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Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.

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Rüdiger Hachtmann

Tourismus und Tourismusgeschichte

Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.12.2010
https://docupedia.de//zg/Tourismus_und_Tourismusgeschichte

DOI: https://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.312.v1

Artikelbild: Tourismus und Tourismusgeschichte

Aus einem Fotoalbum (ca. 1955/56): Ingeborg auf Amrum, Quelle: <a rel="nofollow" class="external text" href="https://www.flickr.com/photos/found-photos/2510327189/">Flickr</a&gt; (<a rel="nofollow" class="external text" href="https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/">CC BY-NC-SA 2.0</a>). Seite aus einem auf Ebay gekauften Fotoalbum vermutlich von einer Familie aus Hamburg.

Von der zeithistorischen Forschung wurde die Tourismusgeschichte bislang eher stiefmütterlich behandelt, obwohl der Tourismus insbesondere ein wirtschaftlich höchst relevantes Phänomen ist. Unser Autor Rüdiger Hachtmann geht in seinem Beitrag dem vielschichtigen Phänomen „Tourismus” als Begriff und Forschungsgegenstand nach und behandelt die verschiedenen Formen und Phasen des modernen Tourismus. Außerdem diskutiert er die wichtigsten Vorschläge zu einer Theorie des Tourismus und benennt die methodischen Probleme, die seiner historischen Aufarbeitung im Wege stehen.

Tourismus und Tourismusgeschichte

von Rüdiger Hachtmann

Innerhalb der Zeitgeschichte spielt die Tourismusgeschichte bisher lediglich eine untergeordnete Rolle. Vergleichsweise noch am kräftigsten entwickelt ist sie in Großbritannien.[1] Daneben hat die tourismushistorische Forschung innerhalb der Zeitgeschichte in den mitteleuropäischen Zielländern des Tourismus eine gewisse Bedeutung gewonnen, namentlich in der Schweiz und in Österreich. In der Bundesrepublik ist die Geschichte des zeithistorischen Tourismus erst in den letzten Jahren etwas stärker in den Fokus der Historiker/innen geraten. Alles in allem jedoch ist die Geschichte des Reisens und Urlaubs im 20. Jahrhundert bisher ausgesprochen stiefmütterlich behandelt worden,[2] obwohl sich der Tourismus im letzten Jahrhundert immer stärker ins Zentrum der (westlichen) Gesellschaften geschoben und in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts für viele Weltgegenden ökonomisch wie kulturell eine überragende Bedeutung gewonnen hat. Die Gründe für dieses Mauerblümchen-Dasein, das auffällig mit einem weiterhin starken Interesse am Prototourismus (Grand Tour, frühbürgerliche Bildungsreise, frühe Reiseberichte etc.)[3] kontrastiert, sind vielfältig.

„Tourismus“ – Probleme der Abgrenzung und Erfassung

1. Eine dezidierte Tourismuswissenschaft, die der zeithistorischen Tourismusgeschichte entscheidende Impulse hätte geben können, hat sich als eigenständige Disziplin bislang nicht etablieren können. Zwar hat es seit den 1920er-Jahren wiederholt Versuche gegeben, eine eigenständige „Tourismuswissenschaft“ im Schnittfeld vor allem der Wirtschaftswissenschaft, der Betriebswirtschaftslehre, (begrenzt) der Historiografie und in den letzten Jahren außerdem der Kulturwissenschaften und Ethnologie zu etablieren, dauerhaft ist dies jedoch bisher nicht gelungen.[4] Symptomatisch ist etwa, dass kräftigere Proteste der Historikerzunft ausblieben, als das – bundesweit einzigartige – Tourismus-Archiv des Willy Scharnow-Instituts an der Freien Universität Berlin vom Aus bedroht war (und nur aufgrund der Bemühungen seines rührigen Leiters Hasso Spode vorerst nicht geschlossen wurde).

Wenn sich eine eigenständige Tourismuswissenschaft nicht wirklich hat ausbilden können, dann ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass Forschungen zum Thema „Tourismus“ (noch) stärker als Untersuchungen auf anderen kultur-, sozial- und wirtschaftshistorischen Feldern von ökonomischen Interessen überwölbt werden. Eine auf Markt und Kommerz ausgerichtete Tourismuswissenschaft musste (wie Hasso Spode pointiert hat) eine „Kunstlehre“ bleiben, die „der sogenannten Praxis dienlich ist, sprich: Unternehmen und Kommunen dabei hilft, Geld zu verdienen“,[5] und überzeugende eigene Konzepte nur schwer ausbilden kann.

2. Der Gegenstand „Tourismus“ lässt sich aus einer Reihe von Gründen nur schwer eingrenzen. Nach der klassischen Definition des Grimm’schen Wörterbuchs gilt als „Tourist“ der „>reisende<, der zu seinem vergnügen, ohne festes ziel, zu längerem aufenthalt sich in fremde länder begibt, meist mit dem nebensinn des reichen vornehmen mannes“.[6] Diese Definition ist nicht nur deswegen problematisch, weil sie „Tourismus“ unzulässig auf das männliche Geschlecht verengt und ignoriert, dass Frauen – obgleich lange Zeit massiven geschlechtsspezifischen Restriktionen unterworfen – seit Beginn des modernen Massentourismus zunächst vereinzelt oder in Kleingruppe, seit den 1920er-Jahren dann immer zahlreicher und heute in ähnlichen Dimensionen unterwegs sind wie Männer. Ausgeblendet wird in der klassischen Grimm’schen Definition darüber hinaus, dass im Begriff des „Touristen“ wie des „Tourismus“ die „Masse“ mitschwingt, die sich im Reise- und Urlaubsverhalten vom adligen oder bürgerlichen Individuum und seiner frühneuzeitlichen Grand Tour deutlich abhebt.

Der Terminus „Masse“ wiederum ist ein relationaler Begriff, der es erlaubt, auch den Beginn des modernen Tourismus sehr unterschiedlich zu datieren und das Phänomen selbst mal eng zu fassen und mal auszuweiten. Die Frage, wann der moderne Tourismus einsetzte, wurde und wird wohl auch fernerhin unterschiedlich beantwortet. Sinnvoll ist es, seinen Beginn auf die Einführung der Eisenbahn als lange Zeit zentralem Massenverkehrsmittel und die – in Kontinentaleuropa – relativ rasche Ausweitung des Schienennetzes zu datieren.[7] Die Aufhebung kleinstaatlicher Barrieren namentlich in Deutschland und Italien verstärkte diesen ersten massentouristischen Schub. Man kann den Tourismus im engeren Sinne mit guten Gründen aber auch bereits mit der Etablierung der ersten britischen Seebäder Mitte des 18. Jahrhunderts beginnen lassen.[8] Manche Zeithistoriker/innen wiederum datieren die Anfänge des modernen Massentourismus erst auf die 1950er-Jahre, nachdem mit der Automobilisierung der west- und mitteleuropäischen Gesellschaften und der Etablierung der Flugreisen die touristische Mobilität in sozialer wie räumlicher Hinsicht in der Tat in ganz andere Dimensionen vorzustoßen begann.

3. Die kategoriale Unschärfe des Begriffs „Tourismus“ ist weniger darauf zurückzuführen, dass viele Touristen nicht als Touristen gelten mochten und mögen und auf soziale Distinktion gegenüber den Touristen„massen“ Wert legen. (Infolgedessen hat die Tourismusschelte den Tourismus seit seiner Entstehung begleitet.) Weit schwerer wiegt, dass der Tourismus zahlreiche Graufelder aufweist und von benachbarten Phänomenen oft nur schwer abzugrenzen ist. Dies bezieht sich keineswegs nur auf den Prototourismus, etwa die mittelalterliche und frühneuzeitliche Pilgerfahrt, die Grand Tour der jungen Adligen, die frühbürgerliche, oft mehrjährige Bildungsreise von Gelehrten und Künstlern oder die großbürgerliche Sommerfrische des 18. Jahrhunderts. Das Problem der Abgrenzung stellt sich auch im gegenwärtigen Tourismus, etwa wenn Geschäftsleute ihre Auslandsreisen um Ausflüge zum Vergnügen ergänzen oder umgekehrt Tourist/innen während längerer Sightseeing-Touren nebenbei berufliche Anrufe per Handy tätigen.

4. Nicht zuletzt die relativ offenen Grenzen des Phänomens „Tourismus“ – die sich im Zuge einer zunehmenden „Veralltäglichung“ des Tourismus, namentlich einer rasch fortschreitenden Vermischung von beruflicher und touristischer Mobilität (nicht zuletzt vor dem Hintergrund der neuen Kommunikationstechniken) derzeit dynamisch ausweiten – erschweren auch eine statistisch präzise Erfassung und Aufschlüsselung. Der seit Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführte Terminus „Fremdenverkehr“ – als zentrale Kategorie der amtlichen Statistik – fragt nicht nach den Motiven des „Fremden“ und schließt neben dem eigentlichen Tourismus etwa auch die Geschäftsreisenden mit ein. Umgekehrt geht keineswegs der gesamte Tourismus in der Kategorie „Fremdenverkehr“ auf. Letztere zielt auf die durch den Staat oder die Kommunen registrierten Übernachtungen in Hotels oder sonstigen Einrichtungen des „Fremdenverkehrsgewerbes“. Nicht verzeichnet werden diejenigen Tourist/innen, die bei Verwandten oder Bekannten unterkamen –- und dies den Behörden nicht meldeten. Erhebungen, die unmittelbar touristisches Verhalten zu erfassen suchen, sind bis in die Gegenwart selten. Die von kommerziellen Tourismusveranstaltern vorgelegten Zahlen wiederum erfassen (bei hoher Dunkelziffer) ein Drittel oder weniger sämtlicher Tourismusströme.

5. Nur begrenzt „greifbar“ ist der moderne Tourismus des 20. Jahrhunderts für Historiker/innen außerdem, weil diesen bestenfalls Splitter einer Quellengattung zur Verfügung stehen, die für wichtige Bereiche der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie mit Einschränkungen der Kulturgeschichte zentral sind: die Akten von Betriebsarchiven. Existenz und „Schicksal“ selbst großer Tourismusunternehmen waren bis in die jüngste Zeit oft flüchtig. Eigenständige und der Forschung zugängliche Archivalien der kommerziellen Tourismusveranstalter oder umfängliche, geschlossene unternehmensbezogene Aktenbestände in öffentlichen Archiven sind bisher nicht verfügbar. Historiker/innen sind infolgedessen vor allem auf Zeitschriften, „graue“ Literatur, Ego-Dokumente (auch fotografischer Art) usw. oder aber Archivalienbestände staatlicher Provenienz angewiesen, denen die tourismushistorische Relevanz nicht auf den ersten Blick anzumerken ist.

6. Der Tourismus ist nicht nur von benachbarten Phänomenen schwer abzugrenzen. Es handelt sich bei ihm außerdem um ein historisch höchst wandlungsfähiges Phänomen – was die tourismushistorische Theoriebildung erheblich erschwert.

Probleme der Theoriebildung

Versuche, sämtliche Erscheinungsformen des Tourismus unter ein gemeinsames theoretisches Dach zu fassen, hat es immer wieder gegeben. Nachhaltige Resonanz hat insbesondere im deutschen Raum Hans Magnus Enzensberger mit seiner 1958 publizierten kapitalismuskritischen „Theorie des Tourismus“ gefunden. Mit seiner Behauptung, die „Flut des Tourismus“ sei vom Wunsch nach Freiheit getragen, bleibe jedoch zwangsläufig eine vergebliche „Fluchtbewegung aus der Wirklichkeit, mit der unsere Gesellschaftsverfassung uns umstellt“, weil in der kapitalistischen Warenwelt „Freiheit [nur] als Massenbetrug“ inszeniert werden könne,[9] nahm Enzensberger auf dem Feld des Tourismus die Kapitalismus- und Kulturkritik von „1968“ vorweg.[10] Enzensbergers Thesen sind bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder aufgenommen worden, zustimmend und ebenso kritisch. Christoph Hennig beispielsweise hat das Konzept Enzensbergers mit den Worten verworfen, dieser habe „mit heruntergezogenem Mundwinkel“ den Tourismus madig machen wollen. Wenn Hennig selbst jedoch davon spricht, dass Touristen „vor allem die sinnliche Erfahrung imaginärer Welten“ suchen, um vom profanen Alltag Abstand zu gewinnen, sich „im Spannungsfeld von Realität und Imagination“ bewegen und in der Ferne ganz ähnlich wie beim Fest Räume für „die Aufhebung der gewohnten Regeln“ oder auch nur den „Rausch“ suchen würden, artikuliert er letztlich – nur freundlicher formuliert – Varianten des Flucht-Motivs.[11]

Ein anderer kulturhistorischer Ansatz ist das Theorem von den touristischen Reisen, deren Hauptinhalt der Symbolkonsum sei. Dieses Konzept geht letztlich auf das Kapitalakkumulations- und Kapitaltauschkonzept Pierre Bourdieus zurück und ist für die Tourismusforschung namentlich durch Ueli Gyr fruchtbar gemacht worden.[12] Symbolkonsum sei sowohl die – oft lediglich oberflächliche – Besichtigung von kulturellen Sehenswürdigkeiten, aber auch der Kauf von Souvenirs, Schmuck, Hüten, Kopftüchern etc. des Gastlandes oder auch exotische oder dramatisch inszenierte Erlebnisse. Zu Hause (so könnte man ergänzen und in Bourdieu’schen Kategorien formulieren) wird das im Urlaub erworbene symbolische oder kulturelle Kapitel in soziales Kapital verwandelt. Andere Tourismuswissenschaftler haben mit Seitenblick auf den religiös aufgeladenen Prototourismus vor allem des Mittelalters bereits vor mehreren Jahrzehnten kulturbeflissene Reisende als säkulare Pilger qualifiziert sowie Parallelen zwischen, mit sakraler Ehrfurcht betrachteten, kunsthistorischen Zielen gezogen;[13] selbst Disneyland hat einzelne Tourismusforscher zu Analogien mit Wallfahrten provoziert.[14]

Relativ starken Anklang hat die Visual History gefunden, die der britische Soziologe John Urry – seinerseits wiederum in Anlehnung an Überlegungen Michel Foucaults – für die Tourismusforschung entwickelt[15] und namentlich Cord Pagenstecher elaboriert und in die bundesdeutsche Tourismusforschung eingeführt hat.[16] Urrys Überlegungen lassen sich auf die These zuspitzen, dass der „romantic gaze“ der frühen Touristen durch den „collective gaze“ der modernen Touristen, der Geselligkeit, Vergnügen und Unterhaltung in den Vordergrund stelle, abgelöst worden sei. Cord Pagenstecher hat diesen Ansatz für den bundesdeutschen Tourismus von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre hinein zu operationalisieren versucht, indem er zum einen profane Knipserfotos und Dia-Serien als den „Blick“, den die Urlauber selbst als zentral für die Erinnerung festhielten, ausgewertet hat. Zum anderen untersuchte er die Fotos und Illustrationen auf einen „romantic“ bzw. „collective gaze“ hin, die in Reiseführern sowie Werbebroschüren der Reiseveranstalter Eingang gefunden hatten und in den jeweiligen Phasen die „visual consumption“ der Tourist/innen lenkten.

Ein Problem dieses Konzepts bleibt freilich, dass die Gegenüberstellung von „romantic“ und „collective gaze“ zu grobschlächtig ist. Sie blendet nicht nur Mischformen aus, sondern auch den schlichten sozialstatistischen Tatbestand, dass die Ausweitung des Tourismus auf die Unterschichten, auf alte und junge Generationen etc. auch die „durchschnitts-touristischen“ Verhaltensmuster und „Blicke“ verschiebt. Die scheinbare Hegemonie des in der Forschung oft genug auf Vergnügungssucht, Eventkultur und stupides Sonnenbaden reduzierten „collective gaze“ in der „Postmoderne“ wird man zumindest zu wesentlichen Teilen auf die angedeuteten sozialen Weiterungen des Tourismus zurückführen müssen.

Alle Tourismustheorien verkürzen. Auch Pagenstecher, der neben Spode konzeptionell als innovativster Pionier der bundesdeutschen Tourismusgeschichte gelten kann und der Visual History – mit guten Argumenten – die Rolle eines „Bindeglied[s] zwischen Struktur- und Erfahrungsgeschichte“ zuweist, weiß natürlich, dass sein Ansatz „keine umfassende Erklärung touristischen Verhaltens beanspruchen“ kann. In der Tat. Alle hier vorgestellten Erklärungsansätze mögen bestimmte Aspekte des – aktuellen wie historischen – Tourismus fassen (und auch das nur in Grenzen). Als Konzepte mit einem umfassenden Anspruch können sie jedoch wenig befriedigen. Viele Tourismustheorien muten zudem – mit ihren auf Klischees reduzierten Bildern vom Touristen – oft wie Varianten einer weiterhin allgegenwärtigen Tourismusschelte an. Allein angesichts der Vielschichtigkeit des Gegenstandes „Tourismus“ sowie zudem aufgrund der Dynamik, der der Tourismus namentlich in den letzten Jahrzehnten unterworfen war, werden Zeithistoriker/innen wohl auch künftig gut daran tun, sich auf die Formulierung von Theorien mittlerer Reichweite zu beschränken.

Formen und Phasen des Tourismus

Die Formen des Tourismus – und mit ihnen die „Typen“ der Tourismushistoriografie – lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien klassifizieren.[17] Zunächst nach den sozialen Trägergruppen:

Großbürgerlich und adlig geprägter Individualtourismus. Er entwickelte sich aus der Grand Tour junger Adliger durch Mitteleuropa und Italien, bei der diese nicht nur in die „Etiquette“ und „Conduite“ der europäischen Höfe eingeführt wurden, sondern auch bereits antike Kulturstätten, Kirchen, Klöster, Schatz- und Kunstkammern sowie weitere Sehenswürdigkeiten besichtigten.[18] Die in der Aufklärung aufkommende bürgerliche Bildungsreise diente der Horizonterweiterung im buchstäblichen und übertragenen Sinn. Neben den Stätten antiker Kultur vor allem Italiens, seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch Griechenlands,[19] waren auch die modernen, für ihre wissenschaftlichen und technologischen Innovationen bekannten englischen Industriestädte attraktive Reiseziele. Letzteren verwandt sind die Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommenden, quasi-professionellen Reisen von europäischen Unternehmern und Industriemanagern in das Großbritannien ablösende Wirtschaftswunderland USA.[20]

Bädertourismus. Der Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst in Großbritannien, Ende dieses Jahrhunderts dann auch auf dem Kontinent aufkommende mehrwöchige Besuch von Seebädern[21] war ebenso wie die Reise zu Heilquellen im Binnenland und ein längerer Aufenthalt in den Kurorten gleichfalls lange Zeit ein Privileg des Adels und des vermögenden Bürgertums, ehe er sich Ende des 19. Jahrhunderts zunächst auf die Mittelschichten und im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts schließlich auch auf Teile der Unterschichten ausweitete.

Kleinbürgerliche Sommerfrische. Im Unterschied zu den bisher genannten Formen des frühen Tourismus und ebenso zum oft gleichfalls als „Sommerfrische“ bezeichneten Aufenthalt des vermögenden (patrizischen) Bürgertums vor allem der Schweiz und der italienischen Stadtstaaten des 17. und 18. Jahrhunderts in eigenen Villen während der Sommermonate war die „Sommerfrische“ im engeren Sinne ab Ende des 19. Jahrhunderts ein genuin kleinbürgerliches Phänomen.[22] Begünstigt durch eine privilegierte Urlaubsgesetzgebung für Beamte, später auch für Angestellte, blieb die Sommerfrische bis Mitte des 20. Jahrhunderts populär. Sie war eine ausgeprägt familiäre Form des Urlaubs in einem ländlichen Umfeld; die Unterbringung der Sommerfrischler – Mutter und Kinder, oft ohne den berufstätigen Vater – war meist einfach und nicht allzu weit vom Heimatort entfernt.

Sozialtourismus. Dieser Begriff nimmt die soziale Emanzipation der Industriearbeiterschaft und weiterer Unterschichten aus der Arbeiterbewegung auf und impliziert einen preiswerten Massentourismus, organisiert und oft genug bezuschusst durch die gewerkschaftlichen Arbeitnehmerverbände. Vorreiter war die britische „Workers Travel Association“ ab 1922.[23] Eine, alle „Gemeinschafts-“ und „Rassefremden“ exkludierende Sonderform des Sozialtourismus, die in politisch-propagandistischer Absicht den bis 1933 im Deutschen Reich erst in Anfängen ausgebildeten gewerkschaftlichen Tourismus in den Schatten stellen sollte, bildet der von der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ als der größten Suborganisation der Deutschen Arbeitsfront organisierte Massentourismus zwischen 1934 und 1939.[24]

Kommerzieller Massentourismus. Er geht wesentlich auf den Tourismus-Pionier Thomas Cook[25] zurück und begann sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch auf dem europäischen Kontinent kräftig zu entwickeln. Zur hegemonialen Form des modernen Tourismus wurde er jedoch erst zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, parallel zur Krise des (gewerkschaftlichen) Tourismus und des Verschwindens der Sommerfrische sowie auch parallel zum Bedeutungsverlust der von den Naturfreunden, den Alpenvereinen sowie den Jugendherbergen geschaffenen, auf dem Prinzip kollektiver Selbsthilfe basierenden touristischen Infrastruktureinrichtungen. Der Begriff „kommerzieller Massentourismus“ zielt hier nicht nur auf die von Reiseveranstaltern angebotenen Pauschalreisen, deren Bedeutung erst seit den 1990er-Jahren kontinuierlich wächst, sondern ebenso auf Hotels und andere touristische Dienstleistungen, die (auch) der automobile, radfahrende oder wandernde Individualtourist in Anspruch nimmt.

Ungeachtet des Tatbestandes, dass sich die genannten (Sozial-)Typen des Tourismus kategorial überschnitten und überschneiden und hier zudem diverse „Grauzonen“ ausgeblendet bleiben müssen, markieren sie doch zugleich bestimmte Phasen des Tourismus sowie mit jenen die sukzessive Erweiterung des Tourismus auf immer breitere Bevölkerungsschichten:

  • Wenn man den „Pilgertourismus“, die Grand Tour der Adligen oder auch den frühbürgerlichen Bildungstourismus als Formen des Reisens interpretiert, die zwar bereits touristische Elemente aufweisen, vordergründig jedoch aus anderen Motiven unternommen wurden, mithin also nicht dem Tourismus im engeren Sinne zuzurechnen sind, dann lässt sich – mit Blick auf den europäischen Kontinent und hier wiederum vor allem Mittel- und Westeuropa – die erste Phase des modernen Tourismus grob auf die Zeit zwischen 1835 und 1880 datieren, als die Eisenbahn erlaubte, Touristen „in Massen“ zu transportieren, kleinstaatliche Barrieren niedergerissen wurden und sich deutliche Ansätze einer touristischen Infrastruktur auszubilden begannen (Hotels und Pensionen, erste Reisebüros, Ausbau der Seebäder und Kurorte).
  • Mit der Etablierung der Sommerfrische begann sich der moderne Tourismus auf die Mittelschichten auszuweiten. Diese zweite Phase einer Etablierung des modernen Tourismus reichte grob von 1880 bis 1930.
  • In der Epoche des Sozialtourismus als der dritten Phase des modernen Tourismus traten nach dem Ersten Weltkrieg neben den – auch in der Zwischenkriegszeit weiter expandierenden – gehobenen und den Mittelschichts-Tourismus die sozialtouristischen Anstrengungen der Gewerkschaften in zahlreichen europäischen Ländern, in Italien seit Mitte der 1920er-Jahre der Sozialtourismus der faschistischen „Opera Nazionale Dopolavoro“ (OND) sowie in Deutschland der durch die Arbeitsfront bzw. KdF organisierte und politisch wie rassistisch pervertierte Sozialtourismus.[26] Abgesehen vom „Sonderfall“ des staatlich-gewerkschaftlich getragenen organisierten Tourismus im Ostblock bis 1989 (in der DDR: FDGB-Feriendienst) verlor der Sozialtourismus ab den 1950er-Jahren rapide an Bedeutung, als die meisten großen (europäischen) Arbeitnehmerverbände des „Westens“ dieses politische Feld aufgaben. Dass etwa in den skandinavischen Ländern gewerkschaftliche Reiseunternehmen kommerziell durchaus erfolgreich weiter bestehen, ändert daran nichts.
  • Die Zeit zwischen Mitte der 1950er- und Mitte der 1970er-Jahre markiert die Sattelzeit der vierten Phase des modernen Tourismus, die durch die Hegemonie von Markt und Kommerz gegenüber einem rasch schrumpfenden – teilweise genossenschaftlichen – Sozialtourismus charakterisiert ist.[27] Diese vierte Phase, deren Ende bisher nicht abzusehen ist, hat zudem die sozialen, die geschlechtsbezogenen und ebenso die räumlichen Dimensionen gesprengt: Frauen verreisen mittlerweile genauso häufig wie Männer. Auch die Unterschichten sind inzwischen in den Tourismus einbezogen, auch wenn sich nach wie vor deutliche soziale Unterschiede in der Reiseintensität beobachten lassen. Seit den 1960er-Jahren dominiert der Auslands- den Inlandstourismus; zudem hat sich das Reisen zum Vergnügen dank eines zur Alltagsroutine gewordenen Flugverkehrs globalisiert.[28] Der Tourismus markiert heute weniger soziale Scheidelinien innerhalb der industrialisierten Gesellschaften. Er ist vielmehr zum Spiegel der Spaltung zwischen Alter und Neuer Welt auf der einen Seite und „Dritter Welt“ auf der anderen Seite geworden – wobei inzwischen auch privilegierte Schichten namentlich der sogenannten Schwellenländer zunehmend am globalen Tourismus partizipieren.[29]

Ein weiteres Kriterium, nach dem sich der Tourismus (nicht nur) des 20. Jahrhunderts gliedern lässt, sind die Motive, die den Touristen veranlassen, auf Reisen zu gehen, und die jeweiligen Praxen an den Zielorten:

Kulturbeflissener Bildungstourismus. Er wurzelt im oben angesprochenen bürgerlichen Individualtourismus und war und ist ein Vehikel der Selbstaufklärung durch Reisen, das durch die modernen Reiseführer freilich zunehmend zur standardisierten Sightseeing-Tour wird.

Revolutions- und Politiktourismus. Der sich seit 1789 ausbildende Revolutionstourismus – säkulare Wallfahrten zu den Stätten der Großen Französischen Revolution und der weiteren politisch-sozialen Umsturzversuche des 19. und 20. Jahrhunderts (vor allem 1848, 1871, 1917) – blieb zunächst ein vornehmlich bürgerlicher Individualtourismus von Revolutionsenthusiasten, seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in zunehmendem Maße voyeuristisch-erschauernder Pauschaltouristen aus dem Bürgertum und den Mittelschichten. Dem Revolutionstourismus verwandt (oder auch ein Oberbegriff) ist der Politiktourismus, also z.B. der Besuch des „Houses of Parliament“ oder des Reichstags bei einer Reise nach London oder Berlin ebenso wie ein Abstecher zum Völkerschlacht-Denkmal während eines Leipzig-Aufenthalts.

Battlefield Tourism[30] oder War Tourism. Dem Revolutions- und Politiktourismus verwandt ist der mit der Besichtigung der legendären Schlachtfelder des Peloponnesischen Krieges in die Antike zurückreichende Battlefield Tourism, der als Element des modernen Massentourismus übrigens gleichfalls auf Thomas Cook als den großen britischen Pionier kommerzialisierter Pauschalreisen zurückgeht. Dem Battlefield Tourism wiederum eng benachbart ist der Dark Tourism oder auch Black und Grief Tourism, der sich an Tod, Gewalt und Schmerz voyeuristisch delektiert, sowie der sensationslüsterne Katastrophen-Tourismus.[31] Objekte eines solchen Tourismus, der dem Besucher eine kräftige Gänsehaut bescheren soll, sind die mit diversen Vampir-Legenden garnierten rumänischen Burgen oder Ground Zero; auch der „KZ-Tourismus“ oder der Besuch „legendärer“ Gefängnisse und moderner Folterstätten werden mitunter dieser Kategorie zugerechnet.[32]

Abenteuertourismus, Tourismus als sportliche Herausforderung. Urvater des modernen Abenteuertourismus – der keine Weltgegend auslässt, sei sie auch noch so unzugänglich – ist die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Alpinistik, das bergsteigerische Erklimmen der Alpengipfel, in deren Gefolge dieses europäische Hochgebirge für den Massentourismus erschlossen wurde. Die Alpinistik und – als moderatere Formen – das Alpen- und Mittelgebirgswandern wiederum verweisen auf die Naturbegeisterung eines Jean-Jacques Rousseau und älterer Vertreter der Aufklärung wie der Romantik. Der Wunsch nach unberührten Landschaften und – oft romantizistisch verklärt – einem intensiven Naturerlebnis ging und geht in inzwischen globalem Maßstab nicht zufällig mit einer sich rapide verschärfenden Verstädterung und Industrialisierung der kontinentaleuropäischen Länder einher, zu der der Abenteurer Distanz schaffen will und die er so doch in abgelegene Weltregionen mitschleppt.[33]

Erholungs- und Entspannungsurlaub. Naturschwärmerei kann auch Pate des Erholungsurlaubs sein, muss es aber nicht. Über die Frage, ob der Wunsch nach bloßer Entspannung („Sonnenanbeten“, Ballermann-Tourismus) in der „Postmoderne“ den kultur- und ebenso den naturorientierten Tourismus verdrängt hat, ließe sich trefflich streiten. Tatsächlich haben sich mit der sozialen Ausweitung und einer zunehmenden Einbeziehung namentlich der Unterschichten – sowie unabhängig davon der Frauen – in den Tourismus auch die touristischen Praxen verändert und vervielfältigt. Indes ist ein reiner Vergnügungstourismus, wie ihn Bill Butlin mit Riesenrutschen, Geisterbahnen, Misswahlen, Frittenwettessen usw. in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre erfunden hat,[34] eher die touristische Ausnahme als die Regel. Charakteristisch für den modernen und „postmodernen“ Tourismus sind das Nebeneinander und die Mischung von Kulturbeflissenheit, Naturbegeisterung, auch Sensationsgier (Revolutions- und Katastrophentourismus) sowie einem simplen Erholungsbedürfnis.

Tourismus, Ökonomie und Gesellschaftsformation

Die historischen Veränderungen und Verästelungen des Tourismus in den letzten eineinhalb Jahrhunderten sind wesentlich auf den Wandel der politisch-gesellschaftlichen, der kulturellen und – vor allem – der mikro- wie makroökonomischen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Auffällig ist, dass Struktur und Geschichte der touristischen „Produktionsbedingungen“ die Mikroökonomie „normaler“ Unternehmen spiegeln – mit typischen Verzerrungen. Jedem industriellen Rationalisierungsschub folgte, zeitlich versetzt, eine vergleichbare Variante tourismusgewerblicher Rationalisierung. Die verschiedenen Varianten der „Produktion“ von Tourismus und ebenso ihre (idealtypisch) historische Abfolge zeigen von ihrer Grundstruktur her bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit den verschiedenen Phasen „normaler“ Produktion.

  • Einfache gewerbliche Produktion war zumeist Einzelfertigung auf Bestellung. Sie dominierte die Ökonomie vor der Entfaltung des modernen Industriekapitalismus. Ähnliches gilt für das vormoderne Reisen: Sowohl die adlige Kavalierstour seit dem 16. Jahrhundert als auch die frühe bürgerliche Bildungsreise des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts waren prototouristische „Einzelfertigung“.
  • Die Serien- oder Reihenfertigung stand am Anfang des frühen Industriekapitalismus und meint, dass bereits eine größere Zahl gleichartiger Erzeugnisse für einen anonymen Markt gefertigt, die Produktion jedoch auf überschaubare Stückzahlen und einen kürzeren Zeitraum beschränkt wird. Dem Briten Thomas Cook gelang der Durchbruch zum modernen Massentourismus, weil er die Vorteile serieller Produktion erkannte und für den sukzessive von ihm zur Pauschalreise ausgebauten Tourismus fruchtbar zu machen verstand.
  • Die Massenfertigung ist die typische Form moderner industrieller Produktionsweisen, von der gesprochen wird, wenn ein Unternehmen über einen langen Zeitraum große Mengen gleichartiger Erzeugnisse herstellt. Fließfertigung und halb- oder vollautomatische Produktionssysteme bauen auf Massenfertigung auf; das Produkt „fließt“ von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz sowie von Produktionsabteilung zu Produktionsabteilung und erscheint schließlich als fertiges Produkt am Endpunkt des Herstellungsprozesses. Massentourismus setzt gleichfalls „Massen“- oder zumindest „Serienproduktion“ voraus. Touristische „Fließfertigung“ besitzt freilich die Eigentümlichkeit, dass es der Tourist ist, der gleichsam von Station zu Station „fließt“, und am Ende des Prozesses nicht das fertige Produkt erscheint, sondern verbraucht ist. Nur mit Hilfe des Prinzips der Massen- und Fließfertigung lässt sich ein zentraler Aspekt des Massentourismus realisieren: Kostensenkung, niedrige Endpreise und damit Ausweitung des Tourismus auch auf einkommensschwache Schichten. Das KdF-Amt „Reisen, Wandern, Urlaub“ markiert mit seinen niedrigen Preisen und seinen Tourismusangeboten, die von der Anreise über die Unterkunft bis zur kulturellen „Betreuung“ alles einschlossen, im deutschen Raum den Anfang, Neckermann, TUI u.a. stehen mit ihrem Charterflugtourismus und der „all-inclusive“-Betreuung vor Ort seit den 1960er-Jahren für den Durchbruch touristischer „Fließfertigung“. Dass sich ausgerechnet mit KdF und dem „Bad der 20.000“ in Prora auf Rügen das Fließfertigungsprinzip im Tourismus durchgesetzt hat,[35] war kein Zufall, sondern eine Entwicklung parallel zu den Veränderungen der allgemeinen Produktionsstrukturen in Deutschland.
  • Neueren Datums – obwohl gleichfalls mit Wurzeln bereits in den 1920er-Jahren – ist das sogenannte Baukastenprinzip. Rationalisierungseffekte werden hier dadurch erzielt, dass eine gemeinsame, einheitliche Plattform geschaffen wird, um so mit Blick auf bestimmte Grundelemente des Endprodukts die Vereinheitlichung von Arbeitsorganisation und Fertigungsstruktur voranzutreiben. Die einzelnen Teile sind dabei identisch und so genormt, dass sie zusammenpassen. Von dieser gemeinsamen Plattform aus werden dann unterschiedliche Typen eines Produkts, z.B. verschiedene Automodelle, hergestellt. Ein solches Baukastenprinzip wird zunehmend auch von den Tourismusveranstaltern praktiziert: Der Tourist kann sich aus einer Reihe serieller Angebote touristischer Einzelsegmente „seinen Urlaub“ zusammenstellen. Er geht dann mit der Illusion auf Reisen, dass er einen quasi-individuellen Urlaub macht und nur eine Art Hilfestellung der Reiseveranstalter in Anspruch nimmt. Die „Teile“ des Urlaubs bleiben jedoch genormte Produkte einer Massenfertigung und werden nur individuell kombiniert.

Bei allen Analogien darf allerdings nicht unterschlagen werden, dass zwischen Tourismusproduktion und „profaner“ Warenproduktion wesentliche Unterschiede bestehen. Wie bei anderen Dienstleistungen auch fallen beim Tourismus Konsumtion und Produktion tendenziell zusammen: Das Produkt wird an Ort und Stelle verbraucht. Das touristische Produkt ist außerdem nicht lagerfähig; die Angebotsmengen, z.B. die Zahl der Hotelzimmer, sind starr und können nicht flexibel der Nachfrage angepasst werden. Um die fixen Kapazitäten optimal auszulasten, führten findige Tourismusanbieter die teurere Hauptsaison und die billigere Vor- bzw. Nachsaison ein. Die Erfindung der „Wintersaison“ ab den 1930er-Jahren, die Mutation des Wintersports, vor allem des Skifahrens zum Volkssport, war gleichfalls eine geniale Erfindung der Tourismusindustrie.[36]

Auch die sozialökonomischen Strukturen im Großen und ebenso fundamentale technologische Wandlungen spiegeln sich im Tourismus. Das bezieht sich zunächst auf die Verkehrsmittel: Jeder Industrialisierungsschub war auch ein Mobilitätsschub, der auf neuen Verkehrsmitteln basierte und infolgedessen zugleich neue Epochen des Tourismus eingeläutet hat. Beim ersten und zweiten Industrialisierungsschub (in Mitteleuropa etwa ab 1840 bzw. seit ca. 1880) standen Eisenbahn und Dampfschiff Pate. Die dritte (seit Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts) und die aktuelle vierte industrielle Revolution wurden wesentlich durch das Auto und das Kraftrad sowie, neben modernen Kommunikationstechniken, durch das Flugzeug ausgelöst und geformt.

Tourismus und Prototourismus spiegeln außerdem die sozialen Verfassungen der jeweiligen geschichtlichen Epochen und die Eigentümlichkeiten historischer Stratifikationen. Tourismusähnliche Phänomene in der frühen Neuzeit waren ständisch geprägt, nämlich entweder ein exklusives Privileg von bestimmten, genau definierten, nach unten „abgeschlossenen“ Bevölkerungsgruppen und/oder durch spezifisch ständische Verhaltenserwartungen bestimmt. Marktförmigkeit und Formwandlungen des Massentourismus im engeren Sinne sind wiederum ein recht unmittelbares Abbild der Grundstrukturen kapitalistischer Industriegesellschaften, wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert ausgebildet haben.

Auf wieder eigene Weise bildeten sich im Ostblock-Tourismus die Strukturen der Kommandowirtschaft des stalinistischen und nachstalinistischen Realsozialismus ab: So wie die gesamte Wirtschaft der DDR und der anderen sogenannten realsozialistischen Staaten zentral gelenkt und bürokratisch reglementiert war, wurde auch der organisierte Tourismus von staatlichen Institutionen beherrscht: in Ostdeutschland vom FDGB-Feriendienst bzw. dem staatlichen „Reisebüro der DDR“. Zudem bildeten sich im „realsozialistischen“ Tourismus recht präzise die strukturellen Defizite der ehemaligen Ostblock-Ökonomien ab: Die DDR und die anderen osteuropäischen Staaten waren Mangelwirtschaften; vieles war über die offiziellen Kanäle nicht oder lediglich in begrenzten Mengen zu erhalten, und wenn, dann häufig nur zu extrem hohen Preisen. Ganz ähnlich war dies beim Tourismus: Die Angebote vom FDGB-Feriendienst und dem Reisebüro der DDR reichten nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen.[37] Als Folge von Mangelwirtschaft und bürokratischer Reglementierung bildeten sich auch im touristischen Bereich Nischen aus, die immer größere Bedeutung erlangten. Die touristische Schattenwirtschaft erlaubte zwar eine gewisse Elastizität der realsozialistischen Tourismusökonomie. Mit jener wurden jedoch in wachsendem Maße marktwirtschaftliche Elemente implementiert, die das Prinzip des Staatstourismus wie überhaupt das gesamte System einer staatlich dirigierten Wirtschaft unterspülten.

Auch politisch wurde und wird der Tourismus entscheidend durch die Rahmenbedingungen der jeweiligen Herrschaftsformen geprägt. In den absolutistischen Monarchien suchte der Herrscher auch den damaligen „Tourismus“ durch Reisebarrieren und Reiseprivilegien systematisch einzuhegen, um sich eine möglichst vollständige Verfügungsgewalt über seine Untertanen zu verschaffen oder zu erhalten. Die Grand Tour als wichtigste Form des adligen Prototourismus kann auch als Versuch privilegierter Stände interpretiert werden, sich diesem Anspruch auf absolute monarchische Verfügungsgewalt wenigstens zeitweilig zu entziehen.

Zum Kennzeichen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts wurden nicht zuletzt politisch motivierte Überformungen des Tourismus, die gezielte Förderung und soziale Ausweitung des Tourismus mit politisch-ideologischen Hintergedanken. Auch die mit Blick auf den Tourismus erkennbaren Differenzen zwischen den Diktaturen spiegeln grundsätzliche Systemunterschiede. So setzte die ökonomische Struktur des „Dritten Reiches“ – das weiter bestehende Privateigentum an industriellen Produktionsmitteln, also eine Volkswirtschaft auf weiterhin privatkapitalistischer Grundlage (trotz aller kriegswirtschaftlich anmutenden Reglementierungen seit 1934) – dem KdF-Massentourismus Grenzen: Neben dem vom KdF-Amt „Reisen, Wandern, Urlaub“ veranstalteten Wanderungen und Reisen boomten bis 1942 auch kommerzielle Tourismusveranstalter, zudem blühte der Individualtourismus. Anders war dies im „Realsozialismus“, der mit der sogenannten Planwirtschaft auch ein grundsätzlich anderes Tourismus-Modell einzuführen suchte: Was KdF quasi auf freiwilliger Basis erreichen wollte – durch das Angebot eines Massentourismus zu Niedrigstpreisen in Konkurrenz zu kommerziellen Anbietern –, wurde in der DDR mittels einer politisch erzwungenen Monopolisierung der Tourismusindustrie in den Händen des Staates versucht: die Instrumentalisierung des Tourismus zum Zweck politisch-ideologischer Erziehung und Kontrolle.

Die jeweiligen touristischen Praxen waren und sind allerdings nicht lediglich bloße Reflexe auf politische und sonstige Zumutungen. Sie spiegeln oft außerdem die jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Alternativen und sind mitunter markant oppositionell konturiert. So ist es kein Zufall, dass parallel zum Aufstieg des frühen kommerziellen Massentourismus auch verschiedene Varianten eines genossenschaftlichen Tourismus entstanden. Die an der Wende zum 20. Jahrhundert gegründeten Naturfreunde sind hierfür ein eindrückliches Beispiel.[38] „Genossenschaftlich“ heißt, dass die Produktion von Gütern nicht nach strikt marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt. Nicht Profitkriterien treiben die genossenschaftlichen „Tourismusproduzenten“, die zumeist gleichzeitig auch die touristischen Konsumenten sind, sondern der sozialistisch inspirierte Versuch, materielle Gleichheit in einem zentralen gesellschaftlichen Bereich herzustellen und dennoch individuellen Entfaltungsmöglichkeiten Raum zu lassen. Daneben existiert auch noch ein bürgerlich-genossenschaftlicher Tourismus-Strang, vereinsförmig gefasst etwa in den Alpenvereinen,[39] im Krypto-Tourismus der Wandervögel oder im Jugendherbergswerk.[40]

Ausblick: Fragen, Kontroversen und Debattenfelder

An spannenden Fragestellungen, die der genaueren Untersuchung harren, mangelt es nicht. Hier können nur einige Themen und Forschungsdefizite angedeutet werden: Ein weites offenes Feld bleibt die Ökonomie des Tourismus, auf der Mikro- wie auf der Makroebene. Wie weit die Tourismusindustrie die globale Wirtschaft und ebenso einzelne Nationalökonomien in den letzten Jahrzehnten geprägt hat, ist noch weitgehend unbekannt – obgleich der Tourismus seit den 1980er-Jahren zur (je nach Definition) zweit- bzw. drittgrößten Branche weltweit herangewachsen ist. Noch defizitärer ist die Geschichte der einzelnen Unternehmen;[41] das mag an den Quellen, namentlich einem schwierigen Zugang zu den einschlägigen Unternehmensarchiven liegen, ist aber auch darauf zurückzuführen, dass die wenigen Studien hierzu entweder Auftragsforschung waren oder von zentralen Akteuren der Tourismuswirtschaft selbst in – leicht durchschaubarer – apologetischer Absicht zu Papier gebracht wurden.[42]

Im mikro- wie makroökonomischen Rahmen wäre außerdem der Frage genauer nachzugehen, in welchem Verhältnis Fordismus und Tourismus während des „kurzen 20. Jahrhunderts“ zueinander standen. Bildeten sich auch in der modernen Tourismusindustrie Strukturen aus, die sich – wie oben angedeutet – mit der Massenfertigung und dem Fließprinzip des Fordismus vergleichen lassen? Oder stand dem die eigentümliche Struktur der Tourismus-„Produktion“ entgegen? „Fordismus“ als Schlagwort und Epochenbegriff reicht freilich weit über die Wirtschaft im engeren Sinn hinaus.[43] Die historisch beobachtbaren Formen des Tourismus spiegeln nicht nur die jeweiligen historischen Epochen und Gesellschaftsformationen. Sie drückten diesen umgekehrt auch ihrerseits den Stempel auf, nicht zuletzt der Hoch-, Spät- und „Postmoderne“. Aber in welcher Weise hat der Tourismus im 20. Jahrhundert die alltäglichen Kulturtechniken geprägt?

Die Frage nach dem Verhältnis von Tourismus bzw. Prototourismus und Kulturtransfer lässt sich gewiss auch für vormoderne Gesellschaften stellen. Mit dem Aufkommen des Massentourismus ist seine Bedeutung als eine Art kultureller Transmissionsriemen jedoch gewachsen. Das lässt sich an veränderten Essgewohnheiten ebenso feststellen wie an den vielstimmigen Klagen über den Tourismus als dem zentralen Vehikel einer kulturellen Nivellierung und ökologischen Verseuchung im globalen Maßstab. Vor diesem Hintergrund wären national vergleichende bzw. transnationale Studien zu konzipieren, durch die nationale Spezifika touristischer Praxen – und deren Einebnung im Zeitalter der Globalisierung – überhaupt erst herauszuarbeiten wären oder aber die vergleichend z.B. nach dem Verhältnis von touristischer Praxis und Ausländerfeindlichkeit fragen.

Auch wenn sich die Perspektiven der Tourismuszeitgeschichte zunehmend ins Globale weiten, wird Europa sicherlich weiterhin zentral im Fokus bleiben.[44] Ist „Europa“ ein Produkt des Tourismus? Bereits die Vorstellung vom „christlich-europäischen Abendland“ war durch Formen eines frühen Prototourismus – erst der Pilgerreise, dann der Grand Tour – vorbereitet und vertieft worden. Die bürgerliche Bildungsreise des 18. und 19. Jahrhunderts über nationale Grenzen hinaus verschaffte dann den Eliten der modernen Gesellschaften überhaupt erst das Bewusstsein von Europa als einem in vielerlei Bereichen einheitlichen Kulturraum. In welcher Hinsicht der Tourismus bei der Geburt des modernen Europa Pate stand, wäre von der zeithistorischen Forschung erst noch genauer zu eruieren.

Empfohlene Literatur zum Thema

Gottfried Korff, Klaus Beyrer, Hermann Bausinger (Hrsg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, Beck, München 1991, ISBN 9783406355028.

Hans-Magnus Enzensberger, Eine Theorie des Tourismus, in: Merkur. 12. Jg., 1958, ISSN 0026-0096, S. 701-20.

Rüdiger Hachtmann, Tourismus-Geschichte, UtB, Göttingen 2007, ISBN 9783825228668.

Cord Pagenstecher, Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History: Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950–1990, Kovac, Hamburg 2003, ISBN 9783830010760.

Hasso Spode, Wie die Deutschen „Reiseweltmeister“ wurden, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2003, ISBN 9783931426743.

John Urry, The Tourist Gaze. Leizure and Travel in Contemporary Societies, Sage, London 1990, ISBN 9780803981829.

Zitation
Rüdiger Hachtmann, Tourismus und Tourismusgeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.12.2010, URL: http://docupedia.de/zg/Tourismus_und_Tourismusgeschichte

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Anmerkungen

    1. Einen sehr guten und nach wie vor relativ aktuellen Überblick über die britische Tourismusgeschichte bietet: Hartmut Berghoff/Barbara Korte/Ralf Schneider/Christopher Harvie (Hrsg.), The Making of Modern Tourism. The Cultural History of British Experience, 1600-2000, Houndmills/Basingstoke 2002. Vgl. außerdem (auch zum nordamerikanischen Tourismus) Shelley Baranowski/Ellen Furlough (Hrsg.), Being Elsewhere. Tourism, Consumer Culture, and Identity in Modern Europe and North America, Ann Arbor 2001.
    2. Forschungsüberblicke bieten: Rüdiger Hachtmann, Tourismusgeschichte – ein Mauerblümchen mit Zukunft! Ein Forschungsüberblick, in: H-Soz-Kult 2010; Hasso Spode, Zur Geschichte der Tourismusgeschichte, in: Voyage 8 (2009), S. 9-22, hier: S. 17 f.; Cord Pagenstecher, Neue Ansätze für die Tourismusgeschichte. Ein Literaturbericht, in: Archiv für Sozialgeschichte (AfS) 38 (1998), S. 591-619; Christopher Kopper, Neuerscheinungen zur Geschichte des Reisens und des Tourismus, in: AfS 44 (2004), S. 665-677; ders., Die Reise als Ware. Die Bedeutung der Pauschalreise für den westdeutschen Massentourismus, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 4 (2007), S. 61-83, online unter http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Kopper-2-2007; Überblicksdarstellungen mit Schwergewicht auf dem deutschen Raum; Hasso Spode, Wie die Deutschen „Reiseweltmeister“ wurden, Erfurt 2003; Rüdiger Hachtmann, Tourismus-Geschichte, Göttingen 2007.
    3. Einen nach wie vor sehr guten Überblick über die zahlreichen Facetten des Prototourismus bietet: Hermann Bausinger/Klaus Beyrer/Gottfried Korff (Hrsg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München 1991.
    4. Vgl. Hasso Spode, Geschichte der Tourismuswissenschaft, in: Günther Haedrich/Claude Kaspar/Kristiane Klemm/Edgar Kreilkamp (Hrsg.), Tourismus-Management. Tourismusmarketing und Fremdenverkehrsplanung, 3. Aufl. Berlin/New York 1998, S. 911-924. An den kritischen Befunden Spodes hat sich bisher und trotz des 1999 gegründeten INIT-Instituts für interdisziplinäre Tourismuswissenschaft in Salzburg, der Implementierung eines gleichfalls interdisziplinär angelegten tourismuswissenschaftlichen Lehrstuhls an der Universität Lüneburg sowie der 1996 ins Leben gerufenen Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (Eichstätt) kaum etwas verändert.
    5. Spode, Zur Geschichte der Tourismusgeschichte, S. 9.
    6. Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 21, bearb. von Matthias Lexer, Dietrich Kralik und der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuchs, Leipzig 1935, Sp. 916-924.
    7. Zur hohen Bedeutung der Verkehrsmittel für die Ausbildung und Entfaltung des Tourismus vgl. z.B. Hasso Spode, Von der Luftpolitik zur Deregulierung. Das Flugzeug und der Massentourismus, in: Ralf Roth (Hrsg.), Neue Wege in ein neues Europa. Geschichte und Verkehr im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M./New York 2009, S. 491-514, oder Rüdiger Hachtmann, Schrittmacher des modernen Massentourismus: die Eisenbahn und das Motorrad, erscheint in: ZZF-Almanach 2010.
    8. Zum Verhältnis von Tourismus, Industrialisierung und (moderner) Konsumgesellschaft sowie – in diesem Kontext – u.a. zur Schwierigkeit, die Anfänge des modernen Tourismus zu datieren, vgl. z.B. Hartmut Berghoff, „All for your delight“. Die Entstehung des modernen Tourismus und der Aufstieg der Konsumgesellschaft in Großbritannien, in: Rolf Walter (Hrsg.), Geschichte des Konsums. Erträge der 20. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 23.-26. April 2003 in Greifswald, Wiesbaden 2004, S. 199-216.
    9. Hans Magnus Enzensberger, Eine Theorie des Tourismus, in: Merkur 12 (1958), S. 701-720 (wiederveröffentlicht in: ders., Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie, Frankfurt a.M. 1969, S. 179-205), hier S. 719f.
    10. Alle hier vorgestellten Theorieansätze sind selbstverständlich zeitgebunden. So wie der Tourismus-Theorie Enzensbergers die neomarxistische Herkunft anzumerken ist, stammt die Pionierstudie zum bundesdeutschen Tourismus von Hans-Joachim Knebel (Soziologische Strukturwandlungen im modernen Tourismus, Stuttgart 1960) aus der Schule des Soziologen Schelsky.
    11. Christoph Hennig, Jenseits des Alltags. Theorien des Tourismus, in: Voyage 1 (1997), S. 35-53, Zitate S. 44 bzw. 48, sowie ders., Reiselust. Touristen, Tourismus, Tourismuskultur, Frankfurt a.M. 1997, S. 75 bzw. 86. (Der letztgenannte Titel bietet eine anregende, disziplinübergreifende Gesamtschau des Tourismus.) Positiv bezieht sich dagegen z.B. Cord Pagenstecher (Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History: Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950-1990, Hamburg 2003, S. 20 ff.) auf Enzensbergers Tourismus-Theorie.
    12. Vgl. Ueli Gyr, Touristenkultur und Reisealltag. Volkskundlicher Nachholbedarf in der Tourismusforschung, in: Zeitschrift für Volkskunde 84 (1988), S. 224-239; ders., Touristenverhalten und Symbolstrukturen. Zur Typik des organisierten Erlebniskonsums, in: Burkhard Pöttler (Hrsg.), Tourismus und Regionalkultur, Wien 1994, S. 41-56; ders., Altbewährt und neu vermischt. Symbolproduktion und Erlebniskonsum für Touristen von heute, in: Rolf-Wilhelm Brednich/Heinz Schmitt (Hrsg.), Symbole: Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur, Münster 1997, S. 259-266, sowie weitere Aufsätze desselben.
    13. Vgl. z.B. das 1976 erschienene, wieder aufgelegte Werk von: Dean MacCannell, The Tourist. A new Theory of the Leisure Class, Berkeley 2009.
    14. Alexander Moore, Walt Disney World: Bounded Ritual Space and the Playful Pilgrimage, in: Anthropology Quarterly 53 (1980), S. 207-218.
    15. Vgl. vor allem: John Urry, The Tourist Gaze. Leisure and Travel in Contemporary Societies, London 1990.
    16. Vgl. Pagenstecher, Bundesdeutscher Tourismus.
    17. Zu den folgenden Typologisierungen vgl. ausführlich: Hachtmann, Tourismus-Geschichte.
    18. Die Grand Tour gehört zu den am besten erforschten Phänomenen der (Proto-)Tourismusgeschichte. Vgl. exemplarisch: Jeremy Black, The British and the Grand Tour, Beckenham 1985; ders., The British Abroad. The Grand Tour in the Eigtheenth Century, New York 1992; Attilio Brilli, Als Reisen eine Kunst war – Vom Beginn des Tourismus: Die „Grand Tour“ im Vergleich, Berlin 2001; Mathis Leibetseder, Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2004; Thomas Freller, Adlige auf Tour, Ostfildern 2006.
    19. Vgl. z.B. Attilio Brilli, Reisen nach Italien. Die Kulturgeschichte der klassischen Italienreise vom 16. bis 19. Jahrhundert, Köln 1989.
    20. Vgl. für die Nachkriegszeit vor allem Christian Kleinschmidt, Der produktive Blick. Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950-1985, Berlin 2002, S. 60-106; ders., Lernprozesse mit Hindernissen. Berichte über deutsche Unternehmerreisen in die USA und nach Japan 1945-1970, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 6 (2009), S. 302-314, online unter http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Kleinschmidt-2-2009.
    21. Zum britischen Seebädertourismus vgl. insbesondere die 1988 zuerst veröffentlichte, inzwischen wieder aufgelegte Pionierstudie: John K. Walton, The British Seaside. Holidays and Resorts in the Twentieth Century, Manchester 2000. Zur Entdeckung der Strände als Erholungsraum vgl. vor allem Alain Corbin, Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste 1750-1840, Berlin 1988. Zum bereits Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Antisemitismus vgl. vor allem: Frank Bajohr, „Unser Hotel ist judenfrei“. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2003.
    22. Die kleinbürgerliche „Sommerfrische“ seit Ende des 19. Jahrhunderts ist als eigenständiges Thema bisher weitgehend ein Forschungsdesiderat geblieben.
    23. Zur Workers Travel Association (und zu den Vorläufern eines proletarischen Tourismus) vgl. vor allem: Susan Barton, Working-Class. Organisations and Popular Tourism 1840-1970, Manchester 2005; als knapper Überblick: John K. Walton/Keith Hanley, Constructing Cultural Tourism. John Ruskin and the Tourist Gaze, Manchester 2010, S. 171 ff. Zum deutschen Sozialtourismus (besonders der 1920er-Jahre) vgl. vor allem: Christine Keitz, Reisen als Leitbild. Die Entstehung des modernen Massentourismus in Deutschland, München 1997, S. 21-208. Einen instruktiven Überblick bietet außerdem (auch über frühe sozialistische Reiseführer) Rudy Koshar, German Travel Cultures, New York 2000, S. 101-113.
    24. Vgl. neben den materialreichen Dissertationen von Wolfgang Buchholz, Die nationalsozialistische Gemeinschaft „Kraft durch Freude“. Freizeitgestaltung und Arbeiterschaft im Dritten Reich, München 1976, sowie Bruno Frommann, Reisen im Dienste politischer Zielsetzungen. Arbeiter-Reisen und „Kraft durch Freude“-Fahrten, Stuttgart 1992, vor allem die innovativen Aufsätze von: Hasso Spode, „Der deutsche Arbeiter reist“. Massentourismus im Dritten Reich, in: Gerhard Huck (Hrsg.), Sozialgeschichte der Freizeit, Wuppertal 1982, S. 281-306; ders., Arbeiterurlaub im Dritten Reich, in: Carola Sachse u.a., Angst, Belohnung, Zucht und Ordnung. Herrschaftsmechanismen im Nationalsozialismus, Opladen 1982, S. 275–328.
    25. Vgl. z.B. Piers Brendon, Thomas Cook. 150 Years of Popular Tourism, London 1991.
    26. Einen guten Überblick über die Beziehungsgeschichte von OND und KdF bietet: Daniela Liebscher, Organisierte Freizeit als Sozialpolitik. Die faschistische Opera Nazionale Dopolavoro und die NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude 1925-1929, in: Jens Petersen/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat – Wirtschaft – Kultur, Köln 1998, S. 67-90; dies., Freude und Arbeit. Zur internationalen Freizeitpolitik des faschistischen Italien und des NS-Regimes, Köln 2009, bes. S. 119-145, 297-319.
    27. Nach wie vor wichtige Aufsatzbände: Hasso Spode (Hrsg.), Zur Sonne, zur Freiheit! Beiträge zur Tourismusgeschichte, Berlin 1991; ders. (Hrsg.), Goldstrand und Teutonengrill. Kultur- und Sozialgeschichte des Tourismus in Deutschland 1945 bis 1989, Berlin 1996.
    28. Vgl. z.B. Hasso Spode, Von der Luftpolitik zur Deregulierung. Das Flugzeug und der Massentourismus, in: Ralf Roth (Hrsg.), Neue Wege in ein neues Europa. Geschichte und Verkehr im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M./New York 2009, S. 491-514.
    29. Auch dieser Aspekt wird zunehmend thematisiert. Vgl. z.B. Hasso Spode, Zeit, Raum, Tourismus. Touristischer Konsum zwischen Regionalisierung, Nationalisierung und Europäisierung im langen 19. Jahrhundert, in: Winfried Eberhard (Hrsg.), Die Vielfalt Europas. Identitäten und Räume, Leipzig 2009, S. 251-264; Thomas Mergel, Transnationale Kommunikation von unten. Tourismus in Europa nach 1945, in: Martin Sabrow (Hrsg.), ZeitRäume. Potsdamer Almanach des Zentrums für Zeithistorische Forschung 2006, Potsdam 2007, S. 115-126, online unter http://www.zeithistorische-forschungen.de/Portals/_ZF/documents/pdf/Thomas_Mergel-Transnationale_Kommunikation.pdf; ders., Europe as Leisure Time Communications: Tourism and Transnational Interaction since 1945, in: Konrad H. Jarausch/Thomas Lindenberger (Hrsg.), Conflicted Memories. Europeanizing Contemporary Histories, New York/Oxford 2007, S. 133-153; Hachtmann, Tourismus-Geschichte, S. 183-186. Wichtig in diesem Kontext außerdem: Shelley Baranowski/Ellen Furlough (Hrsg.), Being Elsewhere. Tourism, Consumer Culture, and Identity in Modern Europe and North America, Ann Arbor 2001.
    30. Vgl. David William Lloyd, Battlefield Tourism. Pilgrimage and the Commemoration of the Great War in Britain, Australia and Canada, 1919-1939, Oxford/New York 1998; außerdem (vor allem in angloamerikanischer Perspektive, aber auch mit Beiträgen zum japanischen und chinesischen Schlachtfeld-Tourismus) Chris Ryan (Hrsg.), Battlefield Tourism. History, Place and Interpretation, Oxford/New York 2007; ferner Charlotte Heymel, Touristen an der Front. Das Kriegserlebnis 1914-1918 als Reiseerfahrung in zeitgenössischen Reiseberichten, Münster 2007; Koshar, German Travel Cultures, S. 69 f.
    31. Vgl. etwa John J. Lennon, Dark Tourism, London/New York 2000; Jacqueline Z. Wilson, Prison. Cultural Memory and Dark Tourism, New York u.a. 2008; Richard Sharpley/Philip R. Stone (Hrsg.), The Darker Side of Travel. The Theory and Practice of Dark Tourism, Bristol u.a. 2009.
    32. Zur Ambivalenz dieser Form von Tourismus vgl. z.B. Ulrike Dittrich/Sigrid Jacobeit (Hrsg.), KZ-Souvenirs. Erinnerungsobjekte der Alltagskultur im Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen, Potsdam 2005.
    33. Vgl. z.B. Dieter Kramer, Der sanfte Tourismus. Umwelt- und sozialverträglicher Tourismus in den Alpen, Wien 1983; Rainer Amstädter, Der Alpinismus: Kultur – Organisation – Politik, Wien 1996; Wolfgang König, Bahnen und Berge. Verkehrstechnik, Tourismus und Naturschutz in den Schweizer Alpen 1870-1939, Frankfurt a.M./New York 2000; Susan Barton, Healthy Living in the Alps. The Origins of Winter Tourism in Switzerland, Manchester 2008, oder auch Wolfgang Hackl, Eingeborene im Paradies, Die literarische Wahrnehmung des alpinen Tourismus im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2004.
    34. Vgl. vor allem Colin Ward/Dennis Hardy, Good Night Campers! The History of the British Holiday Camp, London 1987, bes. S. 57-71.
    35. Vgl. Hasso Spode, Ein Seebad für zwanzigtausend Volksgenossen. Zur Grammatik und Geschichte des fordistischen Urlaubs, in: Peter J. Brenner (Hrsg.), Reisekultur in Deutschland: Von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“, Tübingen 1997, S. 7-47; ders., Fordism, Mass Tourism and the Third Reich. The „Strength through Joy” Seaside Resort as an Index Fossil, in: Journal of Social History 38 (2004), S. 127-155. Die Gegenposition bezieht (wenig überzeugend): Shelley Baranowski, Strength through Joy. Consumerism and Mass Tourism in the Third Reich, Cambridge/New York 2004, bes. S. 8 f., 18 f.
    36. Vgl. z.B. Susan Barton, Healthy Living in the Alps. The Origins of Winter Tourism in Switzerland, Manchester 2008, oder auch Wolfgang König, Bahnen und Berge. Verkehrstechnik, Tourismus und Naturschutz in den Schweizer Alpen 1870-1939, Frankfurt a.M./New York 2000.
    37. Eine überzeugende Gesamtdarstellung des DDR-Tourismus steht noch aus. Die Dissertation von Heike Wolter („Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd“. Die Geschichte des Tourismus in der DDR, Frankfurt a.M./New York 2009) wird den selbstgestellten Ansprüchen nicht gerecht und beschränkt sich zudem im Wesentlichen auf die 1970er- und 1980er-Jahre. Für 2011/2012 ist die Publikation der Dissertation von Christopher Görlich, Urlaub vom Staat. Zur Geschichte des Tourismus in der DDR 1945-1990, zu erwarten.
    38. Vgl. Jochen Zimmer (Hrsg.), „Mit uns zieht die neue Zeit“. Die Naturfreunde. Zur Geschichte eines alternativen Verbandes der Arbeiterkulturbewegung, Köln 1984 (bes. den Aufsatz von Dieter Kramer).
    39. Vgl. Anm. 33 sowie Anneliese Gidl, Alpenverein. Die Städter entdecken die Alpen, Wien/Köln/Weimar 2007. In dieser offiziösen Darstellung der Frühgeschichte des Österreichischen Alpenvereins (bis 1918) wird die großdeutsch-rechtskonservative und antisemitische Position breiter Strömungen im Deutsch-Österreichischen Alpenverein (DÖAV) allerdings verharmlost (bes. S. 319 ff.).
    40. Zum „Wandervogel“ existiert eine ziemlich umfangreiche (ältere), mitunter romantisierend verklärende Literatur. Die Jugendherbergsbewegung ist dagegen erst in jüngster Zeit in den Fokus der historischen Forschung geraten. Vgl. vor allem Jürgen Reulecke/Barbara Stambolis (Hrsg.), 100 Jahre Jugendherbergen 1909-2009. Anfänge – Wandlungen – Rück- und Ausblicke, Essen 2009.
    41. Vgl. namentlich Bernhard Stier/Johannes Laufer, Von der PREUSSAG zur TUI. Wege und Wandlungen eines Unternehmens 1923-2003, Essen 2005. Der sehr knappe Abschnitt über die TUI, für den Susanne und Klaus Wiborg sowie Christopher Kopper verantwortlich zeichnen, erinnert an eine Werbebroschüre; substanzielle Informationen sind spärlich.
    42. Vgl. z.B. das unstrukturiert-dickleibige Buch des vormaligen Präsidenten des Deutschen Reisebüro-Verbandes Otto Schneider, Die Ferien-Macher. Eine gründliche und grundsätzliche Betrachtung über das Jahrhundert des Tourismus, Hamburg 2001.
    43. Als Einstieg: Adelheid v. Saldern/Rüdiger Hachtmann, Das fordistische Jahrhundert. Eine Einleitung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 6 (2009), S. 174-185, online unter http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Editorial-2-2009.
    44. Erste anregende Überblicke bieten z.B. Hasso Spode, Zeit, Raum, Tourismus. Touristischer Konsum zwischen Regionalisierung, Nationalisierung und Europäisierung im langen 19. Jahrhundert; Winfried Eberhard (Hrsg.), Die Vielfalt Europas. Identitäten und Räume, Leipzig 2009, S. 251-264; Thomas Mergel, Transnationale Kommunikation von unten. Tourismus in Europa nach 1945, in: Martin Sabrow (Hrsg.), ZeitRäume. Potsdamer Almanach des Zentrums für Zeithistorische Forschung 2006, Potsdam 2007, S. 115-126, online unter http://www.zeithistorische-forschungen.de/Portals/_ZF/documents/pdf/Thomas_Mergel-Transnationale_Kommunikation.pdf; ders., Europe as Leisure Time Communications: Tourism and Transnational Interaction since 1945, in: Jarausch/Lindenberger (Hrsg.), Conflicted Memories, S. 133-153. Wichtige Aspekte namentlich für die deutsche Geschichte thematisiert Frank Steinbeck, Die Motorisierung des Straßenverkehrs im Deutschen Reich 1918 bis 1939 unter besonderer Berücksichtigung des Motorrades (MA-Arbeit), Berlin 2001, bzw. ders., Das Motorrad. Ein deutscher Sonderweg in die automobile Gesellschaft“, erscheint: Stuttgart 2011.