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Klaus Nathaus

Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft

Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 24.09.2012
https://docupedia.de//zg/Sozialgeschichte_und_Historische_Sozialwissenschaft

DOI: https://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.268.v1

Artikelbild: Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft

Gesellschaften sind in Bewegung - darüber gibt es in der Geschichtswissenschaft keine zwei Meinungen. Ob sie sich allerdings nach oben oder unten bewegen und in Fahrstühlen fahren, über solche und weitere Fragen wird in der historischen Sozialwissenschaft ausgiebig diskutiert. Bild: ©Docupedia.

Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft gehören sicherlich zu den prägendsten Methoden und Forschungsfeldern der Zeitgeschichte, auch wenn sie Ende der 1980er-Jahre in die Kritik der aufsteigenden Kulturgeschichte gerieten. Klaus Nathaus verweist auf vier Gebiete, in denen sich die Sozialgeschichte derzeit neu erfindet: die Wiederentdeckung „großer” Themen wie Ungleichheiten, Globalisierung, Arbeit, Märkte und Kapitalismus; theoriegeleitete Arbeiten zu historischem Wandel, Prozessen und Kontinuitäten im Anschluss an die „historical sociology“; die Analyse sozialer Beziehungen sowie die Untersuchung einer zunehmend medialisierten Selbstbeobachtung von Gesellschaft.

Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft

von Klaus Nathaus

Bereits ein kurzer Blick in die reiche programmatische Literatur und in die nicht zu überschauende Zahl von empirischen Studien, die im Bereich der Sozialgeschichte bzw. Historischen Sozialwissenschaft zu verorten sind, verdeutlicht, dass eine genaue Definition des damit verbundenen Forschungsansatzes schwerfallen muss. Zudem haben sich Gegenstandsbereich, Leitfragen, Theorien und Methoden der Sozialgeschichte – fortan soll der prominentere der beiden Termini als Oberbegriff verwendet werden – in den gut fünfzig Jahren, in denen sie einen in der Disziplin mal mehr, mal weniger einflussreichen Diskussionszusammenhang stiftet, verändert. Verlagert haben sich zudem die Positionen in der historiografischen Debatte. Profilierte sich die neue Sozialgeschichte der 1970er-Jahre erfolgreich gegenüber der etablierten Politikgeschichte, geriet sie in den 1980er- und 1990er-Jahren selbst in die Kritik einer aufsteigenden Kulturgeschichte. Das Interesse an dieser zeitweilig heftig geführten Auseinandersetzung hat mittlerweile stark nachgelassen und die Balance sich so weit zugunsten kulturgeschichtlicher Themen und Herangehensweisen verschoben, dass eine Neuerscheinung zum Thema die Frage im Titel trägt: „Wozu noch Sozialgeschichte?”[1] Vor diesem Hintergrund lohnt ein Rückblick auf die Entwicklung dieses Ansatzes, um Leitfragen und Themen, Vorannahmen und Methoden zu identifizieren, an die eine selbstreflexive, multiperspektivische Forschung von Gesellschaft im Wandel heute anknüpfen kann.

Zur ersten Orientierung auf dem Feld sozialhistorischer Forschung kann eine grobe Unterteilung entlang zweier Achsen vorangestellt werden, auf die im Folgenden wiederholt Bezug genommen wird. Zum einen kann man nach dem Gegenstandsbereich unterscheiden zwischen einer Sozialgeschichte als Geschichte der gesellschaftlichen Beziehungen im Raum jenseits von Staat und Wirtschaft („Sektorwissenschaft”) und einer Sozialgeschichte als Gesellschaftsgeschichte.[2] Erstere untersucht die Entstehung, den Wandel und das Verhältnis zwischen sozialen Gruppen, Klassen, Schichten, Milieus, Generationen, Geschlechtern etc., die Geschichte vergangener Lebensbedingungen und Lebensweisen (Demografieentwicklung, Ernährung, Familie, Wohnen, Mobilität, Erziehung, Professionalisierung, Arbeitsverhältnisse, Freizeitverhalten etc.) sowie Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation (Vereine, Verbände, Gewerk- und Genossenschaften, soziale Bewegungen, Parteien). Sozialgeschichte als Gesellschaftsgeschichte betrachtet die Geschichte ganzer Gesellschaften und beansprucht die Synthese von Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Historischer Wandel wird aus dem Wechselspiel dieser gesellschaftlichen Teilbereiche heraus erklärt, wobei sozioökonomischen „Basisprozessen” wie Industrialisierung oder Klassenkampf eine wichtige, aber durchaus nicht für jede historische Zeit vorrangige Bedeutung beigemessen wird.

Zum anderen kann man im Feld der Sozialgeschichte differenzieren nach dem Grad der Intensität, mit der sich die historische Forschung mit Theorien und Methoden der benachbarten Sozialwissenschaften auseinandersetzt. Das Spektrum reicht dabei von Studien, die einzelne, aus dem größeren Theoriezusammenhang herausgelöste Konzepte aus Soziologie, Ökonomie oder Politikwissenschaft zur Erschließung historischer Phänomene nutzen, bis hin zu Arbeiten der Historischen Soziologie und Historischen Sozialforschung (Kliometrie), die selbst Theoriebildung betreiben und häufig disziplinär in den Sozialwissenschaften verortet sind.[3]

Welchen Gegenstandsbereich Sozialgeschichte jeweils für sich beanspruchte, wie intensiv der Austausch mit den Sozialwissenschaften war und was Sozialgeschichte über diese grobe Einteilung hinaus jeweils ausmachte, zeichnet sich in innerdisziplinären Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Ansätzen ab. Deshalb wird im ersten Teil des Artikels die Entwicklung der historiografischen Debatte um Sozialgeschichte skizziert. Der Fokus liegt auf der westdeutschen Sozialgeschichte der 1970er-Jahre, die als Minderheitenposition nachhaltigen Einfluss auf die gesamte Geschichtswissenschaft hierzulande ausgeübt hat und nach wie vor für diese Forschungsrichtung steht. Nur ganz am Rande wird auf Einflüsse insbesondere der US-amerikanischen, britischen und französischen Sozialgeschichte verwiesen, obwohl sich ohne sie die deutsche Entwicklung kaum angemessen verstehen lässt. Im Rahmen dieses Artikels kann jedoch diesem Aspekt nicht weiter nachgegangen werden.[4] Betrachtet wird ausschließlich die Forschung zur Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Der zweite Teil des Artikels zieht Bilanz und verweist auf Bemühungen in jüngerer Zeit, über die Hinwendung zu Themen wie Globalgeschichte, soziale Ungleichheit und Kapitalismus sowie durch einen neuerlichen Austausch mit den Sozialwissenschaften die Sozialgeschichte neu zu beleben.

Sozialgeschichte im innerdisziplinären Disput und interdisziplinären Dialog

Die Vorläufer und die Ausgangslage nach 1945: Fachwissenschaftliche Differenzierung und Diskontinuität der Sozialgeschichte

Sozialgeschichte ist keine Erfindung der 1960er-Jahre, weder in Deutschland noch andernorts. Wer nach Ursprüngen und Vorläufern der zuweilen als „neu” oder „modern” bezeichneten Sozialgeschichte sucht, wird in das 19. Jahrhundert zurückgehen müssen. Dort findet man zum einen Arbeiten, die sich haupt- oder nebensächlich mit den Lebensbedingungen, Sitten, Gebräuchen, dem Glauben und den Protestformen „einfacher Leute” beschäftigen. Zum anderen, und dieser Strang erwies sich als folgenreicher, stößt man auf Autoren wie Karl Marx, Émile Durkheim, Max Weber und Georg Simmel, die aus der vom Historismus geprägten Geisteswissenschaft heraus eine eigene Disziplin begründeten, welche die wissenschaftliche Zuständigkeit für den Gegenstandsbereich „Gesellschaft” beanspruchte. Diese frühen Soziologen, aber auch Vertreter der Historischen Schule der Nationalökonomie wie Werner Sombart, betrachteten soziale Phänomene in historischer Perspektive und beschäftigten sich mit Themen vom Vereinswesen über den Kapitalismus bis zu den sozialen Klassen, die auch für die jüngere Sozialgeschichte von hohem Interesse sind. Mit der Etablierung der Soziologie, dem Sieg der klassischen Ökonomie über die Historische Schule sowie der Institutionalisierung der Politikwissenschaft in der Zwischenkriegszeit differenzierte sich die anfängliche Gemengelage aus. Die sozialwissenschaftlichen Disziplinen schärften ihre jeweils eigenen analytischen Instrumentarien und Theorien und bildeten eigene Fachidentitäten aus, notwendigerweise in Abgrenzung zu den Nachbarwissenschaften.[5]

Für die Sozialgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg folgte aus der bis dahin abgeschlossenen fachwissenschaftlichen Differenzierung, dass sie sich im interdisziplinären Dialog neu konstituierte. Das gilt für Deutschland in besonderem Maße. Denn anders als etwa in Frankreich – wo die „Annales”-Schule, die sich verstärkt mit der Wirtschaftsgeschichte und mit langfristigen Strukturentwicklungen befasste, die gesamte Zwischenkriegszeit hindurch methodisch innovativ wirkte und großen Einfluss auf die Disziplin ausübte – hatten hierzulande sozialgeschichtliche Ansätze in der politikgeschichtlich geprägten Fachwissenschaft ohnehin nur eine Randstellung eingenommen. Sofern ihre Vertreter nach 1933 nicht ins Exil gingen, mündete die deutsche Sozialgeschichte in die „Volksgeschichte”.

Neubelebung der Sozialgeschichte in der Strukturgeschichte

Ungeachtet der strittigen Frage, inwieweit die Sozialgeschichte nach 1945 methodisch und theoretisch an die „Volksgeschichte” anschloss,[6] gab es personelle Kontinuitäten. So war es Werner Conze, ein Historiker, der im „Dritten Reich” Beiträge zur „Volksgeschichte” veröffentlicht hatte, der nach dem Krieg als einer der Ersten seiner Zunft Schritte zur Etablierung einer neueren Sozialgeschichte unternahm. Die von ihm, Theodor Schieder und Otto Brunner vertretene Strukturgeschichte (eine Übersetzung von Fernand Braudels „histoire des structures”[7]) machte Themen wie etwa die Arbeitergeschichte hoffähig, die von der dominierenden Politikgeschichte vernachlässigt wurden. In konzeptionellen Schriften bzw. Vorträgen plädierte man für eine integrative Sozialgeschichte, welche die durch Wirtschaft und Technik ausgelösten, die Gesellschaft prägenden Tendenzen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen und den Austausch mit den Sozialwissenschaften suchen sollte.

Die Strukturgeschichte nahm damit bereits einige Punkte des sozialgeschichtlichen Programms der 1960/70er-Jahre vorweg, blieb aber die Umsetzung in empirische Forschungen weitgehend schuldig. Größere Bedeutung für die weitere Entwicklung der Sozialgeschichte dürfte die Strukturgeschichte in institutioneller Hinsicht gehabt haben. Conze gründete das Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie 1957 den damit eng verbundenen Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte, der wiederum die Schriftenreihe „Industrielle Welt” herausgab. Diese Gründungen boten Gelegenheitsstrukturen für Historiker, die sich abseits des politikgeschichtlichen „mainstream” bewegten. Conzes und Schieders förderlicher Einfluss auf die Sozialgeschichte lässt sich ferner daran ablesen, dass sie eine Vielzahl von Doktoranden auf den Weg brachten, die später Lehrstühle besetzen sollten. Zu Schieders Schülern gehörte Hans-Ulrich Wehler, der ab Mitte der 1960er-Jahre die Weiterentwicklung der Sozialgeschichte in Richtung einer „Historischen Sozialwissenschaft” vorantrieb.[8]

Kritische Sozialgeschichte, Historische Sozialwissenschaft, Gesellschaftsgeschichte: Die Hochzeit der neuen Sozialgeschichte von Mitte der 1960er bis in die frühen 1980er-Jahre

Der von Wehler 1966 in der „Neuen Wissenschaftlichen Bibliothek” herausgegebene Band „Moderne deutsche Sozialgeschichte” reflektiert den allmählichen Übergang von der Struktur- zur neuen Sozialgeschichte. Auf der einen Seite ist Conze, den der Herausgeber in seiner Einleitung als frühen Förderer der sozialgeschichtlichen Diskussion würdigt, gleich mit zwei Beiträgen vertreten, darunter ein programmatischer mit dem Titel „Sozialgeschichte”. Auf der anderen Seite fällt die Bemühung Wehlers auf, Sozialgeschichte als „kritische” und „politische […] Wissenschaft” zu definieren, die eine „wichtige Funktion in der geistigen Ökonomie der gegenwärtigen Gesellschaft” erfülle.[9] In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre war das Feld mithin noch relativ ungeordnet. Das zeigt auch Hans Rosenbergs Einschätzung aus dem Jahr 1969, der – durchaus als ein Befürworter des sozialgeschichtlichen Trends – feststellte, dass „die sog. Sozialgeschichte für viele ein nebuloser Sammelname für alles” geworden sei, „was in der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik als wünschenswert und fortschrittlich angesehen wird”.[10]

1971 wurde Wehler als Gründungsdekan der Fakultät für Geschichtswissenschaft an die Universität Bielefeld berufen, die zwei Jahre zuvor ihren Betrieb aufgenommen hatte. Gemeinsam mit Jürgen Kocka, aber auch Reinhart Koselleck, dessen Begriffsgeschichte sich der Sozialgeschichte verbunden fühlte, betrieb er von dort aus die Weiterentwicklung der Sozialgeschichte, die neben Bielefeld in Münster, Bochum, Konstanz, Berlin und andernorts ausgebaut wurde.[11] Wehler und Kocka galten bald als Häupter der zuerst von amerikanischen Historikern so bezeichneten „Bielefelder Schule”. Neben ihnen zählten Hans und Wolfgang J. Mommsen, Heinrich August Winkler, Reinhard Rürup, Hans-Jürgen Puhle, Karin Hausen und Hartmut Kaelble zu den prominenteren Vertretern der neuen Sozialgeschichte.

Die forcierte Profilbildung der neuen Sozialgeschichte erfolgte nicht nur in der Absetzung von der älteren Strukturgeschichte, sondern vor allem als „Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus” gegen die weiterhin dominante Politikgeschichte.[12] Ging sie von dem Verständnis aus, dass Geschichte vorangetrieben werde durch „bahnbrechende Ideen” und die Absichten „großer Männer”, hielten Sozialhistoriker/innen die geschichtsmächtige Kraft überindividueller Strukturen entgegen, die langfristig und gleichsam im Rücken der zeitgenössischen Akteure ihre Wirkung entfalteten, indem sie deren Handlungsmöglichkeiten einschränkten. Statt die Abfolge „wichtiger Ereignisse” nachzuerzählen, identifizierte die neue Sozialgeschichte „Prozesse”, deren Dynamik sich aus der Konstellation vornehmlich der sozialen und ökonomischen Strukturbedingungen ergab. Dem „Primat der Außenpolitik” hielt man polemisch zugespitzt den „Primat der Innenpolitik” entgegen, nach dem beispielsweise die Kolonialpolitik des Kaiserreichs nicht als Ergebnis eines „Kräftespiels der Mächte”, sondern als innenpolitisch motivierte Herrschaftsstrategie gedeutet werden müsse. Gegen ein gewissermaßen freihändiges hermeneutisches Verstehen führte man theoriegeleitetes Erklären ins Feld. In dezidierter Abgrenzung zu einer affirmativen Politikgeschichte verstand sich die neue Sozialgeschichte von vornherein als kritisch. Sie stellte sich in den Dienst gesellschaftspolitischer Aufklärung in der Absicht, Fehlentwicklungen der Vergangenheit aufzuzeigen und Orientierungswissen für künftiges Handeln zu schaffen.[13]

Der Mangel an Theorie, den sie der (historistisch geprägten) Geschichtswissenschaft bescheinigte, kompensierte die neue Sozialgeschichte, indem sie Konzepte und Methoden der benachbarten Sozialwissenschaften adaptierte. Zu den bevorzugten Methoden gehörte die Bildung von „Idealtypen”, aus denen man Hypothesen zu historischen Verläufen entwickelte, an denen sich dann empirische Arbeiten orientierten, durchaus auch mit dem Ergebnis, sie zu falsifizieren.[14] Einem ähnlichen Zweck sollte der ebenfalls aus den Sozialwissenschaften übernommene historische Vergleich dienen, den Wehler bereits 1972 zum „Königsweg” der Geschichtswissenschaft erklärte, der jedoch erst Mitte der 1980er-Jahre mit empirischen Arbeiten beschritten wurde.[15] In geringerem Maße fanden quantifizierende Methoden Aufnahme in der deutschen Sozialgeschichte. 1975 wurde die Arbeitsgemeinschaft QUANTUM gegründet, die im Jahr darauf erstmals die Zeitschrift „Historical Social Research/Historische Sozialforschung” (HSR) herausgab, in der seither regelmäßig Beiträge zur Kliometrie erscheinen.[16]

Aus der US-amerikanischen Soziologie übernahm die hiesige Sozialgeschichte eine bestimmte Modernisierungstheorie, welche von allen Theorieimporten die deutlichste Spur hinterließ. Diese Theorie postuliert einen direkten Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Fortschritt eines Landes und dessen politischer Liberalisierung. Im deutschen Fall ließ sie sich als Folie verwenden, um nach langfristigen Ursachen für den Aufstieg des Nationalsozialismus zu suchen, der nicht zuletzt wegen des kritischen Selbstverständnisses der Sozialgeschichte den Fluchtpunkt ihrer Forschungen darstellte. Die Beschäftigung mit der Geschichte des 19. Jahrhunderts, der bevorzugten Periode der neuen Sozialgeschichte, als Vorgeschichte des Nationalsozialismus führte zur „Sonderwegsthese”. Nach ihr erfuhr Deutschland im 19. Jahrhundert „eine ökonomisch erfolgreiche Modernisierung ohne die Ausbildung einer freiheitlichen Sozial- und Staatsverfassung”. Dies habe innere Spannungen zwischen agrarischer und industrieller Elite sowie zwischen der Staatsführung und einer durch sozio-ökonomische Prozesse mobilisierten Bevölkerung erzeugt, die in aggressive Außenpolitik abgeleitet worden seien. Deren Folgen, insbesondere die Niederlage im von Deutschland ausgelösten Ersten Weltkrieg, hätten der nationalsozialistischen Diktatur den Boden bereitet.[17]

Unter dem Strich geschah die Theorie- und Methodenrezeption aus den benachbarten Fächern eklektisch und selektiv. Konzepte und Methoden wurden dem heuristischen Zweck untergeordnet; sie dienten dazu, Fragestellungen zu schärfen, Untersuchungseinheiten auszuwählen und zu definieren, die Standortgebundenheit des Historikers zu explizieren und Hypothesen über Kausalzusammenhänge zu formulieren. Die Sozialgeschichte dieser Zeit verlangte nach anwendbaren Theorien „mittlerer Reichweite” (man berief sich dabei auf Robert Merton); eigene Theoriebildung wurde in aller Regel nicht angestrebt. Über diesen instrumentellen Theorie-Import darf die in den 1970er-Jahren häufig verwendete Selbstbezeichnung der Sozialgeschichte als „Historische Sozialwissenschaft” nicht hinwegtäuschen. Sieht man einmal ab von einigen Veröffentlichungen dieser Zeit, die das Verhältnis der Geschichtswissenschaft zu den Nachbardisziplinen noch vorläufig und zum Teil recht allgemein erörtern,[18] blieben größere Anstrengungen aus, den Begriff der „Historischen Sozialwissenschaft” zu definieren.[19] Seine Neuerfindung (Werner Sombart hatte ihn bereits 1916 in der zweiten Auflage seines „Modernen Kapitalismus” verwendet) unterstrich daher in erster Linie den Anspruch der Sozialgeschichte auf einen höheren Grad an Wissenschaftlichkeit und markierte vor allem den Gegensatz zur Politikgeschichte.

Keineswegs ist „Historische Sozialwissenschaft” gleichbedeutend mit „Historical Sociology”, die sich in den USA und Großbritannien in den 1970er-Jahren als Subdisziplin der Soziologie etablierte. Historische Soziologie befasst sich, stark vereinfachend gesagt, mit der Frage nach Erklärungen für das So-und-nicht-anders-Gewordensein moderner Gesellschaften. Auch dieses Forschungsfeld ist heterogen und hat sich im Laufe der Zeit verändert.[20] Geläufig und für die erste Orientierung hilfreich ist die Unterscheidung von drei „Wellen” Historischer Soziologie.[21]

Die erste „Welle” besteht demnach aus den Arbeiten der europäischen Klassiker von Alexis de Tocqueville bis Max Weber, die sich mit der Herausbildung einer europäischen Moderne befassten und darunter die Durchsetzung bestimmter neuartiger Erscheinungen wie Zweckrationalität, Bürokratisierung, Säkularisierung oder die allgemeine „Verflüssigung” bestehender Verhältnisse verstanden. Die zweite „Welle” begann in den 1970er-Jahren mit Forscher/innen wie Charles Tilly und Theda Skocpol, die Fragen nach den Ursachen von Revolutionen, Prozessen der Staatsbildung oder Strukturbedingungen sozialer Ungleichheit nicht selten in sehr langen Zeiträumen und im Mehrländervergleich untersuchten. Die dritte „Welle” der Historischen Soziologie, beginnend in den 1990er-Jahren und repräsentiert u. a. von William H. Sewell Jr., Julia Adams, Elisabeth S. Clemens und George Steinmetz, gab die Ausrichtung an einem vorab definierten Modernekonzept auf und verlegte sich von der Erforschung bestimmter moderner Phänomene auf die Analyse von Kontinuität und Wandel sozialer Ordnungen. Im Vordergrund stehen nunmehr kausale Mechanismen, Prozessverläufe und Geschwindigkeiten, die oft in Mikroperspektive an Ereignissen nachvollzogen werden.

Während Historische Soziologie in den Vereinigten Staaten in der Soziologie etabliert ist, ist sie hierzulande selten rezipiert worden, und zwar sowohl in der Soziologie als auch in der Geschichtswissenschaft, obwohl ihr Ausgangspunkt, wie erwähnt, in den Arbeiten vor allem deutscher Frühsoziologen liegt. Die Ursachen dafür sind zum einen bei der heimischen Soziologie zu suchen. Deren empirisch-historisch arbeitende Klassiker waren teils in die Emigration gegangen, teils wegen ihrer relativen Nähe zum Nationalsozialismus politisch korrumpiert, sodass die Nachkriegssoziologie als „Gegenwartswissenschaft” (René König) entweder die ahistorische Theoriebildung vorantrieb oder sich der empirischen Sozialforschung verschrieb.[22] Zum anderen bewegte sich auch die neue Sozialgeschichte nach einer kurzen Phase der konzeptionellen Diskussion um eine Historische Sozialwissenschaft wieder weg von den „big structures”, „large processes” und „huge comparisons” (Charles Tilly), an denen die Historische Soziologie interessiert gewesen war, hin zu einer enger konzeptionalisierten Gesellschaftsgeschichte als einer nationalzentrierten, politischen Sozialgeschichte, deren oberste Leitfrage auf die Ursachen des Nationalsozialismus zielte.[23]

Gemessen daran, dass sie stets nur von einer Minderheit von Historikern betrieben wurde, gewann die neue Sozialgeschichte einen überaus großen Einfluss auf die gesamte Zunft. Zum Teil ist dieser Erfolg auf günstige Rahmenbedingungen, etwa die Einrichtung sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Lehrstühle im Zuge der Hochschulexpansion, zurückzuführen. Vor allem aber liegt er in forschungspolitischen und programmatischen Initiativen der Sozialhistoriker/innen begründet. So bot die Sozialgeschichte Antworten auf politische Zeitfragen, verkörperte eine fortschrittlich-kritische Haltung auf fachwissenschaftlichem Boden und ließ die Beschäftigung mit Geschichte für die gesellschaftspolitische Orientierung, für die seit den späten 1960er-Jahren großer Bedarf herrschte, relevant erscheinen.

Dies sorgte für Aufmerksamkeit im Fach ebenso wie für motivierten Nachwuchs. Letzterer dürfte nicht unwesentlich angezogen worden sein von der von manchem Sozialhistoriker gepflegten Art, Aussagen in Opposition gegen das geschichtswissenschaftliche Establishment zuzuspitzen und große programmatische Ansprüche zu formulieren – eine Form identitätsstiftender Rekrutierung, die in den disziplinären Auseinandersetzungen der 1990er-Jahre von Vertretern der Kulturgeschichte betrieben wurde und die Sozialgeschichte zum Besitzstand wahrenden Gegner erklärte. Zu den forschungspolitischen Maßnahmen zählt ferner die Schaffung von Institutionen und Netzwerken. Dazu gehören die Schriftenreihe der „Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft” (seit 1972) und die Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft” (seit 1975) ebenso wie der Aufbau und die Pflege internationaler Kontakte.

Kritik an der neuen Sozialgeschichte: Die 1980/90er-Jahre

In den 1980er- und 1990er-Jahren geriet die neue Sozialgeschichte in die Kritik von Vertreter/innen der Geschlechtergeschichte, der Alltagsgeschichte und der Neuen Kulturgeschichte. Diese Kritik, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, zielte insbesondere auf die Überbetonung der Macht sozio-ökonomischer Strukturen und die damit verbundene Vernachlässigung der „agency” historischer Akteure, auf die Ausblendung der Erfahrungsdimension, der Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie der handlungsleitenden Kraft von Kultur und die Nicht-Beachtung von Geschlecht als zentraler historisch-sozialer Kategorie.[24] Mit ähnlichen Vorwürfen wurde Sozialgeschichte auch in anderen Ländern konfrontiert, doch scheint dort die Auseinandersetzung weniger scharf geführt worden zu sein als hierzulande. Es ist bemerkt worden, dass führende Sozialhistoriker häufig auf die Herausforderungen der Alltags-, Geschlechter- und Kulturgeschichte reagierten, indem sie, anstatt stichhaltige Kernpunkte der Kritik anzunehmen und produktiv zu verarbeiten, sich weitgehend damit zufriedengaben, Defizite „gegnerischer” Standpunkte zu exponieren, um daraus die „Überlegenheit” der eigenen Position abzuleiten. Auf kulturgeschichtliche Einwände reagierte man mit „Erweiterungen”, welche die strukturlastige Grundausrichtung unverändert ließen.[25] Diese kampfbereite Verteidigungshaltung mag zum Teil dem persönlichen Temperament einzelner Protagonisten entsprungen sein. Sie hängt aber wohl auch damit zusammen, dass die hierzulande starke Gesellschaftsgeschichte die kulturgeschichtliche Kritik als Angriff auf zentrale Bestände empfinden musste, während Sozialgeschichte als „Sektorwissenschaft”, wie sie etwa in Großbritannien dominiert, kulturhistorische Impulse leichter aufnehmen konnte, wenngleich dies auch dort nicht reibungsfrei geschah.[26]

In jedem Fall führte der harte Konflikt eher zu einer Radikalisierung der Kritik als zur Schärfung der Argumente und ließ Sozialgeschichte als neue Orthodoxie erscheinen, die in den Folgejahren an Strahlkraft einbüßte. Zwar ging die empirische Forschung weiter, und die Sozialgeschichte konnte in neue Themenbereiche vordringen.[27] Doch theoretische, methodologische und thematische Neuerungen kamen nunmehr vornehmlich aus der Kulturgeschichte, die, wie zuvor die Sozialgeschichte, dazu interdisziplinäres Potenzial mobilisierte. Die bevorzugten Gesprächspartner der Geschichtswissenschaft waren jetzt Ethnolog/innen, Kulturanthropolog/innen und Literatur- und Sprachwissenschaftler/innen. Der Dialog mit den benachbarten Sozialwissenschaften schlief währenddessen ein.

Anknüpfungspunkte und Initiativen für eine Neubelebung der Sozialgeschichte

Die neue Sozialgeschichte hat innerhalb der Geschichtswissenschaft einen Grad an analytischer Reflektiertheit etabliert, an dem sich auch ihre Kritiker messen lassen müssen. Damit verbunden ist die hohe Bereitschaft, von anderen wissenschaftlichen Disziplinen zu lernen. Auch in diesem Punkt sind die Kritiker der Sozialgeschichte gefolgt, wenngleich mit anderen Gesprächspartnern. Des Weiteren hat die neue Sozialgeschichte die internationale Öffnung der deutschen Geschichtswissenschaft vorangetrieben. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Methode des historischen Vergleichs, der in den vergangenen Jahren seltener zur Analyse isolierter Einheiten denn als erster, notwendiger Schritt zu Transfers und Verflechtungen betrieben wird. Vergleiche erfordern stets die Auseinandersetzung mit der Historiografie der jeweiligen Vergleichsobjekte, bahnen Kontakte zu ausländischen Wissenschaftlern an und führen dazu, vertraute Phänomene in neuem Licht zu sehen.[28] Ein gleichermaßen produktiver Verfremdungseffekt lässt sich durch das Herantragen von „Idealtypen” an historische Gegenstände erzielen – ein Verfahren, das ebenfalls die Sozialgeschichte in die Historiografie eingebracht hat. Zu den Errungenschaften ist schließlich zu zählen, dass die Sozialgeschichte es geschafft hat, einen riesigen Themenbereich für die Geschichtswissenschaft zu erschließen, wenngleich man feststellen muss, dass Kernthemen der Sozialgeschichte wie die Ökonomie der „kleinen Leute” in den Hintergrund geraten sind.

Diesen Errungenschaften steht als substanzieller Verlust das Versiegen der sozialwissenschaftlichen Inspiration gegenüber, die erheblich zur Blüte der Sozialgeschichte in den 1970er-Jahren beigetragen hatte. Diese Schnittstelle zwischen Geschichts- und Sozialwissenschaften müssten Initiativen zur Neubelebung der Sozialgeschichte als theoretisch-methodologisch fruchtbarer Diskussionszusammenhang wieder weiter öffnen. Ansätze dazu lassen sich in jüngerer Zeit beobachten.

1. Ein erster Impuls geht aus von einer Wiederentdeckung „großer” Themen wie „Ungleichheiten” (Thema des Dresdner Historikertags 2008), Globalisierung bzw. Globalgeschichte,[29] Arbeit,[30] Märkte oder Kapitalismus,[31] die im Zuge des „cultural turn” eher vernachlässigt worden sind, was mittlerweile auch von Historiker/innen als Problem benannt wird, die aus der Sozialgeschichte heraus den „turn” befürwortet und vorangetrieben haben.[32] Die ökonomische Dimension dieser Gegenstände legt es nahe, dass Historiker/innen Expertise aus den Sozialwissenschaften nachfragen, und die historische Gewordenheit dieser Phänomene sollte Sozialwissenschaftler/innen motivieren, ihrerseits den fächerübergreifenden Dialog zu suchen. Eine solche Verständigung hat vergleichsweise hohe Hürden zu überwinden, wenn sie mit der von der Neoklassik dominierten Ökonomie stattfinden soll,[33] scheint aber umso aussichtsreicher mit Vertretern der Neuen Wirtschaftssoziologie. Diese Forschungsrichtung fragt nach „Koordinationsproblemen” und sozialen „Einbettungen” ökonomischen Handelns, durchaus in historischer Perspektive.[34] Dies sorgt für Gemeinsamkeiten und gewährleistet die Anwendbarkeit wirtschaftssoziologischer Konzepte für historisch-empirische Studien.[35] Bemühungen, die Wirtschaftssoziologie gesellschaftstheoretisch weiter zu entwickeln, stehen noch am Anfang, sodass eine gemeinsame gesellschaftsgeschichtliche Perspektive (noch) nicht gegeben ist.[36]

2. Möglichkeiten für die Wiederbelebung des sozialgeschichtlichen Innovationspotenzials liegen ferner in einer neuerlichen Hinwendung zur Historischen Soziologie. Diese hat bereits Vorarbeiten geleistet zur Erschließung der oben genannten Themen. Darüber hinaus empfiehlt es sich, die Überlegungen der „historical sociology” zu Temporalität, Prozessen, historischem Wandel und Kontinuität zur Kenntnis zu nehmen.[37] Das Nachdenken darüber, wie soziale Strukturen (etwa Netzwerkbeziehungen, Verhaltensregeln oder Deutungsmuster) in der Praxis von Akteuren reproduziert und unter welchen Bedingungen in welcher Form rekonfiguriert werden, liefert nicht nur gute Argumente gegen den in der Geschichtswissenschaft nach wie vor verbreiteten Gebrauch narrativer „Taschenspielertricks” zur Erklärung von Kontinuität (durch den Verweis auf „Tradition” beispielsweise) und Wandel (etwa durch den Verweis auf einen „Zeitgeist”) und die daraus resultierenden Zirkelschlüsse. Abgesehen von dieser Selbstaufklärung über die zentralen Gegenstände historischer Forschung erscheint die intensive Beschäftigung mit Kontinuität und Wandel auch deshalb notwendig, weil sich sozialhistorische Themen, zumal wenn sie in transnationaler Perspektive betrachtet werden, kaum innerhalb der Chronologie der politischen Systemwechsel in Deutschland untersuchen lassen. Über diese gängige Periodisierung hat die Gesellschaftsgeschichte nicht hinausweisen können. Die neue Kulturgeschichte hat zum Thema „Wandel” noch weniger zu sagen.

3. Eine weitere Aufgabenstellung, welche die Sozialgeschichte über das Erreichte hinausführen könnte, liegt in der Analyse von Vergesellschaftungen als Entstehung und Wandel sozialer Beziehungen. In diesem Bereich kann die deutsche Sozialgeschichte insbesondere von der britischen lernen. Diese hat sich im Unterschied zur deutschen Gesellschaftsgeschichte, die ebenso wie die Kulturgeschichte ihre Relevanz aus der Orientierung an „politischen” Fragen bezieht, vornehmlich mit „social relations” im Allgemeinen und Klassenbeziehungen im Besonderen beschäftigt. Ein Beispiel ist die Geschichte des Vereinswesens, das hierzulande fast immer unter dem Aspekt politischer Sozialisation erforscht wird, während es in der britischen Geschichtswissenschaft vornehmlich als Mechanismus des sozialen Ein- und Ausschlusses gilt.[38] Soziale Beziehungen wurden in der britischen Sozialgeschichte schon sehr früh, durchaus unter Einbeziehung wechselseitiger Wahrnehmung und der Erfahrungsdimension sowie in zunehmendem Maß im Gegenstandsbereich von Alltag und Freizeit untersucht.[39] An solchen Studien, die nicht wie in der deutschen Historiografie üblich politikferne Gegenstände wie Sport und Populärkultur als Manifestation politischer Kultur deuten, sondern die damit verbundenen eigengesetzlichen Vergesellschaftungen betrachten, mangelt es noch in der deutschen Sozialgeschichte.

4. Ein vierter Bereich, aus dem Sozialgeschichte in jüngerer Zeit neue Impulse bezieht, hat sich durch die Forderung eröffnet, Aspekte der Medialisierung und der Selbstbeobachtung von Gesellschaft in sozialgeschichtliche Analysen einzubeziehen. Dies geschieht beispielsweise in Anja Krukes Arbeiten zur Demoskopie in der bundesrepublikanischen Politik und Öffentlichkeit sowie in Benjamin Ziemanns Studien zur Rolle der empirischen Sozialforschung in der Katholischen Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg.[40] Solche Forschungen haben auch einen hohen quellenkritischen Wert, weil sie verdeutlichen, dass Wissensbestände wie beispielsweise Statistiken zu Kirchenbesuchen nicht unmittelbar das Verhalten der beobachteten Akteure abbilden.[41] Vor allem aber belegen sie, wie folgenreich medial vermitteltes Wissen über Gesellschaft für das Handeln in Funktionssystemen wie Politik, Wirtschaft oder Religion im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde. Zunächst einmal orientierten sich in zunehmendem Maß die „Anbieter” von Politik, Religion, Konsumgütern und Dienstleistungen an letztlich imaginären Wählern, Staatsbürgern, Gläubigen und Konsumenten, da ihnen die tatsächlichen Bedürfnisse der „leibhaftigen” Adressaten unbekannt blieben. Von sozialen Gruppen wie „Lebensstilmilieus”, „Protestwählern” oder „gestressten Katholiken” erfuhren die Anbieter nicht aus der Kommunikation mit Präsenzpublika, sondern aus „den Medien” und von den Experten der Markt- und Meinungsforschung. Deren Beobachtungskategorien und Erkenntnisse beeinflussten zum einen Entscheidungen in Wirtschaft, Kultur und Politik, indem sie die Akteure auf der Anbieterseite herausforderten, Anpassungen an eine veränderte Bedarfslage vorzunehmen, oder ihnen als Ressource für die Durchsetzung eigener Interessen dienten. Zum anderen bezogen auch die „Nachfrager” sehr viel Wissen über gesellschaftliche Verhältnisse aus den Massenmedien, und auch sie verarbeiteten es, indem sie ihr eigenes Verhalten in Bezug auf diese Kategorien beobachteten und steuerten. Das veröffentlichte Wissen darüber, wie sich Angehörige bestimmter sozialer Gruppen verhalten, strukturierte soziale Situationen durch Erwartungen und stellte den Beteiligten ein Repertoire an möglichen Handlungsweisen bereit.[42]

Grundlegend für Forschung in diese Richtung ist Lutz Raphaels Skizze von der „Verwissenschaftlichung des Sozialen”, die er als „dauerhafte Präsenz humanwissenschaftlicher Experten, ihrer Argumente und Forschungsergebnisse in Verwaltungen und Betrieben, in Parteien und Parlamenten, bis hin zu den alltäglichen Sinnwelten sozialer Gruppen, Klassen oder Milieus” definiert und als „Basisprozess” des 20. Jahrhunderts benennt.[43] Die „Verwissenschaftlichung” oder, um es allgemeiner zu formulieren, „Medialisierung des Sozialen” zeigt Auswirkungen auf den Ebenen von Organisation und Interaktion. Dies macht sie für sozialhistorische Arbeiten höchst relevant. Wird sie in die Analyse einbezogen, bedeutet das zunächst einmal, die perzeptive Dimension als handlungsleitend anzuerkennen, ganz im Sinne von Kultur- oder Diskursgeschichte. Doch werden die Vorstellungen des Sozialen nicht einfach als gegeben und dem instrumentellen Zugriff von Akteuren entzogen betrachtet. Vielmehr gerät gerade in den Studien zur Rolle sozialwissenschaftlichen Wissens in Organisationen in den Blick, dass das Wissen vom Sozialen oft arbeitsteilig von Spezialisten hergestellt und absichtsvoll verwendet wird. Auf diese Weise werden Gesellschaftsdiskurse in soziales Handeln eingebettet und ihre Veränderung erklärbar. Deutlich wird, wie Menschen ihre Geschichte machen: im Zusammenspiel mit anderen Akteuren, deren Erwartungen an das eigene Handeln sie einbeziehen, und in Auseinandersetzung mit institutionellen und kognitiven Strukturen, die ihren Handlungsspielraum begrenzen, aber zugleich als Ressourcen zu dessen Transformation dienen können.

Empfohlene Literatur zum Thema

Geoff Eley, A Crooked Line: From Cultural History to the History of Societ, University of Michigan Press, Ann Arbour 2005, ISBN 0472069047.

Thomas Welskopp, Bettina Hitzer (Hrsg.), Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen, transcript, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1521-0.

Jürgen Kocka, Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme, 2., erweiterte Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986.

Edward P. Thompson, The Making of the English Working Class, Harmondsworth 1988, ISBN 0-14-021000-8.

Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700-1990, 5 Bde., München 1987-2008.

Thomas Welskopp, Westbindung auf dem „Sonderweg“. Die deutsche Sozialgeschichte vom Appendix der Wirtschaftsgeschichte zur Historischen Sozialwissenschaft, in: Ernst Schulin, Jörn Rüsen, Wolfgang Küttler (Hrsg.), Geschichtsdiskurs. Bd. 5: Globale Konflikte, Erinnerungsarbeit und Neuorientierungen seit 1945. Frankfurt a. M. 1999, ISBN 3596140757, S. 191-237.

Zitation
Klaus Nathaus, Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 24.9.2012, URL: http://docupedia.de/zg/Sozialgeschichte_und_Historische_Sozialwissenschaft

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Anmerkungen

    1. Pascal Maeder/Barbara Lüthi/Thomas Mergel (Hrsg.), Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbau, Göttingen 2012.
    2. Diese Unterscheidung trifft Jürgen Kocka, Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme, 2., erweiterte Aufl., Göttingen 1986.
    3. Klaus Nathaus/Hendrik Vollmer, Moving Inter Disciplines: What Kind of Cooperation are Interdisciplinary Historians and Sociologists Aiming for?, in: InterDisciplines 1 (2010), H. 1, S. 64-111, online unter http://www.inter-disciplines.de/bghs/index.php/indi/article/viewFile/7/4.
    4. Näheres dazu bei William H. Sewell Jr., The Political Unconscious of Social and Cultural History, or, Confessions of a Former Quantitative Historian, in: ders., Logics of History. Social Theory and Social Transformation, Chicago 2005, S. 22-80; Geoff Eley, The Generations of Social History, in: Peter N. Stearns (Hrsg.), Encyclopedia of European Social History from 1350 to 2000, Bd. 1, New York 2001, S. 3-29; Jürgen Kocka (Hrsg.), Sozialgeschichte im internationalen Überblick. Ergebnisse und Tendenzen der Forschung, Darmstadt 1989.
    5. Auf dieses Stadium der Sozialgeschichte vor der disziplinären Differenzierung gehen ein: Josef Mooser, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Historische Sozialwissenschaft, Gesellschaftsgeschichte, in: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.), Geschichte. Ein Grundkurs, 3., revidierte und erweiterte Aufl., Reinbek 2007, S. 568-591; Gerhard A. Ritter, Die neuere Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kocka (Hrsg.), Sozialgeschichte im internationalen Überblick, S. 19-88.
    6. Friedrich Lenger, Eine Wurzel fachlicher Innovation? Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Volksgeschichte in Deutschland – Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte, in: Horst Carl u.a. (Hrsg.), Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, Berlin 2004, S. 41-55; Lutz Raphael, Von der Volksgeschichte zur Strukturgeschichte (= Comparativ 12, H. 1), Leipzig 2002; Benjamin Ziemann, Sozialgeschichte jenseits des Produktionsparadigmas. Überlegungen zu Geschichte und Perspektiven eines Forschungsfeldes, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 28 (2003), S. 5-37.
    7. Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 (= Ordnungssysteme; 9), München 2001, S. 58.
    8. Zur Strukturgeschichte vgl. Etzemüller, Sozialgeschichte; Thomas Welskopp, Art. „Strukturgeschichte“, in: Stefan Jordan (Hrsg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 270-273; Jan Eike Dunkhase, Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010.
    9. Hans-Ulrich Wehler, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln 1966, S. 9-16, hier S. 14f.
    10. Hans Rosenberg, Probleme der deutschen Sozialgeschichte, Frankfurt a.M. 1969, S. 147.
    11. Zur Sozialgeschichte in Berlin im Detail: Jürgen Kocka, Wandlungen der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte am Beispiel Berlins 1949 bis 2005, in: Jürgen Osterhammel/Dieter Langewiesche/Paul Nolte (Hrsg.), Wege der Gesellschaftsgeschichte (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 22), Göttingen 2006, S. 11-31.
    12. Wolfgang J. Mommsen, Die Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus, 2. revidierte Aufl., Düsseldorf 1972.
    13. Zur Programmatik der neuen Sozialgeschichte siehe die Einleitung und Einführung von Bettina Hitzer und Thomas Welskopp ihres Bandes zur „Bielefelder Sozialgeschichte“ und die darin ausgewählten Texte von Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka: Bettina Hitzer/Thomas Welskopp (Hrsg.), Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen, Bielefeld 2011. Als neueren Überblick siehe auch Friedrich Lenger, „Historische Sozialwissenschaft“: Aufbruch oder Sackgasse?, in: Christoph Cornelißen (Hrsg.), Geschichtswissenschaft im Geist der Demokratie. Wolfgang J. Mommsen und seine Generation, Berlin 2010, S. 115-132.
    14. Siehe etwa Jürgen Kocka, Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914-1918, Göttingen 1973.
    15. Christiane Eisenberg, Deutsche und englische Gewerkschaften. Entstehung und Entwicklung bis 1878 im Vergleich (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 72), Göttingen 1986.
    16. Heinrich Best/Wilhelm Schröder, Quantitative historische Sozialforschung, in: Christian Meier/Jörn Rüsen (Hrsg.), Historische Methode, München 1988, S. 235-266.
    17. Besonders pointiert formuliert in Hans-Ulrich Wehler, Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1973.
    18. Hans-Ulrich Wehler, Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Frankfurt a.M. 1973; Winfried Schulze, Soziologie und Geschichtswissenschaft. Einführung in die Probleme der Kooperation beider Wissenschaften, München 1974; Peter Christian Ludz (Hrsg.), Soziologie und Sozialgeschichte. Aspekte und Probleme (= KZfSS, Sonderheft 16), Opladen 1972.
    19. Ritter, Neuere Sozialgeschichte in der Bundesrepublik, S. 41f.
    20. Zur Einführung vgl. Rainer Schützeichel, Historische Soziologie, Bielefeld 2004; Gerard Delanty/Engin F. Isin (Hrsg.), Handbook of Historical Sociology, London 2003; Elisabeth S. Clemens, Toward a Historicized Sociology: Theorizing Events, Processes, and Emergence, in: Annual Review of Sociology 33 (2007), S. 527-549.
    21. Julia Adams/Elisabeth S. Clemens/Ann Shola Orloff, Introduction: Social Theory, Modernity, and the Three Waves of Historical Sociology, in: dies. (Hrsg.), Remaking Modernity. Politics, History, and Sociology, Durham 2005, S. 1-72.
    22. Wilfried Spohn, Historische Soziologie zwischen Sozialtheorie und Sozialgeschichte, in: Frank Welz/Uwe Weisenbacher (Hrsg.), Soziologische Theorie und Geschichte, Opladen 1998, S. 289-318, hier S. 291f.
    23. Jürgen Osterhammel, Gesellschaftsgeschichte und Historische Soziologie, in: ders./Langewiesche/Nolte (Hrsg.), Wege der Gesellschaftsgeschichte, S. 81-102, hier S. 82.
    24. Eine nuancierte Zusammenfassung der Kritik formuliert Thomas Welskopp, Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), S. 173-198.
    25. Bettina Hitzer/Thomas Welskopp, Einführung in die Texte der Edition, in: dies. (Hrsg.), Bielefelder Sozialgeschichte, S. 33-62, hier S. 42-53. Zur Illustration dieser Haltung vgl. Hans-Ulrich Wehler, Historische Sozialwissenschaft. Eine Zwischenbilanz nach dreißig Jahren (1998), in: ebd., S. 433-441.
    26. Vgl. Richard J. Evans, In Defense of History, New York 1999.
    27. Jürgen Kocka, Losses, Gains and Opportunities. Social History Today, in: Journal of Social History 37 (2003), H. 1, S. 21-28.
    28. Vgl. Hartmut Kaelble, Historischer Vergleich, Version 1.0, in: Docupedia–Zeitgeschichte, online unter: http://docupedia.de/zg/Historischer_Vergleich ders., Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. Und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2009; Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka (Hrsg.), Geschichte im Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt a.M. 1996; Agnes Arndt/Joachim C. Häberlein/Christiane Reinecke (Hrsg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen 2011. Zur vergleichenden Forschung zu Deutschland und Großbritannien siehe Christiane Eisenberg, British History Compared. A Bibliography (May 2010), online unter http://www.gbz.hu-berlin.de/staff/staff/publications/bibliographien (5.2.2012).
    29. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009.
    30. Vgl. etwa die Programme der letzten Tagungen des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, online unter http://www-hgr.isb.ruhr-uni-bochum.de/isb/hpakmodsoz/tagungen.html, und die Forschungsprojekte am International Institute of Social History, Amsterdam, online unter http://socialhistory.org/en/research/current-research-projects (25.4.2012).
    31. Gunilla Budde (Hrsg.), Kapitalismus. Historische Annäherungen, Göttingen 2011; Paul Johnson, Making the Market. Victorian Origins of Corporate Capitalism, Cambridge 2010.
    32. Geoff Eley, A Crooked Line: From Cultural History to the History of Society, Ann Arbor 2005, S. 198; ders./Keith Nield, The Future of Class in History: What’s Left of the Social?, Ann Arbor 2007; Sewell, Political Unconscious, S. 79f. Zuletzt Catherine Hall, On Being a Historian in 2012. Plenary Lecture at the Social History Society Annual Conference, University of Brighton, 4.4.2012, vgl. dazu die Zusammenfassung von Katrina Navickas, online unter http://www.socialhistory.org.uk/annualconference.php.
    33. Zu einigen Anknüpfungspunkten vgl. aber Jürgen Kocka, History, the Social Sciences and Potentials for Cooperation. With Particular Attention to Economic History, in: InterDisciplines 1 (2010), H. 1, S. 43-63, online unter http://www.inter-disciplines.de/bghs/index.php/indi/article/viewFile/6/3.
    34. Jens Beckert, How Do Fields Change? The Interrelations of Institutions, Networks, and Cognition in the Dynamics of Markets, in: Organization Studies 31 (2010), S. 605-627; ders./Rainer Diaz-Bone/Heiner Ganßmann (Hrsg.), Märkte als soziale Strukturen, Frankfurt a.M. 2007; Neil Smelser/Richard Swedberg (Hrsg.), The Handbook of Economic Sociology, 2nd Edition, Princeton 2005.
    35. Vgl. etwa die Fallstudien in Klaus Nathaus/David Gilgen (Hrsg.), Change of Markets and Market Societies: Concepts and Case Studies, in: Historical Social Research 36 (2011), H. 3, sowie den Bericht zur Konferenz „ Risk and Uncertainty in the Economy: Historical, Sociological and Anthropological Perspectives”, veranstaltet von Jens Beckert u. Hartmut Berghoff, Villa Vigoni (Como), 19.-22.6.2011, in: Bulletin of the German Historical Institute (Washington DC) 49/2011, S. 205-210, online unter http://www.ghi-dc.org/files/publications/bulletin/bu049/bu49_205.pdf.
    36. Jens Beckert, Wirtschaftssoziologie als Gesellschaftstheorie, in: Zeitschrift für Soziologie 38 (2009), H. 3, S. 182-197. Eine historisch-soziologische Geschichte Englands als „Marktgesellschaft“ liegt vor mit Christiane Eisenberg, Englands Weg in die Marktgesellschaft, Göttingen 2009.
    37. Thomas Welskopp, Bewegungsdrang. Prozess und Dynamik in der Geschichte (Manuskript, Bielefeld 2012); Clemens, Toward a Historicized Sociology; William H. Sewell Jr., Logics of History. Social Theory and Social Transformation, Chicago 2005; James Mahoney/Kathleen Thelen, A Theory of Gradual Institutional Change, in: dies. (Hrsg.), Explaining Institutional Change. Ambiguity, Agency, and Power, Cambridge 2010, S. 1-37.
    38. Klaus Nathaus, Organisierte Geselligkeit. Deutsche und britische Vereine im 19. und 20. Jahrhundert (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 181), Göttingen 2009.
    39. Grundlegend E. P. Thompson, The Making of the English Working Class, London 1966 (zuerst 1963). Als Beispiele seien genannt: Paul Johnson, Saving and Spending. The Working-Class Economy in Britain, Oxford 1985; Ross McKibbin, Classes and Cultures. England 1918-1951, Oxford 1998; Craig Muldrew, The Economy of Obligation. The Culture of Credit and Social Relations in Early Modern England, Houndmills 1998; Christiane Eisenberg, ‘English Sports’ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939, Paderborn 1999.
    40. Anja Kruke, Demoskopie in der Bundesrepublik Deutschland. Meinungsforschung, Parteien und Medien 1949-1990 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 149), Düsseldorf 2007; Benjamin Ziemann, Katholische Kirche und Sozialwissenschaften 1945-1975 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 175), Göttingen 2007. Ferner Benjamin Ziemann u. a. (Hrsg.), Engineering Society. The Scientization of the Social in Comparative Perspective, 1880-2000, Basingstoke 2012 (im Druck); Klaus Nathaus, Turning Values into Revenue: The Markets and the Field of Popular Music in the US, the UK and West Germany (1940s to 1980s), in: Historical Social Research 36 (2011), H. 3, S. 136-163.
    41. Rüdiger Graf/Kim-Christian Priemel, Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften. Legitimität und Originalität einer Disziplin, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), S. 479-508.
    42. Zu Kultur als „toolkit” oder „Repertoire“ für situatives Handeln soziologisch einschlägig: Ann Swidler, Talk of Love: How Culture Matters, Chicago 2003, und Paul DiMaggio, Culture and Cognition, in: Annual Review of Sociology 23 (1997), S. 263-287.
    43. Lutz Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Geschichte des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 165-193, hier S. 166.