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Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.

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Katja Stopka

Zeitgeschichte, Literatur und Literaturwissenschaft

Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010
https://docupedia.de//zg/Literaturwissenschaft

DOI: https://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.583.v1

Artikelbild: Zeitgeschichte, Literatur und Literaturwissenschaft

Ohne Titel, Foto: J. Danyel. (<a rel="nofollow" class="external text" href="https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de">CC BY-NC-ND 3.0</a>)

Die Anknüpfungspunkte für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von literaturwissenschaftlicher und zeitgeschichtlicher Forschung liegen für Katja Stopka klar auf der Hand. Sie plädiert in ihrem Artikel für eine Zusammenarbeit beider Disziplinen vor dem Hintergrund, dass sich beide als Textwissenschaften verstehen und der Erforschung von Geschichtsnarrativen in verschiedenen Kontexten widmen.

Zeitgeschichte, Literatur und Literaturwissenschaft

von Katja Stopka

Der vorliegende Text plädiert für eine engere Kooperation von Geschichtswissenschaft und Literaturwissenschaft. Eine solche Zusammenarbeit liegt schon deshalb nahe, weil sich beide Disziplinen aus ihrer Tradition heraus als Textwissenschaften verstehen und quellenorientiert wie textkritisch arbeiten. Die geschichtswissenschaftliche wie die literaturwissenschaftliche Forschung machen Schreiben wie Lesen zu ihrem Gegenstand, indem sie die Archive schriftlicher Aufzeichnungen anreichern und ordnen, sie als Wissensspeicher nutzen und sich dieser Speicher wiederum bedienen, etwa in der kritischen Auseinandersetzung mit kulturellen Reflexionsmustern und korrekturbedürftigen Geschichtsbildern. Darüber hinaus basieren beide gleichzeitig selbst auf Praktiken des Schreibens und Lesens und mithin auf denjenigen Kulturtechniken der Kommunikation und Archivierung, die zugleich ihren Gegenstand bilden. Als Teil eines überwiegend schriftlich fixierten und lesend angeeigneten wissenschaftlichen Diskurses tragen sie also entscheidend dazu bei, narrative Deutungsmuster von Schriftzeugnissen zu analysieren und deren kollektive und kulturelle Bedeutung sowohl zu konstituieren wie auch zu hinterfragen.

Denkt man über Möglichkeiten einer interdisziplinären Zusammenarbeit der Geschichtswissenschaft mit der Literaturwissenschaft nach, kommt man nicht umhin, zunächst den Gegenstand des gemeinsamen Interesses näher zu betrachten, nämlich die Literatur oder, genauer gesagt, die literarischen Geschichtserzählungen. Hier wird bereits sichtbar, dass beide Disziplinen in eher loser Beziehung zueinanderstehen, zumindest dann, wenn man die Bezugnahmen der Geschichts- auf die Literaturwissenschaft zum Maßstab nimmt. Obwohl das Beziehungsgefüge von Geschichte und Literatur mittlerweile zum Curriculum eines geschichtswissenschaftlichen Studiums gehört, behandelt die (deutschsprachige) Geschichtswissenschaft die Literatur – ein Medium also, das maßgeblich an der Produktion und kritischen Reflexion von Geschichtserzählungen und Geschichtsbildern beteiligt ist – bisher eher am Rande. Mithin werden auch die Vernetzungschancen mit der Literaturwissenschaft eher selten genutzt. Besonders ins Auge fällt die weitgehende Vernachlässigung literarischer Geschichtserzählungen in der zeitgeschichtlichen Forschung. Dabei könnte gerade sie davon profitieren, literarische Prosa, die sich in ihren Stoffen derselben Zeiträume und desselben Vergangenheitsgeschehens annimmt, in das zeitgeschichtliche Untersuchungsfeld mit einzubeziehen. Zwar widmet man sich seit einigen Jahren verstärkt mediengeschichtlichen Untersuchungen, die zum Beispiel die Partizipation von Kino- und Fernseherzählungen an der Aufrechterhaltung oder auch an der Unterwanderung von herrschenden politischen und kulturellen Semantiken bzw. Narrativen herausarbeiten.[1] Vergleichbare systematische Untersuchungen von literarischen Geschichtserzählungen lassen sich dagegen (mit wenigen Ausnahmen[2]) nicht in der Geschichtswissenschaft, sondern eher bei einer Literaturwissenschaft finden, die der Kultur- und Sozialgeschichte gegenüber aufgeschlossen ist.[3]

Bekanntlich beziehen sich die Zeitgeschichte und ihre wissenschaftliche Erforschung auf eine Vergangenheit, die zumindest ein Teil der Zeitgenossen bewusst miterlebt hat. Im Sinne von Hans Rothfels wird sie auch als Epoche der Mitlebenden verstanden, die stärker als jeder andere Zeitraum das Denken und Handeln der Gegenwart prägt. Die historischen Ereignisse des „katastrophischen" 20. Jahrhunderts und der Umgang mit ihnen fallen indes nicht allein in den Zuständigkeitsbereich zeitgeschichtlicher Forschung, was Zeithistoriker/innen mitunter schmerzen mag, hinsichtlich ihrer Gegenwartsrelevanz und der damit verbundenen umkämpften politischen, sozialen und kulturellen Deutungshoheiten aber nahe liegt. Aber gerade weil die Historisierung der jüngeren und jüngsten Vergangenheit nicht allein in der Hand von Zeithistoriker/innen liegt, sondern ein hart umkämpftes Feld ist, auf dem verschiedenste Akteure agieren, ist die Frage, welche Geschichtsbilder auf welche Weise für Gegenwart und Zukunft Gültigkeit erhalten sollen, für die zeithistorische Reflexion und Selbstverortung äußerst relevant. Und genau in diesem Feld historischer Vermittlung fungiert auch die Literatur, ähnlich wie das Medium Film, besonders in der Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Vergangenheit als ein nicht zu unterschätzender gesellschaftlicher Multiplikator. Sie ist an der Konstruktion wie Dekonstruktion kollektiver Deutungsmuster und Erinnerungsstereotypen entscheidend beteiligt.[4]

Vor diesem Hintergrund lassen sich ohne Mühe Anknüpfungspunkte für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von zeitgeschichtlicher und literaturwissenschaftlicher Forschung finden. Die wesentlichen Schnittstellen ergeben sich dabei aus dem Umstand, dass sich beide Disziplinen der Erforschung von Geschichtsnarrativen in sozial- und kulturhistorischen Kontexten widmen. So konstatierte Rolf Grimminger schon 1980, dass „literarische Kunstwerke oder philosophische Literatur ohne Kenntnis jener sozialen Wirklichkeit, die sie in ihren Sprachformen stets schon zu Sinnzusammenhängen verarbeitet haben, nur unzureichend oder gar falsch verstanden werden" können.[5] Dass besonders die kulturalistische Wende in den Geisteswissenschaften Anlass zu einer „verstärkten Aktivität im Grenzverkehr zwischen den Fächern und Disziplinen" gegeben hat, darauf verwies wiederum der Literaturwissenschaftler Paul Michael Lützeler um die Jahrtausendwende. Dies spiegele sich nicht nur in den Paradigmenwechseln der sogenannten cultural turns[6] und der Ausdifferenzierung von Methoden und Ansätzen wider, so Lützeler. Zumindest bei der Germanistik lasse sich darüber hinaus eine verstärkte Rezeption von Methoden und Ergebnissen der Geschichtswissenschaft und hier vor allem der Zeitgeschichtsforschung beobachten, was nicht zuletzt als Reaktion auf die Konjunktur zeitgeschichtlicher Prosa zu verstehen sei.[7]

Insofern lässt sich ein produktives Verhältnis von zeitgeschichtlicher Forschung und Literaturwissenschaft in einem Spannungsfeld entfalten, in dem es um die wechselseitige Bezogenheit der Disziplinen und die Verflechtungen der Textualität von Geschichte und der Geschichtlichkeit von literarischen Texten geht. „Geschichtlichkeit von Texten" meint, dass Texte immer in ein soziokulturelles, historisch gewordenes Umfeld eingebettet sind, dem sie ihre Existenz verdanken und in das sie eingreifen. Nur aus diesem Umfeld heraus sind sie zu verstehen.[8] „Textualität von Geschichte" bedeutet, dass Geschichte nicht „unmittelbar" zugänglich ist – es gibt keine „Geschichte an sich" –, sondern immer nur Erzählungen von ihr. Wenn Geschichte geschrieben wird, ob nun in wissenschaftlichen Abhandlungen, Zeitungsartikeln oder Chroniken, beruht sie immer schon auf narrativen und textuellen Selektionsmustern, die sich nicht vom erzählten Stoff ablösen lassen.[9]

Vor diesem Hintergrund lassen sich aus der Zusammenarbeit von Geschichts- und Literaturwissenschaft Synergieeffekte erzeugen, die zum einen Aufschluss über die Historizität von literarischen Deutungsmustern, kulturellen und sozialen Einschreibungen und Codierungen geben. Zum anderen kann der Einfluss zeithistorischer Erzählungen auf den „Text" der Geschichte sichtbar werden, wie umgekehrt die Einwirkungen der Zeitgeschichte bzw. der zeitgeschichtlichen Forschung auf literarische Geschichtstexte. So kann die Zeitgeschichte sich die spezifischen Erkenntnisgewinne und besonderen Reflexionsoptionen literarischer Texte und literaturwissenschaftlicher Diskurse, die an der Konstruktion von Geschichtswissen und Geschichtsbildern beteiligt sind, für die eigenen Forschungsfelder zunutze machen. Darüber hinaus kann sie prüfen, ob die spezifisch ästhetischen Eigenschaften literarischer Geschichtstexte einen Mehrwert auch für zeithistorische Aufschlüsse und Einsichten zulassen, insofern ästhetischen Verfahren etwa in der Sichtbarmachung von Nicht-Offenkundigem, Polyvalentem, Multiperspektivischem und Paradoxalem eine Komplexität offensteht, die den zuallererst auf Explikation abzielenden Narrationen der Geschichtswissenschaft häufig verstellt bleiben muss. Die Berücksichtigung sprachlicher Verfahren der Ästhetisierung wie Fiktionalisierung für die (Re-)Konstruktionsprozesse der jüngeren Vergangenheit kann nicht nur Aufschluss darüber geben, wie literarische Sprache bzw. literarische Texte Zeitgeschichts-Bilder prägen, sondern auch Reflexionen anstoßen, die nach der Funktion von Ästhetisierung und Fiktionalisierung für die zeithistorischen, d.h. fachwissenschaftlichen Konstruktionsprinzipien und -prozesse fragen.

Textualität von Geschichte – Geschichtlichkeit literarischer Texte

Um die verschiedenen Aspekte einer Zusammenarbeit von zeithistorischer und literaturwissenschaftlicher Forschung transparenter werden zu lassen, soll zunächst an einem Beispiel veranschaulicht werden, wie stark die Konvergenzpunkte von Zeitgeschichte und Literatur(wissenschaft) sind und wie wenig der öffentliche Diskurs dem Wunsch der Expert/innen gehorcht, die Rekonstruktion und Erforschung von Zeitgeschichte den Zeithistorikern zu überlassen.

Im Jahr 2002 hatte Günter Grass mit seinem Roman „Im Krebsgang" eine Debatte angestoßen, die sich als Appell für eine eingehendere Befassung der Zeitgeschichte mit Literatur bzw. für ihre engere Verzahnung mit der Literaturwissenschaft lesen lässt. Dabei musste sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit vom Literaturnobelpreisträger über den bis dato vermeintlich unterbliebenen Umgang mit einem Teil deutscher Geschichte belehren lassen – und das nicht nur auf der literarischen Ebene des Romans, sondern ebenso über zahlreiche Medienkanäle. Das Unglück des 1945 durch ein sowjetisches U-Boot versenkten Flüchtlingsschiffs Wilhelm Gustloff und das damit im Zusammenhang stehende Schicksal der im Zuge des Zweiten Weltkrieges von Flucht und Vertreibung aus Ost- und Mitteleuropa betroffenen Deutschen, so Grass, sei weder im öffentlichen Diskurs, noch in der Literatur, noch von der deutschen Geschichtswissenschaft je ernstlich verhandelt worden. Obwohl dieser Vorwurf gegenüber Geschichtswissenschaft und Literatur sicherlich zu Unrecht erhoben wurde, hatte es Grass mit seinem Buch und seiner Medienpräsenz geschafft, in der Öffentlichkeit einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken, weshalb sich Literaturwissenschaftler/innen wie Zeithistoriker/innen in die Debatte einschalteten und mahnten, einen etwas differenzierteren Blick auf den Stand der literarischen wie fachhistorischen Aufarbeitung und öffentlichen Wahrnehmung zu werfen.[10]
Der problematische Stellenwert, den die akademische Zeitgeschichtsschreibung in der Öffentlichkeit hat, zeigt sich hier besonders augenfällig. Sie befindet sich in einem Zwiespalt, da sie einerseits auf der fachwissenschaftlichen Ebene spezialistischer Expertenkommunikation agiert, die akademischen Kriterien gehorcht und daher einer breiteren Öffentlichkeit eher unzugänglich bleibt. Andererseits jedoch erhebt sie den Anspruch, an den hart umkämpften zeitgeschichtlichen Geschichtsbildern der Gegenwart und an der Konstituierung des kollektiven wie kulturellen Gedächtnisses mitzuwirken, wobei sie sich aufgrund ihrer Expertenposition immer auch als kritische Stimme und Korrektiv im öffentlichen Diskurs versteht.

Literatur als Zeitgeschichte – Zeitgeschichte als Literatur

Die provokative Aussage des Schriftstellers und Buchenwald-Überlebenden Jorge Semprún, der 2008 prognostizierte, dass die kollektive Erinnerung an die Shoah ihr Material in einigen Dekaden weniger aus geschichtswissenschaftlichen denn aus literarischen Werken beziehen werde,[11] bestätigt einmal mehr das Dilemma der historischen Bearbeitung der Vergangenheit: dass nämlich geschichtswissenschaftliche Darstellungen nicht auch nur entfernt dieselbe Reichweite öffentlicher Wahrnehmung besitzen wie etwa literarische Darstellungen.[12] Die in beiden Teilen Deutschlands wachsende Konjunktur der literarischen Geschichtserzählungen seit den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart[13] scheint mithin auch der Nachfrage einer geschichtsinteressierten Öffentlichkeit geschuldet zu sein, der die fachwissenschaftlichen Diskurse eher fremd bleiben.
Die aus der Perspektive der Gegenwart unternommenen literarischen Verarbeitungen jüngerer Vergangenheit stehen dabei in ihrem Reflexionsgrad mitunter zeitgeschichtlichen Untersuchungen in nichts nach,[14] obwohl ihre Darstellungen aufgrund der „Tieferlegung des Beobachtungsstandpunktes"[15] im Sinne der Konzentration auf Einzelerfahrungen weit weniger abstrakt und damit zugänglicher sind. Dieses Konkretisierungsangebot der Zeitgeschichtserzählungen aber trägt entscheidend dazu bei, ein gesteigertes öffentliches Interesse am Historischen und eine breitere Rezeption historischer Narrative zu erreichen. Insofern ist der Literatur eine Appellstruktur impliziert, die die Leser/innen dazu auffordert, sich mit geschichtlichem Geschehen und geschichtlichen Diskursen zu befassen. Damit ruft die Literatur jedoch gleichzeitig auch die Historiografie auf, denn der Anspielungshorizont fiktionaler Geschichtserzählungen kann schließlich erst durch ein Sicheinlassen auf die historischen Kontexte erkannt werden, auf die literarische Texte Bezug nehmen.[16] Allein um dieses in der Literatur aufgehobene historiografische Potenzial zu ermitteln, scheint die Frage, welche historischen Kontexte in welchem Stil und mit welchen narrativen Mitteln literarisch evoziert werden, für die Zeitgeschichte von einiger Relevanz zu sein.
Darüber hinaus lässt sich seit einigen Jahren beobachten, dass literarische Fiktionen Geschichte nicht nur zum Gegenstand haben, sondern mittlerweile auch Spezialdiskurse der Historiografie und Geschichtstheorie literarisch verhandelt werden, wie unter anderen Ansgar Nünning herausgearbeitet hat.[17] Dabei werden in der Literatur auch solche historiografischen Probleme beleuchtet, mit denen sich die moderne Geschichtstheorie bzw. Historik auseinandersetzt.[18] So verhandelt etwa Cees Nootebooms in seinem Wenderoman „Allerseelen" auf luzide Weise das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Fiktion. Und Uwe Johnson legt in seinem Roman „Jahrestage" die Unüberbrückbarkeit der Kluft zwischen geschichtlicher Wirklichkeit und den Modellen der Historiografie wie der Erinnerungs- und Biografieforschung offen.[19] In diesem Zusammenhang sind diachrone Untersuchungen über Entwicklungen und Veränderungen von Geschichtsbildern, Geschichtsdiskursen und Theoriegefügen sowie von Semantiken und Deutungsmustern in der Literatur ein lohnenswertes Bearbeitungsfeld sowohl für die zeitgeschichtliche Forschung als auch für die sozial- bzw. kulturwissenschaftlich orientierte Literaturgeschichte.

Des Weiteren ließe sich die von Semprún aufgeworfene Frage, ob die Literatur als imaginäre Geschichtsschreibung die akademische Geschichtsschreibung langfristig ersetzt, um des produktiven Austauschs von Zeitgeschichte und Literatur willen indes auch in modifizierter Form stellen: Kann die Fiktion das Faktum ergänzen? Betrachtet man Geschichte immer auch als „Resultat einer diskursiven Praxis",[20] kann die akademische Zeitgeschichtsschreibung in der Befassung mit fiktionalen Geschichtserzählungen nicht nur ihren „Materialstand" verbessern, das heißt Literatur als Quelle ernst nehmen. Vielmehr führt die Beschäftigung gerade mit solchen fiktionalen Entwürfen, die die Zeitgeschichte selbst zum Gegenstand haben, dazu, die Möglichkeiten, die Grenzen und die Zuverlässigkeit der eigenen Verfahren und Ergebnisse zu diskutieren bzw. kritisch zu hinterfragen. Denn angesichts einer Literatur, die etwa mit Hilfe von Fokalisierungen „unzuverlässigen Erzählens" Fragen nach der Zuverlässigkeit von historischen Ereignissen und Geschichtsbildern stellt, kann eine akademische Zeitgeschichtsforschung ihre eigenen Narrationstechniken und ihre Wahrheitsvorstellungen und Objektivitätsansprüche auf den Prüfstand stellen. Mit Blick auf die literarisierende Reflexionsebene und im Austausch mit der literaturwissenschaftlichen Forschung kann die Zeitgeschichte darüber hinaus zu einer verbesserten Einschätzung des eigenen Potenzials und der eigenen Wirkkraft kommen. Dies betrifft (1.) das Verhältnis von und ihren Umgang mit dem Verhältnis von Fiktionalität und Faktizität, von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit und (2.) die Frage nach dem Stellenwert des Subjekts bzw. der Akteure der Geschichte(n) im Sinne ihrer Gebundenheit an soziale Praktiken und Diskurse.[21]

Denn literarische Zeitgeschichtsentwürfe, so lässt sich resümieren, stehen trotz ihrer fiktionalisierenden Verfahren ja keinesfalls in reiner Opposition zur Wirklichkeit. Durch ihre komplexe Interaktion und Vernetzung basieren literarische Texte auf Sedimenten realer Elemente, Diskurse und Praktiken. Umgekehrt bleibt die Realität nicht unbeeinflusst von den imaginär erzeugten „Wirklichkeiten" der Literatur.[22] Folglich kann auch die Literaturwissenschaft, selbst wenn sie literarische Geschichtsentwürfe in erster Linie unter ästhetischen Aspekten der Literarizität untersucht, die Bedingungen, Voraussetzungen und Modalitäten der in ihnen enthaltenen und aufgehobenen gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutungspotenziale und Sinnangebote keineswegs außer Acht lassen. Gerade in den sozial- wie kulturgeschichtlich orientierten Zweigen der Literaturwissenschaft weiß man sowohl um die Relevanz von soziokulturellen und historischen Bezügen literarischer Texte als auch um die Bedeutung intertextueller Verflechtungen der Literatur mit der Historiografie. Es ist deshalb falsch, grundsätzlich davon auszugehen, dass Literatur weniger wahre Geschichtsbilder produziert und transportiert bzw. reflektiert als die akademische Geschichtsschreibung. Sie tut dies nur selbstverständlich mit anderen Mitteln, etwa wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf die Erfahrung des Einzelnen richtet, statt auf die Geschichte einer Gruppe oder eines Kollektivs, wie die Geschichtswissenschaft es häufig tut. Dass sie sich dabei weniger auf Fakten denn auf Wahrscheinlichkeiten konzentriert, ist letztlich dem Interesse geschuldet, jene Leerstellen und Grauzonen der mikrohistorischen Perspektive auszufüllen, welche die Geschichtswissenschaft zwangsläufig hinterlassen muss, wenn sie größere Verstehenszusammenhänge erfassen und begrifflich schärfen möchte. Denn die Einzelerfahrung befindet sich, mit Georg Simmel gesprochen, in der Regel unterhalb der Schwelle des historischen Interesses, wenngleich ihr Einflussfaktor auf historisches Geschehen keineswegs unerheblich ist.[23]
Andererseits mag die hier zunächst behauptete Nichtzuständigkeit der Zeitgeschichte für die Einzelerfahrung mittlerweile nur noch in begrenztem Maße Gültigkeit besitzen. Denn gerade die historische Biografieforschung und die oral history streben ja verstärkt an, durch die Untersuchung von Subjekt- und Identitätskonzepten und durch Befragung von Zeitzeugen/innen persönliche Erfahrungen zu historisieren. Allerdings darf man nicht vergessen, dass dies letztlich geschieht, um Aussagen über Kollektiverfahrungen, wie etwa in der Generationenforschung treffen zu können. Während also das zeithistorische Interesse an individueller Erfahrung geleitet wird von dem Interesse an der Kollektiverfahrung, ist es in der Literatur genau umgekehrt. Hier werden – vor dem Hintergrund des historischen Wissens um die kollektive Erfahrung – individuelle Erfahrungen konstruiert, die, eingebunden in einen spezifischen historischen Kontext, mehr oder weniger wahrscheinlich und realistisch erscheinen, ohne jedoch nachweisbar zu sein. In diesem literarischen Zusammenhang steht Fiktionalität letztlich weniger für eine frei erfundene Situation als vielmehr für ein – typisches oder atypisches – Beispiel menschlichen Verhaltens, für eine pointierte Schilderung, in der psychische und physische Verfassungen Gestalt gewinnen.[24] Eine solche Literatur ist also in der Lage, frei von der Verpflichtung zu empirischer Beweisbarkeit, die von der Geschichtsforschung zwar offengelassenen, deshalb aber keinesfalls unbedeutenden Fragen experimentell zu erörtern und zur Diskussion zu stellen.

Als ein Extrem solcher offengelassenen Fragen können diejenigen betrachtet werden, die sich auf die Unbegreiflichkeit und Monstrosität des historischen Geschehens im 20. Jahrhunderts beziehen. Für einen wissenschaftlichen Zugang zu dem aus den nationalsozialistischen Verheerungen hervorgegangenen Phänomen der Traumatisierung, das sich als Folge der Erfahrung der Auslöschung von Identität und Subjektivität nicht selten in der Unfähigkeit sprachlicher Bewältigung eben dieser monströsen Erfahrungen zeigt, fehlt der Geschichtswissenschaft ein geeignetes Instrument, da ihr Zuständigkeitsbereich vor allem in der Erforschung vorhandenen dokumentarischen Materials, mithin des Sichtbaren und nicht des Fehlenden liegt.[25] Da sich aber weder die historischen noch die psychologischen Dimensionen beispielsweise des Holocaust ohne das Wissen um Traumatisierungen und um Unbewältigtes, respektive um Sprachloses und Verschwiegenes, erfassen lassen, bleibt die Geschichte angewiesen auf Texte, die fähig sind, das Unaussprechliche wie auch das Ungesagte und Verschweigende solcher Erfahrungen zu modellieren und zu vermitteln. Hierfür ist letztlich die Literatur zuständig, die ästhetisierende Verfahren entwickelt hat, die der Geschichtswissenschaft nicht zur Verfügung stehen. Diese literarischen Erzähltechniken herauszuarbeiten und in den Horizont ihres sozialen und kulturellen Kontextes zu stellen, was auch heißt, ihre Historizität zu berücksichtigen, ist wiederum die Forschungsaufgabe der Literaturwissenschaft.

So bleibt die Geschichtswissenschaft jenseits ihrer originären Untersuchungsgegenstände und Fragestellungen doch auch auf solche Textsorten angewiesen, die sie aus ihrem eigenen Forschungsfeld ausschließen muss, weil sie keinen Dokumentencharakter haben. Weil sie letztlich den Anspruch erheben muss, auch solche Faktoren und Einflüsse in ihre Untersuchungen mit einzubeziehen, die jenseits der Nachweisbarkeit gleichwohl Teil geschichtlicher Prozesse und Konstellationen sind,[26] ist die Zeitgeschichtsschreibung darauf angewiesen, einen Eindruck von dieser nicht dokumentarisch belebten Einflusssphäre zu gewinnen. Dies aber setzt voraus, sich einen Einblick in die ästhetischen Darstellungsmöglichkeiten und -varianten zu verschaffen. So plädiert der Historiker Wolfgang Hardtwig schon seit Jahren nachdrücklich für eine intensivere Zusammenarbeit von Geschichts- und Literaturwissenschaft. Höchste Zeit sei es, „dass sich nun auch die betroffenen Wissenschaften, die Geschichts- und Literaturwissenschaft, der Frage annehmen, in welcher Weise die literarische Geschichtserzählung Vergangenheit präsentiert, was ihre Spezifik gegenüber der historiografischen Darstellung ausmacht und was ihre aktuelle Konjunktur für das Geschichtsbewusstsein bedeutet".[27]

Dass die Berücksichtigung ästhetischer Darstellungsmodi und die Anwendung literarisierender Verfahren auch historiografisch höchst ertragreich sein kann, hat nicht zuletzt Saul Friedländer mit dem zweiten Band „Die Jahre der Vernichtung 1939-1945" seiner Gesamtdarstellung „Das Dritte Reich und die Juden" gezeigt. Mit der Verknüpfung von traditionellen historischen Darstellungs- und Reflexionsmodi und den Mitteln literarischen Schreibens hat Friedländer eine Geschichtsschreibung erprobt, die auch von der historischen Zunft äußerst positiv aufgenommen wurde, sei es ihm doch gerade durch diese Verknüpfung gelungen, dem millionenfachen Mord das „Abstrakte" zu nehmen.[28]

Zeitgeschichte als Literaturgeschichte

Im Kontext der Frage, wie und auf welche Weise Geschichtsbilder sich gesellschaftlich und kulturell konstituieren und sedimentieren, lässt sich die Art und Konjunktur literarischer „Zeitgeschichten" auf mehreren Ebenen und mit verschiedenen Fragestellungen beleuchten. Ansgar Nünning schlägt vor, sich verstärkt einer kulturgeschichtlich orientierten Narratologie zu widmen, die seines Erachtens Chancen für eine interdisziplinäre Erforschung der Korrelationen zwischen literarischen Textverfahren, ihren Funktionen und ihren Geschichtsbildern bieten kann. Dabei wären auf diachroner wie auch auf synchroner Ebene Formen literarischer Aneignung von Geschichte und ihrer narrativen Inszenierung zu erörtern. Zu den für den zeithistorischen Kontext interessanten Aspekten zählen etwa

- die Semantisierung von Räumen, Gegenständen und Ereignissen zur Darstellung der Bedeutung, die Orte und Erinnerungsräume für das Geschichtsbewusstsein und die Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses haben können

- die Semantisierung von Erinnerungsprozessen, Zeitstrukturen und Zeiterfahrungen zur Darstellung subjektivierter, fragmentierter und entteleologisierter Geschichte

- die multiperspektivische Auffächerung des erzählten Geschehens und die damit einhergehende Pluralisierung von Geschichte (history) zu Geschichten (stories)

- die metareflexiven Elemente fiktionaler Geschichtsverhandlungen, deren Merkmale sich etwa dadurch auszeichnen, dass auf der literarischen Handlungsebene Diskurse über Bedingungen historischer Erkenntnis geführt bzw. Methoden und Verfahren der Geschichtsschreibung reflektiert werden.[29]

Über diese Konturierung von literarischen Geschichtsbildern und Erinnerungsräumen einschließlich ihrer Historisierung können neben den je aktuellen Zeitgeschichtserzählungen vor allem auch zeitgenössische Erzählungen vergangener Dekaden einen erhellenden Aufschluss geben. Denn, wie bereits an anderer Stelle festgestellt, gehen in jeden fiktionalen Text historische Erfahrungen und Wahrnehmungen einer unverwechselbaren sozialen, kulturellen und politischen Situation ein.[30] Oder anders gesagt: Literarische Kunst ist stets die Kunst jener Gesellschaft, in der sie entsteht. Dass in diesen künstlerischen Objektivationen spezifischer Erfahrungen Zeitkolorit und Deutungsmuster mitunter stärker reflektierend verarbeitet sind als etwa in Überresten alltäglicher, nicht-literarischer Sprechakte und Narrative, kann schließlich auch wichtige Einblicke in Atmosphäre, Gestalt und zeitgenössische Deutungsmuster eines bestimmten historischen Zeitraums ermöglichen.[31] Damit ergibt sich für die zeitgeschichtliche Forschung auch hier die Chance, einen von der Literatur initiierten und von der wissenschaftlichen Literaturgeschichte zugänglich gemachten historiografischen Zugang zu erörtern und gleichzeitig neue Frage- und Problemstellungen daraus zu entwickeln.
Welche entscheidende Bedeutung historische Prozesse und Zäsuren bzw. deren historiografische Konstruktion seit 1945 in Deutschland haben, lässt sich im Übrigen auch an der Orientierung der für die Systematisierung von Literatur zuständigen Literaturwissenschaft feststellen. Literaturgeschichtliche Epochenzuschreibungen wie „Literatur im Nationalsozialismus", „Literatur des Neuanfangs nach 1945", „Literatur der frühen Bundesrepublik" und „DDR-Literatur" machen dies deutlich.[32]

Ein weiteres wichtiges Argument für eine fachübergreifende Zusammenarbeit von (Zeit-)Geschichte und Literaturwissenschaft unter dem Signum der „Zeitgeschichte als Literaturgeschichte" lässt sich aus der in den 1970er-Jahren geführten Kontroverse um Hayden Whites poetologisches Konzept einer Geschichtsschreibung herleiten.[33] Diese Debatte hat innerhalb der Geschichtswissenschaften die Sensibilität für die symbolische Strukturiertheit historischer Erkenntnisprozesse geschärft. Nicht erst auf der Darstellungsebene der Geschichtsschreibung, sondern bereits auf der Ebene der faktischen Beobachtung, so White, werde die Beziehung zur Sprache hergestellt und der bedeutungsstiftende Prozess in Gang gesetzt, welcher die Vergangenheit plausibel machen soll. Deshalb seien historische Erkenntnisprozesse genuin sprachlich, das heißt symbolisch strukturiert, und historische Werke das Ergebnis einer sinngebenden Perspektive durch die „erzählenden" Historiker/innen. Da aber aus diesem Blickwinkel nicht die Fakten selbst der Bezugspunkt der Geschichtsschreibung seien, sondern lediglich die unterschiedlichen Interpretationen der Fakten, erscheint White zufolge die Grenze der Geschichtswissenschaft zur Literatur äußerst durchlässig.[34] Auch wenn Whites Annäherung von Geschichtswerk und literarischem Werk äußerst kontrovers diskutiert wurde und sich letztlich auch kaum generalisieren lässt, kann doch konstatiert werden, dass das lange Zeit gängige Vorurteil, Tatsachen könnten in einem ersten Schritt der Erkenntnis rein und objektiv vermittelt und dann in einem zweiten, grundsätzlich abtrennbaren Vorgang darstellerisch präsentiert werden, innerhalb der Geschichtswissenschaft weitestgehend ausgeräumt ist. Die stärkere Betonung des durch die sprachliche Form vorgegebenen Sinns und des Konstruktionscharakters auch faktengesättigter Geschichtserzählungen hat das Bewusstsein für die Darstellungs- und Präsentationsmodi der Historiografie geschärft.

Die Tatsache, dass auch fachwissenschaftliche Geschichte sich weder einer kulturell sedimentierten Semantik noch der Allgegenwärtigkeit von Deutungen entziehen kann, hat den von der Geschichtswissenschaft bis dahin gern behaupteten Objektivitätsanspruch relativiert und kritische Selbstreflexionen in Gang gesetzt, die letztendlich dazu geführt haben, differenziertere Verfahrensweisen historischer Forschung zu etablieren und neue narrative Formen der Geschichtsschreibung zu ermöglichen, die beispielsweise in den Werken von Natalie Zemon Davis, Carlo Ginzburg, Robert Darnton oder eben auch Saul Friedländer aufscheinen.[35] Besonders innerhalb der Kulturgeschichte findet auch das Erzählen als Kulturtechnik zunehmend Berücksichtigung.[36] Erzählungen werden dabei nicht nur als kommunikative Vermittlung realer oder fiktiver Vorgänge verstanden, sondern Erzählen wird als kulturelles Ordnungsmuster erforscht, das für die Strukturierung von Erfahrung und Wissen grundlegend ist. Erzählungen bzw. ihre Verschriftlichungen im Sinne von Texten verknüpfen Geschehnisse und Akteure und können damit zum Beispiel die Zeitlichkeit von Generationen und ihre Bindung an Handlungsträger erfassen.[37] Dass auch Geschichtserzählungen unter dem Aspekt der Veränderung ihrer Erzähltechniken, ihrer narrativen Modellierungen und des Einsatzes rhetorischer Figuren zu historisieren sind, macht sie darüber hinaus zu einem Untersuchungsfeld für eine an den Entwicklungen ästhetischer Darstellungsmodi und an intertextuellen Bezügen interessierten Literaturgeschichte.[38]

Literaturgeschichte als Zeitgeschichte

Literaturgeschichte wiederum als Zeitgeschichte aufzufassen, heißt der Literaturwissenschaft zuzugestehen, dass ihrer Analyse zeithistorischer Literatur das Moment zeitgeschichtlicher Betrachtung und Erörterung bereits inhärent ist. Dies betrifft zum einen die Gegenstandsebene, auf der Literaturwissenschaft den zeithistorischen Gehalt des Literarischen zu destillieren und zu be- wie hinterfragen sucht. Zum anderen geschieht dies auf einer metareflexiven Ebene, in dem die Literaturwissenschaft Kategorien des Historischen, die von literarischen Zeitgeschichten entweder offenkundig ins Spiel gebracht oder auch nur evoziert werden, in den Kontext historischer und zeitgenössischer Diskurse zu stellen versucht.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich indes ein weiterer Grund für die Geschichtswissenschaft, literarische Zeitgeschichten in die eigene Reflexion über das, was als Referenz des Realen historischen Geltungsanspruch erhebt, einzubeziehen und auf literaturwissenschaftliche Expertise zurückzugreifen. Dies hat mit der bisweilen nicht unproblematischen Vermischung wie Verwischung von Fiktionen und Fakten zu tun. Denn so aussagekräftig literarische Texte der Vergangenheit wie der Gegenwart einerseits für die Konstituierung von Geschichtsbildern und -bewusstsein sein mögen, so zwiespältig bleibt andererseits auch, was sie dem öffentlichen Diskurs, der Erinnerungskultur und auch der Literaturgeschichte mitunter hinterlassen. Zwiespältig insofern, als die fiktiven Erzählungen, die an sich keine Authentizität beanspruchen, zu Referenten wirklichen Geschehens avancieren, weil sie in der Erinnerung des Einzelnen und durchaus auch im kulturellen Gedächtnis häufig eben nicht als Fingiertes bzw. Erfundenes haften bleiben, sondern als Darstellung von Realhistorie. Nicht selten kommt es vor, dass Zeithistoriker/innen auf (vermeintliche) Zeitzeugen stoßen, deren Erinnerungen, wie sich herausstellt, sich nicht auf Selbstgesehenes und Selbsterlebtes, sondern auf Fiktives wie etwa Literatur stützen.[39]

Das Verhältnis von Fiktionen und Fakten unter Aspekten der „false memory" zu erörtern haben vor allem Erinnerungsgeschichte und kulturelle Gedächtnisforschung seit einigen Jahren vorgeschlagen und damit ein neues Forschungsfeld eröffnet.[40] Seit weitaus längerer Zeit beschäftigt sich allerdings die Literaturwissenschaft – häufig anhand von konkreten Fällen aus der Literaturgeschichte – mit diesem Thema.[41] Ein Fall wie derjenige Binjamin Wilkomirskis macht die Notwendigkeit und die Chancen einer solchen Erkundung deutlich und zeigt die disziplinübergreifende Relevanz der „false memory" und die Synergieeffekte eines interdisziplinären Austauschs zwischen Zeitgeschichte und Literaturwissenschaft: Binjamin Wilkomirski veröffentlichte 1995 im zur Suhrkamp-Gruppe gehörenden Jüdischen Verlag das Buch „Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939-1948". Die im Stil einer Autobiografie verfasste Publikation beschrieb in fragmentarischer Form und hauptsächlich aus der Perspektive eines Kindes Erlebnisse aus dem Leben des Ich-Erzählers aus der Zeit des Nationalsozialismus in Lettland und anderen Ländern. „Bruchstücke" wurde in neun Sprachen übersetzt und von der Kritik hoch gelobt. Der Autor selbst trat immer wieder vor einem interessierten öffentlichen wie fachwissenschaftlichen Publikum als Zeitzeuge und Experte auf. 1998 wurde Binjamin Wilkomirski dann als Bruno Doessekker entlarvt; sein vermeintlicher Lebensbericht entpuppte sich als Fälschung und war damit in das Reich der Fiktion verwiesen.

Dieser Fall hat nicht nur Anlass gegeben, literaturbetriebliche und kulturindustrielle Praktiken zu hinterfragen. Vor dem Hintergrund des erinnerungskulturellen Umgangs mit NS-Geschichte und Holocaust löste er Debatten aus, die nicht nur Aspekte wie die Identitäts- und Authentizitätsproblematik, die Relevanz von Traumatisierungen und die Bedeutung kultureller Rezeptionsmuster verhandelten, sondern auch um Fragen nach den Überschneidungen historiografischer und literaturwissenschaftlicher Zuständigkeit kreisten.[42] Damit ist das Buch „Bruchstücke" sowohl aus literaturhistorischer wie auch historiografischer Sicht von ausgesprochenem Interesse.[43] Denn obwohl der fingierte Lebensbericht als Dokument zeitgeschichtlicher Erfahrung des Holocaust keine Geltung beanspruchen kann, ist seine Genese nur unter den zeitgeschichtlichen Bedingungen und Prämissen des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Darüber hinaus sind die „Bruchstücke" aus literaturhistorischer und zeitgeschichtlicher Perspektive schon allein deshalb interessant, weil sie zum Textkorpus der Erinnerungsgeschichten über den Holocaust gehören, die die Problematisierung von fingierter und „wahrhafter" Erinnerung nachgerade unumgehbar machen.[44]

Nicht zuletzt zeigt die ursprüngliche emphatische Aufnahme des Buches auch durch die historische Fachdisziplin das Bedürfnis, die Unmittelbarkeit authentischer Erfahrung archivieren zu wollen, was aber anscheinend nur jenseits der Nüchternheit historischer Analysen entweder in poetisierter oder fingierter Form denkbar scheint. Von welchen eben auch fiktionalen Narrativen die Darstellung des historischen Geschehens geprägt wird, welche Erzählweisen zu welchen Zeitpunkten welche Rezeption, oder genauer, welche Wirkungsgeschichte nach sich ziehen, sind mithin wichtige Fragen sowohl für eine zeithistorisch orientierte Literaturwissenschaft wie auch für eine literaturhistorisch interessierte Zeitgeschichtsforschung.

Dabei verdeutlichen gerade auch Untersuchungen von literarisch wie historiografisch uneindeutigen Narrationsmustern und sich überschneidenden Erzählweisen, wie unzuverlässig die vermeintlich stabilen Gattungszugehörigkeiten von Historiografie und Literatur mittlerweile sind. Ein historisches von einem literarischen Werk zu unterscheiden, fällt dort schwer, wo Historiker/innen sich literarischer Verfahren und Literaten sich historisierender Methoden bedienen. Namentlich für solche Grenzgeschichte(n) stehen neben Wilkomirski und jenseits aller Fälschungsabsichten bzw. Erinnerungsfälschungen etwa Autoren wie Alexander Kluge und Walter Kempowski, die mit ihren Werken wie „Chronik der Gefühle" (Kluge) und „Echolot" (Kempowski) die Frage nach der Gattungszugehörigkeit ihrer Texte aufwerfen. Die absichtsvolle Verwischung und Vermischung von Historischem und Künstlerischem, von Authentischem und Fingierten, wie sich dies etwa in den ästhetisch verfremdenden Anordnungen und Kompositionen von Archivmaterialien dieser beiden Autoren zeigt, stellen die eindeutige Abgrenzung von historiografischen wie literarischen Schreibweisen und Methoden grundsätzlich in Frage. Denn durch die Vermischung der Genres bzw. die Auflösung ihrer Grenzen entsteht ein reflexiver Mehrwert sowohl aus historischer wie auch aus ästhetischer Perspektive. So kann man Wolfgang Hardtwig sehr wohl beipflichten, wenn er schreibt: „Für den methodenbewussten Historiker ist die saubere Trennung zwischen literatur- und geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden im Kontext der neueren Kulturgeschichte nicht mehr selbstverständlich."[45]

Die Einsicht, dass Geschichte wie Geschichten über die Geschichte sowohl aus historiografischer wie literaturwissenschaftlicher Perspektive immer schon auf bestimmten Narrativen und diskursiven Mustern gründen, führt mithin auch nicht zu einer Relativierung oder gar Nivellierung der jeweiligen Einzelwissenschaften, sondern erlaubt und ermutigt die weitere Ausdifferenzierung der Forschungsblickwinkel und Intensivierung interdisziplinärer Vernetzungen. Die Untersuchung der (Re-)Konstruktion und Textualität von (Zeit-)Geschichte wird indes nicht allein im Feld der Zeitgeschichte geschehen können. Denn, wie gezeigt wurde, konstituieren nicht nur historiografische, sondern ebenso literarische Textverfahren und literaturwissenschaftliche Reflexionen das Denkmuster „Zeitgeschichte", wobei sich historische Muster und Begriffe in der zeitgeschichtlichen Forschung durchaus anders darstellen und widerspiegeln als in der Literatur. Dass die wissenschaftliche Geschichtsschreibung auf die argumentativ gestützte und rational nachvollziehbare Begründung ihrer Wirklichkeitsaussagen verpflichtet bleibt und durch diesen spezifischen Aussagemodus wie auch durch das „Vetorecht der Quellen" mit fiktionaler Literatur eher schwer zu verwechseln ist, steht mittlerweile auch weitgehend außer Frage.[46]

Dabei ist es nicht zuletzt ein Verdienst der Literaturwissenschaft, dass sie mit ihren Untersuchungen literarisierter Historie auf der einen Seite und mit ihren Analysen der Interferenzen von literarischen und historischen Verfahren und Methoden auf der anderen Seite das interdisziplinäre Potenzial erkannt und auch innerhalb der Geschichtswissenschaften Anregungen zu Diskussion und Methodenpluralisierung gegeben hat. Denn für das Projekt einer (post-)modernen Geschichtsschreibung, die um das „Ende der großen Erzählungen" und von daher auch um die Problematik historischer „Meistererzählungen" weiß und mit der Historisierung polyphoner und multiperspektivischer Wirklichkeitsbetrachtungen und -beschreibungen umgehen soll, hilft der Geschichtswissenschaft nicht zuletzt der Blick auf die Nachbardisziplin: Mit der Reflexion über Narrationsmuster und Schreibweisen einschließlich ihrer historischen Genesen ist die Literaturwissenschaft aus ihrer Arbeit mit avantgardistischen wie avancierten literarischen Erzählformen der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts bestens vertraut. Dabei geht es um nicht weniger als die grundsätzliche Frage, wie eine durch die Vielfältigkeit ihrer Perspektiven und Stimmen gekennzeichnete Zeitgeschichte als Gegenstand wie als Forschungsfeld adäquat mitteilbar wird und bleibt.[47]

Resümee

In Abgrenzung vom überkommenen Modell einer ganzheitlichen und teleologischen Geschichte ist sich die zeithistorische Forschung darüber im Klaren, dass Geschichte sich in eine Vielzahl von Geschichten aufgesplittert hat, weshalb Gegenstände, Ereignisse und Diskurse auch nicht mehr unbedingt in einer hierarchischen Struktur oder Abfolge historisch rekonstruierbar sind.[48] Diese Pluralisierung der Geschichte ist Kennzeichen wie Ergebnis eines Einsichtsprozesses, in dem Ausdifferenzierungen und Diversifizierbarkeit des Kollektivsingulars Geschichte nicht mehr zu ignorieren sind. Was unter dem Rubrum des „Endes der großen Erzählungen" kursiert, ist mithin die Erkenntnis, dass Einheitsperspektiven auch in der Geschichte nicht mehr zu haben sind. Wie Geschichte erzählt, dargestellt und somit interpretiert wird, hängt vielmehr immer auch vom Standpunkt der je einzelnen Historiker/innen ab, die damit wiederum immer auch eine Position innerhalb eines gesellschaftlichen Diskurses beziehen. Da also Geschichtswissenschaft wie Literatur, wenn auch nicht mit denselben Mitteln, Geschichte(n) in und aus pluralisierter Perspektiven (re-)konstruieren, liegen die Möglichkeit und Notwendigkeit, ihre Schnittmengen, Konvergenzen und Divergenzen vergleichend im Blick zu behalten, auf der Hand.[49]

Denn dass literarische und wissenschaftliche Zeitgeschichtsbilder letztlich nicht unabhängig voneinander zu verstehen sind, geht aus dem hier Erörterten hervor. Dabei sind manche der Konsequenzen, die die Überkreuzungen von Faktizität und Fiktion in literarischen und historiografischen Texten mit sich bringen, durchaus auch problematischer Natur. Diese Schwierigkeiten, aber auch die mit der disziplinären Überkreuzung verbundenen Chancen nicht zu ignorieren, sondern konstruktiv zu bearbeiten, ist eine Herausforderung, der sich die zeithistorische und literaturwissenschaftliche Forschung gemeinsam anzunehmen haben; dass diese Herausforderung auch eine Verantwortung ist, zeigt nicht zuletzt der Blick darauf, wie einflussreich Zeitgeschichte(n) für Politik und Kultur unserer heutigen Gesellschaften sind.

Empfohlene Literatur zum Thema

Stefan Deines, Stephan Jaeger, Ansgar Nünning (Hrsg.), Historisierende Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, de Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-017805-2.

Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich, Klaus R. Scherpe, Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit, Metzler, Stuttgart 1990, ISBN 3-476-00736-7.

Daniel Fulda, Silvia Serena Tschopp, Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart, de Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017023-X.

Wolfgang Hardtwig, Erhard Schütz (Hrsg.), Keiner kommt davon. Zeitgeschichte in der Literatur nach 1945, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-20861-8.

Reinhart Koselleck, Wolf-Dieter Stempel (Hrsg.), Geschichte – Ereignis und Erzählung, Fink, München 1973, ISBN 3-7705-0851-3.

Paul Ricoeur, Zeit und Erzählung, Bd. 3: Die erzählte Zeit, 2. Auflage. Fink, München 2007, ISBN 978-3-7705-2608-6.

Paul Ricoeur, Zeit und Erzählung, Bd. 1: Zeit und historische Erzählung, 2. Auflage. Fink, München 2007, ISBN 978-3-7705-2467-9.

Paul Ricoeur, Zeit und Erzählung, Bd. 2: Zeit und literarische Erzählung, Fink, München 2007, ISBN 978-3-7705-2468-6.

Hayden White, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Klett-Cotta, Stuttgart 1991, ISBN 3-608-95806-1.

Zitation
Katja Stopka, Zeitgeschichte, Literatur und Literaturwissenschaft, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.2.2010, URL: http://docupedia.de/zg/Literaturwissenschaft

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Anmerkungen

    1. Wie beispielsweise im Kontext des Forschungsfeldes der Cold War Culture, vgl. v.a. die Studien von Thomas Lindenberger: Thomas Lindenberger, Looking West: The Cold War and the Making of Two German Cinemas, in: Karl. C. Führer/Corey Ross (Hrsg.), Screening the Media: Mass Media and Society in 20th Century Germany, Basingstoke 2006, S. 113-128; Thomas Lindenberger, Zeitgeschichte am Schneidetisch. Zur Historisierung der DDR in deutschen Spielfilmen, in: Gerhard Paul (Hrsg.), Visual History. Die Historiker und die Bilder. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 353-372; Thomas Lindenberger, Home Sweet Home: Desperately Seeking Heimat in Early DEFA Films, in: Film History. An International Journal 18 (2006), H. 1, S. 46-58.
    2. Einer der wenigen deutschsprachigen Historiker, der sich kontinuierlich mit der Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Geschichte bzw. mit literarischen Einflüssen auf die Geschichtswissenschaft befasst, ist Wolfgang Hardtwig, vgl. etwa Wolfgang Hardtwig, Fiktive Zeitgeschichte? Literarische Erzählung, Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur in Deutschland, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, Göttingen 2005, S. 114-135.
    3. Vgl. u.a. Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Begründet von Rolf Grimminger, München 1980 ff. sowie Daniel Fulda/Silvia Serena Tschopp (Hrsg.), Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Berlin 2002; Hartmut Eggert/Ulrich Profitlich/Klaus R. Scherpe (Hrsg.), Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit, Stuttgart 1990; Paul Michael Lützeler, Klio oder Kalliope? Literatur und Geschichte: Sondierung, Analyse, Interpretation, Berlin 1997.
    4. Vgl. Eggert/Profitlich/Scherpe (Hrsg.), Geschichte als Literatur; Lützeler, Klio oder Kalliope?, S. 11-20.
    5. Rolf Grimminger,Vorbemerkung, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Bd. 3: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution. 1680-1789, 1. Teilband, hrsg. von Rolf Grimminger, München 1980, S. 7-12, hier S. 7.
    6. Vgl. Doris Bachmann-Medick, Cultural turns. Neuorientierung in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006.
    7. Paul Michael Lützeler, Bürgerkrieg global. Menschenrechtsethos und deutschsprachiger Gegenwartsroman, München 2009, S. 23. Zur kulturgeschichtlichen Orientierung der Literaturwissenschaften vgl. auch schon Eberhard Lämmert, Das Ende der Germanistik und ihre Zukunft, in: Jürgen Kolbe (Hrsg.), Ansichten einer künftigen Germanistik, München 1969, S. 79-104, hier S. 92.
    8. Vgl. Moritz Baßler (Hrsg.), New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur, Stuttgart ²2001.
    9. Vgl. Klaus Weimar, Der Text, den (Literatur)Historiker schreiben, in: Eggert/Profitlich/Scherpe (Hrsg.), Geschichte als Literatur, S. 29-39, hier S. 29, sowie Katja Stopka, Geschichte und Geschichten. Erzählen in der Historie, in: Alf Mentzer/Ulrich Sonnenschein (Hrsg.), 22 Arten, eine Welt zu schaffen. Erzählen als Universalkompetenz, Frankfurt a. M. 2008, S. 207-224.
    10. Vgl. zur Debatte Katja Stopka, Vertriebene Erinnerung. Transgenerationale Nachwirkungen von Flucht und Vertreibung im literarischen Gedächtnis, in: Wolfgang Hardtwig/Erhard Schütz (Hrsg.), Keiner kommt davon. Zeitgeschichte in der Literatur nach 1945, Göttingen 2008, S. 166-184.
    11. Vgl. Jorge Semprún, Littell prägt unsere Erinnerung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.02.2008.
    12. Vgl. Wolfgang Hardtwig, Zeitgeschichte in der Literatur 1945-2005. Eine Einleitung, in: ders./Schütz (Hrsg.), Keiner kommt davon, S. 7-25, hier S. 8, sowie zur Fülle von zeithistorischer Literatur: Ralf Schnell, Geschichte in der deutschsprachigen Literatur seit 1945, Stuttgart 2003.
    13. Zu dieser Konjunktur vgl. Ansgar Nünning, Von der fiktionalisierten Geschichte zur metahistoriographischen Fiktion, S. 545 f., und Hardtwig, Zeitgeschichte in der Literatur 1945-2005, S. 8.
    14. Vgl. Ansgar Nünning, Die Rückkehr des sinnstiftenden Subjekts. Selbstreflexive Inszenierungen von historisierten Subjekten und subjektivierten Geschichten in britischen und postkolonialen historischen Romanen der Gegenwart, in: Stefan Deines/Stephan Jaeger/Ansgar Nünning (Hrsg.), Historisierende Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, Berlin 2003, S. 240 ff.
    15. Dieter Wellershoff, Das Geschichtliche und Private, in: Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.), Der Kanon. Die deutsche Literatur. Essays, Frankfurt a. M. 2006, S. 393-416, hier S. 396.
    16. Vgl. Lützeler, Bürgerkrieg global, S. 22.
    17. Vgl. Ansgar Nünning, Von der fiktionalisierten Geschichte zur metahistoriographischen Fiktion. Bausteine für eine narratologische und funktionsgeschichtliche Theorie, Typologie und Geschichte des postmodernen historischen Romans, in: Fulda/Tschopp (Hrsg.), Literatur und Geschichte, S.. 541-569; Linda Hutcheon, A Poetics of Postmodernism. History, Theory, Fiction, London 1988; Patricia Waugh, Metafiction. The Theory and Practice of Self-Conscious Fiction, London 1984. Teilweise beziehen Autor/innen im literarischen Feld sich dezidiert auf historische Studien, so z.B. im umstrittenen Roman „Die Wohlgesinnten“ von Jonathan Littell, in den nach Aussage des Autors vor allem die Studien von Raul Hilberg eingegangen seien. Vgl. etwa das Interview zwischen Jonathan Littell und Pierre Nora, http://www.diewohlgesinnten.de/374.0.html (29.01.10). Auch in Hans-Ulrich Treichels Roman „Menschenflug“, in dem es im weitesten Sinne um die Verarbeitung von Flucht und Vertreibung geht, wird auf eine historische Studie Bezug genommen.
    18. Vgl. Nünning, Von der fiktionalisierten Geschichte zur metahistoriographischen Fiktion, S. 548.
    19. Vgl. ebd., S. 560, sowie Günter Butzer, Narration, Erinnerung, Geschichte. Zum Verhältnis von historischer Urteilskraft und literarischer Darstellung, in: Fulda/Tschopp (Hrsg.), Literatur und Geschichte, S. 147-169.
    20. Ulrich Kittstein, Mit Geschichte will man etwas. Historisches Erzählen in der Weimarer Republik und im Exil (1918-1945), Würzburg 2006, S. 23.
    21. Vgl. Marian Füssel, Die Rückkehr des „Subjekts“ in der Kulturgeschichte. Beobachtungen aus praxeologischer Perspektive, in: Stefan Deines/Stephan Jaeger/Ansgar Nünning (Hrsg.), Historisierende Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, Berlin 2003, S. 141-159.
    22. Näheres hierzu im Abschnitt „Literaturgeschichte als Zeitgeschichte“ des vorliegenden Beitrags.
    23. Vgl. Georg Simmel, Das Problem der historischen Zeit (1916), in: ders., Goethe. Deutschlands innere Wandlung. Das Problem der historischen Zeit. Rembrandt, hrsg. von Uta Kösser, Hans-Martin Kruckis und Otthein Rammstedt [GSG 15], Frankfurt a. M. 2003, S. 305-515; sowie Wellershoff, Das Geschichtliche und Private, S. 394 ff.
    24. Vgl. Ruth Klüger, Was ist wahr? Kann man „schöne Literatur“ über den Holocaust schreiben? Welchen Anspruch erheben die jüngst erschienenen Romane und Erzählungen über KZ und Verfolgung?, in: Die Zeit 38/1997, S. 64, online unter http://www.zeit.de/1997/38/Was_ist_wahr.
    25. Vgl. Stefan Deines/Stephan Jaeger/Ansgar Nünning (Hrsg.), Historisierende Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, Berlin 2003.
    26. Vgl. Daniel Fulda/Silvia Serena Tschopp, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Literatur und Geschichte, Berlin 2002, S. 1-10, hier S. 3.
    27. Hardtwig, Zeitgeschichte in der Literatur, S. 7- 25, hier S. 9. Zu den je unterschiedlichen literarischen und historiografischen Erzählmöglichkeiten und -formen desselben historischen Stoffes und zu ihren Funktionen vgl. beispielhaft Jurij Striedter, Erzählformen als Antwort auf den Schrecken in der Geschichte. Oder: Wie Dracula überlebte, in: Hartmut Eggert/Ulrich Profitlich/Klaus R. Scherpe (Hrsg.), Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit, Stuttgart 1990, S. 104-127.
    28. Vgl. etwa Ulrich Herbert, Die Stimmen der Opfer. Saul Friedländers meisterhafte Gesamtdarstellung des Holocaust zeigt: Die Vernichtung war geplant und gewollt, in: Süddeutsche Zeitung, 29.09.2006; Klaus-Dietmar Henke, Die Stimmen der Opfer. Saul Friedländers historiographisches Denkmal für die ermordeten Juden Europas, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006.
    29. Nünning, Von der fiktionalisierten Geschichte zur metahistoriographischen Fiktion, S. 552 ff.
    30. Vgl. Moritz Baßler (Hrsg.), New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur, Stuttgart 22001 (1. Aufl. 1995); Hardtwig, Zeitgeschichte in der Literatur 1945-2005, S. 22; Lützeler, Bürgerkrieg global, S. 16 ff.
    31. Vgl. Micha Brumlik, Wer Sturm sät. Die Vertreibung der Deutschen, Berlin 2005, S. 137 f.
    32. Vgl. Hardtwig, Zeitgeschichte in der Literatur 1945-2005, S. 9.
    33. Hayden White, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart 1991 (amerik. Original 1978); ders., Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt a.M. 1991 (amerik. Original 1973).
    34. Vgl. etwa Hayden White, Die Bedeutung der Form. Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung, Frankfurt a. M. 1990 (amerik. Original 1987), S. 64 ff.
    35. Z.B. Natalie Zemon Davis, Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre, München 1984; Carlo Ginzburg, Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Berlin 2007; Robert Darnton, Das große Katzenmassaker. Streifzüge durch die französische Kultur vor der Revolution, München 1989.
    36. Vgl. etwa Jan Eckel/Thomas Etzemüller (Hrsg.), Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007.
    37. Vgl. Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt a. M. 22002 (1. Aufl. 2001), S.440 ff.; Alexander von Plato/Almut Leh, Ein unglaublicher Frühling. Erfahrene Geschichte im Nachkriegsdeutschland 1945-1948, Bonn 1997; Moritz Baßler, Zwischen den Texten der Geschichte. Vorschläge zur methodischen Beerbung des New Historicism, in: Fulda/Tschopp (Hrsg.), Literatur und Geschichte, S. 87-100.
    38. Zu verschiedenen theoretischen Aspekten der Narratologie bezüglich der Konvergenzen und Divergenzen historischen und literarischen Erzählens vgl. Dorrit Cohn, Signposts of Fictionality. A Narratological Perspective, in: Poetics today II (Winter 1990), H. 4, S. 775-804.
    39. Vgl. Hans J. Markowitsch/Harald Welzer, Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung, Stuttgart 2005, S. 27 ff. sowie Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004. Vgl. etwa auch den Roman „Menschenflug“ von Hans Ulrich Treichel, in dem die Vermischung von Selbsterlebtem und Fiktionalem literarisch thematisiert wird.
    40. Vgl. Fried, Der Schleier der Erinnerung; Günter Oesterle (Hrsg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, Göttingen 2005; Irene Diekmann/Julius H. Schoeps (Hrsg.), Das Wilkomirski-Syndrom. Eingebildete Erinnerungen oder Von der Sehnsucht, Opfer zu sein, Zürich 2002.
    41. Vgl. etwa Karl Corino, Außen Marmor, innen Gips. Die Legenden des Stephan Hermlin, Düsseldorf 1996; ders. (Hrsg.), Gefälscht! Betrug in Literatur, Kunst, Musik, Wissenschaft und Politik, Nördlingen 1988.
    42. Vgl. Alexandra Bauer, My private holocaust – Der Fall Wilkomirski(s) (Januar 2006), http://www.sicetnon.org/content/literatur/My_private_holocaust.pdf (27.01.2010); vgl. auch grundsätzlich zum Phänomen von Erinnerungsverzerrungen, Quellenverwechslung und Quellen-Amnesie Markowitsch/Welzer, Das autobiographische Gedächtnis, S. 35.
    43. David Oels, A Real-Life Grimm’s Fairy Tale. Korrekturen, Nachträge, Ergänzungen zum Fall Wilkomirski, in: Zeitschrift für Germanistik, N.F. Band 14 (2004), H. 2, S. 373-390.
    44. Vgl. Barbara Breysach, Stellvertretung oder Verdrängung? Jakob Littners Erinnerungen und Wolfgang Koeppens „Roman“, in: Diekmann/Schoeps (Hrsg.), Das Wilkomirski-Syndrom, S. 236-261, hier S. 240 ff.
    45. Hardtwig, Zeitgeschichte in der Literatur 1945-2005, S. 21.
    46. Vgl. etwa Reinhart Koselleck, Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989, S. 176-207, hier S. 206, sowie Nünning, Von der fiktionalisierten Geschichte zur metahistoriographischen Fiktion, S. 544, und Kittstein, Mit Geschichte will man etwas, S. 50.
    47. Vgl. Birgit Aschmann, Moderne versus Postmoderne. Gedanken zur Debatte über vergangene, gegenwärtige und künftige Forschungsansätze, in: Jürgen Elvert/Susanne Krauß (Hrsg.), Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2003, S. 256-276, sowie Fulda/Tschopp (Hrsg.), Literatur und Geschichte; Konrad Jarausch/Michael Geyer, Shattered Past. Reconstructing German Histories, Princeton 2003.
    48. Vgl. Stefan Deines/Stephan Jaeger/Ansgar Nünning, Subjektivierung von Geschichte(n) – Historisierung von Subjekten. Ein Spannungsfeld im gegenwärtigen Theoriediskurs, in: dies. (Hrsg.), Historisierende Subjekte, Berlin 2003, S. 2
    49. Vgl. Deines/Jaeger/Nünning, Subjektivierung, in: dies. (Hrsg.), Historisierende Subjekte, S. 1-22; Lützeler, Klio oder Kalliope?, S. 170 ff.