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Christof Dipper

Periodisierung

Version: 1, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 26.05.2025
https://docupedia.de/dipper_periodisierung_v1_de_2025

DOI: https://dx.doi.org/

Ein Zollstock auf dem Begriffe stehen wie Christentum, Frühmittelalter, Barock etc.

„2000 Jahre Geschichte am laufenden Meter“: Produktwerbung [14.05.2025], Zollstock mit geschichtlichen Daten und Epochen. Foto: Ch. Dipper, Mai 2025 ©

Wenn Geschichte einem berühmten Diktum zufolge „die Sinngebung des Sinnlosen“ ist, so ist es zunächst die Periodisierung, die der als sinnlos empfundenen Fülle von Ereignissen rationale, d.h. disziplinspezifische Konturen verleiht. 
Periodisierung ist ein Hilfsmittel der Geschichtsschreibung, das der Gliederung des Stoffs dient. Allerdings sind die Grenzen zwischen Zäsur, Strukturbruch, Epoche und Periode fließend und die Bedeutungen des damit jeweils Gemeinten umstritten und daher diskussionsbedürftig.

 

1. Perioden sind menschengemacht

Periodisierung ist ein Hilfsmittel der Geschichtsschreibung, das der Gliederung des Stoffs dient. „Der Historiker spricht von Epochen“ – sie werden in diesem Text mit „Perioden“ gleichgesetzt –, „um sich in der Komplexität der vergangenen Geschichten zurechtzufinden. Das ist der erste Schritt zur Verstehbarkeit des Vergangenen.“[1] Bei Laien wie Fachleuten findet sich oftmals die populäre Ansicht, bei „Epochen“ handle es sich um so etwas wie „naturgegebene“ Tatsachen. Das ist ein Irrtum, der wohl deshalb so verbreitet ist, weil bei zahlreichen Geschichtsbüchern schon im Titel von „Epoche“ die Rede ist. Dass Epochen und ihre Periodisierung diskussionsbedürftig sind, wird damit von vornherein nahezu ausgeschlossen.

Der Ahnherr der deutschen Geschichtswissenschaft Leopold von Ranke machte wohl den Anfang mit seinen Vorträgen „Über die Epochen der neueren Geschichte“ vor dem bayerischen König Maximilian II. im Jahr 1854.[2] Rankes Aussage, dass „jede Epoche […] unmittelbar zu Gott“ sei, erlangte geradezu sprichwörtliche Bedeutung.[3] Doch kein Geringerer als Johann Gustav Droysen hatte bereits in seinen „Historik“-Vorlesungen ab 1857 dagegengehalten: „Ich habe kaum nötig, hier ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß es in der Geschichte so wenig Epochen gibt wie auf dem Erdkörper die Linien des Äquators und der Mediankreise, daß es nur Betrachtungsformen sind, die der denkende Geist dem empirisch Vorhandenen gibt, um es so desto gewisser zu fassen.“[4]

Droysen sprach nicht von ungefähr von „Betrachtungsformen“ des „denkende[n] Geist[es]“, also im Plural, denn von ihnen gibt es naturgemäß viele. Eine der Folgen ist die Vielfalt, das Nebeneinander von Periodisierungen, mit der die Pluralisierung der geschichtlichen Zeit und Themen durch die Historikerinnen und Historiker einhergeht. Darum gibt es hier eher kein „wahr“ und „falsch“, vielmehr sind „tragfähig“ oder „angemessen“ die ausschlaggebenden Kriterien. Aber verzichten kann man auf sie ebenso wenig wie ein Globus auf Längen- und Breitengrade. Man braucht sie zur Orientierung.

Dieser Artikel möchte auf zwei scheinbar widersprüchliche Dinge hinweisen: auf die Unverzichtbarkeit von Periodisierung und darauf, dass sie oft eher unbewusst vorgenommen wird. Es gibt in der Geschichtswissenschaft keine ein für alle Mal festgelegte Periodisierung, weil diese Disziplin überhaupt keine kanonisch festgelegten Wissensbestände kennt, sondern nur allgemein akzeptierte Verfahren zur Gewinnung von Aussagen; deren wichtigste ist das Vetorecht der Quellen.[5] Die Geschichtswissenschaft besitzt auch nur ein sehr begrenztes Fachvokabular und bedient sich vorzugsweise der Alltagssprache. Aus all diesen Gründen sind die Grenzen zwischen Zäsur, Strukturbruch, Epoche und Periode fließend und die Bedeutungen des damit jeweils Gemeinten umstritten.

 

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Jahreszahlen sowie gezeichnete Personen, Bauwerke, Wappen etc.
Die Frühe Neuzeit als Gruppenbild mit Dame. Schulwandbild „Geschichtsfries 1500-1750“, Tellus Verlag Essen, 1963-1976. Quelle: Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin / Museum digital [14.05.2025], Lizenz: CC BY-NC-ND

 

2. Perioden sind unverzichtbar, aber umstritten

Im Januar 1952 forderte das Zentralkomitee der SED die ostdeutschen Historiker auf, „die Periodisierung der deutschen Geschichte nach marxistisch-leninistischen Gesichtspunkten neu zu durchdenken“.[6] Daraufhin fanden 1953 und 1954 mehrere Konferenzen statt, auf denen die Faktoren der Datierung, vor allem der Feudalismus-Epoche, wie dort nun das Mittelalter hieß, diskutiert wurden, und zwar unter der Maßgabe, dass historische Zäsuren sich aus dem historischen Geschehen selbst ableiten lassen und damit objektiv, also dauerhaft gültig seien.[7] Abstimmungen gab es darüber nicht, die Partei hatte in solchen Grundsatzfragen stets das letzte Wort.

Im Jahr 2024 entschied ein hochrangig besetztes Gutachtergremium einer internationalen Geologenkommission durch Abstimmung, dass ihre Disziplin nun doch nicht eine neue Erd-Epoche namens „Anthropozän[8] offiziell ausrufen wolle.[9] Die Antragsteller führten dagegen aus, dass in den 1950er-Jahren das menschliche Handeln unwiderruflich die klimatische Stabilität des Planeten und auch sonst unsere Lebensgrundlagen untergraben und damit die vor ca. 12.000 Jahren begonnene Epoche des Holozän, das die Hochkulturen ermöglichte, beendet habe. Vor allem aber sei eben damals die Bedingung für eine neue geochronologische Epoche, nämlich ihre weltweite Ablesbarkeit, erfüllt gewesen: der radioaktive Fallout bei den Kernwaffentests.

 

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Grafik: auf der Zeitleiste: 1860-2021; rechts: Info: massiver Anstieg von Gas, Öl und Kohle
Das Anthropozän als Erd-Epoche? Globale anthropogene CO2-Emissionen nach Quellen von 1850-2021. Grafik: Robbie Andrew, Figures from the Global Carbon Budget 2022, Quelle: Bildungsserver Wiki [15.05.2025], Lizenz: CC BY 4.0

 

Die beiden Beispiele sind ungewöhnlich, weil Abstimmungen und Mehrheitsentscheidungen über wissenschaftliche Aussagen dem geisteswissenschaftlichen Selbstverständnis widersprechen. Ganz und gar nicht ungewöhnlich ist dagegen der Streit um Fragen der Periodisierung. Denn allgemein gültige Kriterien gibt es hierfür nicht. Man kann sogar mit Reinhart Koselleck und Jacques Le Goff behaupten, dass Periodisierung – und damit natürlich auch der Streit um sie – die Geschichte überhaupt erst zur Wissenschaft gemacht hat.[10] Bloßes Erzählen ist noch keine Geschichtswissenschaft. Ebensowenig ist die Verortung von Ereignissen in Dynastie- bzw. Herrscherdaten oder religiös definierten Epochen, also beispielsweise vor und nach Christi Geburt, gleichbedeutend mit historischer Periodisierung. Dasselbe gilt für die Gliederung nach Jahrhunderten, die in der ersten protestantischen Kirchengeschichte, den sog. Magdeburger Centurien,[11] in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus didaktischen Gründen entwickelt wurde. Schon bald wurden allerdings die Jahrhunderte mit Sinn versehen und sind inzwischen zur vorherrschenden Einteilung der Vergangenheit geworden.

Die Geschichte der wissenschaftlichen Periodisierung, die im Folgenden knapp skizziert werden soll,[12] beginnt daher nicht schon, wie oft zu lesen, mit der Einteilung der Geschichte von der Schöpfung bis ans Ende der Welt in die sechs alttestamentarischen, der Schöpfungsgeschichte oder den Altersstufen des Menschen entsprechenden Zeitaltern. Alternativ wird auch die im „Buch Daniel“ zu findende, aber erst im Hellenismus und dann von den Kirchenvätern ausdifferenzierte Vierreichelehre der vier Weltmonarchien der Meder, Perser, Griechen und Römer genannt, deren letzte angesichts des ausbleibenden Weltuntergangs immer weiter verlängert und mittels der Theorie von der translatio imperii schließlich auf das von Karl dem Großen begründete (mittelalterliche) Kaiserreich übertragen wurde.[13]

Als dieses Reich 1806 unterging, hatte die Französische Revolution dafür gesorgt, dass die Menschen sich tatsächlich in neuen Zeiten wähnten. Nun war die Neuzeit, um noch einmal Koselleck zu zitieren, wirklich neu geworden, hatte sie doch in den Augen der Zeitgenossen eine „epochenbewußte Bedeutung“[14] angenommen. Dagegen war die von den Humanisten vier Jahrhunderte zuvor in die Welt gesetzte Zweiteilung in „alte“ und „neue“ Zeit samt der unvermeidlichen „mittleren“ im Blick auf die vorbildhafte griechisch-römische Antike geprägt worden; dieser gegenüber konnte die „neue“ bestenfalls zur „alten“ werden. Den „Durchbruch zum rückwirkenden Periodenbegriff“[15] hatte 1685-1696 der Hallenser Historiker Christoph Cellarius mit seiner Dreiteilung der Geschichte in alte, mittlere und neue vollzogen.[16] Diese Dreiteilung prägt weithin mindestens das westliche Geschichtsbild bis heute. Der bündige Begriff „Neuzeit“ ist im Deutschen 1838 zum ersten Mal nachgewiesen; in der Geschichtswissenschaft taucht er 1855 auf,[17] erst ab 1870 gilt er dem „Grimm’schen Wörterbuch“ zufolge als gebräuchlich.[18]

Die Binnendifferenzierung älterer Geschichtsepochen bereitet keine Schwierigkeiten und löst allenfalls marginale Fachdebatten aus. Der Grund ist einfach: Es handelt sich um definitiv abgeschlossene Epochen, deren Beschaffenheit keinerlei Folgen für das Selbstverständnis der heute Lebenden hat. Im Fall der Neuzeit ist das völlig anders. Erstens handelt es sich um „eine Epoche, die sich selbst gewollt haben will“,[19] d.h. die sich selbst kreierte, und zweitens wird sie dank der hergebrachten Dreiheit immer länger und verschiebt dadurch unseren Ort in ihr, so dass zwangsläufig „neue Epochen entstehen“.[20] Oswald Spengler, der mit dieser linearen Periodisierung nichts anfangen konnte, spottete deshalb, „der zünftige Historiker“ sehe wegen seiner déformation professionnelle die Weltgeschichte „in der Gestalt eines Bandwurms, der unermüdlich Epochen ‚ansetzt‘“.[21]

Seither sind eine Handvoll neuzeitlicher Epochen hinzugekommen, von denen einige inzwischen auch Teil des institutionellen Gehäuses unseres Fachs geworden sind und deshalb hier kurz diskutiert werden sollen. Im Rückblick erwies sich die Anerkennung der Zeitgeschichte als Subdisziplin – denn als Geschichte der eigenen Zeit gibt es sie schon lange, manche sehen gar Thukydides als den Urahn dieser Art der Geschichtsschreibung − bald nach dem Zweiten Weltkrieg als entscheidender Schritt zur Verflüssigung der Neuzeit. Weiter rückwärts etablierte sich wenige Jahrzehnte später nach angelsächsischem und insbesondere französischem Vorbild die Frühe Neuzeit als eigenständige Epoche aufgrund ihres „einzigartige[n] Verhältnis[ses] zur geschichtlichen Zeit selbst“.[22] Es ist nämlich die letzte Epoche, die im Grundsatz von einer unveränderlichen Welt ausging, obwohl das Jahr 1500 in mehrfacher Hinsicht eine deutliche Modernitätsschwelle einleitete.

Komplizierter verhält es sich mit der von Koselleck Anfang der 1960er-Jahre spontan ausgerufenen „Sattelzeit“, die er grob zwischen 1750 und 1850 ansiedelte und die ihm zufolge programmatischen Charakter besitzt als Scharnierzeit zur Moderne, als „Schwellenzeit“.[23] Diese ist nicht nur sprachlich fassbar, was die acht Bände der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ eindrucksvoll belegen,[24] sondern auch sachgeschichtlich. Im Kern veränderte sich damals das Verhältnis der Menschen zur geschichtlichen Zeit radikal – Beschleunigung wurde auffallend oft artikuliert und galt nicht mehr als Vorbote des Weltuntergangs[25] −, aber auch politisch und gesellschaftsgeschichtlich änderte sich Grundlegendes. Das hat die Disziplin überzeugt, und so ist die „Sattelzeit“ inzwischen ein etablierter Zeitabschnitt. Beachtung verdient allerdings, dass zum Wesen der Sattelzeit nicht einfach hundert Jahre gehören, sondern nur das, was damals das Weltverhältnis berührte, denn nur dieses markiert den Strukturbruch.

Am Ende dieses Abschnitts sei noch einmal festgehalten, dass die Geschichtswissenschaft ohne Periodisierung ihren epistemischen Charakter verlöre, auch wenn das eher selten kenntlich gemacht wird. In den allermeisten Fällen ist die chronologische Verortung nur implizit gegeben, weil der Gegenstand zeitspezifisch ist. Und so gilt: Epochen sind sinnstiftende Einheiten, die, anders als nach dem Verständnis der Geologie, nicht „in der Natur“ vorkommen, sondern Ergebnis wissenschaftlicher Auseinandersetzungen sind. Insofern ist es alles andere als trivial, sich über sie Gedanken zu machen. Deshalb soll im Folgenden nicht über den Charakter von Epochen – falls es so etwas nach heutigem Verständnis überhaupt gibt − räsoniert werden, sondern es geht um ihr Zustandekommen in den verschiedenen geschichtswissenschaftlichen Subdisziplinen, um das Kontinuitätsproblem, um die Rolle der alltagspraktisch viel wichtigeren Zäsuren und schließlich um Periodisierungsangebote für das 20. und 21. Jahrhundert. Es sei dabei vorausgeschickt, dass sich der Text in erster Linie auf die deutsche Geschichte konzentriert und es nur gelegentlich Seitenblicke auf die europäische und außereuropäische Geschichte gibt.

 

3. Periodisierung und Erkenntnisinteresse

Als Reinhart Koselleck in späten Jahren seine alte Leidenschaft öffentlich machte und das „Pferdezeitalter“ anstelle der hergebrachten Einteilung in alte, mittlere und neue Geschichte vorschlug, begründete er das mit der weltgeschichtlichen Bedeutung dieses Lebewesens. Es sei nämlich „das einzige Haus- und Kriegstier, das in allen Lebensbereichen eingesetzt werden konnte“ und darum „in der Symbiose mit dem Menschen diesem am nächsten steht“. Das Vorpferdezeitalter liege weit vor der Antike, während das Nachpferdezeitalter nach dem Ersten Weltkrieg durch das Auto eingeleitet worden sei, das „das Pferd überholt, überboten oder ins Abseits gedrängt“ habe. An dieser „hippologischen Wende“, also nach 1918, könne man „den so genannten Beginn der Moderne dingfest machen“. Koselleck fügte hinzu, er wisse natürlich, „dass alle Periodisierungen von perspektivisch ordnenden Fragestellungen abhängen“.[26]

 

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Ein Wagen, auf dem oben Menschen im Freien sitzen, wird von zwei Pferden gezogen.
Um 1900 war das „Pferdezeitalter“ auf dem Höhepunkt. Pferdegezogene Straßenbahn, Melbourne, Australien, zwischen 1880 und 1889. Fotograf: unbekannt. Quelle: Libraries Tasmania / Wikimedia Commons [14.05.2025] public domain

 

An diesem Beispiel lässt sich unschwer erkennen, dass Zeitalter, Perioden, Epochen – in dieser Hinsicht alles Synonyme – retrospektiv festgestellt werden und an Erzählabsicht bzw. Weltverständnis gebunden sind. Sehr selten und überhaupt erst seit dem 19. Jahrhundert, nachdem die Revolutionen die hergebrachte traditionsorientierte Weltdeutung umgestürzt hatten und innerweltliche Utopien in Fülle entworfen wurden, konnten Epochen auch prospektiv ausgerufen werden, um dadurch einen neuen Anfang zu verkünden. Die berühmte Aussage Goethes, mit der Kanonade von Valmy (20. September 1792) habe ein neues Zeitalter begonnen,[27] ist hingegen ein alles andere als seltener Fall retrospektiver Prognose, denn Goethe schrieb diesen Satz dreißig Jahre nach dem Ereignis. Umgekehrt bedient sich seit der Revolution die Politik immer öfters der Geschichte und ruft dabei gelegentlich sogar neue Epochen aus. So hatte zwar nicht Hitler selbst, wohl aber eine Vielzahl seiner Anhänger wieder und wieder zum Ausdruck gebracht, dass 1933 die Ära des „Tausendjährigen Reichs“ begonnen habe.[28]

Historiker dagegen „periodisieren [zwar] immer“, um mit Chris Lorenz zu sprechen, aber sie tun das professionell bedingt ausschließlich retrospektiv, d.h. aus der Perspektive ihrer Gegenwart. Und es ist dabei stets Selektion im Spiel, „denn beim Periodisieren geht es ebenso sehr um das Weglassen wie um das Einbeziehen“.[29] Nur so wird es schließlich seinen beiden Aufgaben bzw. Zwecken gerecht: dem Ordnen und dem Deuten. Insofern kann man tatsächlich sagen, dass es in der Geschichtswissenschaft ohne Periodisieren nicht geht, d.h. dass nichts der rubrizierenden Einteilung entgeht.

Mit Lorenz lassen sich auch die derzeit gängigen Periodisierungen, genauer ihre Benennungen, in metaphorische bzw. substantielle einerseits und rein chronologische andererseits unterteilen, also zwischen inhaltlich bestimmten, gehaltvollen Zeitabschnitten auf der einen und rein zeitlichen auf der anderen Seite, also zum Beispiel zwischen dem „Zeitalter des Imperialismus“ und dem „19. Jahrhundert“. Zwischen beiden besteht ein Spannungsverhältnis, denn ersteres wird stets in letzterem verortet, aber beide decken sich natürlich nicht. Die chronologischen Epochen – Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte – besitzen nach überwiegender Ansicht „keinerlei Inhalt“, aber, so Lorenz, ihre zeitliche Bestimmtheit führe unvermeidlich zu „Grabenkämpfen“ um „lange“ oder „kurze“ Jahrhunderte. Dadurch gebe sich „das fundamentale Unbehagen der Historiker angesichts eines rein chronologischen und damit ‚inhaltsleeren‘ Anfangs- und Endpunktes von Perioden“ zu erkennen.[30]

Ob diese „Grabenkämpfe“ tatsächlich um chronologische Epochen geführt werden, scheint freilich zweifelhaft. Jedenfalls sind Auseinandersetzungen um Benennung, Charakterisierung und Abgrenzung viel eher für die altbekannten Großepochen und deren Ableger bekannt – die Historikerin Barbara Picht spricht von „ganzen Regalmetern“ kritischer Beiträge[31] −, denn sie deuten und ordnen nicht nur.[32] Vom „langen 19.“ bzw. „kurzen 20. Jahrhundert“ ist daher sehr häufig die Rede – aber selten so reflektiert wie bei Jürgen Osterhammel, der seine „zwei Modi der Makroperiodisierung“ eigens erklärt.[33] Lorenz weist noch auf zwei andere Merkmale von Perioden hin.[34] Erstens enthalten sie einen Raumbezug, denn die meisten verbinden mit Benennungen wie „viktorianisches England“ oder „China der Ming-Dynastie“ zeitliche mit räumlichen Angaben. Es sei „wenig überraschend, dass die meisten Räume historischer Periodisierungen den nationalstaatlichen Territorien entsprechen“, denn die Masse geschichtswissenschaftlicher Arbeiten mindestens der Neuzeit bewegt sich nach wie vor im nationalen Rahmen. Zweitens geben Perioden fallweise auch Auskunft über ihre maßgeblichen Akteure.

Epochen enthalten laut dem Historiker Friedrich Jaeger noch eine ganze Reihe weiterer Botschaften.[35] Herausgegriffen sei seine Beobachtung, dass, wenn man Epochen als Arrangements struktureller Ordnungs- und Entwicklungsfaktoren auffasst, beim Blick aufs Ganze „die Geschichte […] in der Abfolge ihrer Epochen einen grundlegenden Formwandel“ erfahre. Das heißt nichts anderes, als dass die Geschichte einen gerichteten Verlauf aufweist, aber natürlich nicht im teleologischen Sinne, sondern als Ergebnis des Zusammenspiels von menschlichem Handeln mit vorgefundenen Strukturen und Möglichkeitsrahmen. Jaeger hat allerdings den Eindruck, dass die „Neuzeit“, die erste Epoche, in der die Selbstwahrnehmung der Zeitgenossen mit den Orientierungsbedürfnissen der Nachgeborenen übereinstimmt, seit geraumer Zeit wegen des Schwindens der neuzeitspezifischen Hegemonie Europas in die Krise gerät. Deshalb spricht er „von einem Ende der Neuzeit im Prozess ihrer Globalisierung“, ohne freilich die sich abzeichnende Nachfolgeperiode zu benennen.[36]

Was aber treibt Periodisierung voran oder, besser gefragt, was kennzeichnet jene markanten Vorgänge, die die Menschen glauben machen, man erlebe einen historischen Umbruch?

 

4. Zäsuren

Wie unverzichtbar Zäsuren sind und was mit ihnen bezweckt wird, dafür lieferte Martin Broszat, der langjährige Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, ein Beispiel. Als er zum 40-jährigen Bestehen der Bundesrepublik am 13. Juli 1989 ein Kolloquium veranstaltete, bat er die Eingeladenen, sich der Kürze der Zeit halber auf wesentliche Zäsuren zu beschränken, denn „die Frage nach Zäsuren der Geschichte geht […] davon aus, daß nicht jedes Jahr der Geschichte gleich zu Gott ist, sondern daß es dicht beschriebene, aber auch ziemlich leere Blätter der Geschichte gibt“.[37] Trotz seiner an Ranke erinnernden Bitte tappte Broszat nicht in die historistische Falle von der Geschichte als sich objektivierendem Geist, fügte er doch gleich hinzu, „die Frage nach Zäsuren“ sei gleichbedeutend mit der Frage nach den „besonders wichtigen und spannenden Teilgeschichten und Entscheidungsprozessen innerhalb des Gesamtverlaufs. Durch solche Auswahl wird die allgemeine Geschichte häufig erst Farbe und Leuchtkraft gewinnen.“

Geschichte kommt also nicht ohne Periodisierung aus und Periodisierung nicht ohne Zäsuren. Als Zäsuren gelten punktuelle, im Regelfall politische oder militärische Ereignisse – in diesen beiden Bereichen ist der Ereignischarakter[38] am offensichtlichsten −, die von den Mitlebenden sofort als außerordentlich bemerkt, in Ereigniszusammenhänge gestellt und dadurch gleichsam zwanglos mit Sinn versehen werden. So gibt es gute Gründe zu sagen, dass Zäsuren, die kein Zeitgenosse bemerkt, auch keine sind.[39] Zäsuren sind also zunächst Wahrnehmungen der Mitlebenden und werden erst später von der Geschichtswissenschaft beglaubigt oder verworfen.[40] Deshalb sind sie voraussetzungsreicher, als es vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag. Da sie in Zeit und Raum verortet sind, ist nicht nur ihre zeitliche Geltung ein Problem, sondern auch ihre räumliche. Und da markante Ereignisse in aller Regel immer noch meist national beschränkt stattfinden und wahrgenommen werden, reicht deren Strahlkraft vielfach nicht über die nationalen und noch seltener über die kontinentalen Grenzen hinaus.

Die erste globale politische Zäsur verorten Lutz Raphael und Jürgen Osterhammel im Jahr 1945, die erste ökonomische allerdings schon 1929.[41] Der oft zu lesende Vorschlag, 1917 als das erste weltumspannende Epochenjahr anzusehen,[42] überzeugt nicht mehr: „Militärisch war es fraglos ein Epochenjahr, nationalgeschichtlich nur für Russland, zur weltumspannenden Zäsur wurde es erst nach 1945/50 erhoben und seit 1989/90 befindet es sich auf dem Rückzug“.[43] Aber vielleicht ändert sich das momentan, weil Putin seit Jahren seine militärischen Vorstöße über die Südgrenze Russlands mit dem Wunsch nach Rückgewinnung des nach 1990 Verlorenen begründet. Wo von Zäsur die Rede ist, ist das Stichwort „Zeitenwende“ nicht fern.[44] Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat es zum „Wort des Jahres 2022“ ausgewählt,[45] und das hat natürlich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 zu tun.

Zeitenwenden bedienen einen „Zäsurbedarf“, der in der Moderne offenbar wächst,[46] und sind wohl unverzichtbar. Tatsächlich ist die Nützlichkeit, vielleicht sogar Unersetzlichkeit der Zäsuren eines ihrer Merkmale, weil sie erfahrungs- mit strukturgeschichtlichen Perspektiven verbinden und uns damit die Welt zu verstehen helfen. Je näher eine Zäsur an der Gegenwart angesiedelt ist, desto größer ist allerdings auch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Gültigkeit alsbald wieder schwindet und andere an ihre Stelle treten. Bei „1945“ dürfte dieser Fall kaum eintreten. Man denke aber nur an die mit hoher Bedeutung aufgeladenen Jahreszahlen 1968 (Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen), 1973/74 (Ölkrise), 1989/90 (Mauerfall), 2001 (Nine Eleven bzw. Irak-Krise[47]), 2008 (Lehmann-Pleite bzw. Finanzkrise), 2015 (Flüchtlingskrise), 2022 (Russisch-Ukrainischer Krieg) oder 2023/24 (Nahostkrieg) und zuletzt 2025 (die USA verabschieden sich von regelbasierter internationaler Politik[48]), um zu sehen, wie in den letzten 60 Jahren eine Fülle von Großereignissen das Leben (nicht nur) der Deutschen in einem Maße beeinflusst hat, dass jede dieser Zahlen problemlos als Zäsur (auf Kosten anderer) durchgehen kann.

 

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Zwei Verkehrspolizisten bringen Autos auf einer verschneiten Straße zum Halten.
„Bundesweites Sonntagsfahrverbot wegen der Ölkrise. Polizisten kontrollieren Autos auf der Eckernförder Straße, Ecke Sylter Bogen in Suchsdorf. Nur Autofahrer mit einer Sondergenehmigung fahren.“ Kiel, 25. November 1973, Fotograf: Friedrich Magnussen. Quelle: Stadtarchiv Kiel / Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0

 

An der zunehmenden Häufung von Zeitenwenden besteht also kein Zweifel. Sie machen den „Zäsurbedarf“ unserer Zeit offensichtlich, denn die bloßen Jahreszahlen gliedern den Fluss der Ereignisse nicht und verleihen ihnen darum auch keine Bedeutung. Zur Orientierung im geschichtlichen Kontinuum werden sinnvolle Einheiten benötigt, die man heute nicht mehr in den Regierungszeiten von Konsuln, Päpsten oder Königen findet, sondern dank eigener oder medial vermittelter Erkenntnis in Markantem, das man mit Martin Sabrow als „Erfahrungszäsur“ bezeichnen kann: Sie entstehe spontan und sei nicht falsifizierbar, wohl aber drohe ihr das Vergessen, wenn sie nicht in einem zweiten Schritt von Instanzen wie der öffentlichen Meinung oder der Geschichtswissenschaft beglaubigt und in den Kanon historischer Zäsuren aufgenommen werde. Dann werde sie zur „Deutungszäsur“.[49] Das verschont sie naturgemäß nicht von weiteren Deutungskämpfen, wobei es nicht um „wahr“ oder „falsch“ geht, sondern um Entwertung durch den Strom der Zeit, der neue zäsurträchtige Ereignisse herbei- und ältere unter Umständen wegschwemmt.

Martin Sabrow beließ es nicht bei seiner Unterscheidung von „Erfahrungs-“ und „Deutungszäsur“, sondern befreite erstere mittels zweier Qualitätsstufen von ihrer Trivialität. Manche Erfahrungszäsur lasse die Welt in ganz neuem Licht erscheinen und sei darum „wissenschaftlich nicht einholbar“; er nennt Nine Eleven als Beispiel. Dann handle es sich um eine „heterodoxe Zäsur“, weil sie „neue Ordnungen“ stifte, während „orthodoxe Zäsuren […] die vorherrschende Weltsicht […] eher bestätigen als in Frage stellen“.[50] Heterodoxe Zäsuren erzwängen „Neuinterpretationen“ und stellten damit „Zeitgenossen vor Anpassungsprobleme“, die den „Gegensatz von biografischer Kontinuität und politischer oder sinnweltlicher Diskontinuität zu bewältigen verlangten. Damit sind sie selbst ein historischer Handlungsfaktor und geben dem Zäsurbegriff nicht nur historiografische, sondern auch historische Bedeutung“. Auch der 9. November 1918 und der 9. November 1989 seien solche Fälle.[51]

Sabrows Hoffnung, die heterodoxen Zäsuren besäßen eine ihre Deutung bestimmende „historische Eigenmacht“ und seien damit gegen spätere Entwertung gefeit,[52] hatte der linguistic turn schon vorher in Frage gestellt. Letztlich ist eben alles ausgehandelt, und nichts spricht für sich selbst. Die referierten Vorschläge müssen sich in der Praxis bewähren; eine am grünen Tisch getroffene Entscheidung, was falsch und was richtig ist, kann es naturgemäß nicht geben. Die Grenzen zwischen Zäsur, Strukturbruch, Epoche und Periode sind darum fließend und die Bedeutungen des damit jeweils Gemeinten umstritten. Sie werden es auch bleiben.

 

5. Periodisierungen historischer Disziplinen im Überblick

Der Zusammenhang von Erkenntnisinteresse und Periodisierung legt nahe, dass auch jede historische Subdisziplin ein eigenes Zeitgerüst besitzt, und das macht Periodisierung in der Praxis der Geschichtsschreibung oft schwer – jedenfalls wenn man nicht wie so oft auf die rein formalen, d.h. eigentlich nur ordnenden Jahrhunderte zurückgreift, sondern einen themenspezifischen Zeitrahmen ins Auge fassen möchte. In der Folge werden nur historische Subdisziplinen im engeren Sinne betrachtet; fallweise kommen auch die wenigen deutschen Vertreter der historischen Soziologie zu Wort. Die Geschichte der Naturwissenschaften, der Medizin und des Rechts bleiben ausgeklammert.[53]

Von der politischen Geschichte ist in diesem Beitrag wohl am meisten die Rede, sie ist quasi allgegenwärtig, auch weil das politische Geschehen, zumal das nationale, unseren Alltag in hohem Maße prägt. Die aus dieser Perspektive praktizierte Periodisierung liegt damit auf der Hand. Sie orientiert sich an den wesentlichen politischen Umbrüchen und setzt den Beginn im deutschen Falle je nach Zeitgeschmack bei Karl dem Großen, also 768, oder erst 911 bei Konrad I. an, obwohl beide sich als Könige des Fränkischen Reiches verstanden und die Bezeichnung „Regnum Teutonicum“ nicht vor dem 11. Jahrhundert belegt ist.

Die zehnte Auflage des bekannten Gebhardt’schen „Handbuchs der deutschen Geschichte“, die von 2001 bis 2024 in nicht weniger als 25 Bänden erschien, offenbart ein weiteres Problem dieses Zugriffs: die immer kleinteiliger werdenden Perioden, je mehr man der Gegenwart nahekommt. Allein das 20. Jahrhundert ab 1914 ist in sieben Bände bzw. Epochen aufgegliedert, was der gelegentlich beklagten „Dekadenklempnerei“ bedenklich nahekommt.[54] Nicht grundsätzlich anders verhält es sich bei Darstellungen der europäischen Geschichte, sofern sie sich an den politischen Grunddaten orientieren,[55] weshalb Ernst Troeltsch eine „wirklich objektive Periodisierung“ ja schon 1922 „nur von den sozialökonomisch-politisch-rechtlichen Unterbauten“ her für möglich hielt.[56]

Wählt man dagegen die politische Strukturgeschichte, so kommt unwillkürlich eine ganz andere Periodisierung in den Blick. Maßgeblich sind drei Aspekte: das Institutionengefüge, also Formen der Staatlichkeit, normative Staatsvorstellungen und die Einbettung in das (in der Neuzeit zunehmend geregelte) Staatensystem. Das war ein Thema, das in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts intensiv bearbeitet wurde. Die bekanntesten Vertreter sind der Soziologe Max Weber, der Ökonom Joseph Schumpeter und der Historiker Otto Hintze. Um nicht den Rahmen zu sprengen, soll nur die Periodisierung des Letzteren hier knapp referiert werden. Hintze hat zwischen 1900 und 1933 die drei Stadien der Herausbildung des idealtypischen modernen Staats im Rahmen der „großen Weltverhältnisse“ zu Papier gebracht:[57] Auf den „feudalen Staat“, zu dem er in dieser Hinsicht auch den Stände- und monarchischen Verwaltungsstaat zählte, sei mit der amerikanisch-französischen Doppelrevolution der „bürgerlich nationale“ und seit dem 20. Jahrhundert der „moderne“ gefolgt, wobei der Übergang zur letzten Form „keine geradlinige Fortsetzung“ darstellte, sondern einen „Bruch“, der das Ende der traditionellen Staatlichkeit herbeigeführt habe. Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis gelangte auch Wolfgang Reinhard sechzig Jahre später.[58]

Einen ganz anderen Ansatz wählte der US-amerikanische Historiker Charles S. Maier, der mit inzwischen drei Werken die Entwicklung des modernen Staats nachgezeichnet hat.[59] In seinem jüngsten Buch stellt er die zwei zunächst vorherrschenden Staatstypen im 20. Jahrhundert vor, den aktiven, zukunftsgestaltenden „project state“ und das allein territorial definierte, Gebiet und Bevölkerung letztlich nur nutzende, wenn nicht geradezu ausbeutende „resource empire“. Beide seien in den 1970er-Jahren krisenbedingt an ihr Ende gekommen. Als Alternative zur herkömmlichen Staatlichkeit habe sich der Markt angeboten, dessen Akteure vielfach transnationalen Charakter aufwiesen und die etablierten Parteien ihrer Identität beraubten bzw. auf der Rechten programmfrei-populistisch werden ließen − mit allen Konsequenzen für das Zusammenleben. Maiers Deutung ist umso überzeugender, als sie auch erklären hilft, weshalb in den USA gegenwärtig unter Trump neben der libertären Wirtschaftspolitik die vor allem von einflussreich gewordenen Tech-Milliardären betriebenen Tendenzen sichtbar werden, den Staat in eine digital gesteuerte Technokratie umzubauen.

Die sozialgeschichtliche Perspektive könnte hier problemlos anschließen. Doch hat diese Subdisziplin nach ihrem Geltungsverlust kaum noch die Kraft, insbesondere die Vorgeschichte der Gegenwart, also die Zeit „nach dem Boom“ (Doering-Manteuffel/Raphael), überzeugend zu erklären. Wie diese aussehen könnte, hat für die „Malocher“, d.h. für die Arbeiterschaft der Schwerindustrie jüngst Lutz Raphael luzide vorgemacht.[60] Sein trinationaler Vergleich zeigt nicht nur den vom Niedergang, in England gar vom Untergang der Arbeiterklasse verursachten gesellschaftlichen Umbau, sondern auch die damit verbundenen Konflikte um angemessene Deutungsmuster. Epochenjahr für die Gegenwart – Raphael nennt es gar „Revolution“[61] − ist für ihn 1979, als Margaret Thatcher antrat und mit dem Big Bang große Teile des Staats dem „web of capital“ auslieferte und damit einen fundamentalen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umbruch nicht nur in Großbritannien einleitete.

In der hergebrachten Sozialgeschichte hat man es mit anderen Vorgängen zu tun, die aber, anders als von Vertretern des orthodoxen Marxismus behauptet,[62] nur in losem Zusammenhang mit politischen Umbrüchen stehen und diese schon gar nicht hervorbringen. Bei der Periodisierung pflegen sich viele Historikerinnen und Historiker rein schematisch auf die Abfolge von der „Ständischen“ zur „Klassengesellschaft“ zu beschränken.[63] Die Deutungsalternative „Industriegesellschaft“ ist als sozial bestimmende Gesellschaftsformation hierzulande kaum vor 1900 nachweisbar, und was auf sie seit den 1960er-Jahren folgt, ist mit „Angestelltengesellschaft“ ganz unzureichend beschrieben, weil der nun dominierende Dienstleistungssektor derart vielgestaltig ist, dass sich ein einheitlicher sozialer Gattungsbegriff verbietet. Der Blick auf die Etappen der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung verspricht hier mehr Aufschluss, auch wenn dabei der Staat unvermeidlicherweise eine namhafte Rolle spielt.[64] So beruht eine deutsche Geschichte auf der Grundlage sozial- oder gar gesellschaftsgeschichtlicher Periodisierung selbst bei Hans-Ulrich Wehler desto mehr auf politischen Zäsuren, je weiter er in die Gegenwart kam.[65]

Anders verhält es sich mit der Periodisierung der Wirtschaftsgeschichte, die sich entweder mit Beginn des nach 1800 einsetzenden statistischen Zeitalters auf hinreichend zuverlässige Zahlenreihen verlassen kann und eine von Konjunkturen und Krisen, also von Zyklen bestimmte Geschichte schreibt,[66] in der der take-off, d.h. die den Durchbruch zur Industrialisierung markierende kurze Zeitspanne, eine entscheidende Zäsur darstellt.[67] Der nationale Rahmen ist wirtschaftsgeschichtlich viel enger mit der Welt als Ganzem vernetzt als in anderen Themenfeldern, und darum lässt sich „von einer mit Daten belegbaren Weltkonjunktur […] seit dem Anfang der sogenannten Großen Depression 1873 sprechen. Noch deutlicher war der Beginn eines großen Aufschwungs im Jahre 1896 – des sogenannten 3. Kondratieff-Zyklus –, ein Phänomen von globaler Tragweite.“[68] Oder die Wirtschaftsgeschichte geht den freilich schwierigeren Weg und liefert einen an den Kategorien Max Webers geschulten strukturellen Überblick, dessen Epochen vom Handels- über den Industrie- zum Finanzkapitalismus bestimmt sind, bei denen zwei Industrielle Revolutionen (von 1770 bis 1840 und von 1870 bis 1930) und dann seit den 1970er-Jahren das neue Strukturmerkmal der Herrschaft der Kredit- und Kapitalmärkte als Umbruchs- bzw. Epochensignaturen fungieren.[69]

Von der Industriellen Revolution ist natürlich auch bei der Periodisierung der neueren Technikgeschichte an zentraler Stelle die Rede, aber damit ist nicht viel gewonnen, weil das damals begonnene „technische Zeitalter“ in einer Hinsicht bis heute besteht, in anderer sich aber so enorm gewandelt hat, dass sich alternative Bezeichnungen geradezu aufdrängen. Vom „Atomzeitalter“ ist seit den 1950er-Jahren immer wieder die Rede, zuerst als Inbegriff der Zukunft, inzwischen eher als Ausdruck möglicher Apokalypse. Vergleichbares gilt für das „Computerzeitalter“. Für andere Technikhistorikerinnen und -historiker hat, wie übrigens auch in der Soziologie, stattdessen nach 1970 der Marsch in die postindustrielle Welt begonnen.[70] Von den natur-, bio- und humanwissenschaftlichen Erkenntniszuwächsen und deren Umsetzung ist in kaum einer Technikgeschichte die Rede, sie gehorchen überdies einer anderen Chronologie. Insgesamt lautet der Befund, dass wohl als Folge der (vielleicht nur scheinbaren) Evidenz der technikhistorischen Zentralzäsur „Industrielle Revolution“ in dieser Disziplin eine Periodisierungsdiskussion kaum stattfindet.

Ähnlich war es bei der Umweltgeschichte bis vor kurzem.[71] Eine Periodisierungsdebatte schien sich angesichts der wesentlichen Rolle des Energieregimes zu erübrigen, weil im Zusammenhang mit der nun schon mehrfach ins Zentrum gerückten Industriellen Revolution der große Umbruch von bescheidenen und nachwachsenden Energiequellen zu solchen fossilen Ursprungs die epochemachende Zäsur darzustellen pflegt.[72] Dieser für den entwickelten Teil der Welt im 19. Jahrhundert situierte Umbruch ist plausibel, seine Einschätzung zeichnet sich allerdings, wie überhaupt ein Großteil der umweltgeschichtlichen Beiträge, durch einen grundsätzlich pessimistischen Bias aus.[73] Es existieren Gegenentwürfe, die einen weiteren entscheidenden Umbruch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verorten. Eine Variante konzentriert sich auf das sogenannte 1950er-Syndrom, das nicht nur den Zeitpunkt der entscheidenden umweltgeschichtlichen Epochenschwelle markiert, sondern zugleich den Beginn des Massenwohlstands in den westlichen Industrieländern als Folge gesunkener Energiepreise.[74] Die andere Variante erkennt in den 1970er-Jahren die fundamentale „ökologische Wende“, deren Anhänger diese These mit Blick auf den Zustand der Umwelt, das Umweltbewusstsein und die Umweltpolitik sowie die Praxis des Umweltschutzes vertreten.[75]

Abschließend folgt noch ein Blick auf die neuzeitliche Globalgeschichte. Hier liegen inzwischen einige Periodisierungsvorschläge vor, obwohl die Versuchung des „Periodisierungsnihilismus“ bei diesem Thema aus naheliegenden Gründen groß ist.[76] Christopher Baylys Globalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ist in puncto Periodisierung bemerkenswert konventionell. Auf eine „Weltkrise“ von 1720 bis 1820 sei die Entstehung der modernen Welt gefolgt, die sich ab 1860 sichtlich beschleunigt und den Imperialismus hervorgebracht habe, der seinerseits in den Ersten Weltkrieg führte. Das 20. Jahrhundert setzte wieder mit einer bis 1930 reichenden Krise ein, auf die um 1950 die US-amerikanische Hegemonie gefolgt sei. Doch situiert Bayly den entscheidenden Umbruch in den „langen 1980er Jahren“, die wissenschaftlich, technisch und geistig völlig Neues kreiert hätten, was freilich nicht verhindert habe, dass zwischen 1991 und 2015 schon die nächste Übergangsepoche registriert werden müsse.[77]

Sehr viel reflektierter geht Jürgen Osterhammel bei seiner Globalgeschichte zu Werke. Schon 2006 hat er einen Vorschlag dazu unterbreitet, in dem auf Mittelalter und Frühe Neuzeit ein „Zeitalter der entstehenden Moderne von 1760 bis 1870 (mit einer Zwischenzäsur um 1830)“ gefolgt sei, an die sich „eine Epoche der krisenhaften Hypertrophie dieser Moderne zwischen 1870 und 1945 (mit einer Zwischenzäsur um 1918)“ angeschlossen habe. Seither leben wir in „eine[r] Periode […], die wir noch nicht benennen können“.[78] Seine Globalgeschichte konzentriert sich aufs 19. Jahrhundert. Im zweiten Kapitel, das dem Thema „Zeit“ gewidmet ist, erörtert er Möglichkeiten und Grenzen einer angemessenen Periodisierung. Sie bereite gerade für dieses Jahrhundert große Schwierigkeiten, denn sein Periodencharakter sei schwach. Osterhammel entscheidet sich daher je nach Gegenstand für ein „kalendarisches“ oder „langes 19. Jahrhundert“.[79]

Was ist das Ergebnis dieses Überblicks? Drei Dinge fallen ins Auge: Erstens die Europazentriertheit aller Periodisierungen, und seien sie noch so reflektiert wie diejenigen Osterhammels. Sie scheint unhintergehbar, denn was unter Geschichte verstanden wird, ist europäisch-nordamerikanischen Ursprungs. Allenfalls das Anthropozän ist von vornherein auf Globalität angelegt, obwohl seine kulturwissenschaftliche Variante vermutlich schwerpunktmäßig ebenfalls in der „Ersten Welt“ erforscht wird. Zweitens: der grundsätzliche Unterschied zwischen auf Kontinuität und auf Umbruch angelegten Geschichtsbildern. Die eher vertraute Kontinuität findet sich eigentlich nur in der politikgeschichtlichen Periodisierung, die übrigen Disziplinen pflegen das Bild der Diskontinuität, während die Sozialgeschichte zwischen beiden Verlaufsformen schwankt. Drittens bereitet das 20. Jahrhundert offensichtlich größere Probleme bei der Periodisierung als frühere Epochen. Was sind die Gründe für diesen auf den ersten Blick erstaunlichen Befund? Die größere Nähe zum Betrachter/zur Betrachterin bzw. die – wenn auch abnehmende – Identität von Betrachter/in und Zeitzeuge, die größere Fülle an Material, d.h. an Quellen, oder die Ausweitung dessen, was für die jüngste Vergangenheit unter Geschichte verstanden wird, wodurch die Verständigung über Perioden schwieriger wird?

 

6. Periodisierung: Was zu beachten ist

In diesem Abschnitt soll die Frage beantwortet werden, was Epochen „benötigen“, um zu überzeugen. Angesichts der von Osterhammel beklagten „Periodisierungsabstinenz der meisten Historiker“[80] sind Kenntnisse auf diesem Gebiet nicht ohne Weiteres vorauszusetzen, und dies umso weniger, als zu diesem Gegenstand kaum geforscht wird.[81] Immer wieder begegnet man einem entweder unreflektierten Umgang mit zeitlichen Einordnungen oder kalkulierter Provokation mit dem Ziel, neue Denkprozesse anzustoßen.[82] Beides darf nicht verwechselt werden mit der „Epochenillusion“. Sie ist wohl unvermeidlich, denn die Nachgeborenen verfügen über ein Mehrwissen, blicken daher anders auf die Vergangenheit zurück und bewerten bzw. gliedern sie anders. Daher kann man sagen, auch „Epochenillusionen sind historische Tatsachen“,[83] denn sie zwingen schon durch ihre bloße Existenz zur Reflexion. Geschichte muss nicht nur fort-, sondern immer wieder umgeschrieben werden, der permanente Erfahrungswandel zwingt dazu.[84]

Welches sind nun die Bedingungen für eine Plausibilität historischer Epochen? Genannt werden sollen hier nur vier. Periodisierung soll ja, um es mit Ernst Troeltsch zu formulieren, keine bloße „Aneinanderreihung und Verbindung großer aufeinander wirkender Komplexe sein“, sondern „Einsicht in die innere Notwendigkeit und Kontinuität des Werdens“ bieten.[85] Daraus folgt zum Ersten, dass Epochen einen inneren Zusammenhang aufweisen müssen, der sie klar unterscheidbar vom Vorher und Nachher macht. Wenn Geschichte einem berühmten Diktum zufolge „die Sinngebung des Sinnlosen“ ist,[86] so ist es zunächst die Periodisierung, die der als sinnlos empfundenen Fülle von Ereignissen rationale, d.h. disziplinspezifische Konturen verleiht. Damit ist auch klar: Epochen sind unterscheidbare Abschnitte der Vergangenheit, ihre inhaltliche Bestimmung ist Aufgabe der Geschichtsschreibung.

Der zweite Gesichtspunkt betrifft den Übergang von einer Epoche zur anderen. Dieser kann entweder allmählich stattfinden – die Sattelzeit ist dafür ein bekanntes Beispiel – oder ein Umbruch sein wie etwa „1789“. In beiden Fällen müssen nach heutiger Ansicht die Zeitgenossen von einem Epochenwandel überzeugt gewesen sein. Zwei Beispiele aus dem 18. Jahrhundert mögen das verdeutlichen. Das erste ist die bereits mehrfach angesprochene „Sattelzeit“. Sie kann durchaus als eigenständige Epoche angesehen werden, aber entworfen hat Koselleck sie als Schwelle zwischen Alteuropa und Moderne − auch wenn er beide Begriffe kaum benutzt hat[87] −, in der „die Auflösung der alten und die Entstehung der modernen Welt“ anhand von politisch-sozialen Grundbegriffen erfasst werden könne. Ursache dafür sei ein „langfristige[r] und tiefgreifende[r], manchmal plötzlich vorangetriebene[r] Erfahrungswandel“,[88] also eher kein von Menschen absichtlich vorangetriebener Umbruch, aber eine Schwelle, die den Zeitgenossen bewusst war.[89] Das andere ist der 14. Juli 1789, der Sturm auf die Pariser Bastille und dessen umstrittene Wahrnehmung am Hof in Versailles. Einer verbreiteten Darstellung nach weckte der Herzog von La Rochefoucauld-Liancourt den König in der Nacht zum 15., um ihn vom unerhörten Vorgang zu informieren, worauf dieser abwehrend meinte, das sei ja bloß eine der üblichen Revolten. Darauf sein Kammerherr: „Non, Sire, c’est une révolution“.[90] Noch am selben Tag wurde beim Auftritt Ludwigs XVI. in der Nationalversammlung die beginnende Demontage des absoluten Königtums offenbar.

Drittens ist der räumliche Geltungsanspruch von Epochen alles andere als trivial. Von den drei klassischen Großepochen besitzt das Altertum Geltung nur für den nahöstlichen und süd- und mitteleuropäischen Raum, das Mittelalter ist ein Kind „der gewohnten, im Grunde nur auf Westeuropa eingestellten Optik“.[91] Das wurde nicht immer beachtet, man sprach vom indischen oder chinesischen Mittelalter[92] – offensichtliche Fremdbestimmungen, die mindestens im Falle Chinas inzwischen als überwunden gelten können. Die chinesische Geschichte wird heutzutage gegliedert in eine Periode selbstbestimmter Zeit von sehr langer Dauer, die von den Opiumkriegen beendet wurde und in eine Phase der Dekadenz mündete, die schließlich vom Übertritt Chiang Kai-sheks nach Taiwan einerseits und der Ausrufung der Volksrepublik durch Mao Zedong andererseits 1945 bzw. 1949 beendet worden ist. Japanische Historiker haben ihrem Land gar ein Mittelalter verordnet, „um auf diese Weise Anschluss an das prestigeträchtige Geschichtsmodell Europas zu finden“.[93]

Mit der Neuzeit ist es richtig kompliziert. „Wo liegt das 19. Jahrhundert?“, fragte sich Jürgen Osterhammel, und seine Antwort lautete: Es kommt darauf an.[94] So umsichtig gehen nicht alle Autoren und Autorinnen vor. Vielfach drücken Geschichtswerke bis heute der außereuropäischen Geschichte unreflektiert Periodisierungen aus einer westlichen Perspektive auf, d.h. hier sind noch immer Kolonialismus und Imperialismus am Werk. In solchen Fällen beansprucht die europäische „Regionalzeit“, die universelle Zeit zu sein,[95] und das heißt nichts anderes, als der außereuropäischen Welt ihre Rückständigkeit, den „Fluch der Verspätung“ (Dipesh Chakrabarty) zu attestieren. Allerdings: Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, desto mehr können als Folge der Globalisierung Epochen universale Gültigkeit beanspruchen. Sie weisen deshalb aber nicht unbedingt identische Inhalte auf, denn die Randbedingungen sind jeweils verschieden. Die chinesische Moderne ist fraglos etwas anderes als die amerikanische, aber das Zeitalter der Weltkriege ist in Ost und West, in Nord und Süd dasselbe.

Eric Hobsbawm ging mustergültig vor. Er betitelte den ersten, bis 1848 reichenden Band seiner Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit „Europäische Revolutionen“, und in der Tat ist von der außereuropäisch-amerikanischen Welt nur wenig die Rede. Der letzte Band hingegen mit dem geradezu sprichwörtlich gewordenen Titel „Das Zeitalter der Extreme“ hat den Untertitel „Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts“ und beglaubigt damit schon auf diese Weise die nun eine ganz neue Stufe erreichende Globalisierung.[96]

Viertens sollten die Nutzer von Perioden die Grenzen ihres Erklärungspotenzials mitreflektieren. Da ist zum einen die Frage, ob Ereignis- oder Strukturgeschichte die Grundlage bilden soll. Auch wenn sich traditionellerweise die Epochen an Jahreszahlen der politisch-militärischen Geschichte orientieren, wirft das vielfach Schwierigkeiten auf, denn es handelt sich meist um ein der nationalstaatlichen Geschichte entnommenes Analyseraster, das weder für unter- noch für oberhalb angesiedelte historische Einheiten wirklich passt. Ereignisgeschichtlich fundierte Epochen sind in der Praxis zwar die häufigsten, aber die weiter oben zitierten Kriterien Troeltschs der nötigen „sozialökonomisch-politisch-rechtlichen Unterbauten“ erfüllen sie nur in Grenzen.[97] Man kann das am Beispiel des „Gebhardt-Handbuchs“ erkennen: Band 15, der der Industriellen Revolution und Nationalstaatsgründung gilt und die Zeit von 1849 bis 1870/71 behandelt, hat es mit zwei historisch alles andere als aufeinander bezogenen Gegenständen zu tun, folgt aber einer ganz konventionellen Datierung und bereitet dem Verfasser darum Schwierigkeiten.[98] Denn die Industrielle Revolution in Deutschland war 1871 keineswegs beendet, aber auch das neue Deutsche Reich war 1871 alles andere als fertig.

Die Alternative sind struktur- und erfahrungsgeschichtlich angelegte Perioden. Für letztere ist das wohl bekannteste Beispiel aus der deutschen Geschichte die bereits erwähnte „Sattelzeit“, die gewissermaßen im heuristischen Vorgriff die Entwicklung zwischen 1750 und 1850 als kategoriale Wende versteht. Aber selbst ihr Erfinder hatte Zweifel, ob diese Epoche den deutschen Kulturraum transzendiere, und zwar weil für ihn die Sattelzeit primär sprachlich fassbar sei und der hier beobachtete „Umbruch […] so in den Nachbarländern in dieser Zeit nicht stattgefunden hat“.[99] Wo Erfahrungswandel nicht nur sprachlich greifbar ist, sondern Ergebnis politischer, wirtschaftlicher, ökologischer oder anderer Großereignisse, finden sich viele Perioden mit einer die Sprachräume überwindenden Geltung. Die „Epoche der Weltkriege“ ist ein naheliegendes Beispiel, die von der Weltwirtschaftskrise ausgelöste Depressionsphase ein anderes. Beide leiteten das 20. Jahrhundert ein.

Dieses weist eine Fülle von Binnenepochen auf. Ihre Überzeugungskraft ist unterschiedlich, ihre Halbwertszeit vielfach sehr begrenzt. Die vorstehend skizzierten Bedingungen sollten den Blick geschärft haben, um die Angebote seriös sichten zu können. Dabei darf eine Erkenntnis nicht vergessen werden, dass nämlich vieles nicht zusammenstimmt. Aber das ist kein Fehler. Denn „Periodisierung ist immer ein Spiel mit mehreren möglichen Lösungen, kein Puzzle, das ‚richtig‘ zusammengesetzt werden kann“.[100]

 

7. Periodisierungsangebote für das 20. und 21. Jahrhundert

Das Angebot an Periodisierungen für das 20. ist deutlich größer als für frühere Jahrhunderte, und das ist natürlich kein Zufall. Die daraus resultierenden Probleme seien kurz genannt: Am wichtigsten ist die nun schon mehrfach angesprochene, aber oft übersehene identitätsstiftende Funktion aller Periodisierungen. Sie vor allem ist die Ursache, dass das jüngst vergangene Jahrhundert in seiner Deutung besonders umstritten ist. Denn im Zeitverlauf hat sich seine Einschätzung natürlich häufig geändert, sodass man mit einigem Abstand eine Generationenabfolge von Einteilungen und ihren Urhebern unschwer erkennen kann.

Der erste, aber nicht nur deshalb besonders einflussreiche Vorschlag hat das 20. Jahrhundert mit „Zeitgeschichte“ in ein geradezu symbiotisches Verhältnis gesetzt – und begründete die mittlerweile fest etablierte Subdisziplin gleichen Namens: Hans Rothfels definierte sie 1953 als „Epoche der Mitlebenden“ und legte sich auf 1917 fest.[101] Das war für ihn mit Jahrgang 1891 kein Problem, aber faktisch bedeutete diese Festlegung eine Art moving wall, weshalb einer von Rothfels’ Nachfolgern als Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“, Hans-Peter Schwarz (Jg. 1934), fünfzig Jahre später die Zäsur nach der Maßgabe „Geschichte schreiben, während sie noch qualmt“, auf 1989/90 legte.[102] Sein Kollege Karl Dietrich Bracher (Jg. 1922) widersprach ihm noch im selben Heft: Die „Weimarer Erfahrung“ sei noch nicht Geschichte, sie gehöre durchaus in den Alltagszusammenhang der Gegenwart.[103]

Das zweite Problem dreht sich deshalb um die Frage, ob diese enge Bindung Bestand haben soll oder wie die beiden voneinander getrennt werden können, ohne dass ein Teil Schaden nimmt. Die enge Verbindung von Zeitgeschichte und 20. Jahrhundert gilt oft als deutsches Phänomen. Jedenfalls datieren die Franzosen den Beginn der histoire contemporaine auf 1789, weshalb seit einiger Zeit die histoire du temps présent hinzukommt; die Italiener die storia contemporanea auf 1796, das steht so sogar in Gesetzen und staatlichen Verordnungen.[104] Im revolutionsabstinenten England wird dagegen betont, dass es keine feste Zeitgrenze geben könne, was die Disziplin dort nicht der Schwierigkeit enthebt, die contemporary von der neuerdings hinzugekommenen current history zu unterscheiden.[105]

Damit wird das dritte Problem sichtbar, nämlich die Tragfähigkeit eines nationalen Interpretationsrahmens für die Untersuchung international bedeutsamer Ereignisse – oder umgekehrt. Selbst innerhalb eines Landes können Epochenjahre für Teilgesellschaften auseinanderfallen. Für die unterschiedlichen Erinnerungen in den alten und den neuen Bundesländern gilt das ohnehin. Aber als Wolfgang Schieder 1999 vor ehemaligen Stipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung einen Vortrag über die Wendepunkte der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert hielt und dabei von 1918, 1933, 1945 und besonders von 1989 sprach, antwortete ihm Moshe Zimmermann, dass keines dieser Jahre für die deutschen Juden vergleichbare Bedeutung habe; für sie bedeuteten die zehn Jahre von 1932 bis 1943 das Ende des deutschen Judentums.[106]

Auch eine weitere Frage muss wenigstens gestreift werden: Wann ging überhaupt das 19. Jahrhundert zu Ende? Es ist durchaus unsicher, ob es für die Zeitgenossen bereits im Sommer 1914 beendet war,[107] ganz unabhängig davon, dass man sich von ihm eigentlich schon mit großem Pomp im Rahmen der „wilhelminischen Jahrhundertwende“ 1900 verabschiedet hatte.[108] Die nachgeborenen Historiker sind uneins: Thomas Nipperdey führte seine dreibändige, mit Napoleon beginnende „Deutsche Geschichte“ bis zur deutschen Niederlage 1918, ebenso machte es Heinrich August Winkler in seinem „Langen Weg nach Westen“ und auch der „Gebhardt“ lässt seine dem 19. Jahrhundert gewidmeten Bände 1918 auslaufen; Hans-Ulrich Wehler untergliederte den vierten Band seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ dagegen von 1914 bis 1949.

Im Ausland ist die Lage nicht anders. Frankreich hat das Problem, dass die III. Republik Jahrhundertwende und Ersten Weltkrieg unbeschadet überstand. Aber so sehr 1939/40 in der französischen Geschichte ein Epochendatum ersten Ranges ist, kann man das 19. Jahrhundert nicht erst dann enden lassen. Die meisten Darstellungen setzen daher trotzdem 1914 eine Zäsur, andere wie René Rémond mit „Notre siècle“ jedoch 1918, weil sein Kollege François Caron in derselben Reihe mit „La France des patriotes“ es gar von 1851 bis 1918 reichen ließ. Auch englische Darstellungen des 19. Jahrhunderts erstrecken sich zumeist bis 1914, so etwa Edgar J. Feuchtwangers „Democracy and Empire“. Die italienischen Gesamtdarstellungen der Verlage Einaudi und UTET sind hingegen so kleinteilig organisiert, dass die für das Land in Frage kommenden Epochendaten gar nicht in den Blick geraten. Dagegen macht die bei Laterza erschienene mehrbändige „Storia d’Italia“ bei 1914 einen Schnitt, was überrascht, weil für Italien der Erste Weltkrieg bekanntlich erst 1915 begonnen hat.[109]

Wenn man Epochen mit einem charakteristischen Merkmal identifiziert, macht das die Dinge nicht einfacher. Thematisch ausgerichtete Überblicke der europäischen oder gar Weltgeschichte lassen das „Zeitalter des Imperialismus“ regelmäßig bis 1918 währen, das „Zeitalter des Nationalismus“ pflegt dagegen 1914 zu enden, und 1914 ist auch das Epochendatum für Winklers ersten Band seiner weltumspannenden „Geschichte des Westens“. Das alles kann nur heißen, dass Jahrhundert- keine Epochengrenzen sind.[110] Trotzdem hält die Mehrheit der Historikerinnen und Historiker an der Jahrhundertzählung fest und sieht sich darum genötigt, die Saecula mit dem merkwürdigen Zusatz „lang“ oder „kurz“ zu versehen. Vor allem das 20. Jahrhundert gilt derzeit als „kurz“.[111]  

Ein besonders einflussreiches Beispiel ist Eric Hobsbawms Buch „Age of Extremes“ von 1994, dessen überwiegend düsteres Bild des „kurzen“ 20. Jahrhunderts von 1914 bis 1991 eine alsbald weithin akzeptierte Periodisierung des vergangenen Saeculums lieferte.[112] Sein Blick richtete sich in erster Linie auf das Scheitern der großen Verheißungen des 19. Jahrhunderts: Staatssozialismus, Kapitalismus und Nationalismus. Dass Hobsbawm an fast allem persönlich Teil hatte, macht das Buch streckenweise zur littérature engagée mit allen Stärken und Schwächen, die daraus folgen.

Die genannten Beispiele entstammen ganz überwiegend der politischen Geschichte, deren Daten im Regelfall als Zeitgerüst für Periodisierung dienen. Dass trotzdem nicht einmal die Nationalgeschichten eines Landes einheitlich getaktet sind, verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung des Erkenntnisinteresses, das, je mehr wir uns der Gegenwart nähern, zusätzlich vom Miterleben der Interpreten beeinflusst wird. Das ist nur auf den ersten Blick ein Nachteil, zeugt diese Vielfalt doch eher von Meinungsfülle und Freiheit der Wissenschaft.

Anders verhält es sich mit den Vorschlägen universaler Zäsuren des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls der politisch-militärischen Geschichte entnommen sind. Aus der Sicht des frühen 21. Jahrhunderts kommen nach Ansicht der Fachleute nur drei Jahreszahlen in Frage, die hinreichende Einschnitte im globalen Verlauf seiner Geschichte markieren, d.h. die, um das oben Ausgeführte in einem Satz zu verdichten, ein nationales, europäisches und globales Ereignis darstellten und sich als solches auch im Bewusstsein der Mitlebenden niedergeschlagen haben: 1917, 1945 und 1989. Diese Jahre weisen schon auf den ersten Blick – und das verstärkt noch ihre Eignung – untereinander kausale Verbindungen auf. Das gilt weder für 1914 – der „Weltkrieg“ beschränkte sich bis 1917 weitgehend auf Europa und den Nahen Osten – noch für 1933, das noch nicht einmal ein europäisches Geschichtsdatum ist.

Das Jahr 1917 brauchte außerhalb der Sowjetunion lange,[113] um als Periodengrenze anerkannt zu werden. In den meisten Staaten Europas und selbst im 1917 in den Krieg eingetretenen Nordamerika galt 1918 als das wichtigere Datum, in Deutschland sowieso.[114] Wie berichtet, war es hierzulande Rothfels, der in einem klaren Fall von geschichtspolitischem Dezisionismus 1953 das Datum 1917 zum Beginn einer neuen universalgeschichtlichen Ära ausgerufen hat.[115] Bald schon war dann von der Epoche des Totalitarismus die Rede. 1918 hingegen brachte zwar Deutschland und Österreich samt Nachfolgestaaten Frieden, aber weiter im Osten, auf dem Balkan, am Bosporus und in Nord- bzw. Ostafrika gingen die militärischen Auseinandersetzungen noch jahrelang weiter, weshalb es keinen „chronologischen Nullpunkt wie den 11. November 1918 gab“.[116]

Im Falle von „1945“ ist die Lage eindeutig: Bei diesem Datum handelt es sich um einen „der wenigen übergreifenden globalen Synchronisierungspunkte im 20. Jahrhundert“.[117] Die Gründe finden sich auf drei Ebenen: In Deutschland wurde Auschwitz befreit, die Wehrmacht kapitulierte, und es begann der Prozess gegen führende Repräsentanten des NS-Staats in Nürnberg. In Europa bahnte sich die Spaltung an, die in Ost und West sehr unterschiedliche Wirkungen hatte: Wiederherstellung der Demokratie auf der einen und Etablierung einer stalinistischen Herrschaft auf der anderen Seite. Global schließlich mündete am 8. Mai in Sétif im damals französischen Algerien ein Protestmarsch muslimischer Demonstranten in ein Massaker mit mehreren tausend Toten, während im August die USA zum ersten und bisher einzigen Mal die Atombombe einsetzten, woraufhin Japan kapitulierte und nach dem Ende der japanischen Besetzung in Djakarta und Hanoi die Führer der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen – vergeblich − das Ende der Kolonialherrschaft ausriefen.

    

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Zwei Fotos: links: zwei schlafende Männer in Matrosenanzügen auf der Straße mit einer Zeitung mit der Schlagzeile Peace; rechts: Ein Mann hisst eine Fahne mit Hammer und Sichel auf einem Gebäude
Das Jahr 1945 als einer der wenigen übergreifenden globalen Synchronisierungspunkte im 20. Jahrhundert: hier das Ende des Zweiten Weltkriegs.
Links: Das ikonische Foto vom Hissen der Flagge der Sowjetunion auf dem Reichstag von Jewgeni Chaldei (und eine der berühmtesten Retuschen), Originaltitel: „Auf dem Berliner Reichstag, 2. Mai 1945“. Quelle: Wikimedia Commons [14.05.2025], public domain; rechts: amerikanische Matrosen, o.D., o.O., Fotograf: unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons [14.05.2025], public domain

 

Martin Sabrow hat für „die epochale Bedeutung des Mauerfalls 1989“ in mehreren Anläufen Vergleichbares unternommen wie Lutz Raphael für 1945, privilegierte dabei aber die Erfahrungszäsur mit der Folge, dass er erhebliche Einschränkungen schon für das gesamte Deutschland vornehmen musste, von der weltweiten Gültigkeit ganz zu schweigen.[118] Gleichwohl ließe sich – unter dem selbstverständlichen Vorbehalt der „Epochenillusion“ − aus heutiger Sicht von einer im Jahre 1989 stattgefundenen Zäsur bzw. Zeitenwende[119] von universaler Bedeutung sprechen, umso mehr als dieser Einschnitt mit dem vom 24. Februar 2022 in ursächlichem Zusammenhang steht.

Die hier für das 20. Jahrhundert in aller Kürze diskutierten Zäsuren sind ausnahmslos der politisch-militärischen Ereignisgeschichte entnommen. Ihre Wirkungen, d.h. ihre Bedeutungen reichen zwar weit über diese Bereiche hinaus, aber es bleiben dennoch zwangsläufig andere Wahrnehmungen und strukturbestimmende Wandlungsprozesse unterbelichtet. Ideengeschichtlich inspirierte Periodisierungsvorschläge halten sich dagegen zahlenmäßig sehr in Grenzen.

Beachtung verdient zunächst der Vorschlag Anselm Doering-Manteuffels, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in Zeitbögen zu erfassen. Er offeriert damit einen Gegenentwurf zu den zäsurabhängigen Politikgeschichten; seine Zeitbögen sind „Zeitspannen von mehreren Jahrzehnten, die sich überlappen können, aber durch markant unterschiedliche Vorstellungen von der Ordnung in Gesellschaft und Staat gekennzeichnet sind“.[120] Der erste umspannt die Jahrzehnte von der Hochindustrialisierung um 1890 bis in den Zweiten Weltkrieg, die zusammengehalten werden von der Kulturrevolution des Antiliberalismus. Der zweite Zeitbogen reicht von 1930 bis 1970/75, als die von Kriegen und Krisen belastete Gesellschaft mittels Orientierung an Gemeinschaft, Gleichheit und Konsens stabilisiert werden sollte. Der dritte Zeitbogen wurzelt in den 1970er-Jahren und war bei der Niederschrift noch nicht abgeschlossen; dessen Hauptmerkmal sei „ein neuartiges Modell von ‚Freiheit‘“ als „scheinbar allein gültigem Ordnungsmodell“.[121] Dass im frühen 21. Jahrhundert „die Welt […] zum ‚Westen‘ geworden“ sei und Deutschland seinen „Platz im atlantischen Ordnungssystem gefunden und sich darin zu entfalten gelernt“ habe,[122] erinnert nicht nur an Winklers „Langen Weg nach Westen“, sondern war um 2010 wohl Konsens. Inzwischen, d.h. im Jahr 2025, sieht man vieles sehr anders.

Abschließend soll die weiter oben bereits kurz angesprochene Moderne-Theorie zur Sprache kommen. Sie enthält ein Periodisierungsschema, das sowohl politische, wirtschaftliche und ideengeschichtliche Vorgänge als auch deren subjektive Wahrnehmungen bzw. Verarbeitungen zusammenbindet.[123] Die Epoche der Industriemoderne beginnt mit dem Durchbruch der Industrie zum bestimmenden wirtschaftlichen und sozialen Faktor und den davon ausgelösten Aufbruchsstimmungen wie Verlustängsten vor der Jahrhundertwende, überwölbt die Grenze zwischen 19. und 20. Jahrhundert sowie beide Weltkriege, erklärt die Unterwerfung unter stalinistische wie faschistische Totalitarismen und endet, als der Welt ihre Fortschrittsorientierung abhandenkam und sie „in Instabilität und Krise geschlittert ist“.[124]

Diese Epoche reicht damit von ca. 1870 bis ca. 1970 und ist schon von der Anlage her ein Epochenkonzept, in dem die Übergänge konzeptionell enthalten sind. „Nach dem Boom“, eine von Lutz Raphael und Anselm Doering-Manteuffel wenn nicht entdeckte, so doch enorm popularisierte Erfahrungs- und Deutungszäsur in einem,[125] beginnt die neue (und unabgeschlossene) Epoche der Digitalmoderne. Sie veränderte Politik, Wirtschaft und Gesellschaft neuerlich fundamental und führte zu einer enormen Beschleunigung so gut wie aller Lebensbereiche. Die anfangs euphorischen Erwartungen wurden bald schon von multiplen Krisen und damit einhergehenden Zukunftsängsten abgelöst.

Anders als die landläufigen und zumeist fragwürdigen Konnotationen von „postmodern“[126] soll damit verdeutlicht werden, dass die Moderne keineswegs zu Ende ist, sondern in vieler Hinsicht dramatisch andere Formen angenommen hat. Sie ist nunmehr vom Spannungsbogen Freiheit-Nachhaltigkeit gekennzeichnet, den beiden neuen und, wie es scheint, vorherrschenden Grundstimmungen, wobei „Freiheit“ inzwischen vielerorts eine neoliberale, wenn nicht rundheraus libertäre Färbung angenommen hat und mit der Abkehr von Demokratie und regelbasierter internationaler Ordnung vereinbar wurde. Hobsbawms 1994 niedergeschriebene Erwartung, man befinde sich zwar auf dem Weg „in eine andere, […] unbekannte und problematische, aber nicht notwendig apokalyptische Zukunft“, klingt dreißig Jahre später in den Ohren vieler fast zu optimistisch.[127]

Es ließe sich einwenden, dass dieser Entwurf am Verlaufsmodell der westlichen Industrieländer orientiert ist und daher für globale Periodisierung ungeeignet. In einer globalisierten Welt unterscheiden sich zwar Wahrnehmungen und Befindlichkeiten nach wie vor erheblich, aber die technischen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen sind universal geworden und engen die hergebrachten Spielräume des Umgangs mit ihnen ein. Insofern kann das von der Moderne-Theorie inspirierte Periodisierungsmodell durchaus als weltumspannend gesehen werden.

Die weiter oben angesprochene Zäsur von 1989/90 bedeutete nicht nur einen realhistorischen Umbruch ersten Ranges, sondern führte auch das Ende der jenseits des Eisernen Vorhangs dogmatisch festgelegten Vorstellungen vom geschichtlichen Gesamtverlauf herbei. Dort hatten bis dahin in letzter Instanz die Politbüros über diese Vorstellungen entschieden, denn der Marxismus-Leninismus glaubte, eine allgemeingültige Theorie historischer Entwicklung (mit dem Anspruch prognostischer Kraft) zu besitzen. Epochen und deren Übergänge galt daher besondere Aufmerksamkeit, die entsprechenden Festlegungen waren verbindlich.[128]

Ganz anders die hier präsentierte – und vor 1989/90 von Marxisten oft als „bürgerlich“ diskreditierte – Sichtweise mit ihrer vielleicht unerwarteten Vielfalt von Periodisierungsangeboten. Sie unterstreicht noch einmal, dass die (westliche) Geschichtswissenschaft über kein kanonisiertes Wissen verfügt, wohl aber über eine allgemein anerkannte Methodenlehre. Zu dieser gehört das Wissen, dass Epochen nie in der Vergangenheit selbst vorkommen – dynastisch-genealogische Zusammenhänge allenfalls ausgenommen −, sondern stets im Rückblick gedeutet werden, mögen sie auch noch so selbstverständlich und deshalb kaum wahrnehmbar sein, und dass sie auf eine Vereinfachung vergangener Komplexität hinauslaufen. Epochen sind deshalb auch nicht wahr oder falsch, sondern geeignet oder ungeeignet, sie können neu entdeckt werden oder in der Versenkung verschwinden. Aber ohne sie, ohne Periodisierung geht es nicht, jedenfalls nicht in der Geschichtsschreibung lege artis. Vergleichbares gilt für die Übergänge von einer zur anderen Epoche, denn auch für sie lässt sich nur eine große Vielfalt an Möglichkeiten ermitteln. So bleibt am Ende nur die Feststellung: Periodisierung ist unverzichtbar, komplex und hat Folgen.

 

Anmerkungen

[1] Karl-Georg Faber, Epoche und Epochengrenzen in der Geschichtsschreibung, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 44 (1981), S. 105-113, hier S. 113.

[2] Leopold von Ranke, Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern gehalten, hg. v. Alfred Dove, Leipzig 1888.

[3] „Ich aber behaupte: jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem eignen Selbst. Dadurch bekommt die Betrachtung der Historie, und zwar des individuellen Lebens in der Historie einen ganz eigentümlichen Reiz, indem nun jede Epoche als etwas für sich Gültiges angesehen werden muß und der Betrachtung höchst würdig erscheint.“ Leopold von Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Theodor Schieder u. Helmut Berding, München 1971, S. 59f.

[4] Johann Gustav Droysen, Ungedruckte Materialien zur „Historik“, in: ders., Texte zur Geschichtstheorie. hg. v. Günter Birtsch und Jörn Rüsen, Göttingen 1972, S. 20, online https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00051633_00001.html [14.05.2025].

[5] Stefan Jordan, Vetorecht der Quellen. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010; https://docupedia.de/zg//zg/Vetorecht_der_Quellen [14.05.2025].

[6] Horst Haun, Die erste Periodisierungsdiskussion in der Geschichtswissenschaft der DDR, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 27 (1979), S. 856-865, hier S. 858.

[7] Jürgen Kuczynski, Zur Periodisierung der deutschen Geschichte in der Feudalzeit, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 2 (1954), S. 133-151.

[8] Ariane Tanner, Anthropozän. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 03.05.2022, https://www.docupedia.de/zg/Tanner_anthropozaen_v1_de_2022 [22.04.2025].

[9] Petra Ahne, Anthropozän abgesagt? Gremium votiert gegen neue Epoche, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.03.2024, S. 13.

[10] „Meine These lautet, daß sich in der Neuzeit die Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung zunehmend vergrößert, genauer, daß sich die Neuzeit erst als eine neue Zeit begreifen läßt, seitdem sich die Erwartungen immer mehr von allen bis dahin gemachten Erfahrungen entfernt haben.“ Reinhart Koselleck, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ – zwei historische Kategorien [1976], in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1979, S. 349-375, hier S. 359. „Der Wille zu einer Periodisierung kam erst im 14. und 15. Jahrhundert auf, am Ende gerade jener Periode, die als erste definiert wurde: dem Mittelalter.“ Jacques Le Goff, Geschichte ohne Epochen? Ein Essay, Darmstadt 2016, S. 29.

[11] Ecclesiastica Historia integram ecclesiae Christi […], 13 Bde., Basel 1559-1574. Initiator und leitender Herausgeber der Jahrhundertbände war der Magdeburger Geistliche Matthias Flacius. Einzelheiten bei Johannes Burkhardt, Die Entstehung der modernen Jahrhundertrechnung. Ursprung und Ausbildung einer historiographischen Technik von Flacius bis Ranke, Göppingen 1971.

[12] Manches des im Folgenden Ausgebreiteten findet sich bereits in meinem Aufsatz: Das Jahr 1917 und die Periodisierung des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 69 (2018), S. 86-99.

[13] Sehr ausführlich zu Entstehung und Fortentwicklung in der Antike ist: Marie Oellig, Die Sukzession von Weltreichen. Zu den antiken Wurzeln einer geschichtsmächtigen Idee, Stuttgart 2023. Für die Folgezeit: Werner Goez, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958, online https://archive.org/details/goez-translatio-imperii/mode/2up [14.05.2025].

[14] Reinhart Koselleck, „Neuzeit“. Zur Semantik moderner Bewegungsbegriffe, in: ders., (Hrsg.), Studien zum Beginn der modernen Welt, Stuttgart 1977, S. 264-299, hier S. 272.

[15] Ebd., S. 275.

[16] Christoph Cellarius, Historia Universalis […], Jena 1696. Vorausgegangen waren seit 1685 die Bände zur alten, mittleren und neueren Geschichte, eingeteilt nach Jahrhunderten.

[17] Carl Wernicke, Die Geschichte der Neuzeit, 2 Teile, Berlin 1855-57 (= Die Geschichte der Welt, zunächst für das weibliche Geschlecht bearbeitet, Bd. 3), dürfte zu den Erstbelegen im Historiker-Sprachgebrauch zählen.

[18] Koselleck, Neuzeit, S. 266. Vgl. ders., Wie neu ist die Neuzeit? [1990], jetzt in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a.M. 2000, S. 225-239, hier S. 227.

[19] Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1966, S. 437.

[20] Hermann Heimpel, Über die Epochen der mittelalterlichen Geschichte [1947], in: ders., Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 21957, S. 42-66, hier S. 44.

[21] Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Bd. 1 [1918], Sonderausgabe, München 1963, S. 29.

[22] Johannes Burkhardt, Frühe Neuzeit, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Das Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt a.M. 22003, S. 438-465, hier S. 438.

[23] So Koselleck in: Begriffsgeschichte, Sozialgeschichte, begriffene Geschichte. Reinhart Koselleck im Gespräch mit Christof Dipper, in: Neue Politische Literatur 43 (1998), S. 187-205, hier S. 195, online https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2010-1/interview_koselleck_npl_1998.pdf [14.05.2025].

[24] Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972-2004.

[25] Reinhart Koselleck, Zeitverkürzung und Beschleunigung. Eine Studie zur Säkularisation, in: ders., Zeitschichten, S. 177-202. Neuerdings dazu: Christophe Bouton, Die Beschleunigung der Geschichte bei Koselleck. Eine Studie zu einer historischen Kategorie der Moderne, in: Jeffrey A. Barash/Christophe Bouton/Servanne Jollivet (Hrsg.), Die Vergangenheit im Begriff. Von der Erfahrung der Geschichte zur Geschichtstheorie bei Reinhart Koselleck, Baden-Baden 2021, S. 76-99.

[26] Reinhart Koselleck, Das Ende des Pferdezeitalters, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 221, 25.09.2003, S. 18. Dazu auch Ulrich Raulff, Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung, München 2015.

[27] „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ Johann Wolfgang von Goethe, Die Campagne in Frankreich [1822]. Werke: Autobiographische Schriften, Hamburger Ausgabe, Bd. 10, Hamburg 51972, S. 235.

[28] Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin/New York 22000, S. 607.

[29] Chris Lorenz, Der letzte Fetisch des Stamms der Historiker. Zeit, Raum und Periodisierung in der Geschichtswissenschaft, in: Fernando Esposito (Hrsg.), Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017, S. 63-92, hier S. 84. Lorenz’ Landsmann van der Pot legte 1999 ein umfangreiches Buch zum Zusammenhang von Periodisierung und Deutungsabsicht vor, doch handelt es sich um nicht viel mehr als eine nach Sinndeutungen geordnete Materialsammlung. Johan Hendrik Jacob van der Pot, Sinndeutung und Periodisierung der Geschichte. Eine systematische Übersicht der Theorien und Auffassungen, Leiden 1999.

[30] Lorenz, Fetisch, S. 89. Hervorhebung im Original.

[31] Barbara Picht, Schiefrunde Perlen. Zum Deutungsanspruch metaphorischer Epochennamen, in: Forum Interdisziplinärer Begriffsgeschichte 10 (2021), H. 1, S. 6-12, hier S. 11, https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/59376/file/ZfL_FIB_10_2021_1_Picht.pdf [14.05.2025].

[32] Zwei Beispiele: Paul Egon Hübinger (Hrsg.), Zur Frage der Periodengrenze zwischen Altertum und Mittelalter, Darmstadt 1969; Ernst Walder, Zur Geschichte und Problematik des Epochenbegriffs „Neuzeit“ und zum Problem der Periodisierung der europäischen Geschichte, in: Festgabe Hans von Greyerz zum sechzigsten Geburtstag, 5. April 1967, Bern 1967, S. 21-48.

[33] Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 87.

[34] Zum Folgenden: Lorenz, Fetisch, S. 84ff.

[35] Das Folgende nach Friedrich Jaeger, Neuzeit als kulturelles Sinnkonzept, in: ders./Burkhard Liebsch (Hrsg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Stuttgart/Weimar 2004, S. 506-531. Zitate S. 511, 524. Der Text ist so gut wie identisch mit dem ein Jahr zuvor erschienenen, der aber einen geeigneteren Titel hat: Epochen als Sinnkonzepte historischer Entwicklung und die Kategorie der Neuzeit, in: Jörn Rüsen (Hrsg.), Zeit deuten. Perspektiven, Epochen, Paradigmen, Bielefeld 2003, S. 313-354. Zitate S. 323, 345.

[36] Jaeger, Neuzeit, S. 524. Hervorhebung im Original. „Zeitgeschichte“ und „Postmoderne“ lehnt Jaeger aus unterschiedlichen, aber guten Gründen ab.

[37] Martin Broszat, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 9f., hier S. 10. Das nächste Zitat ebd. Broszat konnte nicht nur nicht wissen, dass sich schon bald mit dem Mauerfall eine neue Zäsur ereignen würde, sondern er erlebte sie auch nicht mehr.

[38] Siehe Frank Bösch, Das historische Ereignis, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 12.05.2020, https://www.docupedia.de/zg/Boesch_ereignis_v1_de_2020 [14.05.2025].

[39] Lutz Raphael, 1945 als langjährige Zäsur der Zeitgeschichte. Nationale, europäische und globale Perspektiven im Vergleich, in: Indes. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 2018/1, S. 75-87, hier S. 76.

[40] Wie das in der Praxis vor sich geht, kann man bei Jürgen Osterhammels Vortrag zum 60. Geburtstag von Angela Merkel an den beiden Beispielen Französische und Industrielle Revolution verfolgen: Vergangenheiten. Über die Zeithorizonte der Geschichte. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum 60. Geburtstag [2014], in: ders., Die Flughöhe der Adler. Historische Essays zur globalen Gegenwart, München 22017, S. 183-202, online https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/rede-osterhammel-berliner-gespraech-spezial.pdf?file=1 [14.05.2025].

[41] Osterhammel, Verwandlung, S. 96f. Für Raphael, 1945, S. 87, ist „1945“ wegen des inzwischen weltweit anerkannten Zivilisationsbruchs, den der Holocaust darstellt, eine globale Zäsur seit der Stockholmer Erklärung vom Januar 2000. Allerdings gehören der International Holocaust Remembrance Alliance gerade einmal 34 Staaten an, ganz überwiegend aus Europa.

[42] Am bekanntesten ist wohl immer noch: Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), S. 1-8, https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1953_1_1_rothfels.pdf [14.05.2025]

[43] Dipper, 1917, S. 99.

[44] In diesem Beitrag werden „Zäsur“ und „Zeitenwende“ als komplementär betrachtet. Martin Sabrow sieht das anders: „Zäsuren strukturieren unser Leben, Zeitenwenden stellen es in Frage“. Martin Sabrow, Zeitenwenden in der Zeitgeschichte, Göttingen 2023, S. 21.

[45] Pressemitteilung der Gesellschaft für deutsche Sprache, 09.12.2022.

[46] Als „Kompensation“ (Marquard) oder „Ausfluss des Medienzeitalters“ (Sabrow). Odo Marquard, Temporale Positionalität. Zum geschichtlichen Zäsurbedarf des modernen Menschen, in: Reinhart Herzog/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, München 1987, S. 343-352. Martin Sabrow, Zäsuren in der Zeitgeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, http://docupedia.de/zg/sabrow/_zaesuren_v1_de_2013.pdf [14.05.2025].

[47] Manfred Berg, Der 11. September 2001 – eine historische Zäsur?, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), S. 463-474, https://zeithistorische-forschungen.de/3-2011/4411 [14.05.2025]

[48] Hubert Wetzel, Freitag, der 28., in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 51, 03.03.2025, S. 4. Am 28. Februar 2025 fertigten US-Präsident Trump und Vizepräsident Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor laufenden Kameras ab und warfen ihn anschließend aus dem Weißen Haus. In der Zusammenfassung des Artikels heißt es: „Es gibt Tage, nach denen die Geschichte anders verläuft als davor“. Gibt es eine treffendere Beschreibung von „Zäsur“? Jürgen Habermas spricht von „Epochenbruch“: Jürgen Habermas, Für Europa, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 68, 22./23.03.2025, S. 16f., hier S. 16.

[49] Martin Sabrow, Der Zeitraum der Zeitgeschichte, in: Quo vadis Zeitgeschichte? Atelier Journée d’études franco-allemande de jeunes chercheurs. S. 11, online https://zzf-potsdam.de/sites/default/files/mitarbeiter/PDFs/sabrow/vortrag_martin_sabrow_der_zeitraum_der_zeitgeschichte_01_10_2014_paris.pdf [14.05.2025].

[50] Ebd., S. 13.

[51] Sabrow, Zäsuren.

[52] Sabrow, Zeitraum, S. 13.

[53] Siehe jedoch Joachim Rückert, Art. „Periodisierung“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4/2, Berlin ²2017, Sp. 466-471, hier Sp. 469. Ferner Thomas Vormbaum, Juristische Zeitgeschichte. Darstellungen und Deutungen, Münster 2011.

[54] Ein Beispiel hierfür lieferte Edgar Wolfrum mit den fünf Bänden der Serie „Deutschland im Fokus“: Die 50er Jahre: Kalter Krieg und Wirtschaftswunder; Die 60er Jahre: Eine dynamische Gesellschaft; Die 70er Jahre: Republik im Aufbruch; Die 80er Jahre: Globalisierung und Postmoderne; Die 90er Jahre: Wiedervereinigung und Weltkrisen, Darmstadt 2006-2008.

[55] Statt vieler Belege sei genannt Christoph Cornelißen, Europa im 20. Jahrhundert (Neue Fischer Weltgeschichte, Bd. 7), Frankfurt a.M. 2020.

[56] Ernst Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme. Erstes Buch: Das logische Problem der Geschichtsphilosophie [1922], hg. v. Friedrich Wilhelm Graf und Matthias Schloßberger (Troeltsch; Kritische Gesamtausgabe, Bd. 16/2), Berlin 2008, S. 1080. Die Aussage findet sich schon in einem Aufsatz von 1920. Von „wirklich objektiver Periodisierung“ wird man heute freilich nicht mehr sprechen wollen.

[57] Otto Hintze, Wesen und Wandlung des modernen Staats [1931], in: ders., Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Bd. 3: Staat und Verfassung, hg. v. Gerhard Oestreich, Göttingen 31970, S. 470-496, hier S. 474. Das nächste Zitat S. 489. Dieser Vortrag für die Preußische Akademie der Wissenschaften darf als Schlüsseldokument für Hintzes Staatstheorie gelten. Dazu jetzt: Andreas Anter/Hinnerk Bruhns (Hrsg.), Otto Hintzes Staatssoziologie. Historische Prozesse, theoretische Perspektiven, Baden-Baden 2024, sowie Hans Joas/Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Otto Hintze. Werk und Wirkung in den historischen Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2024.

[58] Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999.

[59] Charles S. Maier, Leviathan 2.0. Inventing Modern Statehood, Cambridge/Mass. 2014; ders., Once within Borders. Territories of Power, Wealth and Belonging since 1500, Cambridge/Mass. 2016; ders., The Project-State and its Rivals. A New History of 20th and 21st Centuries, Cambridge/Mass. 2023.

[60] Lutz Raphael, Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin 2019.

[61] Ders., Transformations of Industrial Labour in Western Europe. Intergenerational Change of Life Cycles, Occupation and Mobility 1970-2000, in: German History 30 (2012), S. 100-119, hier S. 101.

[62] Vgl. Georg Spitzlberger/Claus D. Kernig, Art. „Periodisierung“, in: Claus D. Kernig (Hrsg.), Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. 4, Freiburg/Br. 1971, Sp. 1135-1160.

[63] Viel Anschauungsmaterial gegen diese grobschlächtige Deutung jetzt bei Christof Dipper, Die Entdeckung der Gesellschaft. Sattelzeit in Europa, 1770-1850, Berlin 2023.

[64] Maßgeblich wegen seiner weithin anerkannten Modellbildung: Gøsta Esping-Andersen, The Three Worlds of Welfare Capitalism, New York 1989. Beispielhaft für Horizont und analytische Tiefe: Hartmut Kaelble, Das soziale Europa. Europäische Sozialpolitik und nationale Wohlfahrtsstaaten, 1883-2020, Frankfurt a.M. 2024.

[65] Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 5 Bde., München 1987-2008.

[66] W[alt] W[hitman] Rostow, The World Economy. History and Prospect, Austin/London 1978.

[67] Ders. (Hrsg.), The Economics of Take-Off into Sustained Growth, London 1963. Die dort präsentierten Zahlenreihen wurden später für viele Länder bestritten bzw. korrigiert.

[68] Osterhammel, Periodisierung, S. 58.

[69] So bei Friedrich Lenger, Der Preis der Welt. Eine Globalgeschichte des Kapitalismus, München 2023.

[70] Daniel R. Headrick, Technology. A World History, Oxford 2009, Kap. 8: Toward a Postindustrial World (1939-2007). Headrick kennt überhaupt nur die „erste Industrielle Revolution“ von 1750 bis 1869 und danach eine nicht näher qualifizierte Zwischenphase bis 1939. Für die Soziologie wohl am berühmtesten und jedenfalls am frühesten: Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York 1975. Im englischen Original von 1973 gibt es einen Untertitel, der die Zukunftsperspektive betont: A Venture in Social Forecasting.

[71] Für das Folgende stütze ich mich im Wesentlichen auf Jens Ivo Engels, Umweltgeschichte als Zeitgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2006, Nr. 13, S. 32-38, online https://freidok.uni-freiburg.de/files/4609/Nrcjui5JwAIRCQwh/Engels_Umweltgeschichte_als_Zeitgeschichte.pdf [14.05.2025].

[72] Siehe Rolf Peter Sieferle, Rückblick auf die Natur. Eine Geschichte des Menschen und seiner Umwelt, München 1997. In diesem Buch läuft alles auf die „große Transformation“ (Überschrift von Teil 3) hinaus, die eingeleitet wird mit der „Wandlung des Energiesystems“.

[73] So Sandra Maß, Zukünftige Vergangenheiten. Geschichte schreiben im Anthropozän, Göttingen 2024. Sie ist „davon überzeugt, dass die bevorstehenden planetarischen Veränderungen eine Anpassung von Theorie, Methodik und Gegenstandsbereich der Geschichtswissenschaft erfordern“, obwohl „das Anthropozän für die Geschichtswissenschaft keine neue Epoche ist“. Ebd., S. 28, 178.

[74] Christian Pfister, Das 1950er Syndrom. Der Weg in die Konsumgesellschaft, Bern u.a. 1995.

[75] Dazu kritisch: Jens Ivo Engels, Modern Environmentalism, in: Frank Uekoetter (Hrsg.), The Turning Points of Environmental History, Pittsburgh 2010, S. 119-131.

[76] „Periodisierungsnihilismus“ lautet der Vorwurf Osterhammels in seiner Rezension von Wolfgang Behringer. Der große Aufbruch. Globalgeschichte der Frühen Neuzeit, München 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 7/8, https://www.sehepunkte.de/2024/07/36769.html [14.05.2025].

[77] Christopher A. Bayly, The Birth of the Modern World, 1780-1914. Global Connections and Comparisons, Oxford 2004 (deutsch 2006); ders., Remaking the Modern World 1900-2015. Global Connections and Comparisons, Hoboken, N.J. 2018. Die „Long 1980’s“ werden ab S. 162ff. behandelt.

[78] Osterhammel, Periodisierung, S. 64.

[79] Ders., Verwandlung, S. 87. Hervorhebungen im Original.

[80] Osterhammel, Periodisierung, S. 45.

[81] Neben den bereits genannten Titeln sei noch hingewiesen auf Helmut Bley, Periodisierung, globale, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 9, Stuttgart 2009, Sp. 962-974; William A. Green, Periodization in European and World History, in: Journal of World History 3 (1992), S. 13-53; Thomas Kohl/Steffen Patzold, Vormoderne – Moderne – Postmoderne? Überlegungen zu aktuellen Periodisierungen in der Geschichtswissenschaft, in: Thomas Kühtreiber/Gabriele Schichte (Hrsg.), Kontinuitäten, Umbrüche, Zäsuren. Die Konstruktion von Epochen in Mittelalter und früher Neuzeit in interdisziplinärer Sichtung, Heidelberg 2016, S. 23-42.

[82] Drei Beispiele neuesten Datums mögen genügen: Victor Sebestyen, 1946. Das Jahr, in dem die Welt neu entstand, Berlin 2015 (engl. Original 2014); Adam Tooze, Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916-1931, München 2015 (engl. Original 2014). Zur kalkulierten Provokation zählt auch das 2019 entstandene „1619 Project“. Damals startete die New York Times-Redakteurin Nikole Hannah-Jones das bald schon mit dem Pulitzerpreis gekrönte „1619 Project“, mit dem sie die herkömmliche heroische, auf 1776 als Gründungsdatum fixierte US-Selbstdarstellung im Interesse der grundlegenden Bedeutung der Sklaverei für dieses Land verschieben möchte: 1619 wurden die ersten Sklaven in die Kolonie Virginia gebracht. Vgl. Nikole Hannah-Jones (Hrsg.), 1619. Eine neue Geschichte der USA, München 2022.

[83] Winfried Barner, Zum Problem der Epochenillusion, in: Herzog/Koselleck (Hrsg.), Epochenschwelle, S. 517-529, hier S. 527.

[84] Zum Auf-, Fort- und Umschreiben der Geschichte durch Erfahrungswandel: Reinhart Koselleck, Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze [1988], in: ders., Zeitschichten, S. 27-77. Eine gewisse Korrektur an Koselleck bei Dieter Langewiesche, Über das Umschreiben der Geschichte. Zur Rolle der Sozialgeschichte, in: Jürgen Osterhammel/Dieter Langewiesche/Paul Nolte (Hrsg.), Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2008, S. 67-80.

[85] Troeltsch, Historismus, S. 1081.

[86] Theodor Lessing, Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, München 1919.

[87] Dazu Ute Schneider, Spurensuche. Reinhart Koselleck und die Moderne, in: dies./Lutz Raphael (Hrsg.), Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christof Dipper, Frankfurt a.M. 2008, S. 61-72.

[88] Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. XIII-XXVII, hier S. XIVf.

[89] „Das Bewußtsein, um 1800 herum an einer epochalen Wende zu stehen, war allgemein.“ Ders., Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt [1977], in: ders., Vergangene Zukunft, S. 176-207, hier S. 199.

[90] Dazu Winfried Schulze, „Non, Sire, c’est une révolution“. Zur Geschichte eines berühmten Zitats, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 40 (1989), S. 777-788; ders., Der 14. Juli 1789. Biographie eines Tages, Stuttgart 1989.

[91] František Graus, Epochenbewußtsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung, in: Herzog/Koselleck (Hrsg.), Epochenschwelle, S. 153-166, hier S. 165. Die Kategorie des „Westens“ als Denkfigur kam übrigens erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch, rückte aber erst nach 1945 in seine heute für selbstverständlich gehaltene prominente Rolle, begleitet von entsprechender Abwertung des „Orients“.

[92] Jüngstes Beispiel ist Kai Vogelsang, Kleine Geschichte Chinas, Ditzingen 22019, Kap. 3: Das chinesische Mittelalter.

[93] Osterhammel, Verwandlung, S. 93.

[94] Ebd., S. 131.

[95] Ebd., S. 87.

[96] Eric Hobsbawm, Europäische Revolutionen, Zürich 1962; ders., Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1995.

[97] Troeltsch, Historismus, S. 1080.

[98] Friedrich Lenger, Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung 1849-1870/71 (Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 15), Stuttgart 2003. Lenger behandelt zunächst die Wirtschaftsgeschichte und kommt erst auf Seite 257, also nach der Hälfte, auf die Politik zu sprechen. Kann man besser demonstrieren, dass die konventionelle politische Datierung ungeeignet ist?

[99] Reinhart Koselleck im Gespräch mit Christof Dipper, S. 196.

[100] Osterhammel, Periodisierung, S. 56f.

[101] Hans Rothfels, Zeitgeschichte, S. 2. Die Überzeugungskraft dieses Vorschlags lag laut Jan Eckel darin, dass er „eine Selbstverortung bot, die die Erfahrungsbezüge hinter das Datum 1917 ausdehnte und gleichzeitig die post-nationalsozialistische Weltkonstellation zurückprojizierte“. Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005, S. 323. Die Dominanz dieser Subdisziplin erhellt sich etwa aus den Sektionen der Historikertage. In München (2021) belief sich der Anteil der zeitgeschichtlichen Sektionen am Gesamt auf 31%, zusammen mit den Sektionen zur Neueren und Neuesten Geschichte, die großenteils das 20. Jahrhundert betrafen, stieg er sogar auf 58%. Für Leipzig (2023) lauten die entsprechenden Zahlen 15% bzw. 51%.

[102] Hans-Peter Schwarz, Die neueste Zeitgeschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 51 (2003), S. 5-28, online https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2003_1_2_schwarz.pdf [14.05.2025].

[103] „Unsere ‚ältere Zeitgeschichte‘ mit den Marksteinen von 1914 und 1917/18, von 1923 und 1933, von 1939 und 1945 [ist] tatsächlich höchst präsent, ja grundlegend geblieben.“ Karl Dietrich Bracher, Es begann mit der Weimarer Erfahrung, ebd., S. 1-4, hier S. 2; das vorige Zitat S. 1, online https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2003_1_1_bracher.pdf [14.05.2025].

[104] Ministero dell’Universitá e della Ricerca, Decreto Ministeriale n. 639 del 02-05-2024, https://www.mur.gov.it/it/atti-e-normativa/decreto-ministeriale-n-639-del-02-05-2024 [14.05.2025].

[105] Der Blick auf die Selbstdarstellungen zeitgeschichtlicher Zeitschriften hilft da nicht weiter. „Contemporary History“ nimmt nur Beiträge für die Zeit nach 1930, „Contemporary European History“ nach 1918, „Current History“ dagegen ab 1914. Die deutschsprachigen zeitgeschichtlichen Zeitschriften versichern, das gesamte 20. Jahrhundert zu behandeln („Zeithistorische Forschungen“) oder seit Beginn des Ersten Weltkriegs („Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“) bzw. schweigen sich zum chronologischen Rahmen aus („Österreichische Zeitschrift für Zeitgeschichte“). Genauere Blicke auf die Subdisziplin „Zeitgeschichte“ in unseren Nachbarländern finden sich hier: https://www.docupedia.de/zg/kategorie/Länder [14.05.2025].

[106] „Zehn Jahre nach dem Umbruch [von 1932/33] war die Realität so eindeutig erschütternd, daß die Bezeichnung ‚Umbruch‘ schon ein Understatement geworden war.“ Moshe Zimmermann, Deutsche Juden und deutsche Umbrüche, in: Dietrich Papenfuß/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Deutsche Umbrüche im 20. Jahrhundert, Köln 2000, S. 19-29, hier S. 28.

[107] Die Schüsse von Sarajevo bedeuteten jedenfalls für die Zeitgenossen keine Zäsur. Kaiser Wilhelm II. begab sich danach noch auf die übliche Nordlandreise. Erst im Rückblick wurde der 28. Juni 1914 zum Epochendatum. Das rekonstruiert Bernd Sösemann, Der Anlaß: Der Erste Weltkrieg, in: Holm Sundhaussen/Hans-Joachim Torke (Hrsg.), 1917-1918 als Epochengrenze?, Wiesbaden 2000, S. 11-28.

[108] Dazu Arndt Brendecke, Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt a.M./New York 1999, Kap. 11.

[109] René Rémond, Notre siècle, 1918-1988, Paris 1988; François Caron, La France des patriotes de 1851 à 1918, Paris 1985; Edgar J. Feuchtwanger, Democracy and Empire. Britain 1865-1914, London 1985; Giovanni Sabbatucci/Vittorio Vidotto (Hrsg.), Storia d’Italia, Bd. 3: Liberalismo e democrazia (1887-1914), Rom/Bari 1995; dies. (Hrsg.), Storia d’Italia, Bd. 4: Guerre e fascismo (1914-1943), Rom/Bari 1997. Mit der Jahreszahl 1943 wird, nebenbei bemerkt, wieder einmal die radikale Phase des Faschismus, die Republik von Salò, aus der Geschichte des italienischen Faschismus eskamotiert. Sie kommt im folgenden Band auf gerade einmal fünf Seiten zur Sprache: dies. (Hrsg.), Storia d’Italia, Bd. 5: La Repubblica (1943-1963), Rom/Bari 1997, S. 29-33.

[110] Das ist keine ganz neue Erkenntnis. Der Wittenberger Kirchenhistoriker Johann Matthias Schröckh polemisierte 1768 gegen die in der Nachfolge der berühmten „Magdeburger Centurien“ hypostasierte Bedeutung der Jahrhunderte: „Mit einem neuen Jahrhunderte geht nicht sogleich eine neue Gestalt der Welt an: viele Unternehmungen entwickeln sich erst spät in denselben, welche lange vorher in dem verflossenen waren angefangen worden.“ Johann Matthias Schröckh, Christliche Kirchengeschichte, Bd. 1, Frankfurt a.M./Leipzig 1768, S. 292; zit. n. Burkhardt, Entstehung, S. 88.

[111] Dazu Manfred Hettling, Der Mythos des kurzen 20. Jahrhunderts, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 49 (1998), S. 327-345. Inzwischen können sogar Jahre „lang“ oder „kurz“ sein. Die „Westfälischen Forschungen“ haben ein Themenheft „Das lange 1933“ zusammengetragen, hg. von Philipp Erdmann und Sabine Mecking, und zwar „in begrifflicher Anlehnung an Eric Hobsbawm“. Aber der Beitrag von Annika Hartmann und Jan Neubauer behandelt „Krise und nationalsozialistischer ‚Aufbruch‘. Die Stadtverwaltungen Münster und München im ‚kurzen Jahr 1933‘“. Westfälische Forschungen 73 (2023), S. 97-126.

[112] Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Er schildert einleitend „das Jahrhundert aus der Vogelschau“ S. 13-33, dessen Einheit darin bestehe, dass „die Welt, die Ende der achtziger Jahre in Stücke brach, […] von den Auswirkungen der Russischen Revolution 1917 geprägt worden war“; ebd., S. 18.

[113] Dass die kommunistische Geschichtsschreibung 1917 als Schlüsseljahr betrachtete, versteht sich von selbst. Es gilt als „Beginn der eigentlichen Weltgeschichte“. Spitzlberger/Kernig, Periodisierung, Sp. 1147.

[114] Für einen „globalen Moment“ hält dagegen Ewald Frie das Jahr 1918 auch noch aus heutiger Sicht: Ewald Frie, 100 Jahre 1918/19. Offene Zukünfte, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 15 (2018), H. 1, S. 98-114, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2018/5561 [14.05.2025].

[115] Rothfels, Zeitgeschichte, S. 6f.

[116] Jörn Leonhard, Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923, München 2018, S. 1276. Siehe auch Robert Gerwarth, Die Besiegten. Das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs, München 2017. Thema ist das von verschiedenen Wellen paramilitärischer Gewalt heimgesuchte Mittel-, Ost- und Südosteuropa zwischen 1917 und 1923.

[117] Raphael, 1945, S. 87.

[118] Genannt seien nur Sabrow, Zäsuren, sowie ders., Zeitenwenden, S. 31ff.

[119] Sabrow unterscheidet: „Zäsuren strukturieren unser Leben, Zeitenwenden stellen es in Frage“; Zeitenwenden, S. 21.

[120] Anselm Doering-Manteuffel, Die deutsche Geschichte in Zeitbögen des 20. Jahrhunderts, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014), S. 321-348, hier S. 324, online https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2014_3_1_doering-manteuffel.pdf [14.05.2025].

[121] Ebd., S. 342.

[122] Ebd., S. 347f.

[123] Mehr dazu bei Christof Dipper, Moderne, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 17.01.2018, http://docupedia.de/zg/Dipper_moderne_v2_de_2018 [14.05.2025].

[124] Hobsbawm, Zeitalter, S. 503.

[125] Das ist inzwischen in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen worden. Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen, ³2012 [zuerst 2008]. Ferner dies./Thomas Schlemmer (Hrsg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, sowie Morten Reitmayer/Thomas Schlemmer (Hrsg.), Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in Westeuropa nach dem Boom, München 2014.

[126] Eine kluge Kritik aller „Postismen“ – „Ich will der Vorsilbe Post- den Kultstatus streitig machen, über den sie – in welcher Kombination auch immer – zu verfügen scheint“ – bei Dieter Thomä, Post-. Nachruf auf eine Vorsilbe, Berlin 2025. Zitat S. 25, Hervorhebung im Original.

[127] Hobsbawm, Zeitalter, S. 21.

[128] Beispielhaft für den Historischen Materialismus sind die Ausführungen des einflussreichen Historikers Ernst Engelberg in dem von ihm mitherausgegebenen Sammelband: Genese und Gültigkeit von Epochenbegriffen. Theoretisch-methodologische Prinzipien der Periodisierung, Berlin (DDR) 1973, S. 5-23. In These 10 heißt es: „[…] Die Periodisierung soll die Entwicklung und Lösung von Widersprüchen, die sich in der Dialektik von Produktivkräften, Produktions- und Klassenverhältnissen und ihren Überbauerscheinungen zeigen, im Zusammenhang mit der gesetzmäßigen Abfolge der Gesellschaftsformationen und deren verschiedenen qualitativen Phasen zum Ausdruck bringen. Stets zielt die Periodisierung darauf ab, qualitative Veränderungen im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts zu kennzeichnen.“ Ebd., S. 6f. Engelberg war Professor und Mitglied der SED-Parteileitung der Humboldt-Universität, ferner zugleich Direktor der Forschungsstelle für Methodologie und Geschichte der Geschichtswissenschaft an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Außerdem war er damals Präsident des Nationalkomitees der Historiker der DDR.

 

 

Empfohlene Literatur zum Thema

Christof Dipper, Moderne, V ersion: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 17.01.2018, http://docupedia.de/zg/Dipper_moderne_v2_de_2018

Chris Lorenz, Der letzte Fetisch des Stamms der Historiker. Zeit, Raum und Periodisierung in der Geschichtswissenschaft, in: Fernando Esposito (Hrsg.), Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017, S. 63-92

Martin Sabrow, Zäsuren in der Zeitgeschichte. Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte 03.06.2013 http://docupedia.de/zg/sabrow_zaesuren_v1_de_2013

Martin Sabrow, Zeitenwenden in der Zeitgeschichte, Göttingen 2023

 

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