses gilt primär dem Jahrzehnt zwischen 1938 und 1948 und der sozialistischen Tschechoslowakei; das Interesse an der Zwischenkriegszeit ist, wie z. B. Zdeněk Karníks Gesamtdarstellung der Ersten Republik beweist, durchaus vorhanden, hat aber an gegenwartsorientierender Funktion eingebüßt.[16] Institutionell kommt das darin zum Ausdruck, dass das Institut für Zeitgeschichte die Geschichte der Ersten und der Zweiten Republik weitgehend dem Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften überlässt.

2. Okkupation und Widerstand

Die Zeit zwischen 1938 und 1945, also die Zeit der Besetzung zunächst der so genannten Sudetengebiete und dann, nach der Abtrennung der Slowakei, des gesamten tschechischen Staatsgebiets, nimmt in der tschechischen Geschichtsschreibung seit dem Ende der 1940er Jahre einen hervorragenden Platz ein. Dabei richtete sich das zeithistorische Interesse in den sechziger Jahren vor allem auf die Geschichte des tschechischen Widerstands. Wissenschaftliche Untersuchungen über die Okkupation durch das nationalsozialistische Deutschland und die tschechische Resistance erfreuten sich großer Popularität und erreichten oft eine um Vielfaches höhere Auflage als vergleichbare Publikationen über andere Themen. So erschien Karel Bartošeks Buch über den Prager Aufstand in drei Auflagen mit mehr als 20.000 Exemplaren.[17] Das Interesse an der Geschichte des Widerstands resultierte in den sechziger Jahren unter anderem auch aus einem Interesse an der Revision des offiziellen Geschichtsbilds. Nicht-kommunistische Widerstandskämpfer, die in den fünfziger Jahren verurteilt worden waren, wurden nun rehabilitiert und gelangten in das Zentrum der wissenschaftlichen und populären Aufmerksamkeit.[18] Das Interesse am nicht-kommunistischen Widerstand erwachte sofort nach der Revolution von 1989 erneut und schlug sich in der Edition der Zeitschrift V Boj (In den Kampf) nieder, der meistgelesenen Publikation der tschechischen Resistance in den Jahren 1939 bis 1941.[19]

In der Zeit nach 1989 hat das Interesse an der Geschichte der Okkupation nicht nachgelassen, aber sich doch diversifiziert. Eine im Historischen Institut der tschechoslowakischen Armee geplante großangelegte Synthese in fünf Bänden kam nicht zustande. An die Stelle traten die Forschungsinitiativen verschiedener Institutionen; wichtig für die Erforschung der Okkupationszeit wurden vor allem das Institut für Zeitgeschichte mit der Abteilung für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Abteilung jüdischer Studien, das Institut Initiative Theresienstadt, das jüdische Museum Prag und die Historischen Institute vieler tschechischer Universitäten. Die Forschungsinitiativen dieser Institutionen richten sich in erster Linie auf editorische Arbeit. Bedeutende Editionen wurden im Bereich der politischen Geschichte und der Holocaust-Geschichte realisiert. So wurden u. a. die Dokumente der Protektoratspolitik Reinhard Heydrichs, die Dokumente des stellvertretenden Prager Bürgermeisters Josef Pfitzner, die Dokumente über die Verhandlungen der tschechischen und polnischen Exilregierungen und die Dekrete des Präsidenten der Republik 1940-1945 herausgegeben. Im Bereich der Holocaust-Forschung ist vor allem Miroslav Kárnýs Edition zum Genozid an den Juden der böhmischen Länder zu nennen.[20] Das von Kárný geleitete Institut Theresienstädter Initiative gibt nicht nur seit 1994 die in tschechischer und deutscher Sprache erscheinenden „Theresienstädter Studien und Dokumente” heraus, sondern arbeitet auch an einer Edition der mehrbändigen Gedächtnisbücher Theresienstadt. Die Abteilung für jüdische Studien im Institut für Zeitgeschichte stellte eine Quellensammlung zusammen, welche den Verlust des Rechtsstatus der Juden in den ersten Jahren der Okkupation dokumentiert.[21] Neu in der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung ist das Interesse an der Verfolgung und Ermordung tschechischen Roma. Mit diesem Thema beschäftigte sich Ctibor Nečas in einer Reihe von Untersuchungen.[22]

Während vor 1989 Protektoratsforschung wesentlich die Erforschung des tschechischen Widerstands war, ist in den letzten Jahren auch dem komplementären Phänomen der Kollaboration Beachtung geschenkt worden. Gestützt auf einzelne Untersuchungen und Quelleneditionen aus den sechziger Jahren, legte der Historiker Tomáš Pasák eine Reihe von Studien zur tschechischen Politik im Protektorat vor, die er 1999 in dem Buch „Der Tschechischen Faschismus 1922-1945 und die Kollaboration 1939-1945” zusammenfaßte.[23]23 Durch die neuen Forschungsrichtungen hat die Geschichtsschreibung des Protektorats ihren politisch-legitimatorischen Charakter verloren und tendiert zu einer umfassenderen, sozial- und gesellschaftsgeschichtlichen Darstellung. Ein Defizit der tschechischen Historiografie der Zeit zwischen 1938 und 1945 liegt allerdings darin, dass sie auf das Protektorat fixiert ist und die der Tschechoslowakei 1938 entrissenen Gebiete, den so genannten Sudetengau, nicht berücksichtigt.

3. Verfolgung, Aussiedlung, Vertreibung

In der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung heute ist kein Thema so stark von Kontroversen und politischen Implikationen geprägt wie das der Vertreibung oder Zwangsumsiedlungen. Auch die Begriffe zur Bezeichnung der Vorgänge unmittelbar nach dem Krieg sind umstritten: Handelte es sich um eine Abschiebung („odsun”) oder um eine Vertreibung („vyhnání” )? Wie stark die Debatte das Selbstverständnis der tschechischen Gesellschaft berührt, zeigt u. a. die Tatsache, dass die Kontroverse weniger in der Geschichtswissenschaft als in der Publizistik geführt wird. Versuche des Kultusministeriums, den Stand der tschechischen zeitgeschichtlichen Forschung zu dieser Frage zu popularisieren und damit die öffentliche Debatte auf einem empirisch höheren Niveau gewissermaßen zu entschärfen, nahmen dem Thema bislang nicht seine Virulenz.[24] Auch ein Manifest führender tschechischer Historiker „Gegen die Vergewaltigung der Geschichte” war dazu nicht geeignet; vielmehr machte die Reaktion darauf deutlich, dass nicht nur die Ereignisse der Zwangsumsiedlung selbst, sondern auch der Diskurs darüber Gegenstand einer heftig ausgetragenen Debatte ist.[25] Die Kontroverse ist nur richtig zu verstehen, wenn sie in ihrer Vorgeschichte, die in der „unabhängigen Geschichtsschreibung in der Zeit des Normalisierungsregimes” liegt, und im internationalen Kontext, etwa im Vergleich mit der polnischen Debatte über Vertreibung, gesehen wird.[26] Gerade der Vergleich mit dem polnischen Diskurs macht deutlich, in wie hohem Maße die tschechische Debatte von moralischen Gesichtspunkten geprägt ist. Während die Vertreibungsvorgänge in Polen meist in internationalen Zusammenhängen, der alliierten Nachkriegsplanung und der Westverschiebung des polnischen Staates, gesehen werden, stehen in der tschechischen Debatte die inneren Verhältnisse, der nationale Antagonismus zwischen Tschechen und Deutschen seit dem 19. Jahrhundert, und damit, implizit oder explizit, auch die eigene nationale Verantwortung im Vordergrund. Der Unterschied zwischen der polnischen und tschechischen Debatte ist leicht auf die unterschiedliche Ausgangskonstellation zurückzuführen, war ja im polnischen Fall (im Gegensatz zum tschechischen) eine Bevölkerung umgesiedelt worden, die zuvor zumeist keine polnische Staatsbürgerschaft besessen hatte. Dennoch ist es bemerkenswert und nicht selbstverständlich, dass die Zwangsumsiedlung in Tschechien in hohem Maße als eine Frage diskutiert wird, welche moralische Qualität hat und die politische Identität Tschechiens betrifft. Die Verknüpfung von moralischem und politischem Urteil geht auf die tschechische unabhängige Geschichtswissenschaft der siebziger Jahre zurück. Einen wichtigen Einschnitt bildeten die von dem slowakischen Historiker Jan Mlynarik unter dem Pseudonym Danubius veröffentlichten Thesen zur Aussiedlung der Deutschen. Für die unabhängige Geschichtsschreibung und den politischen Dissens insgesamt wurde nun die Aufhebung von Tabus in der Betrachtung der tschechisch-deutschen Beziehungen und speziell der Aussiedlung der Deutschen zu einem wichtigen Prüfstein der Demokratisierung und moralischen Erneuerung des Landes.[27] Die Moralisierung des Vertreibungsdiskurses, die sofort nach der Samtenen Revolution auch in der Entschuldigung des neugewählten tschechoslowakischen Staatspräsidenten Václav Havel gegenüber den Sudetendeutschen zum Ausdruck kam, stellte sich aus der Sicht der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung und auch Teile der publizistischen Öffentlichkeit nach 1989 zunehmend als problematisch dar. Das war u. a. auf eine Enttäuschung darüber zurückzuführen, dass auf deutscher Seite die tschechischen Anstrengungen einer Neubewertung der Zwangsumsiedlung nicht genügend Beachtung fanden oder als Selbstverständlichkeit verbucht wurden.

Ungeachtet dessen begann in der Tschechischen Republik eine umfassende empirische Erforschung der Zwangsumsiedlungen. Neben den auf intensiver Forschung basierenden Synthesen Tomáš Staněks[28] und wichtigen Dokumenteneditionen[29] ist eine große Zahl von Regionalstudien entstanden.[30] Ein Beleg für die hohe gegenwartsbezogene Relevanz des Themas in der Tschechischen Republik ist die Tatsache, dass eine beachtliche Zahl von Studierenden den Themenkomplex Vertreibung und Aussiedlung für ihre meist regional- oder lokalgeschichtlich zugeschnittenen Abschlussarbeiten wählen. In besonderem Maße gilt das für die Universität Aussig.[31]

Bei der Reflexion der Vertreibungen traten nach 1989 in der wissenschaftlichen Diskussion stärker die Kontexte des Vertreibungsgeschehens in den Vordergrund. Es wurden Fragen nach lokalen Ursachen für Vertreibungen und nach den Folgen der Zwangsumsiedlung für die Tschechoslowakei gestellt. Auch die außenpolitischen Bedingungen der Umsiedlung gerieten stärker ins Blickfeld.[32]

Bezüglich der Motive und gesellschaftlichen Folgen der Umsiedlung hatte vor allem Karel Kaplan bereits vor 1989 in der Emigration Darstellungen vorgelegt, die nach 1989 in der Tschechoslowakei intensiv rezipiert und z. T. neu aufgelegt wurden.[33] Ein leitendes Interesse war dabei die Frage, ob die Zeit zwischen 1945 und 1948 als Vorgeschichte der nach 1948 einsetzenden Periode der Volksrepublik zu begreifen ist. Wie Kaplan verweist auch der derzeit beste Kenner der Umsiedlungen in der Tschechischen Republik, Tomás Staněk, darauf, dass die tiefgreifende Störung des Rechtsempfindens, die ihre Ursache wiederum in der deutschen Willkürherrschaft im „Protektorat” hatte, den Umsturz von 1948 und die sozialistische Diktatur begünstigte: „Der flagrante Bruch des Rechts und grundsätzlicher humanitärer Grundsätze trug zweifellos in der Nachkriegszeit dazu bei, daß die tschechische Gesellschaft unter den Bedingungen der sogenannten Volksdemokratie in politischer, rechtlicher und psychologischer Hinsicht weniger widerstandsfähig gegenüber der allmählichen Überwältigung des Landes durch den Kommunismus wurde.”[34] Obwohl in den letzten Jahren eine Reihe detaillierter Studien zur Rechtgeschichte der Jahre 1945-1948 entstanden ist, gehört die Geschichte der Rechtspraxis von der Zeit des sogenannten Protektorats bis in die fünfziger Jahre noch zu den Desiderata der tschechischen Zeitgeschichtsforschung.[35]

In der Bewertung strittig sind einige Fragen, die mit der politischen Verantwortung Forschungen haben überzeugend deutlich gemacht, dass die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nicht ausschließlich als ein Vorgang begriffen werden kann, der „von unten”, durch elementaren Volkszorn, initiiert worden war. Vielmehr war die Haltung lokaler Organe in erheblichem Maße durch Maßnahmen der Regierung und der Zentralbehörden bedingt, die noch vor der Potsdamer Konferenz getroffen worden waren.[36] Zugleich machen die Studien Staněks aber auch deutlich, dass Korrelationen zwischen Wehrmachtsverbrechen an der lokalen Zivilbevölkerung und späteren lokalen Ausschreitungen bei der Vertreibung durchaus bestehen. Der Tendenz zur „Dekontextualisierun” der Vertreibung, die in der deutschen publizistischen Debatte in letzter Zeit verstärkt zu beobachten ist, widersprechen diese Befunde ebenso eindeutig wie einer apologetischen Betrachtung, die den Transfer der deutschen Bevölkerung als quasi natürliches Resultat der Vorgeschichte der Nationalsozialismus darstellt.

Einen deutlichen Fortschritt hat die tschechische Forschung auch hinsichtlich der Feststellung der Zahl der Vertreibungsopfer gemacht. Während in älteren deutschen Darstellungen noch – ohne eingehendere Berechnungen – eine Zahl von 220 bis 250.000 Opfern angenommen wurde, gelangte der tschechische Zeithistoriker Tomáš Staněk aufgrund genau belegter Berechnungen zu einer Zahl von mindestens 15-16.000 und höchstens 30.000 Vertreibungsopfern, also Todesfällen durch direkte Gewalteinwirkung, in Lagern, bei Arbeitseinsätzen, in Haft, bei der Vertreibung und bei Transporten von deutscher Bevölkerung im Binnenland.[37] Diese Berechnungen hat sich die deutsch-tschechische Historikerkommission zu eigen gemacht.[38]

Erst in jüngerer Zeit ist die Zwangsumsiedlung der Deutschen in der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung in den größeren Zusammenhang der Verfolgung der sogenannten „unzuverlässigen Bevölkerung” gestellt worden.[39] Einige wichtige Fragen – wie die Situation der deutschen Juden in der Tschechoslowakei nach 1945 – sind von der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung wohl berührt, aber noch nicht umfassend aufgearbeitet worden.[40]

4. Die kommunistische Machtübernahme und der Stalinismus in der Tschechoslowakei

Die Erforschung der kurzen Periode zwischen 1945 und 1948 steht im Schatten der Beschäftigung mit der kommunistischen Tschechoslowakei; die Zeit der „gelenkten Demokratie” wird meist als Vorgeschichte der kommunistischen Herrschaft verstanden. Diese Sichtweise hat Karel Kaplan bereits im Exil formuliert. Mit seiner Analyse des politischen Systems der Jahre 1945 bis 1948 deckte er die Strukturschwächen der demokratischen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg auf, welche die schleichende und weitgehend gewaltlose Machtübernahme der Kommunisten ermöglichten.[41] Inzwischen hat sich das Interesse auch den demokratischen, westlichen Traditionen zugewandt, die in der Übergangszeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Machtübernahme wirksam waren. Eine wichtige Edition ist die von Milan Drápala herausgegebene Anthologie tschechischer, nicht-sozialistischer Publizistik der Jahre 1945 bis 1948.[42]

Der Schwerpunkt der tschechischen Zeitgeschichtsforschung zu den zwei Jahrzehnten zwischen 1948 und 1968, d. h. der kommunistischen Machtübernahme und dem Prager Frühling, liegt zweifellos in der Erforschung von staatlicher Repression und Verfolgung.

Bereits in den sechziger Jahren wurden Forschungen zur Geschichte der Repression der Gottwald-Ära betrieben, größere synthetische Arbeiten erschienen allerdings erst nach 1968 im Exil, bevor sie mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit nach 1989 auf dem tschechischen Buchmarkt verlegt wurden.[43] Nach 1989 wandte sich die Forschung konkreten Formen, Bereichen und Stätten der Repression zu, so den politischen Prozessen der fünfziger Jahre, den Arbeitslagern, der Zwangsarbeit in dem Uranbergbau von Jachýmov, der Verfolgung der Kirche und der Unterdrückung von Unruhen nach der Währungsreform von 1948.[44]

Ein wichtiger thematischer Aspekt der tschechischen Zeitgeschichtsforschung ist die politisch bedingte Emigration.[45] Sowohl der kommunistische Umsturz von 1948 als auch die Niederschlagung des Prager Frühlings zogen Emigrationen nach sich. Die erste Emigrationswelle wird auf 50.000 bis 70.000 Menschen geschätzt, nach dem Prager Frühling verließen über 100.000 Tschechen und Slowaken ihr Land. Die Exilforschung richtet sich bislang noch vor allem auf die wenigen politisch oder kulturell herausragenden Vertreter. So sind die Memoiren einiger Exilpolitiker und -publizisten herausgegeben worden.[46] Wichtige Quellen, wie die Exil- und Samizdatliteratur, sind in dem Dokumentationszentrum des tschechischen Exils gesammelt, das Vilém Prečan im Exil in Scheinfeld aufbaute und nach 1989 nach Prag brachte. Der Exilforschung fehlt es an Untersuchungen, die aufgrund von Selbstzeugnissen die Exilerfahrung auf breiter Grundlage aufarbeiten. Auch die Beziehungen zwischen dem tschechischen Exil und der Gesellschaft der Tschechoslowakei, etwa der Einfluss von Radiostationen wie „Freies Europa”, ist noch weitgehend unerforscht. Eine große Synthese des tschechischen Exils zwischen 1948 und 1989 steht noch aus.

Im Bereich der Kulturgeschichte blieb in der tschechoslowakischen Geschichtsschreibung bis 1989 die Tendenz vorherrschend, die planvolle Durchsetzung einer neuen Kultur durch den sozialistischen Staat zu verherrlichen oder zumindest kritiklos nachzuzeichnen.[47]47 Nach 1989 gelangten Untersuchungen und Darstellungen auf den Buchmarkt, die im Exil verfaßt oder zumindest weitgehend vorbereitet worden waren. Sie stellten mit neuen Wertungen, aber ohne neue Archivquellen denselben Vorgang dar: Die Durchsetzung des kommunistischen Herrschaftsanspruchs im Bereich der Kultur.[48] Daneben entstanden Werke über einzelne Felder der Kulturgeschichte, z. B. über die Geschichte der Musik und des Theaters in der sozialistischen Tschechoslowakei. Im Vordergrund der Forschungen steht bislang der konkrete Eingriff des Staates in einzelne Bereiche der Kultur oder gegen bestimmte Künstler. Eine „Alltagsgeschichte der Kulturpolitik”, wie sie der junge tschechische Historiker Jiří Knapík fordert, ist ebenso ein Desiderat wie eine umfassende Analyse der Bedeutung von Kultur als Ressource der Herrschaftslegitimierung in der sozialistischen Tschechoslowakei.[49]

5. Prager Frühling, „Normalisierung” und die Revolution von 1989

Der Prager Frühling war seit 1989 ein Thema, in dem sich zeithistorische Forschung und politische Geltungsansprüche wie in keinem anderen unmittelbar berührten. Für das Selbstverständnis der „Samtenen Revolution” wie für die neue demokratische Ordnung in der Tschechoslowakei nach 1989 bzw. Tschechischen Republik seit 1993 war es eine zentrale Frage, in welchem Maße der Prager Frühling ihrer eigenen Vorgeschichte zuzurechnen war.[50] Die Bewertung des Prager Frühlings entschied darüber, ob ein „dritter Weg” nach 1989 noch für denkbar gehalten wurde. Nicht zuletzt betraf die Erinnerung an die Ereignisse von 1968 die Stellung, welche die Akteure des Prager Frühlings nach 1989 in der Öffentlichkeit einnehmen sollten. Der offiziöse Rang, den die Rezeption des Prager Frühlings zunächst hatte, spiegelte sich im Dezember 1989 in der Einsetzung einer Regierungskommission zur Analyse der Ereignisse der Jahre 1967-1970 wider. Die Mitglieder der Kommission waren überwiegend bereits vor 1989 als Verfasserkollektiv in einer Samizdatschrift über den Prager Frühling in Erscheinung getreten.[51] Das Autorenkollektiv, das vor 1989 die Reformkommunisten von 1968 gegen die Diffamierungen des „Normalisierungsregimes” in Schutz genommen hatte, war nun bestrebt, den Prager Frühling als konsistentes Werk einer von oben geplanten politischen Erneuerung zu deuten. Dabei war der Forschungsertrag der Kommission groß, die ausgedehnten Archivstudien schlugen sich in der Edition zweier grundlegender Bände über „die Tschechoslowakei im Jahr 1968” nieder.[52] Seit 1993 hat das Institut für Zeitgeschichte die Koordinierung der Forschungen über den Prager Frühling übernommen. Die Folge war zunächst nicht eine Kritik an der Forschungskonzeption der Regierungskommission, sondern eine weitere Ausdehnung der empirischen Forschung, die sich in bislang fünfzehn Bänden von „Quellen zur Geschichte der tschechoslowakischen Krise in den Jahren 1967-1970” niedergeschlagen hat.[53] Der Schwerpunkt der Veröffentlichungen liegt auf den internationalen Beziehungen, der Politik des Prager Frühlings, der Entstehung von Zivilgesellschaft. Die breite Quellenbasis, die seit 1989 von der Regierungskommission und vor allem der Edition des Instituts für Zeitgeschichte aufgebaut worden ist, ermöglichte es, auf neuer Grundlage über die Motive und Wirkungen des Prager Frühlings zu diskutieren. Während in den frühen neunziger Jahren noch die Ansicht vorherrschte, Reformbestrebungen innerhalb der Kommunistischen Partei hätten dem Land ein Demokratisierungsprogramm beschert, sind inzwischen die revisionistischen Stimmen lauter geworden. Die treibenden Kräfte der Erneuerung werden nun in größerem Maße außerhalb der offiziellen Politik gesehen, den Reformkommunisten wird nicht mehr die Absicht zugebilligt, den „demokratischen Zentralismus” zugunsten einer pluralistischen Demokratie zu überwinden, in der Krise und Niederschlagung des Prager Frühlings vermißt man eine verantwortungsvolle Haltung der politischen Führung. Diese skeptische Einschätzung des reformkommunistischen Anteils am Prager Frühlings formulierte Petr Pithart noch während des Normalisierungsregimes in einer zunächst im Exil publizierten Studie, danach stieß Jan Měchýř eine revisionistische Debatte über den Prager Frühling an.[54]

Die Zeit nach der Niederschlagung des Prager Frühlings erhielt in der zynischen Selbstbeschreibung des kommunistischen Regimes den Begriff der „Normalisierung”, womit eine Rückkehr zu den diktatorischen Herrschaftsformen gegenüber dem als „abnorm” verstandenen Prager Frühling gemeint war. In der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung ist dieser Terminus zur Bezeichnung der Periode zwischen 1969 und 1989, wenn auch mit konträrer Bewertung, erhalten geblieben. Die Forschungen zur sogenannten „Normalisierung”[55] zeichnen sich durch eine große Unausgewogenheit aus. Umfassendere Ansätze der Analyse der Gesellschaft der Tschechoslowakei in der Zeit der „Normalisierung” sind bislang nur thesenhaft vorgetragen worden. Beachtung fand Milan Otáhals These, die Herrschaft des Normalisierungsregimes habe auf einer durch divide et impera Politik erzielten Dreiteilung der Gesellschaft in „Kasten” beruht – die herrschende Nomenklatura, die „Ausgeschlossenen” und die breite Schicht „neutraler” Bevölkerung, die, politisch resigniert, sich mit der Besetzung von Nischen begnügt und nach knappen wirtschaftlichen Güter gestrebt habe.[56]

Auch an großen, detaillierten Arbeiten über die Herrschaftspraxis der „Normalisierungsperiode” fehlt es noch, da die Archive, die Aufschlüsse über die Tätigkeit von Staatsorganen geben, lange Zeit verschlossen blieben. Das Archiv der politischen Polizei wurde z. B. erst 2002 durch ein Gesetz für die historische Forschung zugänglich gemacht. Das Interesse der Forschung richtete sich daher bislang vor allem auf die politischen Dissensgruppen wie die Charta 77, obwohl diese zweifellos ein marginales Phänomen in der Zeit der Normalisierung waren. Quellen über die Dissensgruppen sind bereits im Exil in einem von Vilém Prečan geleitetes Dokumentationszentrum in Scheinfeld gesammelt worden. Eine umfassende Edition der Dokumente der Charta 77 wird vorbereitet, eine Reihe von Studien liegt bereits vor.[57] Die interessanteste zeitgeschichtliche Kontroverse um die „Normalisierung” betrifft die politische Rolle der Charta 77 und ähnlicher Dissensgruppierungen. Der Historiker Milan Otáhal unterzog die politischen Konzepte des Dissenses, wie z. B. Havels Konzept der „unpolitischen Politik”, einer grundlegenden Kritik, welche die politische Legitimation der aus dem Dissens zur Macht Gelangten berührte und scharfe Debatten nicht nur unter den Zeithistorikern auslöste.[58]

Die Frage nach der Verantwortung der Intellektuellen prägte auch die Geschichtsschreibung über die „Samtene Revolution”, den Umbruch von 1989 in der Tschechoslowakei. Wichtige Studien entstanden über die Rolle der Intellektuellen in der Revolution und über die Gruppierung, die den Umbruch politisch dominierte und einen Neuanfang in der Geschichte der tschechischen Parteien verkörperte, das Bürgerforum (Občanské form, OF).[59] Miroslav Vaněk untersuchte die Entstehung eines ökologischen Bewußtseins, das angesichts der verheerenden Umweltschäden in der Tschechoslowakei an der Formierung politischen Protests 1989 beteiligt war.[60] Für eine umfassende Synthese der „Samtene Revolution” ist die Foršchung noch nicht weit genug fortgeschritten. Der Prager Historiker Jan Měchyř hat aber eine instruktive Darstellung der Zeit zwischen 1989 und 1992 verfaßt, die sowohl die Funktion eines Handbuchs erfüllt als auch zu wichtigen Fragen wie z. B. des Charakters der Wirtschaftsreformen pointierte Thesen formuliert.[61]

Eines der interessanten Projekte der tschechischen Zeitgeschichte ist die Sammlung und Auswertung von Zeitzeugeninterviews zum Umbruch von 1989, die Milan Otáhal und Miroslav Vaněk am Institut für Zeitgeschichte betrieben. Damit wurden die Methoden der oral history erstmals in einem großen Projekt in die tschechische Zeitgeschichte eingeführt, sieht man ab von der unkommentierten Dokumentation der am Jüdischen Museum in Prag gesammelten 800 erzählten Lebensläufen von jüdischen Überlebenden des Holocausts mit dem Geburtsjahr 1924.[62] In dem oral history-Projekt zum Umbruch von 1989 wurden ausführliche Interviews mit hundert Studierenden aller tschechischen Hochschul-Zentren geführt, die sich im November 1989 aktiv an Studentenstreiks und anderen Protestformen beteiligten. Die Initiatoren des Projekts verbanden damit die Absicht, die Quellenbasis für die Geschichte von 1989 zu erweitern und die Lebenswelt einer wichtigen Trägergruppe des Umbruchs in die Geschichte hineinzuholen.[63] Methodisch handelt es sich zweifellos um ein Pionierprojekt für die tschechische Zeitgeschichtsschreibung, das anschaulich macht, wie sich Politik- und Alltagsgeschichte sinnvoll ergänzen können.

Zusammenfassung

Seit 1989 hat sich die Zeitgeschichtsschreibung Tschechiens, zusammenfassend gesagt, in mehrfacher Hinsicht sehr positiv entwickelt. Es besteht – bei allen innerwissenschaftlichen Hierarchiebildungen, wie sie für alle Wissenschaften nicht nur in Tschechien typisch sind – eine institutionelle Pluralität, die dem dauerhaften Ausschluss von Forschungsrichtungen aus dem wissenschaftlichen Diskurs entgegenwirkt. Das Forschungsinteresse an der Zeitgeschichte ist gerade in der jüngeren Generation groß, und es bestehen enge Verbindungen zwischen dem wissenschaftlichen und publizistischen Diskurs über Zeitgeschichte, etwa in der Zeitung Respekt (Respekt) oder auf den Seiten der Beilage Orientace (Orientierung) einer der größten tschechischen Zeitungen, der Lidové Noviny (Volkszeitung). In der zeitgeschichtlichen Diskussion gibt es sicherlich Themen, die größere Beachtung verdienten, aber keine Tabus. Gerade die heiklen Themen der tschechischen Zeitgeschichte sind seit 1989 ausführlich diskutiert worden.

Der Zusammenhang von wissenschaftlicher Zeitgeschichtsforschung und populärer Publizistik lebt in Tschechien – ähnlich wie in Deutschland – von einem Interesse an Vergangenheitsbewältigung, oder, mit dem tschechischen Terminus gesagt, an einem „Ausgleich mit der Geschichte” (vyrovnání s dějinami). Der tschechische Begriff suggeriert, dass das Subjekt mit der Geschichte einen Einklang herstellen muß, um zu sich selbst zu finden. Er legt, stärker als der deutsche Begriff der „Vergangenheitsbewältigung” oder der „Aufarbeitung der Vergangenheit”, dem Subjekt um seiner selbst willen die Pflicht auf, sich um ein wahrhaftes Verhältnis zur Geschichte zu bemühen. In der historischen Diskussion der letzten Jahre stand im Zentrum dieser aufklärerischen Funktion von Geschichte zweifellos die Debatte um die Vertreibung, die sich in der Beurteilung der so genannten Beneš-Dekrete zuspitzte. Den radikalen Kritikern der Dekrete ging es darum, ein moralisches Versagen in der Geschichte um der nationalen Selbstfindung willen anzuerkennen und auszusprechen. Die Konfliktlinien, die sich daraus im politisch-zeithistorischen Diskurs ergaben, sind vielleicht am besten in einer Polemik des einstigen Dissidenten und heutigen Senatspräsidenten Petr Pithart mit Václav Klaus, dem heutigen Staatspräsidenten der Tschechischen Republik, abzulesen. Pithart zitiert in seinem 1998 veröffentlichten „Lesebuch der abgeschobenen Geschichte” einen bekannten Ausspruch Václav Klaus', demzufolge es für die Tschechen jetzt vor allem darum gehe „durch die Windschutzscheibe nach vom zu blicken”, doch gelegentlich in den Rückspiegel zu schauen, um nicht von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Klaus habe sich, so Pitharts polemische Entgegnung, gar nicht gefragt, ob man die Vergangenheit nicht im Kofferraum oder vielleicht in sich selbst mit sich führe.[64] Dieser pointiert kritische Diskurs, der den nationalen „Ausgleich” mit der Vergangenheit sucht, um zu einer nationalen Selbstfindung in der Gegenwart zu gelangen, ist in der tschechischen Zeitgeschichte sicherlich in einer Minderheitenposition, hat aber gleichwohl auf die Themenwahl und die Struktur des zeithistorischen Diskurses in Tschechien einen nicht geringen Einfluss.

Eine aufklärerische Funktion hat die tschechische Zeitgeschichtsschreibung nicht nur im Hinblick auf die Zwangsumsiedlungen und Retributionen in der Folge des Zweiten Weltkriegs, sondern auch hinsichtlich anderer Zeitabschnitte und Probleme, insbesondere der kommunistischen Herrschaft nach 1948 und nach 1968. Zur Vergangenheitsbewältigung dieser Zeitspanne hat kaum ein anderer Staat so viele und weitreichende gesetzliche Bestimmungen erlassen wie die Tschechoslowakei bzw. die Tschechische Republik. Angesichts der Rehabilitierungen von einst Verfolgten aber auch angesichts der Sperre von bestimmten Funktionsträgern des kommunistischen Regimes für bestimmte Aufgaben in der neuen Ordnung kommt der tschechischen Zeitgeschichtsforschung auch die Aufgabe zu, Opfer- und Tätergruppen in der historischen Forschung gerecht zu werden.[65]

Ob durch Zeitgeschichtsschreibung die Friktionen in der tschechischen Gesellschaft zwischen Trägern und Opfern des alten Regimes gemildert werden können, muß eine offene Frage bleiben. Gewiß ist hingegen, dass die Auseinandersetzung um Geschichte in der Zunft Lagerbildungen hervorgebracht hat, welche die Einschätzung nicht nur der Zeitgeschichte, sondern der tschechischen Nationalgeschichte insgesamt betreffen. Immerhin belegen aber Veranstaltungen wie der VIII. Kongreß der tschechischen Historiker 1999 in Hradec Králové (Königgrätz), dass eine Diskussion zwischen verschiedenen generativ, lebensgeschichtlich und weltanschaulich geprägten Gruppen möglich ist.[66]

Da die tschechische Zeitgeschichte von Themen gekennzeichnet ist, die eine weitreichende Implikation für das nationale Selbstverständnis der Tschechischen Republik haben, ist es nicht erstaunlich, dass sich die tschechische Zeitgeschichtsschreibung – nicht anders als ihr deutsches Pendant – weitgehend auf die Geschichte ihres eigenen Lands konzentriert. Bereits 1967 kritisierte der tschechische Historiker Karel Bartošek die „nationale Fixiertheit” der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung.[67] Betrachtet man die Themenwahl, so hat das Urteil sicher auch heute noch Gültigkeit; komparative Fragestellungen, welche die Tschechoslowakei zur DDR, zu Polen, Ungarn oder anderen Ländern in Beziehung setzen, sind noch die Ausnahme. Dennoch ist der Horizont der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung heute viel stärker international geprägt als vor 35 Jahren. Dazu hat das Exil beigetragen, in das sich zahlreiche tschechische Zeithistoriker nach 1968 begaben, und aus dem einzelne Historiker wie Vilém Prečan in leitende Funktionen zurückkehrten. Über die Grenzen hinweg arbeiten nicht nur die von den Außenministerien eingesetzten bilateralen Historikerkommissionen, sondern auch binationale Forschungsprojekte, wie z. B. das von Peter Heumos geleitete deutsch-tschechische Projekt, das die Frage der Durchsetzung von kommunistischen Politikkonzepten gegenüber der tschechischen Industriearbeiterschaft in den 1950er Jahren erforscht. Alle diese Faktoren – das Exil der siebziger und achtziger Jahre, die Historikerkommissionen und die projektgebundene Kooperation – hatten zur Folge, dass ein internationales institutionelles Netzwerk der tschechischen Zeitgeschichtswissenschaft entstand und der tschechische Diskurs gerade über die problematischen Fragen der Zeitgeschichte von einem internationalen Meinungsaustausch geprägt wurde.

Welche Defizite hat die tschechische Zeitgeschichtsschreibung aufzuweisen? Der ehemalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte Vilém Prečan beklagt, dass Zeitgeschichte als Sozialgeschichte noch kaum entwickelt sei,[68] sein Nachfolger Oldřich Tůma weist auf die fehlende Alltags- und Mentalitätsgeschichte hin.[69] Zum Teil sind diese Defizite damit zu erklären, dass sich die tschechischen Zeithistoriker nach 1989 zunächst den drängenden politikgeschichtlichen Fragen angenommen haben, die erstmals mit freiem Archivzugang erforscht und öffentlich diskutiert werden konnten. Das Vorbild der deutschen zeitgeschichtlichen Forschungen zur Geschichte der DDR, das Tůma der tschechischen Zeitgeschichtsforschung zur Nachahmung empfiehlt, erscheint als Vergleichsmaßstab kaum geeignet, weil es zwischen West- und Ostdeutschland einen intensiven Methodentransfer gab und die Zeitgeschichte der DDR in hohem Maße von westdeutschen Historikern geschrieben wurde. Gleichwohl lohnt es sicher, an der DDR-Geschichte entwickelte Fragestellungen und Konzepte auch an der tschechischen Nachkriegsgeschichte zu erproben, so wie umgekehrt die deutsche DDR-Forschung von einer intensiveren Kooperation mit der tschechischen zeithistorischen Forschung nur profitieren könnte. Für die tschechische Disziplin der Zeitgeschichte, die sich nach dem Umbruch von 1989 völlig neu konstituieren mußte, gab es zunächst wohl keine Alternative zur Konzentration auf die drängenden Fragen der Politikgeschichte. Da zumindest einige dieser Fragen – wie die Diskussion um die so genannten Beneš-Dekrete – mit dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik an politischer Virulenz verlieren dürften, steht einer methodischen Pluralisierung der tschechischen Zeitgeschichte bald kaum noch etwas im Wege.

Empfohlene Literatur zum Thema

Chad Bryant, Prague in Black: Nazi Rule and Czech Nationalism, Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2007, ISBN 9780674024519.

Christoph Cornelißen, Roman Holec, Jiři Pešek, Erinnerungskulturen. Instanzen und Formen der öffentlichen Erinnerung an Krieg, Diktatur und Vertreibung. Tschechien, die Slowakei und Deutschland seit 1945, Klartext, Essen 2003, ISBN 3898614301.

Josef Hanzal, Cesty české historiografie 1945-1989, Karolinum, Prag 1999, ISBN 9788071847519.

Karel Kaplan, Der kurze Marsch. Kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei, 1945-1948, Oldenbourg, München 1981, ISBN 9783486487510.

Karel Kaplan, Die politischen Prozesse in der Tschechoslowakei 1948-1954, Oldenbourg, München 1986, ISBN 9783486510812.

Milan Otáhal, Normalizace 1969-1989. Příspěvek ke stavu bádání, Ustav pro soudobe dejiny AV CR, Prag 2002, ISBN 9788072850112.

Peter Pithart, Die abgeschobene Geschichte, Institutum Bohemicum, München 1999, ISBN 9783924020163.

Gordon Skilling, Czechoslovakia's Interrupted Revolution, Princeton University Press, Princeton 1976, ISBN 9780691052342.

Oldřich Tůma, Czech Historiography of Contemporary History (1945-1989), in: Historica. Historical Sciences in the Czech Republic. Nr. 9, 2002, ISSN 1210-8499, S. 125-54.

Zitation

Martin Schulze Wessel, Tschechien - Institutionen, Methoden und Debatten in der Zeitgeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 19.9.2011, URL: http://docupedia.de/zg/Tschechien_-_Institutionen.2C_Methoden_und_Debatten_in_der_Zeitgeschichte (Wiederveröffentlichung von: Martin Schulze Wessel, Zeitgeschichte in Tschechien. Institutionen, Methoden, Debatten, in: Alexander Nützenadel/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven in Europa, Göttingen 2004, S. 305-328.)

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Anmerkungen

    1. Bezeichnenderweise verwendet Josef Macek in einem Aufsatz aus dem Jahr 1964 den Begriff der Zeitgeschichte noch in Anführungszeichen. Vgl.: J. Macek, Zwanzig Jahre tschechoslowakische Geschichtsschreibung, in: Österreichische Osthefte 6. 1964, S. 396-410, hier S. 406. Für Hinweise danke ich vor allem Christiane Brenner, Antonín Kostlán, Milan Otáhal, Vilém Prečan und Oldřich Tůma. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Wiederveröffentlichung von: Martin Schulze Wessel, Zeitgeschichte in Tschechien. Institutionen, Methoden, Debatten, in: Alexander Nützenadel/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven in Europa, Göttingen 2004, S. 305-328.
    2. Einen Überblick über die Entwicklung der tschechischen Historiografie geben: J. Macek, Zwanzig Jahre tschechoslowakische Geschichtsschreibung, in: Österreichische Osthefte 6. 1964, S. 396-410; K. Bartošek, Czechoslovakia: the State of Historiography, in: Journal of Contemporary History 2. 1967, S. 143-155; J. Kořalka, Historiography of the Countries of Eastern Europe. Czechoslovakia, in: AHR 97. 1992, S. 1027-1040, siehe dazu die kritischen Bemerkungen von: S. B. Winters, in: AHR 98. 1993, S. 314; J. Kořalka, ebd.; M.M. Stolarik, in: AHR 98 (1993), S. 650-651; M.L. Hauner, ebd.; J. Kořalka, ebd., S. 652; J. Křen, Czech Historiography at a Turning Point, in: East European Politics and Societies 6. 1992, S. 152-169; J. Hanzal, Cesty české historiografie 1945-1989, Praha 1999, siehe dazu: T. Borovský, in: Český časopis historický 97. 1999, S. 807-812; A. Kostlán, Ke změnám v institucionálním zázemí historické vědy 1945-1953, in: Věda v Československu v letech 1945-1953, S. 425-430. Speziell mit der Geschichte der Zeitgeschichte beschäftigen sich die Jubiläumsbände des 1990 gegründeten Instituts für Zeitgeschichte: Ústav pro soudobé dějiny AV ČR (Hrsg.), Pět let ústavu pro soudobé dějiny, Praha 1996; J. Kocian u. O. Tůma (Hrsg.), Deset let soudobých dějin. Jednání sekce Soudobé dějiny na VIII. sjezdu českých historiků, Praha 2001. Siehe auch die Darstellung des Direktors des Prager Instituts für Zeitgeschichte: O. Tůma, Czech Historiography of Contemporary History (1945-1989), in: Historica. Historical Sciences in the Czech Republic, Series Nova 9. 2002, S. 125-154. Speziell zum Zeitabschnitt zwischen 1969 und 1989 siehe auch: M. Otáhal, Normalizace 1969-1989. Příspěvek ke stavu bádání, Praha 2002.
    3. Přehled československých dějin, 3 Bde., Bd. 1 (bis 1848), Praha 1958; Bd. 2 (1848-1918) Praha 1960; Bd. 3 (1918-1945), Praha 1960.
    4. Bartošek, Czechoslovakia, S. 147.
    5. K. Kaplan, Der kurze Marsch. Kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei, 1945-1948, München 1981; ders., Die politischen Prozesse in der Tschechoslowakei 1948-1954, München 1986; ders., Das verhängnisvolle Bündnis. Unterwanderung, Gleichschaltung und Vernichtung der Tschechoslowakischen Sozialdemokratie 1944-1954, Wuppertal 1984.
    6. Als Zusammenfassung dreier Samizdat-Sammelbände zu diesem Thema siehe: B. Černý, J. Křen, V. Kural u. M. Otáhal (Hrsg.), Češi, Němci, odsun: Diskuse nezávislých historiků, Praha 1990.
    7. Acta Persecutionis, San Francisco 1975; Acta Creationis, Bukarest 1980, Independent Historiography in Czechoslovakia, 2 Bde., Stuttgart 1985.
    8. Siehe etwa A. Jirásek, Doba nejnovější, či soudobé dějiny?, in: Listy kadry historie 4, Hradec Králové 1993, S. 45-51.
    9. Z. Beneš, Dějiny a pritomnost. Zamyšlení nad povahou soudobých dějin, in: Soudobé dějiny 6. 1999, 1, S. 45-54.
    10. Siehe etwa: F. Svátek, Pokus o bilanci průběhu a výsledků „sporu historiků” v České republice na přelomu tisíciletí, in: Soudobé dějiny 8. 2001, S. 78-94.
    11. Siehe z. B.: Podiven (Pseud.), Češi v dějinách nové doby, Praha 1991. Deutsche Übersetzung: P. Pithart, P. Příhoda u. M. Otáhal, Wo ist unsere Heimat?, München 2003.
    12. Erklärung der Deutsch-Tschechischen Historikerkommission vom 16.3.2002, siehe: http://www.dt-ds-historikerkommission.de.
    13. E. Broklová, První československá ústava. Diskuse v ústavním výboru v lednu a únoru 1920, Praha 1992; V. Olivová, Manipulace s dějinami první republiky, Praha 21999.
    14. A. Klimek, Boj o hrad, 2 Bde., Praha 1999, 2000.
    15. J. Gebhart, Pomnichovská krize a vznik Strany národní jednoty, Praha 1992; ders., Rok zkoušesk a zklamání. Československo od jara 1938 do jara 1939, Praha 1990; J. Rataj, O autoritativní národní stát, Praha 1997.
    16. Z. Karník, České země v éře První republiky (1918-1938), Díl privní: Vznik, budování a zlatá léta republiky (1918-1929), Praha 2000.
    17. K. Bartošek, Prašské povstání, Praha 1960,'1965.
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    19. R. Hlušičková, J. Lukešová, B. Pekárek u. I. Stovíček (Hrsg.), V boj. Edice ilegálního časopisu, 3 Bde., Praha 1995.
    20. M. Kárný, J. Milotavá u. M. Kárná (Hrsg.), Protektorátní politika Reinharda Heydricha, Praha 1991. Deutsche Ausgabe: Deutsche Politik im „Protektorat Böhmen und Mähren” unter Reinhard Heydrich. Eine Dokumentation, Berlin 1997.
    21. H. Krejčová, Osudy Čidovské komunity v letech 1938-1948, in: Deset let, S. 65-71.
    22. J. Gebhard, Retrospektiva a desiderata. Desetiletá bilance české historiografie období 1939-1945, in: Deset let, S. 24-41, hier S. 40.
    23. T. Pasák, Český fašism 1922-1945 a kolaborace 1939-1945, Praha 1999.
    24. Z. Beneš (Hrsg.), Rozumět dějinám. Vývoj česko-německých vztahů na našem území v letech 1848-1918, Praha 2002.
    25. Historikové proti znásilóování dějin. Stanovisko Sdružení historiků ČR, in: Příloha Zpravodaje Historického klubu, 2001, Nr. 2.
    26. Zum Folgenden siehe C. Kraft, Der Platz der Vertreibung der Deutschen im historischen Gedächtnis Polens und der Tschechoslowakei/Tschechiens, in: Ch. Cornelißen (Hrsg.), Erinnerungskulturen. Instanzen und Formen der öffentlichen Erinnerung an Krieg, Diktatur und Vertreibung. Tschechien, die Slowakei und Deutschland seit 1945, erscheint 2003.
    27. Die Diskussion der unabhängigen Geschichtsschreibung und den Text Jan Mlynáriks siehe in: Černý (Hrsg.), Češi.
    28. T. Staněk, Odsun Němců z Československa 1945-1947, Praha 1991; ders., Německá menšina v českých zemích 1948-1989, Praha 1993; ders., Perzekuce 1945. Persekuce tzv. státně nespolehlivého obyvatelstva v českých zemích (mimo tábory a veznice) v květnu – srpnu 1945, Praha 1996. Deutsche Übersetzung: Verfolgung 1945. Die Stellung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien (außerhalb der Lager und Gefängnisse), Wien u. a. 2002; ders., Tábory v českých zemích 1945-1948, Opava 1996.
    29. J. Vondrová (Hrsg.), Češi a sudetoněmecká otázka 1939-1945, Praha 1994; K. Jech u. K. Kaplan (Hrsg.), Dekrety prezidenta republiky 1940-1945: dokumenty, 2 Bde., Brno 1995.
    30. Einen bibliographischen Überblick geben: J. Kučera, Česká historiografie a odsun Němců. Pokus o bilanci čtyř let, in: Soudobé dějiny I. 1994, S. 365-373; D. Brandes u. V. Kural (Hrsg.), Der Weg in die Katastrophe: Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938-1947, Essen 1994, S. 11-25. Siehe demnächst in der Zeitschrift Soudobé dějiny eine Darstellung Miroslav Kunštats zu dem Thema.
    31. Einen ständig aktualisierten Überblick über die vielfältigen und intensiven tschechischen Forschungen zu dem Themenkomplex der Vertreibung und Aussiedlung bietet die homepage des Collegium Carolinum. Siehe unter http://www.collegium-carolinum.de in der Rubrik Dokumente.
    32. Siehe z. B.: J. Dejmek, J. Kuklíku. J. Němeček, Kauza: tzv. Benešovy dekrety. Historické kořeny a souvislosti, Praha 1999.
    33. K. Kaplan, Pravda o Československu 1945-1948, Praha 1990; ders., Československo v letech 1945-1948, Praha 1991; ders., Nekrvavá revoluce, Praha 1993; ders, Pět kapitol o únoru, Brno 1997.
    34. T. Staněk, Persekuce, S. 11 f. Siehe auch: Ders., K situaci takzvaného státně nespolehlivého obyvatelstva v českých zemích v letech 1945-1948, in: Deset let, S.42-55.
    35. V. Jiřík, Nedaleko od Norimberku. Z dějin Mimorádného lidového soudu v Chebu v letech 1946 až 1948, Cheb 2000; M. Borak, Spravedlnost podle dekretu. Retribuční soudnictví v ČSR a Mimořádný lidový soud v Ostravě (1945-1948), Ostrava 1998; ders. (Hrsg.), Retribuce v CSR a národní podoby antisemitismu, Praha, Opava 2002; T. Staněk, Retribuční vězni v českých zemích 1945-1955, Opava 2002.
    36. Staněk, K situaci takzvaného stáně nespolehlivého obyvatelstva, S. 48.
    37. Ders., Perzekuce.
    38. J. Kučera, Statistische Berechnungen der Vertreibungsverluste – Schlusswort oder Sackgasse?, in: Der Weg in die Katastrophe, S. 187-200.
    39. Staněk, K situaci takzvaného státne nespolehlivého obyvatelstva, S. 42-55; ders., Perzekuce.
    40. H. Krejčová, Český a slovenský antisemitismus 1945-1948, in: Stránkami soudobých dějin, S. 158-172; dies., Čidovská očekávání a zklámáni po roce 1945, in: Češi a němci – ztracené dějiny?, Praha 1995, S. 245-248; Borák (Hrsg.), Retribuce v ČSR.
    41. K. Kaplan, Der kurze Marsch. Kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei 1945-1948, München 1981. Diese strukturelle politische Betrachtung hat mit einer tieferen zeitlichen Perspektive auf die Zwischenkriegszeit auch der deutsche Zeithistoriker Peter Heumos formuliert. Siehe: ders., Der Februarumsturz in der Tschechoslowakei. Geschichtspunkte zu einer strukturgeschichtlichen Interpretation, in: B. Bonwetsch (Hrsg.), Zeitgeschichte Osteuropas als Methoden- und Forschungsproblem, Berlin 1984, S. 121145.
    42. M. Drápala (Hrsg.), Na ztracené vartě Západu: Antologie české nesocialistické publicistiky z let 1945-1948, Praha 2000.
    43. A. Kratochvíl, Čaluji, 3 Bde., Praha 1990; V. Hejl, Zpráva o organizovaném násilí, Praha 1990; K. Kaplan, Nekrvavá revoluce, Praha 1993.
    44. Siehe die Nachweise bei D. Janák, Perzekuce a represe v letech 1948-1954, in: Deset let, S. 82-93, hier S. 82 f.
    45. M. Trapl, Problémy výzkumu exilu let 1948-1989, in: Deset let, S. 94-101.
    46. Ders., Exil po únoru 1948, Olomouc 1996.
    47. So die Studie mit dem bezeichnenden Titel: V. Pelíšek, Vítězná cesta československé kultury, in: 15 let lidově demokratické ČSR, Praha 1960, S. 21-47. Abgewogener ist dagegen die 1968 erschienene Darstellung Jaroslav Kladivas über die Kulturpolitik der Jahre 1945 bis 1948 mit Ausblicken auf die 1950er Jahre: J. Kladiva, Kultura a politika (1945-1948), Praha 1968.
    48. J. Hořec, Doba ortelů, Brno 1992; A. Kusák, Kultura a politika v Československu 1945-1956, Praha 1998.
    49. J. Knapík, „Das Publikum muss ausgewechselt werden”. Struktur und Wandel der tschechischen Kulturpolitik 1948-1953, in: Bohemia 43. 2002, 5.321-349. Siehe auch das Buch desselben Autors über den tschechischen Kulturfunktionär Gustav Bareš: Kdo spoutal naši kulturu. Portret stalinisty Gustava Bareše, Přerov 2000.
    50. Der einstige Dissident, zeithistorische Publizist und heutige Senatspräsident der Tschechischen Republik Petr Pithart vertritt z. B. das Konzept eines „Doppelcharakters des Prager Frühlings”. Der halbherzigen, nur getriebenen und letztlich gescheiterten Politik des Reformkommunismus stellt er die Politik der tschechischen Zivilgesellschaft 1968 gegenüber, die er als unmittelbaren Anknüpfungspunkt für die tschechische Demokratie heute ansieht. Vgl.: P. Pithart, Der Doppelcharakter des Prager Frühlings. Bürgergesellschaft und Reformkommunismus, in: Transit. Europäische Revue 15 (1998), S. 74-82.
    51. A. Benčík, J. Domaňský, J. Hájek, V. Kural u. V. Mencl (Hrsg.), Osm měsíců pražského jara 1968, Praha 1991. (Die Samizdatveröffentlichung des Buchs datiert im Sommer 1988).
    52. V. Kural u. a. (Hrsg.), Československo v roce 1968, Bd. 1: Obrodný proces, Praha 1993; V. Mencl u. a. (Hrsg.), Československo v roce 1968, Bd. 2: Počátky normalizace, Praha 1993.
    53. Ústav pro soudobé dějiny (Hrsg.), Prameny k dějiným československé krize v letech 1967-1970, bislang 15 Bde., Praha 1993-1999.
    54. P. Pithart, Osmašedesátý, Praha 1990 (1. Aufl. 1980); J. Měchýř, Na okraj legendy roku 1968, in: Soudobé dějiny 1. 1993, S. 11-23.
    55. Einen Überblick über die Forschungsentwicklung bietet: M. Otáhal, Normalizace 1969-1989. Příspěvek ke stavu bádání, Praha 2002.
    56. Ders., Opozice, moc, společnost 1969-1989. Příspěvek k dějinám „normalizace”, Praha 1994.
    57. V. Prečan (Hrsg.), Charta 77 (1977-1989). Od morální k demokratické revoluci, Scheinfeld-Bratislava 1990, Z. Jičínský, Charta 77 a právní stát, Brno 1995.
    58. M. Otáhal, Opozice; ders., Revolution der Intellektuellen? Die tschechischen Intellektuellen und der Totalitarismus, in: W. Lepenies (Hrsg.), Wissenschaftskolleg. Institute for advanced study zu Berlin, Jahrbuch 1991/1992, S. 258-272. V. Prečan, Novoroční filipika 1995. Disent a charta 77 v pojetí Milana Otáhala, Praha 1995. Siehe dazu: C. Brenner, Der zweite Weg zur Revolution von 1989? Über die neuen Arbeiten Milan Otáhals, in: Bohemia 36. 1995, S. 420-425.
    59. M. Otáhal, Podíl inteligence na pádu komunismu. Kruh nezávislé inteligence, Brno 1999; J. Suk, Vznik Občanského fóra a proměny jeho struktury: 19. listopad – 10. prosinec 1989, in: Soudobé dějiny 2. 1995, S. 17-41; ders, Občanské fórum: listopad – prosinec 1989, Bd. 1: Události, Bd. 2: Dokumenty, Brno 1997-1998.
    60. M. Vaněk, Nedalo se tady dýchat. Ekologie v českých zemích v letech 1968 až 1989, Praha 1996.
    61. J. Měchýř, Velký převrat či snad revoluce sametová? Několik informací, poznámek a kommentářů o naší takřečené něžné revoluci a jejích osudech 1989-1992, Praha 1992. Siehe dazu die Rezension von Daniel Steinmetz in Bohemia 41. 2000, S. 241-243.
    62. Siehe dazu M. Vaněk, Uplatnění metody orální historie, in: Deset let, S. 137-143.
    63. M. Otáhal u. M. Vaněk, Sto studentských revolucí. Studenti v období pádu kommunismu – Čivotopisná vyprávnění, Praha 1999; M. Vaněk u. a. (Hrsg.), Ostrůvky svobody. Kulturní a občanské aktivity mladé generace v 80. letech v Československu, Praha 2002.
    64. P. Pithart, Čítanka odsunutých dějin, Praha 1998, S. 4. Deutsche Übersetzung: Die abgeschobene Geschichte, München 1999.
    65. C. Brenner, Vergangenheitspolitik und Vergangenheitsdiskurs in Tschechien 1989-1998, in: H. König, M. Kohlstruck u. A. Wöll (Hrsg.), Vergangenheitspolitik am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Wiesbaden 1998, S. 195-232.
    66. Die Referate des Historikertags siehe unter http://www.clavmon.cz.
    67. Bartošek, Czechoslovakia, S. 144.
    68. V. Prečan, O budoucnosti soudobých dějin se rozhodne na vysokých Čkolách, in: Deset let, S. 16.
    69. Tůma, Czech Historiography, S. 154.