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Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.

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Jonas Brendebach, Sonja Dolinsek, Anina Falasca, Leonie Kathmann

Cold War Studies, transnationale Geschichte und internationale Organisationen

Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 14.10.2011
https://docupedia.de//zg/Cold_War_Studies_-_Kommentar

DOI: https://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.600.v1

Artikelbild: Cold War Studies, transnationale Geschichte und internationale Organisationen

Flagge der Vereinten Nationen, Foto: Sanjitbakshi, 22.09.2011, Calgary, <a rel="nofollow" class="external text" href="https://www.flickr.com/photos/sanjit/6365386329/">Flickr</a&gt; (<a rel="nofollow" class="external text" href="https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/">CC BY 2.0</a>)

Jonas Brendebach, Sonja Dolinsek, Anina Falasca und Leonie Kathmann kommentieren den Beitrag „Kalter Krieg und „Cold War Studies”“ von Bernd Greiner. Dabei wollen sie die Geschichte des Kalten Krieges vor allem um transnationale Ansätze erweitern und die Arbeit internationaler Organisationen in den Cold War Studies stärker berücksichtigen. Insbesondere letztere sollen in ihren beiden Ausprägungsformen als „Intergouvernementale Organisationen” und als „Internationale Nichtregierungsorganisationen” betrachtet werden. Damit untersuchen sie ein junges Forschungsfeld, das rasch wächst, aber auch noch erhebliche Desiderate aufweist.

Kommentar: Cold War Studies, transnationale Geschichte und internationale Organisationen

von Jonas Brendebach, Sonja Dolinsek, Anina Falasca, Leonie Kathmann

Bernd Greiner präsentiert in seinem konzisen Überblick die jüngeren Tendenzen der Cold War Studies.[1] In dreifacher Hinsicht habe sich der historische Blick geöffnet: Zum einen seien die Cold War Studies einer multipolaren bzw. transnationalen Perspektive verpflichtet, zum Zweiten führten sie zu einer Neugewichtung der beteiligten Akteure, und zum Dritten entwickelten sie eine Gesellschaftsgeschichte des Kalten Kriegs, die Bereiche des kulturellen und sozialen Lebens berücksichtige, die in den klassischen Meistererzählungen bisher vernachlässigt würden.

Greiners Hinweis, es handele sich bei den Cold War Studies der letzten Jahre um eine „riesige Werkstatt, in der die neuesten Instrumente der Zeitgeschichte auf ihre Belastbarkeit geprüft und ständig neue Versuchsanordnungen getestet werden” (S. 1),[2] kann man nur unterstreichen. Wir sind jedoch der Meinung, dass man die Werkzeuge noch etwas schärfen und die Palette der Gegenstände, die man in den Schraubstock spannt, erweitern sollte. Es geht uns dabei sowohl um die Erweiterung transnationaler Ansätze für die Geschichte des Kalten Kriegs als auch um eine stärkere Berücksichtigung der Arbeit internationaler Organisationen in den Cold War Studies. Insbesondere letztere sollen in ihren beiden Ausprägungsformen als „Intergouvernementale Organisationen” und als „Internationale Nichtregierungsorganisationen” betrachtet werden. Erwähnt werden sollte hier jedoch gleich vorab, dass es sich bei der Geschichte internationaler Organisationen um ein junges Forschungsfeld handelt, das zwar rasch wächst, aber noch immer erhebliche Desiderate aufweist.

Transnationalisierung der Geschichte des Kalten Kriegs

Für Bernd Greiner bedeutet die Transnationalisierung der Geschichte des Kalten Kriegs, den Blick von den „Epizentren” hin zur Peripherie bzw. von den mächtigen Staaten hin zu den „kleinen” Akteuren und zur „Politik der Blockfreien” zu wenden. Der transnationale Aspekt der „Neugewichtung politischer Akteure” (S. 4) liegt diesem Ansatz zufolge in der Eingliederung von staatlichen Akteuren, denen bisher geringe Bedeutung zugesprochen wurde. Diese Auffassung bleibt jedoch zunächst der klassischen Internationalen Geschichte sehr ähnlich, die Beziehungen zwischen Staaten untersucht.[3]

Transnationale Geschichte stellt eine Forschungsperspektive dar, die „den unterschiedlichen Graden der Interaktion, Verbindung, Zirkulation, Überschneidung und Verflechtung nachgeht, die über den Nationalstaat hinausreichen”.[4] Methodisch vereint transnationale Geschichte „komparative, verflechtungs- und transfergeschichtliche Perspektiven”.[5] Im Rahmen einer transnationalen Geschichte geht es demnach um Abhängigkeiten, Transfers, Übertragungen und strukturelle Verbindungen und Verflechtungen, die „eine nationalhistorische Perspektive per definitionem relativieren”.[6] In diesem Sinne, so unser Eindruck, bleibt die durch Greiner skizzierte multipolare Perspektive grundsätzlich einem nationalstaatlichen Blickwinkel treu. Die Eingliederung der „vermeintliche[n] Peripherie”, der Fokus „auf die Beziehungen zwischen ‚schwachen’ Entwicklungsländern und ‚starken’ Führungsmächten und nicht zuletzt auf die Verflechtungen der ‚Schwachen’ untereinander” (S. 1) stellen zwar eindeutig eine Perspektiverweiterung dar, gehen aber nicht weit genug. Vielmehr müsste man nicht nur fragen, welche Staaten, ob groß oder klein, im Kalten Krieg agierten, sondern auch, welche anderen transnational agierenden Akteure und Netzwerke auftraten, sich behaupten konnten (oder nicht), und inwieweit sie die Ordnung der Staatenwelt mitbestimmten und auch die Gesellschaften im Kalten Krieg prägten.[7] Ziel solcher Forschungen sollte auch sein, die Entstehung solcher transnationalen Interaktionsräume zu verorten, in denen die Akteure des Kalten Kriegs sich begegneten. An welchen Orten kam es zur Begegnung mit den „‚Hintersassen’ in der NATO und im Warschauer Pakt” (S. 5)? Welche Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, boten sich jenen Akteuren, „die sich keinem ideologischen Lager anschlossen” (S. 4)? Um solche Fragen beantworten zu können, müsste die These, dass zunächst „klein” erscheinende Akteure ebenso wie die Peripherie in den Jahren des Kalten Kriegs an Bedeutung gewonnen hätten, stärker in globale Trans- und Internationalisierungstendenzen eingebettet werden.

Damit sind wir bei dem Aspekt, der in unseren Augen in der Geschichte des Kalten Kriegs nicht fehlen darf und integriert werden sollte: die Sphäre der internationalen Organisationen. Vor dem Hintergrund der Arbeiten Akira Iriyes zur Internationalen Geschichte, mehr noch aber vor dem Hintergrund der jüngsten Konjunktur historiografischer Auseinandersetzungen mit internationalen Organisationen,[8] wollen wir einige Perspektiven aufzeigen, denen nicht nur neben, sondern und besonders innerhalb der Kalten-Kriegs-Forschung nachgegangen werden sollte. Internationale Organisationen, insbesondere die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen, aber auch Nichtregierungsorganisationen haben auf die internationale Ordnung, die der Kalte Krieg erzeugte, eingewirkt und ihrerseits alternative Ordnungsversuche unternommen. Der Meistererzählung der globalen Systemkonkurrenz, so könnte die These lauten, müsste die Erzählung einer anderen Globalität bzw. einer davon unbeeindruckten Globalisierung gegenübergestellt werden. Internationale Organisationen eröffneten erst die Handlungsspielräume für „kleinere” Akteure und für die Neuverhandlung einer globalen Ordnung. Sie sind in unseren Augen Orte, an denen sich transnationale Geschichte materialisiert, wie einige Überlegungen und empirische Beispiele belegen sollen.

Internationale Organisationen als Forum für Kommunikation

Eine erste Überlegung, bezogen auf das Beispiel der Vereinten Nationen, zielt auf die Rolle internationaler Organisationen als Kommunikationsraum. In diesem Zusammenhang hat Mark Mazower jüngst eine beliebte Kritik aufgegriffen, indem er die Vereinten Nationen resümierend als „great power talking shop” bezeichnete. Mazower zufolge, stellten die Vereinten Nationen nichts anderes dar als einen "global club of national states, devoid of any substantial strategic purposes beyond the almost forgotten one of preventing another world war".[9] Demnach wären die Vereinten Nationen nicht mehr als die Summe ihrer Mitglieder und reproduzierten nur immer von Neuem die von den Nationalstaaten erzeugte globale Ordnung.

Brian Urquhart, ehemaliger Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen, greift den Begriff des „talking shop” auf: „That […] is what they are and requires no apology.” Er betont die Funktion der Vereinten Nationen als ein Forum, „where the contestants in the ideological and nuclear arms races, the two superpowers, could, as a last resort, meet without loss of face even during the most heated crisis, to stave off the ultimate horror of nuclear war”.[10] Diese These, dass die Vereinten Nationen einen bedeutsamen Ort politischer Kommunikation darstellten, ist zwar nicht überraschend für einen ehemaligen hochrangigen Vertreter der Vereinten Nationen, sollte allerdings in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Ist die Geschichte des Kalten Kriegs auch die Geschichte einer immer prekären Kommunikation zwischen den Großmächten, so boten internationale Organisationen Foren, auf die man ausweichen konnte, wenn direkte Kommunikation nicht mehr möglich war.

Internationale Organisationen als Forum für Interaktion

Dabei bleibt diese Forumsfunktion keineswegs auf die Begegnung der Großmächte begrenzt. Mazower erwähnt bereits die zweite Funktion der Vereinten Nationen als Unterstützer nationaler Selbstbestimmung und damit ihre Rolle im Prozess der Dekolonisation.[11] Greiner wiederum weist mit der Betonung der multipolaren Perspektive darauf hin, dass die neueren Cold War Studies verstärkt nach der Bedeutung „kleinerer” Akteure fragen, womit vor allem die neuen postkolonialen Staaten bzw. die Staaten der „Dritten Welt” gemeint sind. Sie würden „zwangsläufig zum Schauplatz des Streits zwischen den Zentren”, weil die Blöcke „sich ihre Verbündeten in der ‚Dritten Welt’” suchten (S. 3). Diese Sicht fokussiert auf „multilaterale Konfliktkonstellationen” und auf die von jenen kleinen Akteuren „virtuos” genutzten Handlungsspielräume (S. 4). Doch gerade in der Erwähnung neuer Handlungsspielräume bleibt die Frage unbeantwortet, wo genau sich diese eröffneten.

Das von Madeleine Herren angeführte UN „Special Committee of 24 on Decolonization” mag hier als ein Beispiel dienen. Die Vereinten Nationen stellten bekanntlich eines der Hauptforen, auf denen Dekolonisation als globaler Prozess verhandelt wurde. Ihre Politik im Umgang mit noch nicht selbstverwalteten Gebieten, aber auch mit den im Zuge ihrer Unabhängigkeit entstandenen Staaten war wiederum ein Feld, auf dem sich einmal mehr der Antagonismus der Großmächte fortsetzte. Gerade hier scheint sich für Herren ein dritter Weg abzuzeichnen: Asiatische und afrikanische Staaten schlugen 1961 „als akzeptablen Kompromiss” die Einsetzung des „Special Committee of 24” vor, das zunächst Informationen über die Treuhandgebiete der Vereinten Nationen erheben sollte. Gegen den Willen der Kolonialmächte habe das mehrheitlich antikolonial gesinnte Komitee jedoch auch Informationen über Herrschaftsgebiete der noch verbliebenen Kolonialherren gesammelt. Damit sieht Herren das „Deutungsmonopol der Nationalstaaten” durch die eigenständige Informationsgenerierung internationaler Gremien herausgefordert. Informationserhebung sei ein „eigenständiges Instrument internationaler Politik” geworden.[12]

Projekte wie dieses illustrieren den Horizont an Möglichkeiten, der sich internationalen Organisationen eröffnete. Zahlreiche Initiativen wie etwa die in den Vereinten Nationen diskutierte „New International Economic Order” oder die besonders von blockfreien Staaten in der UNESCO propagierte „New World Information and Communication Order” hatten nicht den Effekt, den sich ihre Initiatoren wünschten. Sie hatten jedoch erheblichen Anteil daran, dass auch andere als die bestehenden globalen Ordnungen denkbar wurden.[13] Wer also nach den Handlungsspielräumen „kleinerer” Akteure in einem multipolaren Gefüge internationaler Politik fragt, sollte Institutionen, Kommissionen und Agenden internationaler Organisationen in den Blick nehmen.

Internationale Organisationen als Orte einer anderen Dynamik

Das Argument der neu entstandenen Interaktionsräume lässt sich in der These fortsetzen, dass internationale Organisationen als Vermittler von Kooperationen über Blockgrenzen hinweg in Erscheinung traten. Aufschlussreich wäre es zu fragen, inwiefern sich unter ihrem Dach andere Dynamiken entfalteten, die mitunter quer lagen zur Großwetterlage des Kalten Kriegs. Zwei Beispiele sollen hier die Richtung weisen.

Eine Untersuchung von Erez Manela zeigt die außerordentlich erfolgreiche Kooperation zwischen den Supermächten, internationalen Organisationen und NGOs im Bereich des internationalen Gesundheitswesens bei der Bekämpfung der Pocken: das 1959 in den USA unter Beteiligung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Sowjetunion initiierte „Smallpox Eradication Program” (SEP), durch welches bis 1977 die Ausrottung der Krankheit erreicht wurde.[14] Während dieser fast zwanzig Jahre währenden Kooperation stellten die USA die Finanzierung, die Sowjetunion den Impfstoff und die WHO die Koordination und Supervision des Programms. Mit seinem schon im Titel des Aufsatzes angekündigten Vorhaben, „Writing Disease Control into Cold War History”, gelingt es Manela zu zeigen, dass eine Geschichte wie die des SEP durchaus in einem Spannungsverhältnis zu den Standardnarrativen des Kalten Kriegs steht.[15] Es lässt sich hier eine Dynamik erkennen, die weder als Geschichte bilateraler Kooperation noch unter Verweis auf die Blockkonfrontation zu erklären ist. Vielmehr kann man an ihr die komplexe Interaktion von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren sowie internationalen Organisationen in einer globalen Arena untersuchen. Ein integrativer Ansatz zur Geschichte des Kalten Kriegs und der Internationalen Geschichte könnte – damit schließen wir uns Manelas Plädoyer an – gut geeignet sein, um der Vielfalt der Ereignisse, Kooperationen, aber auch den Paradoxien des Kalten Kriegs Rechnung zu tragen.[16]

Ein zweites Beispiel internationaler Kooperation über Blockgrenzen hinweg sieht Akira Iriye in der Gründung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Jahr 1957. Nachdem eine vergleichbare Einrichtung im VN-System zuvor gescheitert war, hatte ein erneuter Versuch des amerikanischen Präsidenten Eisenhower ab Dezember 1953 Erfolg, da nun die poststalinistische UdSSR die Initiative unterstützte. Die Frage, wie eine friedliche Nutzung atomarer Energie international sichergestellt werden könne, führte unter den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu dem in Iriyes Augen bemerkenswerten Konsens, eine eigens dafür zuständige internationale Behörde zu gründen.[17] Die Entstehung der IAEA kann also als ein Akt interpretiert werden, in dem der Blockkonfrontation zum Trotz die Kooperation der Supermächte gelang und ein Instrument internationaler Regulierung zum eigenen Schutz wie zum Schutz aller installiert werden konnte.[18]

Transnationale Gesellschaftsgeschichte des Kalten Kriegs – ohne IGOs und NGOs?

Standen in unserer Argumentation bisher die „IGOs”, die Intergouvernementalen Organisationen, im Vordergrund, möchten wir an dieser Stelle auf die „NGOs”, die Nichtgouvernementalen Organisationen", eingehen. Mit Blick auf transnationale soziale Räume – Orte von „sich überlagernde[n] und überlappende[n] gesellschaftlichen Verknüpfungen” – sollten auch NGOs in die Untersuchung einbezogen werden.[19] Einerseits agierten sie in der globalen Arena sowohl im Rahmen der Vereinten Nationen als auch in der Zusammenarbeit mit einzelnen Staaten und trugen als „neue Akteure” jenseits der Nationalstaaten zur Multilateralisierung internationaler Politik bei.[20] Andererseits traten NGOs als über staatliche Grenzen hinaus agierende Akteure in einer zunehmend globalen und interdependenten Zivilgesellschaft auf.[21] Will man im Rahmen einer transnationalen Gesellschaftsgeschichte die „innere Verknüpfung zwischen lokalen Erscheinungen und globalen Zusammenhängen” untersuchen, scheint kein Weg mehr an den NGOs vorbeizuführen.[22] Dies gilt auch für eine transnationale Geschichte des Kalten Kriegs.

Während Greiner die Blockkonfrontation als maßgebend betont („weil der äußere Feind gleichsam als steinerner Gast auch im Innern stets präsent war”, S. 7), legt Iriye das Augenmerk auf die integrative Kraft der transnationalen Bemühungen von NGOs.[23] Tatsächlich aber ging beides Hand in Hand. Untersuchungen über ihre Tätigkeiten und Handlungsspielräume im Kalten Krieg betonen sowohl den Einfluss des Kalten Kriegs und seiner Rhetorik als auch die Unabhängigkeit von NGOs und ihr Potenzial, über Grenzen hinweg zu wirken.[24]

Ein Beispiel für diese Spannung ist die von Grace Ai-Ling Chou untersuchte Tätigkeit dreier amerikanischer Kultur- und Bildungsorganisationen (Yale-China Association, Asia Foundation und Ford Foundation) in Hongkong in den 1950er-Jahren. Die Organisationen befanden sich zwar grundsätzlich im Einklang mit der Containment-Politik, ihre Ziele und Handlungsspielräume gingen jedoch über die Blockgrenzen hinaus. Die Verpflichtung etwa zu einem Ideal der intellektuellen Bildungsfreiheit, die sich in der Förderung der „Untersuchung von östlichem und westlichem Gedankengut” niederschlagen sollte, kann als Versuch verstanden werden, globale und verbindende Themen zu identifizieren und gemeinsame Handlungsperspektiven zu erschließen. Gleichzeitig war am Ort dieser Bemühungen, in Hongkong, die Containment-Politik besonders virulent. Die Spannung zwischen transnationalen Bemühungen auf der einen Seite und den Zwängen der Containment-Politik auf der anderen konnte in diesem Fall aber nicht aufgelöst werden.[25]

Doch auch an anderen Beispielen transnationaler zivilgesellschaftlicher Akteure fehlt es nicht. Es sei hier nur auf die internationalen Frauenorganisationen und -bewegungen, internationale Anti-Atombewegungen, transnationale Protest- und Friedensbewegungen ebenso wie auf einflussreiche NGOs verwiesen, die den Kalten Krieg überdauerten und sogar an Einfluss gewannen, z.B. Greenpeace oder Amnesty International.[26]

Die Politik des Kalten Kriegs versteht Greiner im Sinne der neueren Cold War Studies als „totale Politik”, „die tief in die Poren der beteiligten Gesellschaften eindrang und überall bleibende Spuren hinterließ” (S. 2). Die Geschichte der NGOs im Kalten Krieg weist jedoch auch in die entgegengesetzte Richtung. Transnationale Formen zivilgesellschaftlichen Engagements haben auf die internationale Ordnung eingewirkt und alternative Ordnungen entwickelt bzw. vorstellbar gemacht. Wenn man so will, erhielten sie die Vision von einer Welt – „one world” – am Leben, wie sie in den 1940er-Jahren imaginiert wurde. Oder anders gesagt: Sie begründeten das, was Iriye retrospektiv als „Global Community” deklariert, was aber in den Narrativen des Kalten Kriegs oft in den Hintergrund gerät.[27]

Kalter Krieg, transnationale Geschichte, internationale Organisationen

Dass es dennoch bereits reichlich Anknüpfungspunkte gibt, soll ein abschließender Blick auf die Historikerinnen und Historiker zeigen, die sich mit internationalen Organisationen beschäftigen und die ihrerseits die Auseinandersetzung mit den Narrativen des Kalten Kriegs suchen.

Den zurzeit vielleicht umfassendsten Ansatz betreibt Sandrine Kott im Rahmen ihrer Studien zur Geschichte internationaler Sozial- und Arbeitspolitik hauptsächlich am Beispiel der „International Labour Organization” (ILO). Sie fragt dabei nach Netzwerken, Austauschprozessen und Konvergenzen zwischen liberalen Staaten des Westens und den sozialistischen Staaten im Osten. Internationale Organisationen werden hier als soziale und politische Räume sowie als Knotenpunkte der Zirkulationen von Wissen und Expertisen gesehen, was zweierlei zu zeigen erlaubt: nämlich zum einen, wie sich die Blockkonfrontation in internationalen Arenen gleichsam inszenierte, zum anderen aber, wie daneben gemeinsame Interessen verfolgt wurden und Kooperationen entstanden, die möglicherweise der Geschichte des Kalten Kriegs neue Kapitel hinzufügen werden.[28]

In eine ähnliche Richtung wies auch die im Rahmen des UNESCO History Project veranstaltete Konferenz „UNESCO and the Cold War”. Der Anspruch der Teilnehmer war nicht weniger, als die Aufmerksamkeit auf „the organization's important and oft overlooked role in mitigating East-West conflict” zu lenken.[29] Die Ergebnisse, die in den Studien zur internationalen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte zutage treten, verweisen nicht so sehr auf die These, dass internationale Organisationen nur eine weitere Arena für die Konfrontation der zwei bzw. drei Blöcke waren (Mazower), als vielmehr auf Dynamiken, die sich zwischen den Blöcken entwickelten, Blockgrenzen gar überwanden oder die Blockkonstellationen in Einzelfällen markant modifizierten, wie auch die neueste Forschung zur Geschichte der NGOs zeigt.

In der Kalten-Kriegs-Forschung sollte die Frage, inwiefern die Arbeit internationaler Organisationen vom Kalten Krieg geprägt wurde, den Blick auf die umgekehrte Frage nicht verstellen. Netzwerke, grenzüberschreitende Kooperationen, Austausch von Wissen und Expertisen sind Faktoren, die untrennbar mit den Tätigkeiten internationaler Organisationen in ihren beiden Formen als IGOs und NGOs zusammenhängen und eine globale Ordnung neben, wenn nicht gar in der Ordnung des Kalten Kriegs etabliert haben. Wäre der „Krieg” kalt geblieben, ohne die Foren, das Wirken und die Netze internationaler Organisationen?

Die hier vorgeschlagene Perspektive kann weder die geopolitischen Realitäten der globalen Systemkonkurrenz relativieren noch eine von dieser unbeeindruckten transnationale Gesellschaftsgeschichte anbieten. Dennoch entstehen so Fragen nach neuen Zäsuren, nach Prozessen, die sich in relativer Unabhängigkeit vollzogen haben und die Welt auch nach dem Ende des Kalten Kriegs prägen. Ob dabei eine „Global Civil Society” oder eine umfassende Form der Supranationalität entstanden ist, muss zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden.

Empfohlene Literatur zum Thema

Zitation
Jonas Brendebach, Sonja Dolinsek, Anina Falasca, Leonie Kathmann, Cold War Studies, transnationale Geschichte und internationale Organisationen, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 14.10.2011, URL: http://docupedia.de/zg/Cold_War_Studies_-_Kommentar

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Anmerkungen

    1. Der folgende Beitrag ist aus dem Hauptseminar „Going international – Internationale Organisationen und neue Weltordnungen im 20. Jahrhundert“ von PD Dr. Iris Schröder an der Humboldt-Universität zu Berlin im WS 2010/11 hervorgegangen.
    2. Bernd Greiner, Kalter Krieg und „Cold War Studies“, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010, URL: https://docupedia.de/zg/Cold_War_Studies?oldid=75506. Hier und an anderen Stellen werden Zitate aus diesem Artikel direkt mit der Seitenzahl angegeben, die Seitenzahlen beziehen sich auf das auf der Docupedia-Webseite generierbare PDF.
    3. Jürgen Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte: Erweiterung oder Alternative?, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 464-479, hier S. 471.
    4. Kiran Klaus Patel, Transnationale Geschichte – Ein neues Paradigma?, in: H-Soz-u-Kult, 2.2.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=573&type=artikel.
    5. Alexander Nützenadel, Globalisierung und transnationale Geschichte, in: H-Soz-u-Kult, 23.2.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=583&type=artikel.
    6. Patel, Transnationale Geschichte.
    7. Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003, S. 86-105.
    8. Aus den zahlreichen Arbeiten Iriyes seien hier genannt: Akira Iriye, Global Community. The Role of International Organizations in the Making of the Contemporary World, Berkeley 2002; ders., Cultural Internationalism and World Order, Baltimore 1997. Für den Boom einer neueren internationalen Geschichte steht etwa Madeleine Herren, Internationale Organisationen seit 1865. Eine Globalgeschichte der internationalen Ordnung, Darmstadt 2009. Einen Überblick über Ansätze, Themen und Zentren der Forschung bieten die beiden Zeitschriftenbände „New Histories of the United Nations“, Journal of World History 19 (2008), Nr. 3, und jüngst „Transnational History of International Institutions“, Journal for Global History 16 (2011), Nr. 2. Ein weiteres Zeitschriftenheft, das zu einer Zwischenbilanz auf dem Gebiet beiträgt, ist auch 2011 erschienen: Iris Schröder/Susanne Schattenberg/Jan-Holger Kirsch (Hrsg.), Internationale Ordnungen und neue Universalismen im 20. Jahrhundert, Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), Heft 3, online unter http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40209173/default.aspx. Bemerkenswert sind auch die Beiträge der Organisationen selbst zu ihrer Historisierung: Den Anfang machte 1999 das UN Intellectual History Project (http://www.unhistory.org/), aus dem inzwischen 17 Bände hervorgegangen sind, die jedoch hauptsächlich von Politikwissenschaftlern realisiert wurden. Methodisch breiter angelegt sind das UNESCO History Project, http://www.unesco.org/archives/new2010/en/scientific_committe.html, oder das ILO Century Project, http://www.ilo.org/public/english/century/index.htm.
    9. Mark Mazower, No Enchanted Palace. The End of Empire and the Ideological Origins of the United Nations, Princeton/Oxford 2009, S. 27.
    10. Brian Urquhart, Finding the Hidden UN [Rev. of: Mazower, No Enchanted Palace and Jolly et al., UN Ideas That Changed the World], in: The New York Review of Books, 27.5.2010.
    11. Mazower, No Enchanted Palace, S. 27.
    12. Vgl. Herren, Internationale Organisationen, S. 107-108.
    13. Zur Frage einer neuen Sicht auf internationale Ordnung(en) zur Zeit des Kalten Kriegs vgl. Iris Schröder, Die Wiederkehr des Internationalen. Eine einführende Skizze, in: Schröder/Schattenberg/Kirsch (Hrsg.), Internationale Ordnungen und neue Universalismen, S. 340-349, hier: S. 346f., online unter http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40209174/default.aspx. Die „New International Economic Order“ interpretiert Herren beispielsweise vor dem Hintergrund einer „Dynamik transnational politisierter Gesellschaften und einer Tendenz zur Multilateralisierung staatlicher Außenpolitik“, in: Herren, Internationale Organisationen, S. 112. Abgesehen davon warten solche nicht nur im VN-System prominent diskutierten und global gedachten Großprojekte noch auf ihre Historisierung.
    14. Die Studie trägt den bildlichen wie provokanten Titel: Erez Manela, A Pox in Your Narrative. Writing Disease Control into the Cold War History, in: Diplomatic History 34 (2010), S. 299-323.
    15. Ebd., S. 322.
    16. Ebd., S. 302-303.
    17. Vgl. hierzu auch Iriye, Global Community, S. 66-67.
    18. Die historische Literatur zur IAEA wächst seit einigen Jahren, weist jedoch noch zahlreiche Forschungsdesiderate auf. Ein Forschungsprojekt zur Frühgeschichte der IAEA wird derzeit von Oliver Rathkolb und Elisabeth Röhrlich in Wien vorbereitet. Weitere bisher vorgelegte Fallstudien belegen, dass es besonders in den 1950er- und 1960er-Jahren zu bemerkenswerten Kooperationen und Konstellationen unter dem Dach internationaler Organisationen, hier speziell der UNESCO, kam: Laura Elizabeth Wong, Relocating East and West. UNESCO’s Major Project on the Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values, in: Journal of World History 19 (2008), S. 349-374; Katja Naumann, Mitreden über Weltgeschichte. Die Beteiligung polnischer, tschechoslowakischer und ungarischer Historiker an der UNESCO-Scientific and Cultural History of Mankind (1952-1969), in: Frank Hadler (Hrsg.), Verflochtene Geschichten: Ostmitteleuropa, Comparativ 20 (2010), Heft 1-2, S. 186-226. Für einen früheren Ansatz, sich in der Historiografie von der „Kalten-Kriegs-Brille” zu lösen: Vgl. Matthew Connelly, Taking Off the Cold War Lens: Visions of North-South Conflict during the Algerian War for Independence, in: The American Historical Review 105 (2000), S. 739-769.
    19. Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 473.
    20. Herren, Internationale Organisationen, S. 112.
    21. Akira Iriye, A Century of NGOs, in: Diplomatic History 23 (1999), Nr. 3; Herren, Internationale Organisationen, S. 109; Matthew Connelly, Seeing Beyond the State: The Population Control Movement and the Problem of Sovereignty, in: Past & Present 193 (2006), S. 197-233. In Erweiterung von Inis Claudes Modell der zwei Vereinten Nationen, dem Forum, auf dem sich die Mitgliedstaaten treffen, und dem Sekretariat mit seiner internationalen Bürokratie, sehen Thomas G. Weiss, Tatiana Carayannis und Richard Jolly NGOs, Experten, Interessengruppen etc. als „third United Nation“, deren Hauptcharakteristikum die formale Unabhängigkeit von nationalen Regierungen sowie vom Sekretariat sei. Vgl. dies., The Third United Nations, in: Global Governance 15 (2009), S. 123-142.
    22. Jürgen Kocka, Historische Sozialwissenschaft heute, in: Manfred Hettling/Paul Nolte u.a. (Hrsg.), Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte, München 2000, S. 5-24, hier S. 21.
    23. Akira Iriye, A Century of NGOs, S. 429.
    24. Vgl. z.B. Matthew Hilton/James McKay (Hrsg.), NGOs in Contemporary Britain. Non-State Actors in Society and Politics since 1945, Basingstoke 2009; Henry F. Carey/Oliver P. Richmond (Hrsg.), Mitigating Conflict: The Role of NGOs, London 2003; Peter Willets (Hrsg.), 'The Conscience of the World'. The Influence of Non-Governmental Organisations in the UN System, Washington D.C., 1996, online unter http://www.questia.com/PM.qst?a=o&d=12364889.
    25. Grace Ai-Ling Chou, Cultural Education as Containment of Communism. The Ambivalent Position of American NGOs in Hong Kong in the 1950s, in: Journal of Cold War Studies 12 (2010), S. 3-28.
    26. Vgl. z.B. John Boli/George M. Thomas (Hrsg.), Constructing World Culture: International Nongovernmental Organizations since 1875, Stanford 1999; Karen Garner, Shaping a Global Women's Agenda: Women's NGOs and Global Governance, 1925-85, Manchester 2010; Ann Marie Clask, Diplomacy of Conscience: Amnesty International and Changing Human Rights Norms, Princeton 2001; Tom Buchanan, ,The Truth Will Set You Free’. The Making of Amnesty International, in: Journal of Contemporary History 37 (2002), S. 575-597; Willets, Conscience.
    27. Vgl. Iriye, Global Community, S. 65, der mit Bezug auf die NGOs festhält: „[…] most of these agencies kept alive the vision of global community.“ Der Begriff der „one world“ wurde populär mit Wendell Willkies gleichnamigem Buch, das bereits 1943 erschienen war und weltweit zu einem Bestseller wurde.
    28. Beispielhaft ist der vor Kurzem erschienene Artikel von Sandrine Kott, Par-delà la guerre froide. Les organisations internationales et les circulations Est-Ouest (1947-1973), in: Vingtième Siècle. Revue d’histoire 109 (2011), S. 142-154, hier bes. S. 144.
    29. Vgl. den Konferenzbericht von Laura Elizabeth Wong, „UNESCO and the Cold War“, 4.-5.3.2010 am Heidelberg Center for American Studies, http://www.hca.uni-heidelberg.de/md/hca/forschung/conference_report_unesco.pdf.