Historische Parlamentarismusforschung
Updated:
Artikel-URL:
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Page-ID:
100009326
Datum:
2025-09-10
Autor/innen:
Andreas Biefang, Dominik Geppert
Titel:
Historische Parlamentarismusforschung
Version:
1
Alle Kategorien:
Parteien, Politik, Verfassung,regional übergreifend,20. Jahrhundert übergreifend
Sprache:
Deutsch
Bild-Src:
Sturm auf das Parlament: ein Gemälde und eine Fotografie
Bild-Lizenz:

Paris 1795 (Gemälde: Alexandre-Évariste Fragonard) und Washington 2021 (Foto: TapTheForwardAssist), Wikimedia Commons CC BY SA

Ist Übersetzung von:
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Die repräsentative Demokratie als Herrschaftsform ist ein anspruchsvolles Konzept. Sie basiert auf der Idee, dass gewählte Vertreter des „Volkes“, gleich welchen Geschlechts und welcher sozialen Herkunft, in dessen Namen handeln, Gesetze beschließen und die Regierung kontrollieren oder sogar bestimmen. Seit der Entstehung des Parlamentarismus wurde die Idee der Repräsentation jedoch bestritten. Frei sei man nur im Moment der Wahl, befand Jean-Jacques Rousseau in seinem 1762 erstmals erschienenen Du contract social, danach falle man wieder zurück in die Knechtschaft. Sowohl von „links“ als auch von „rechts“ wurde gegen die Parlamente polemisiert, indem man vorgab, im Namen der „echten“ Demokratie oder des „wahren“ Volkes zu handeln. Die hier gezeigten Bilder, ein Geschichtsgemälde aus dem Jahr 1831 und eine Fotografie aus dem Jahr 2021, zeigen diesen Konflikt in extremer Form: Dort, wo das angebliche „Volk“ das Parlament stürmt, ist die Repräsentation nicht nur gefährdet, sondern aufgehoben. Der folgende Artikel behandelt die Entstehung und Entfaltung des modernen Parlamentarismus und erläutert die Geschichte, Probleme und Methoden seiner Erforschung.

 

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Sturm auf das Parlament: ein Gemälde und eine Fotografie
links: Alexandre-Évariste Fragonard, Boissy d’Anglas saluant la tête du député Féraud, 1er prairal An III (20 mai 1795), Öl auf Leinwand, 1831, Louvre. Fotograf: Rama, Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA-2.0-fr; rechts: Sturm auf das Parlamentsgebäude, in dem die Wahl von Joseph Biden zum 46. Präsidenten der USA durch beide Kammern des Parlaments bestätigt werden sollte, 6. Januar 2021. Foto: TapTheForwardAssist, Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 4.0

 

Die Historische Parlamentarismusforschung beschäftigt sich mit den modernen Repräsentativsystemen, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden sind. Als geschichtswissenschaftliche Teildisziplin hat sie sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebildet. Zwar gab es in Großbritannien, dessen Parlamentsgeschichte nach verbreiteter Lesart bis ins Mittelalter zurückreicht, seit dem 19. Jahrhundert eine ausgedehnte historische Forschung zum Thema, aber diese wurde als history of parliament konzipiert und blieb zunächst stark auf das Parlament und seine Mitglieder fokussiert.[1] In Frankreich, dem Land der modernen Revolutionen, wurde Parlamentsgeschichte seit der Etablierung der Dritten Republik in den 1880er-Jahren meist unter dem Blickwinkel eben dieser Republik betrieben und zunächst nicht als eigenständige Teildisziplin etabliert.[2] Auch der Begriff des Parlamentarismus, der hier in einem umfassenden Sinn zur Bezeichnung parlamentsbasierter Herrschaftssysteme verwendet wird (s. Abschnitt 1.1), ist in Großbritannien und Frankreich bis heute wenig gebräuchlich.[3] Tatsächlich erfolgte die konzeptionelle und institutionelle Ausformulierung der historischen Parlamentarismusforschung ausgerechnet im bundesrepublikanischen Deutschland der Nachkriegszeit.[4] Erst seit den 1980er-Jahren lässt sich eine Konvergenz der Forschungsthemen, -konzepte und -methoden in den europäischen Ländern beobachten (s. Abschnitt 1.5).

Der folgende Artikel wird in einem ersten Abschnitt Grundsätzliches wie Definition und Reichweite des modernen Parlamentarismus behandeln, während im zweiten Abschnitt wichtige Themen der historischen Parlamentarismusforschung vorgestellt werden. Hier steht das deutsche Beispiel im Mittelpunkt. Diese pragmatisch begründete Entscheidung ermöglicht es, Probleme, die typisch für den modernen Parlamentarismus insgesamt sind, auf weniger abstrahierte Weise zu behandeln. Obwohl es sich bei modernen Parlamenten um nationalstaatliche Institutionen par excellence handelt, lässt sich ihre jeweilige Geschichte jedoch nur durch transnationale und vergleichende Zugriffe angemessen verstehen. Daher wird immer wieder auf die parlamentarische Geschichte anderer europäischer Staaten, namentlich auf Großbritannien und Frankreich, Bezug genommen.

 

1. Moderner Parlamentarismus: Definitionen und Reichweiten

1.1 Moderner Parlamentarismus und abstrakte Repräsentation

Parlamentarismus ist ein Phänomen der europäischen Moderne seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Das hat er mit dem (National-)Staat gemein, ohne den er nicht zu denken ist.[5] Unter dem Begriff des modernen Parlamentarismus werden politische Ordnungen verstanden, in denen „Repräsentativkörperschaften“ eine „zentrale Funktion als Vermittler zwischen Regierung und Volk“ einnehmen, indem sie das Regierungshandeln in einem gewissen Umfang kontrollieren und an der Gesetzgebung mitwirken.[6] Das müssen nicht notwendig parlamentarisierte politische Systeme sein, bei denen die Regierung aus dem Parlament hervorgeht. Auch dualistisch verfasste Ordnungen wie konstitutionelle Monarchien, die das 19. Jahrhundert dominierten, oder Präsidialsysteme wie in den Vereinigten Staaten und in Frankreich können über moderne Parlamente verfügen.[7]

Entscheidend für den modernen Parlamentarismus ist vielmehr die Art der politischen Repräsentation. Moderne „Volksvertretungen“ beziehen sich explizit oder unausgesprochen auf das „Volk“ rechtsgleicher Staatsbürger als ausschließliche oder zumindest wesentliche Grundlage der Legitimität staatlichen Handelns. Und sie funktionieren nach dem Grundsatz der abstrakten Repräsentation, das heißt, die Abgeordneten werden grundsätzlich frei gewählt und verfügen über ein ungebundenes Mandat. Jeder Parlamentarier soll – unabhängig von sozialer Stellung, Herkunft, Religion oder Geschlecht – Vertreter des ganzen Volkes sein. Nur so kann der Freiraum entstehen, innerhalb dessen politische Probleme beraten und Kompromisse gefunden werden können.

Nun ist offenkundig, dass jeder Parlamentarier als Person und jedes Parlament als Ganzes bestimmte Identitäten, Meinungen und Interessen privilegiert. Bei der Vorstellung, dass im Parlament stellvertretend für das Volk eine gleichsam interesselose Deliberation stattfände, handelt es sich um ein unerreichbares Ideal. Der österreichische Staatsrechtler Hans Kelsen hat deshalb präzise von der Fiktion der Repräsentation gesprochen.[8] Allerdings handelt es sich dabei um eine notwendige Fiktion. Denn damit der moderne Parlamentarismus funktionsfähig bleiben kann, muss eine hinreichend große Zahl von Staatsbürgern die Idee der Vertretung des Volkes durch gewählte Abgeordnete für plausibel erachten. Die Repräsentationsfiktion muss deshalb durch faire Wahlen und eine gelingende Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten stets neu ausgehandelt und stabilisiert werden (vgl. Abschnitt 2.4). Das Ringen um ihre Aufrechterhaltung ist zu einem guten Teil die Geschichte des modernen Parlamentarismus selbst.

 

1.2 Parlamentarismus und Demokratie

Der moderne Parlamentarismus, der auf dem Prinzip der abstrakten Repräsentation beruht, ist nicht identisch mit der „Demokratie“, obwohl im populären Sprachgebrauch der Gegenwart und in vielen wissenschaftlichen Werken beide Begriffe oft synonym verwendet werden.[9] Vielmehr bezeichnet er als „repräsentative Demokratie“ eine Variante der Demokratie, die in den amerikanischen und französischen Verfassungsdebatten des ausgehenden 18. Jahrhunderts ausformuliert wurde. Die Verfassungsgeber der postrevolutionären Regime in Washington und Paris standen vor der Aufgabe, ein Regierungssystem zu entwickeln, das einerseits dem Verlangen nach nationaler Selbstbestimmung und „Volkssouveränität“ entgegenkam, andererseits aber auch für politische und soziale Stabilität sorgte. In der Auseinandersetzung mit der antiken griechischen Versammlungsdemokratie erschien ihnen dabei mit Aristoteles die „Demokratie“ als eine schlechte Herrschaftsform, als Pöbelherrschaft.

Die Lösung hoffte man im Prinzip der politischen Repräsentation zu finden, bei der gewählte Vertreter mit freiem Mandat im Namen des jeweils präzise zu bestimmenden „Volkes“ handelten. Gegen die unmittelbare Volksherrschaft der Demokratie sprach nicht nur die Größe der Territorien, sondern vor allem die Überzeugung, dass die Übertragung der politischen Entscheidungen auf gewählte und deshalb auch besser geeignete Vertreter dem Gemeinwohl mehr diene, weil „deren Klugheit die wahren Interessen des Landes am besten erkennen“ lasse. So formulierte es James Madison in den Federalist Papers.[10] Der Rückgriff auf gewählte Vertreter als die am besten für das politische Geschäft Geeigneten hatte somit einen elitären oder „aristokratischen“ Zug. Meistens wurde diese Tendenz durch restriktive Wahlrechte verstärkt, die erhebliche Teile der Bevölkerung ausschlossen – Sklaven und Ureinwohner, Ärmere und Frauen. Die Entstehung der repräsentativen Demokratien der Gegenwart ist somit eng verknüpft mit dem Ringen um die Ausweitung des Wahlrechts (Abschnitt 2.2).

 

1.3 Entstehung des modernen Parlamentarismus

Der moderne Parlamentarismus entstand zwar im ausgehenden 18. Jahrhundert, aber er hatte eine Vorgeschichte und knüpfte in vielerlei Hinsicht an frühneuzeitliche Vertretungskörperschaften an. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation waren das die Ständeversammlungen der Territorialstaaten sowie der seit 1663 „Immerwährende“ Reichstag in Regensburg, im Königreich Frankreich die Provinzial- und Generalstände sowie die parlements genannten Registrationshöfe, die ebenfalls dazu neigten, ihr Recht zur Registrierung königlicher Rechtsakte mit politischer Kontrolle zu verknüpfen. Überall dort wurden politische Probleme verhandelt und verbindliche Beschlüsse gefasst. Zugleich wurden Redeweisen und Verfahren eingeübt, an die moderne Parlamente anknüpfen konnten.[11] Auf ihre Weise waren die Ständeversammlungen und Parlamente auch „repräsentativ“.

Barbara Stollberg-Rilinger hat die spezifische Art der frühneuzeitlichen politischen Repräsentation als Identitätsrepräsentation bezeichnet:[12] Die Fürsten oder ihre Gesandten brachten die jeweils von ihnen vertretenen Territorien und Körperschaften durch ihre körperliche Anwesenheit gleichsam „in Realpräsenz“ zur Erscheinung. Die Gesandten, die im Alltag die Geschäfte wahrnahmen, waren zudem stets mit einem imperativen Mandat ausgestattet und verfügten nur über geringe Handlungsspielräume. Eine Verantwortlichkeit der Versammlung gegenüber den Untertanen, die nicht als Kollektivsingular „Volk“ konzeptionalisiert wurden, gab es nicht. Darin liegt ein prinzipieller Unterschied zur abstrakten Repräsentation des modernen Parlamentarismus.[13]

Das moderne Verständnis politischer Repräsentation, wie es in den atlantischen Revolutionen ausformuliert worden war, wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas übernommen und ersetzte Zug um Zug die Elemente „altständischer“ Repräsentation, die sich in den frühkonstitutionellen Verfassungen erhalten hatten. Das galt grundsätzlich auch für England. Dort gab und gibt es zwar eine Deutungstradition, die die ungebrochene Kontinuität der Parlamentsgeschichte seit dem 10. Jahrhundert behauptet. Damals, so formulierte es der Historiker J. R. Maddicott, sei das englische Parlament „on its own peculiar course“ gesetzt worden, der sich von dem kontinentalen Weg grundsätzlich unterschieden habe.[14] Aber auch in England bildete sich seit den 1760er-Jahren und unter dem Eindruck der atlantischen Revolutionen allmählich ein modernes Verständnis parlamentarischer Repräsentation aus, das mit den Wahlrechtsreformen von 1832 und 1867 institutionalisiert wurde.[15]

 

1.4 Parlamentarismus global?

Die räumliche Erstreckung des modernen Parlamentarismus ist nicht leicht zu bestimmen.[16] Handelt es sich um ein europäisches, ein atlantisches oder gar ein globales Phänomen?[17] Die „atlantischen Revolutionen“ des ausgehenden 18. Jahrhunderts verbanden die entstehenden Vereinigten Staaten von Amerika und Westeuropa.[18] Im Zuge der napoleonischen Eroberungen erhielten die Niederlande, die deutschen Rheinbundstaaten, Italien und auch Spanien Verfassungen, die tendenziell moderne Parlamente umfassten – wenn auch mit sehr eingeschränkten Rechten. Die auf dem Wiener Kongress 1814/15 errichtete Nachkriegsordnung leitete über in die Phase des monarchischen Konstitutionalismus, der seit der Revolution von 1848/49 auch Preußen einschloss. Die deutsche Nationalstaatsgründung 1867/71 beinhaltete die Einrichtung eines nach dem allgemeinen Männerwahlrecht beschickten „Reichstags“. Auch die ehemaligen europäischen Kolonien Mittel- und Südamerikas wurden von der Konstitutionalisierungswelle erfasst und orientierten sich vielfach an der spanischen Verfassung von Cadiz aus dem März 1812.[19]

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts dehnten sich parlamentsbasierte Regime nach Mittel- und Osteuropa aus, nicht zuletzt durch die Konstitutionalisierung des Habsburgerreichs nach 1867. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts richteten auch Russland, Japan und das Osmanische Reich Parlamente ein. Dasselbe gilt für die Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs nach 1918.[20] Im Prozess der Dekolonisierungswellen nach 1922 und nach 1961 erhielten nicht nur die ehemaligen französischen und britischen Kolonien – namentlich Indien – moderne Parlamente, sondern auch viele der unabhängig gewordenen Staaten des afrikanischen Kontinents.[21] Nach dem Ende der Sowjetunion gaben sich auch die meisten postsowjetischen Staaten Verfassungen, die modernen Parlamenten eine wesentliche Rolle einräumten. Besonders in den vormals habsburgischen Gebieten konnte dabei an ältere parlamentarische Traditionen angeknüpft werden.[22]

Lässt sich der moderne Parlamentarismus somit doch als ein globales politisches Ordnungsmodell bezeichnen? Hier bleibt Skepsis angebracht. So lässt sich für die letzten beiden Jahrhunderte beobachten, dass der „Export“ konstitutioneller und parlamentsbasierter politischer Ordnungen aus Europa oft nicht gut funktioniert hat. In Südamerika kam und kommt es zu einem Wechsel zwischen rechts- und linksautoritären, auf Führerpersönlichkeiten ausgerichteten Regierungen, die nicht zuletzt durch die Konflikte zwischen Landbesitzern und Landlosen sowie zwischen aus Europa Eingewanderten und Indigenen bedingt sind. Auch in den postkolonialen Staaten des 20. Jahrhunderts führte der hoffnungsvoll begonnene Prozess des nation building selten zur dauerhaften Etablierung parlamentsbasierter Regime, selbst wenn machtlose Pseudo-Parlamente beinahe überall zum selbstverständlichen Dekorum autoritärer Herrschaft gehören. Ähnliches lässt sich für viele der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sagen, insbesondere für Russland selbst. Offenkundig ist es leichter, politische Verfassungen und Institutionen zu verpflanzen als die gesellschaftlichen Mentalitäten und Strukturen, die für die Funktionsfähigkeit parlamentarischer Ordnungen notwendig sind. Wie die Dinge sich künftig entwickeln werden, lässt sich kaum prognostizieren. Skeptisch stimmt, dass das Verständnis für die Funktionsweisen und Vorzüge parlamentarischer Repräsentation auch in der „atlantischen Welt“ zu schwinden scheint (vgl. dazu Abschnitt 3.).

 

1.5 Parlamentarismusforschung als geschichtswissenschaftliche Teildisziplin

In Deutschland zählten der moderne Parlamentarismus sowie die Parlamente und ihre Mitglieder nicht zu den Themen, denen die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert sich professionalisierende Geschichtswissenschaft vorzugsweise ihr Interesse gewidmet hat. Dazu war sie politisch und konzeptionell zu staatsnah – ablesbar an der definitorischen Entscheidung, das Parlament tendenziell eher der „Gesellschaft“ und nicht dem „Staat“ zuzuordnen.[23] Nach dem Scheitern der Revolutionen von 1848/49 galt die demokratisch-parlamentarisch herbeigeführte Nationalstaatsgründung als Irrweg.[24] Liberal-demokratische Erzählweisen, die positiv auf Revolution und Nationalversammlung Bezug nahmen, konnten sich im Deutschen Kaiserreich von 1871 weder in der Wissenschaft noch in der offiziellen Geschichtskultur durchsetzen.[25] Sie blieben wie die Arbeiten zur sozialdemokratischen Parteigeschichte von Eduard Bernstein oder Gustav Mayer Teil einer außerakademischen Oppositionskultur.[26]

Erst um 1900 führte der Versuch progressiver liberaler Kreise, die demokratischen Traditionen der Revolution mit der preußisch-deutschen Monarchie zu verbinden, zu einem verstärkten Interesse an der Parlamentarismusforschung, die sich zunächst auf die politischen Parteien als verstetigter Verbindung von Parlamentsfraktion und außerparlamentarischer Organisation richtete.[27] Die von Hermann Oncken verfasste Biografie des langjährigen Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei, Rudolf von Bennigsen, zählt zu den wichtigsten Beispielen.[28] Auf konservativer Seite ließe sich Hans Delbrück nennen, der zwar am traditionellen Dualismus der preußisch-deutschen Tradition festhielt, aber innerhalb dieses Systems die Rolle von Parlamenten und Parteien wissenschaftlich zu reflektieren begann.[29] Wichtige methodische Impulse kamen jedoch meist aus den benachbarten Disziplinen: Hier sind vor allem die parteiengeschichtlichen Arbeiten Ludwig Bergsträssers zu nennen, der als Grenzgänger zwischen Geschichts- und Politikwissenschaft, auch zwischen Wissenschaft und Politik bis in die frühe Bundesrepublik wirkte, oder die parteisoziologischen Studien von Robert Michels.[30]

Während der Weimarer Republik kam es kaum zu grundsätzlichen Fortschritten bei der historischen Erforschung des Parlamentarismus, obwohl die Republik geschichtspolitisch stärker auf die Reichsverfassung von 1849 rekurrierte. Zu den herausragenden Arbeiten gehört die Gesamtdarstellung der Revolution von 1848/49 von Veit Valentin, die den Parlamenten großen Raum widmete.[31] Johannes Ziekursch, ein weiterer linksliberaler Autor, wies in seiner Geschichte des Deutschen Kaiserreichs den parlamentarischen Akteuren ein wesentlich größeres Gewicht zu als bisher üblich.[32] Historiker wie Franz Schnabel widmeten sich den Parlamenten in den frühkonstitutionellen Staaten Südwestdeutschlands.[33] Aber das blieben Randerscheinungen innerhalb des Fachs. Die wichtigsten Impulse für die Deutung des Parlamentarismus gingen von Staatsrechtlern aus. Die Begriffsbildungen und theoretischen Reflexionen von Juristen wie Gerhard Anschütz, Carl Schmitt, Hans Kelsen oder Fritz Stier-Somlo haben das Problembewusstsein der Zeitgenossen ungemein geschärft und klingen noch in unseren heutigen Debatten nach.[34]

Erst mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland konnte sich die historische Parlamentarismusforschung als eigenständige Teildisziplin etablieren. Nationalsozialistische Diktatur und Kriegsniederlage hatten den Blick auf die Vergangenheit verändert. Auch die Re-education sowie die aufstrebende Politikwissenschaft, die als „Demokratiewissenschaft“ aus dem amerikanischen Exil zurückkehrte, zwangen die Historiker dazu, die Suche nach demokratischen und parlamentarischen Traditionsbeständen aufzunehmen. In dieser Gemengelage aus politischen und nationalpädagogischen Bedürfnissen erfolgte 1952 die Gründung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien.[35] Die KGParl machte sich rasch einen Namen, indem sie in kommentierten wissenschaftlichen Editionen wichtige Quellenbestände für die Forschung aufbereitete und erstmals zugänglich machte – beginnend mit Bänden zu den Parlamentarisierungstendenzen während des Ersten Weltkriegs, zur Revolution 1918/19 und zur Weimarer Republik.[36] Hinzu kamen grundlegende, meist parteiengeschichtliche Monografien wie von Thomas Nipperdey zur Organisation der Parteien im 19. Jahrhundert oder von Rudolf Morsey über die Deutsche Zentrumspartei der Weimarer Republik.[37]

Besondere Bedeutung für die Konzeptionalisierung der historischen Parlamentarismusforschung erlangte das von Gerhard A. Ritter zu Beginn der 1970er-Jahre entwickelte Projekt eines Handbuchs des deutschen Parlamentarismus. Ausgehend von der bereits zitierten offenen Definition des Parlamentarismus und unter Berücksichtigung politikwissenschaftlicher und soziologischer Ansätze definierte Ritter sieben Problembereiche, die ihm für die historische Analyse des Parlamentarismus zentral erschienen: der Zusammenhang von Ständewesen und Parlamentarismus, das Recht der Steuerbewilligung und das Budgetrecht, die sozialen Grundlagen des Parlamentarismus und die Wahlen, das Zusammenspiel von Parlament und Bürokratie, das Spannungsverhältnis von Föderalismus und Parlamentarismus, die Auswirkungen der Parteienkonstellationen auf die Parlamentarisierung sowie der Zusammenhang von Interventionsstaat und Parlamentarismus. In den zeitlich gestaffelten, jeweils einem Parlament gewidmeten Monografien sollten diese Themen bearbeitet werden, wobei sinnvolle Schwerpunktsetzungen und Ergänzungen ausdrücklich erwünscht waren.[38] Sein stark der politischen Sozialgeschichte verpflichtetes Programm wandte sich sowohl gegen die Theoreme der „Sonderwegs“-Geschichtsschreibung als auch gegen die „materialistische“ Geschichtsauffassung der DDR-Historie, und es enthielt implizit eine Aufforderung zur vergleichenden Betrachtung des Parlamentarismus, die Ritter selbst vor allem am Beispiel Großbritanniens durchgeführt hat.[39]

Die seit den 1990er-Jahren verstärkt aufkommenden kulturgeschichtlichen Methoden ließen sich in das Ritter’sche Modell jedoch nicht mehr recht integrieren, das wohl auch deshalb unvollendet blieb.[40] In der Folge kam es zu einer umfassenden Erweiterung des Themenspektrums der historischen Parlamentarismusforschung, die neben geschlechtergeschichtlichen Zugängen auch kommunikative, performative und materielle Aspekte und anderes mehr in den Blick nahm.[41] Zugleich wurde die bislang vornehmlich auf den jeweils nationalen Parlamentarismus ausgerichtete Forschung stärker in vergleichenden und transnationalen europäischen Bezügen untersucht.

Erleichtert wurde das durch die Institutionalisierung der außeruniversitären Forschung in verschiedenen europäischen Ländern. In Großbritannien, wo der History of Parliament Trust bereits seit 1940 existiert, öffnete sich die Forschung stärker dem modernen Parlamentarismus, wie auch an den Beiträgen in der seit 1982 erscheinenden Zeitschrift „Parliamentary History“ abzulesen ist.[42] In den Niederlanden wurde 1971 das inzwischen der Radboud Universiteit Nijmegen angegliederte Centrum voor Parlementaire Geschiedenis gegründet, das sich auf die Parlamentsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg konzentriert.[43] In Frankreich erfolgte 2002 die Gründung des Comité d’histoire parlementaire et politique, ein Forschungsverbund, der vom französischen Parlament projektbezogen unterstützt wird. Dessen Zeitschrift „Parlement(s). Revue d’histoire politique“ hat sich zu einem wichtigen Organ der modernen Parlamentsgeschichte entwickelt. Und in einigen postkommunistischen Ländern wie Slowenien und Tschechien kümmern sich nationale Forschungsinstitute intensiv sowohl um ältere parlamentarische Traditionen als auch um die jüngere Parlamentsgeschichte. Das informelle European Information and Research Network on Parliamentary History fördert seit 2007 den Austausch zwischen den genannten und weiteren Institutionen.[44]

Die methodische Erneuerung in Verbindung mit der Internationalisierung hatte Rückwirkung auf die Universitäten, wo die historische Parlamentarismusforschung nach einer längeren Flaute wieder auf mehr Interesse zu stoßen scheint – auch wenn es bislang keinen einzigen Lehrstuhl speziell zum Thema gibt. Verstärkt wurde diese Tendenz zuletzt durch das wachsende Bewusstsein für die Gefährdung der repräsentativen Demokratie angesichts des Erfolgs „populistischer“ Strömungen und alternativer Demokratiemodelle (vgl. Abschnitt 3.). Besonders in Deutschland wurde der Parlamentarismus zudem immer mehr Gegenstand einer als „Erinnerungskultur“ beschriebenen staatlichen Geschichtspolitik.

Generell ist die Demokratiegeschichte – und lediglich als Teil von ihr auch die Parlamentarismusgeschichte – zu einem wichtigen Bestandteil der politischen Bildungsarbeit geworden, die sich etwa in der Förderung von speziellen Museen und Gedenkstätten wie dem 2019 eröffneten Haus der Weimarer Republik in Thüringen zeigt. Auch die oft mit erheblichem Aufwand betriebenen Jubiläumsfeierlichkeiten zur Weimarer Verfassung 2019, zur Frankfurter Nationalversammlung 2023 oder zum Bonner Grundgesetz 2024 gehören in diesen Kontext. Berücksichtigt man weitere Institutionen wie die sogenannten parteinahen Stiftungen oder die vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) finanzierten Politikergedenkstiftungen[45], die neben ihren anderen Aufgaben auch historische Forschungen betreiben, anregen und finanzieren, so hat sich die historische Parlamentarismusforschung zumindest in Deutschland als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft etabliert. Neben dem erfreulichen Zuwachs an öffentlicher Aufmerksamkeit und finanziellen Zuflüssen entstehen so aber auch neue Herausforderungen für die historische Palamentarismusforschung, die sich ungeachtet ihrer inhärenten Normativität vor der Indienstnahme für politische oder pädagogische Zwecke hüten muss.

 

2. Themen und Tendenzen der historischen Parlamentarismusforschung

Historische Parlamentarismusforschung ist nach der hier zugrundeliegenden Definition so angelegt, dass sie weite Teile des politischen und gesellschaftlichen Lebens zum Gegenstand machen kann, sofern diese mit dem Parlament und seinen Mitgliedern in Berührung kommen. Der folgende Überblick kann deshalb nur einige ausgewählte Themenkomplexe vorstellen, die für die Forschung von besonderer Bedeutung sind. Es versteht sich, dass sich diese Schwerpunktsetzung bestreiten lässt. Leicht ließen sich weitere Aspekte wie etwa der Antiparlamentarismus oder die Herausforderung der Ökologie für den Parlamentarismus benennen, die die Forschung beschäftigen.

 

2.1 Parlament und Regierung

Zu den zentralen Fragen der historischen Parlamentarismusforschung zählt das Verhältnis von Parlament und Regierung, weil es Auskunft über die politische Verfasstheit eines Staates gibt. Der Aufstieg ständischer (und später parlamentarischer) Versammlungen hing mit dem erhöhten Finanzbedarf zusammen, den die sich ausbildenden frühneuzeitlichen Territorialstaaten insbesondere für militärische Zwecke beanspruchten. Für die Bereitstellung von Geld und Personal mussten die Fürsten den Ständen Mitbestimmungsrechte einräumen. Daraus entwickelte sich der Grundsatz no taxation without representation, der bei der amerikanischen Sezession aus dem britischen Empire eine entscheidende Rolle spielte. Auch in Frankreich führte die Finanzkrise des Staates – ausgelöst durch steigende Militärausgaben – zur Einberufung der États généraux zum 1. Mai 1789 und setzte die revolutionäre Dynamik in Gang. Selbst die bescheidenen Anfänge der Parlamentarisierung Preußens seit Einrichtung der Provinziallandstände im Jahr 1824 folgten diesem Muster, wenn auch ohne revolutionären Bruch.[46]

Die Konflikte um das (Militär-)Budget bargen stets das Potenzial zu Verfassungskonflikten, bei denen es um die grundsätzliche Abgrenzung der Kompetenzen von Legislative und Exekutive bzw. Krone ging, wie in Kurhessen und Preußen während der 1830er- und 1860er-Jahre.[47] Auch im Deutschen Kaiserreich spielte der Militäretat zunächst eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung der Rechte des Reichstags, da dieser Posten, der damals einen Großteil der Ausgaben des Reichs ausmachte, der jährlichen Bewilligung entzogen worden war.[48] Der Konflikt wurde bis zum Ende des Kaiserreichs nicht grundsätzlich entschieden, aber er konnte durch Kompromisse und quantitative Verschiebungen im Reichsetat entschärft werden. Parlamentarische Machtzuwächse für den Reichstag ergaben sich vorrangig aus dem Regelungs- und Finanzierungsbedarf, den die Rechtsvereinheitlichung im neugegründeten Nationalstaat erforderte, sowie durch den Übergang zur Schutzzollpolitik nach 1878 und vor allem das Aufkommen des (sozialen) Interventionsstaats seit den 1880er-Jahren.[49] Staatliches Handeln war seither ohne parlamentarische Geldbewilligung und legislatorische Unterstützung nicht mehr möglich. Bemerkenswert ist dabei der Funktionswandel, der die ursprünglich zur Begrenzung der Staatsausgaben aufgestiegenen Parlamente zu Garanten einer umfangreichen Staatsfinanzierung machte.[50]

Das Problem der Heeres- und Staatsfinanzen wurde von der Forschung deshalb so stark beachtet, weil dahinter die Frage nach der Parlamentarisierung des Herrschaftssystems steht. Während der Revolution von 1848/49 hatte es auf nationaler Ebene wie in vielen Staaten des Deutschen Bundes kurzfristig Regierungen gegeben, die aus den parlamentarischen Mehrheiten hervorgingen. Aber die von der Deutschen Nationalversammlung 1849 beschlossene Reichsverfassung legte sich in der Frage der Parlamentarisierung nicht ausdrücklich fest, sondern überantwortete sie dem Aushandlungsprozess mit dem vorgesehenen Erbkaiser König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.[51]

Die Reichsverfassung von 1867/71 etablierte erneut ein klassisches dualistisches System, in dem die Regierung allein durch den Kaiser eingesetzt und entlassen wurde, während der Reichstag zusammen mit dem Bundesrat für die Gesetzgebung zuständig war. Die in der Verfassung vorgesehene Ministerverantwortlichkeit war lediglich juristisch, nicht politisch gemeint. Das geplante Gesetz zur Ausführung kam nicht zustande. Die deutsche Variante des europäischen Typus des Konstitutionalismus zählt deshalb wie die habsburgische zu denjenigen mit monarchischer Dominanz.[52] Obwohl im parlamentarischen Raum offene Verfassungsdiskussionen nicht möglich waren und grundlegende Verfassungsänderungen auch nicht erfolgten, kam es zu einem schleichenden Machtzuwachs des Reichstags. Nach 1900 konnten sich Reichskanzler nur dann im Amt halten, wenn sie sowohl das Vertrauen des Kaisers als auch das des Reichstags besaßen.[53]

Vor diesem Hintergrund wurde die Frage intensiv diskutiert, ob der Machtzuwachs des Reichstags auf evolutionärem Weg zur Parlamentarisierung des politischen Systems hätte führen können.[54] Das ist nicht ausgeschlossen, bleibt aber notgedrungen spekulativ. Die parlamentarischen Akteure, also die im Reichstag vertretenen Parteien, waren entweder Gegner der Parlamentarisierung oder nicht vorrangig an ihr interessiert. Erst die Kriegsniederlage und Revolution brachten 1918/19 die weitgehende Parlamentarisierung, die in der Weimarer Reichsverfassung festgeschrieben wurde. Der Sorge vor einem eventuellen „Parlamentsabsolutismus“ begegneten die Verfassungsgeber damit, dass sie mit dem direkt zu wählenden Reichspräsidenten ein demokratisch legitimiertes Gegengewicht schufen und ihn mit weitreichenden Kompetenzen auch im Bereich der Regierungsbildung ausstatteten.[55]

Manche Autoren sprechen deshalb für die Weimarer Republik von einem bloß „teilparlamentarisierten“ Regierungssystem.[56] Aus der Distanz betrachtet wird die Pfadabhängigkeit der deutschen Entwicklung erkennbar, wobei der Unterschied zwischen Kaiserreich und Republik in dieser speziellen Frage nicht so tiefreichend war wie oft beschrieben. Selbst die Bundesrepublik, in der die parlamentarische Regierungsweise unzweideutig in der Verfassung festgeschrieben ist, kennt mit Bundesrat und Bundesverfassungsgericht starke Institutionen, die die Souveränität der Volksvertretung beschränken.[57] Von den durch die Europäische Union beanspruchten Kompetenzen ist dabei noch gar nicht die Rede (vgl. Abschnitt 2.7).

 

2.2 Parlament, Wahlen und Gesellschaft

In modernen Repräsentativsystemen sind es die Wahlen, die zwischen Parlament und Gesellschaft vermitteln. Wenn moderne Volksvertretungen beanspruchen, das „Volk“ zu repräsentieren, versteht es sich, dass dieses „Volk“ rechtlich definiert werden muss. Das betrifft zunächst die Staatsangehörigkeit, denn nicht die Bevölkerung insgesamt, sondern nur Staatsbürger werden unmittelbar im Parlament repräsentiert. Entsprechend umstritten ist die einschlägige Gesetzgebung.[58] Für die historische Parlamentarismusforschung war jedoch das Wahlrecht, durch das der Kreis der aktiven Bürger definiert wird, stets von größerer Bedeutung. Die wichtigsten Kriterien für die Erteilung des Wahlrechts waren seit dem 19. Jahrhundert Geschlecht, Alter und persönliche Steuerleistung. Frauen waren aufgrund patriarchalischer Familienstrukturen und biologistischer Zuschreibungen bis 1919 grundsätzlich vom Wahlrecht ausgeschlossen. Was das Wahlalter anging, sank die Altersgrenze von ursprünglich meist 25 Jahren in der Revolution 1848/49 auf 18 Jahre bei den Wahlen zum Bundestag seit 1972.

Das Zensuswahlrecht der frühkonstitutionellen Staaten, das die Wahlberechtigung an die ökonomische Selbstständigkeit knüpfte und in Preußen nach Steuerleistung differenzierte,[59] spielte hingegen auf der nationalen Ebene keine Rolle. Dort war 1848 die deutsche Nationalversammlung nach einem theoretisch demokratischen, de facto aber meist durch allerlei Maßnahmen eingeschränkten Wahlrecht gebildet worden.[60] Das revolutionäre Parlament verabschiedete im März 1849 neben der Verfassung auch ein Wahlgesetz, das das allgemeine, gleiche und direkte Männerwahlrecht für die Zukunft festschrieb. Dieses Gesetz wurde Grundlage für das 1867/71 gegründete Deutsche Kaiserreich und blieb bis 1919 in Kraft.[61]

Auch in der Bundesrepublik bestehen rechtliche Einschränkungen fort, etwa was das Wahlalter betrifft. Erscheint hier die gelegentlich diskutierte Entkoppelung von Volljährigkeit und Wahlrecht auch auf nationaler Ebene[62] problematisch, weil sie von der allgemeinen Rechtsfähigkeit abstrahiert, so wirft das Wahlrecht für Einwanderer Probleme eigener Art auf. Das gilt weniger für Angehörige der EU-Mitgliedsländer, die als EU-Staatsbürger in einem gemeinsamen Rechtsraum leben, als für Einwanderer von außerhalb. So kann das Wahlrecht für eingebürgerte Doppelstaatler neue Gerechtigkeitsprobleme schaffen, indem manche Personen in zwei Ländern wahlberechtigt sind. Umgekehrt stellt sich die Frage, wie legitim ein Parlament sein kann, wenn – wie im Großherzogtum Luxemburg oder in manchen deutschen Kommunen – ein Großteil der dauerhaften Wohnbevölkerung nicht über die Staatsangehörigkeit verfügt und somit von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt.[63]

Die historische Forschung hat sich intensiv um die Wahlrechtsbewegungen der Arbeiter gegen das preußische und sächsische Klassenwahlrecht sowie um die der Frauen gekümmert.[64] Sie hat die Durchsetzung einer fairen Wahlpraxis untersucht.[65] In einer Fülle von Studien wurden zudem einzelne Wahlkämpfe und Wahlen thematisiert, sei es auf nationaler, regionaler oder Wahlkreisebene.[66] Man hat hohen methodischen Aufwand betrieben, um die Wählerstruktur und die Wählerbewegungen im Kaiserreich herauszuarbeiten[67] oder um die Wähler und Wählerinnen Hitlers zu bestimmen.[68] Neben die wahlsoziologischen Studien traten Forschungen zur Wahlkultur, die die performativen Aspekte des Wahlkämpfens und Wählens untersuchten und die materielle Seite des Wählens – Wahllokal, Wahlkabine, Wahlurne, Wahlzettel – in den Blick nahmen.[69] Auch die Wahlkultur der jungen Bundesrepublik wurde monografisch und in vergleichender Perspektive behandelt.[70]

 

2.3 Parteien und politische Partizipation

In den frühkonstitutionellen Parlamenten differenzierten sich rasch Gruppen regierungsfreundlicher sowie regierungskritischer Abgeordneter aus, die sich spätestens in der Frankfurter Nationalversammlung ideologisch und organisatorisch zu Fraktionen verfestigten. Durch ihre institutionalisierte Verbindung mit außerparlamentarischen politischen Vereinen wurden sie zu programmatisch gebundenen Parteien.[71] Herausgewachsen aus dem politischen Vereinswesen des Vormärz formierten sie sich erstmals erkennbar während der Revolution von 1848/49. Ihre Entwicklung beschleunigte sich unter den Bedingungen des allgemeinen Männerwahlrechts seit den 1870er-Jahren, weil der finanzielle und organisatorische Aufwand für erfolgreiche Wahlkämpfe immer größer wurde.[72]

Vor allem der Aufstieg der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu einer Massenmitgliederpartei mit ausgefeilter Organisationsstruktur, hauptamtlichen Funktionären und eigenen Zeitungen hat nicht nur die Zeitgenossen in den Bann gezogen, sondern auch die Forschung stark beschäftigt. Andere Parteien, vor allem die Konservativen und die Nationalliberalen, wirkten im Vergleich dazu defizitär und empfanden das teils auch selbst so. Für die Organisation des Wahlkampfs waren sie seit den 1890er-Jahren auf die Unterstützung von wirtschaftlichen Interessenverbänden angewiesen. Einen Sonderfall stellt die Zentrumspartei da, die als katholische Partei in den Wahlkämpfen durch die Kirche unterstützt wurde, ehe nach 1900 der linke Parteiflügel die organisationsskeptischen, oft adeligen Honoratioren teilweise entmachten konnte.[73]

Nach der Wende zum 20. Jahrhundert begann sich Kritik an den erstarkenden Parteiorganisationen zu regen, namentlich an der Sozialdemokratischen Partei, der im Vorwurf der „Oligarchisierung“ der Parteiführung gipfelte.[74] Dabei schwang neben soziologischen Beobachtungen auch ein antidemokratisches Sentiment mit. Die bürokratische Massenpartei nach dem Vorbild der deutschen Sozialdemokratie ist dabei nicht das einzige mögliche Organisationsmodell politischer Parteien, wie ein vergleichender Blick ins europäische Ausland oder in die Vereinigten Staaten zeigt.[75]

Geschichtswissenschaftliche Parteieistudien nach 1945 konzentrierten sich zunächst auf die Mitgliederentwicklung, die Organisationsstruktur und die Programmatik. Inzwischen zeichnet sich eine methodische Erneuerung der Parteienforschung ab, bei der beispielsweise die Organisations- und Versammlungskulturen in den Blick genommen werden. Für die Arbeiterpartei SPD erwies sich, dass ihre Mitglieder stark körperbetont und männlich dominiert waren, obwohl die Partei seit 1890 für das Frauenwahlrecht eintrat.[76] Das trug dazu bei, dass weibliche Wähler nach 1919 sich zunächst überproportional Parteien zuwandten, die stärker religiös orientiert waren, vor allem dem katholischen Zentrum und der protestantisch-konservativen Deutschnationalen Volkspartei. Der kulturgeschichtliche Blick führte dazu, dass Parteitage nicht nur als Orte der Programmdebatte, sondern auch als performative Veranstaltungen untersucht wurden. So dienten sozialdemokratische Parteitage sowie ihr katholisches Pendant, die Katholikentage als Bühne der Zentrumspartei, auch dazu, das Verbundenheitsgefühl der Mitglieder zu stärken und die mediale Öffentlichkeit zu beeindrucken.[77] Bei diesen und ähnlichen Themen ist die Forschung bislang über Ansätze nicht hinausgekommen, hier öffnet sich ein weites Untersuchungsfeld.

Nicht nur einzelne Parteien wurden behandelt, sondern auch die Parteiensysteme insgesamt.[78] Damit ließ sich eine Schwäche der klassischen Parteienstudien reduzieren, in denen oft zu wenig berücksichtigt wurde, dass die Positionierung einzelner Parteien sich auch aus der Beobachtung der politischen Konkurrenz ergibt. Lange Zeit ging man von einer Kontinuität des deutschen Parteiensystems seit 1848/49 aus, das bis in die 1920er-Jahre reichte und auf fünf ideologischen Strömungen beruhte: der konservativen, der rechtsliberalen, der linksliberalen, der politisch-katholischen sowie der sozialdemokratischen. In dieser Sicht gerieten allerdings einige wichtige Besonderheiten aus dem Blick, wie das Verschwinden einer bürgerlich-republikanischen Partei nach 1849 – ein wesentlicher Unterschied zu Frankreich – oder die parteibildende Rolle des Föderalismusproblems für liberale, konservative und konfessionelle Gruppierungen bis in die 1880er Jahre.[79] Erst der Aufstieg der NSDAP als faschistische Variante einer catch-all-party in den freien Wahlen bis 1932 brachte das bestehende Parteiensystem zum Einsturz.[80]

Gleichwohl bleibt die Stabilität des deutschen Parteiensystems erstaunlich. Zu ihrer Erklärung griff man seit den 1970er-Jahren auf das Theorem der „sozial-moralischen Milieus“ zurück, die die potenziellen Wähler im vorparlamentarischen Raum erfassten und lebensweltlich auf bestimmte politische Parteien hin sozialisierten.[81] Bei der retrospektiven Konstruktion dieser „Milieus“, die seit den 1860er-Jahren entstanden, ihre größte Ausdehnung während der Weimarer Republik erreichten und bis in die 1980er-Jahre fortwirkten,[82] entging man nicht immer der Gefahr der Essentialisierung. Denn diese Milieus waren nie einfach da, und sie waren bei weitem nicht so stabil wie rückwirkend unterstellt, sondern sie mussten durch die politischen Akteure immer wieder neu aktualisiert und befestigt werden.[83] So hat die gegenwärtig oft geführte Rede vom Niedergang der „klassischen“ Milieus der Kirchen und der Arbeiterbewegung bei aller offenkundigen Evidenz eben auch eine entlastende Funktion, weil sie den Wählerschwund der „Volksparteien“ gleichsam als vorgegeben erscheinen lässt und nicht als Resultat einer wählerfernen Programmatik und Performanz.

Noch in den Anfängen steckt die Erforschung der Parteien nach 1990.[84] Erst allmählich in den Blick kommen in diesem Zusammenhang die langfristig mentalitätsprägenden Folgewirkungen sozialistischer Demokratievorstellungen in Ostdeutschland – und zwar nicht nur bei den Anhängern der SED-Diktatur, sondern auch bei deren Gegnern in der Bürgerrechtsbewegung. Hierzu zählten nicht zuletzt das Vertrauen auf den direkten Dialog zwischen Bürgern und Obrigkeit durch Verfahren direkter Demokratie, außerdem ein Misstrauen gegenüber Parteien und Parlamenten, die in der DDR als Transmissionsriemen der SED-Herrschaft erlebt worden waren, sowie eine „tiefe Sehnsucht nach ‚Konsens‘, nach gesellschaftlichem Ausgleich und sozialem Frieden“, wie sie etwa auch die Demokratievorstellungen der Runden Tische prägten.[85] Die „konsensdemokratischen Vorstellungen von ‚Volksvertretung‘ in Ostdeutschland“ kollidierten nach 1990 laut Christina Morina heftig mit der „eingeübten Streitkultur der westdeutschen Repräsentativdemokratie“.[86] Dieser Zusammenstoß zweier unterschiedlicher Konzepte von Demokratie hat, so scheint es, seinen Anteil daran, dass die Übertragung des etablierten westdeutschen Parteiensystems in die neuen Bundesländer inzwischen als gescheitert gelten muss. Hierzu hat die KGParl ein Forschungsprogramm aufgelegt, dessen erste Ergebnisse demnächst präsentiert werden können. Zumindest für die PDS/Linkspartei liegt bereits eine grundlegende Studie vor.[87]

Aber nicht nur politische Parteien, auch außerparlamentarische Bewegungen, Vereine und Verbände sind Akteure gesellschaftlicher Selbstorganisierung und politischer Partizipation, die eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien entwickelt haben, um politische Aufmerksamkeit und Wirkung zu erzielen. Soweit sie unmittelbar Einfluss auf parlamentarische Entscheidungen nehmen wollen, sind sie Gegenstand der Parlamentarismusforschung, zumal soziale Bewegungen und „außerparlamentarische Opposition“ – wie zunächst im Fall der Grünen – auch Ausgangspunkt von Parteigründungen werden können.[88] Aber auch rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteigründungen wie die „Republikaner“ in den 1980er-Jahren[89] oder neuerdings die AfD ruhten bzw. ruhen auf außerparlamentarischen Bewegungen auf, die zur Milieubildung tendieren.[90]

Nicht auf Parteigründung, sondern auf Einflussnahme zielen die wirtschaftlichen Lobbyverbände, die durch öffentliches Agenda Setting und unmittelbare persönliche Kontakte zu Vertretern von Exekutive, Verwaltung und Parlamentariern in ihrem Sinn auf die Gesetzgebung einwirken wollen.[91] In diesem Zusammenhang erweist sich der positiv konnotierte Begriff der „Zivilgesellschaft“ als analytisch wenig brauchbar, denn die darunter rubrizierten (semi-)professionellen Organisationen und Zusammenschlüsse vertreten gleichfalls partikulare Interessen, die – auch wenn sie nicht unmittelbar ökonomischer Natur sind – mit ihren Positionierungen gleichwohl ökonomische Konsequenzen hervorrufen. Sie sind besser unter dem neutralen Begriff der ideellen Interessenverbände zu fassen.[92]

 

2.4 Parlament und Öffentlichkeit

Moderne Parlamente sind auf eine funktionierende Öffentlichkeit angewiesen, um die wechselseitige Kommunikation von Wählern und Gewählten zu ermöglichen.[93] Um die „Fiktion“ der Volksvertretung im Parlament (vgl. Abschnitt 1.1) zu stabilisieren und zu verhindern, dass das der politischen Repräsentation eingeschriebene latente Misstrauen gegenüber den Gewählten in einen prinzipiellen Antiparlamentarismus umschlägt, müssen die Abgeordneten in der Lage sein, nicht nur vor- und füreinander im Plenarsaal, sondern gleichsam vor der gesamten „Nation“ zu sprechen. Umgekehrt müssen die Staatsbürger Gelegenheit haben, ihre Vertreter zu beurteilen und zu kontrollieren. Grundsätzlich wurde und wird die parlamentarische Öffentlichkeit durch drei Maßnahmen sichergestellt: durch die Publikation der Parlamentsprotokolle, durch die Einrichtung von Tribünen für Bürger und Journalisten sowie durch eine massenmedial vermittelte Öffentlichkeit. Ihre konkrete Ausgestaltung hängt dabei von den jeweiligen medialen und politischen Rahmenbedingungen ab.

Der Gründungsakt der Parlamentsöffentlichkeit war die Französische Revolution von 1789: Als der Dritte Stand sich unter Berufung auf die Volkssouveränität zur nation erklärt hatte, brach das neue Regime mit der absolutistischen Arkanpolitik. Die parlamentarischen Versammlungen tagten jetzt unter den Augen des Publikums. Genauso handhabten es die Zweite Republik 1848-1852 und die Dritte Republik spätestens seit dem Erlass des Pressegesetzes 1881.[94] Auch im früh parlamentarisierten England öffnete sich das Parlament seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert der Öffentlichkeit. Allerdings geschah dies in mehreren Schritten entsprechend der allmählichen Wandlung des House of Commons von einem Organ territorialer Repräsentation zu einem Parlament moderner Repräsentation. Obwohl das Unterhaus sich normativ weiterhin an der Vorstellung der Parlamentssouveränität orientierte, hatte sich somit eine Öffentlichkeitspraxis etabliert, deren unausgesprochener Referenzpunkt die Idee der Volkssouveränität war.[95]

Ähnlich verhielt es sich in Deutschland. Unter den Bedingungen des monarchischen Konstitutionalismus seit 1815 war die parlamentarische Öffentlichkeit in den Händen der monarchischen Exekutive verblieben, die sie durch zahlreiche Auflagen unter Kontrolle hielt.[96] Erst infolge der Märzrevolution von 1848 konnte in Deutschland für einen kurzen Moment jenes Wechselspiel zwischen frei gewählter Volksvertretung und im Prinzip unbeschränkter Öffentlichkeit entstehen.[97] Die dauerhafte Absicherung dieses Mechanismus erfolgte mit der Reichsverfassung von 1871.[98] Um 1900 hatte sich das Prinzip der parlamentarischen Öffentlichkeit parallel zur Ausdehnung des Wahlrechts in den meisten (west-)europäischen Staaten durchgesetzt.

Angesichts der hervorgehobenen Bedeutung der Öffentlichkeit für die Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie verwundert die vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit, die das Thema bislang in der historischen Forschung erhalten hat.[99] Das gilt ungeachtet einer äußerst umfangreichen historischen und kommunikationswissenschaftlichen Literatur zu einzelnen Medien und Mediensystemen.[100] Denn deren Verknüpfung mit repräsentations- und parlamentarismusgeschichtlichen Fragestellungen erfolgt nur selten. So wissen wir nur wenig über die Zusammensetzung der Journalistentribünen sowie überhaupt über die Organisation und die Praktiken der Parlamentsberichterstattung.[101] Auch Tondokumente sind erst ansatzweise untersucht worden. Das gilt sowohl für die Übertragung von Parlamentsdebatten als auch für die journalistische Rundfunkberichterstattung.[102] Die historische Bildforschung hat das Thema des Parlamentarismus noch kaum entdeckt; die vorliegenden politikwissenschaftlichen Studien interessieren sich nur wenig für die spezifisch visuellen Aspekte der Bildmedien, wie überhaupt die Rezeption kunsthistorischer Forschung noch am Anfang steht.[103] Das gilt zum Beispiel für Themen wie Parlamentarismus und Geschichtsmalerei,[104] Repräsentationskritik in der Karikatur, Parlament und Parlamentarier in der Fotografie[105] und anderes mehr. Nicht besser sieht es für die Fernsehberichterstattung aus.

Die Forschung hat eine Abfolge der verschiedenen Öffentlichkeitsregime herausgearbeitet, die sich als Prozesse der Ausweitung, Ausdifferenzierung und Beschleunigung beschreiben lässt: Während im 19. Jahrhundert die gedruckte Zeitung dominierte, die oft als politische Richtungspresse organisiert war und der Parlamentsberichterstattung viel Raum gab, bildete sich um 1900 ein dicht gestricktes Medienensemble aus anzeigenfinanzierten Tageszeitungen und fotografisch illustrierten Blättern heraus, das bis in die 1950er-Jahre Bestand hatte.[106] Es folgte das Zeitalter von Rundfunk und Fernsehen in öffentlich-rechtlicher Hand, ehe seit den 1980er-Jahren die privaten Fernsehsender Inhalte und Formen der Medienproduktion und -rezeption revolutionierten.[107] Hier wurden Medienstrategien und Verhaltensweisen präfiguriert, an die im 21. Jahrhundert mit der Etablierung des Internets und der Plattformen von Social Media angeknüpft werden konnte. Dabei kam die Ausweitung der Massenmedien keineswegs immer der repräsentativen Demokratie zugute, wie etwa die Konzentration der Medienmacht in republikfeindlichen Händen während des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik belegt.[108] Gerade auch die auflagenstarke Provinzpresse war von antiparlamentarischen Stereotypen geprägt.[109]

In der Gegenwart sind es die „Sozialen Medien“, die lange als dezentrale, neutrale und partizipationsfreundliche Kommunikationsplattformen missverstanden wurden. Tatsächlich sind sie jedoch durch interessengeleitete Algorithmen gesteuert, die ein enormes antiparlamentarisches Potenzial besitzen. Das liegt nicht nur an der Konzentration der technologischen Macht in den Händen weniger Akteure. Vielmehr ermöglichen sie die Umgehung der filternden und vermittelnden Medien, indem sie die direkte Kommunikation zwischen Politiker und Volk ermöglichen und so autoritäre Herrschaftsformen begünstigen.[110] Ein weiterer Aspekt bei der Betrachtung der digitalen Medien ist die ungeheure Geschwindigkeit der Nachrichtenverbreitung, die den Politikern umgehende Reaktionen abverlangt, obwohl die temporalen Strukturen des Parlamentarismus darauf angelegt sind, die Behandlung politischer Probleme prozedural zu entschleunigen und so diskutierbar zu machen (Abschnitt 2.6).

Parlamentarische Öffentlichkeit umfasst mehr als den medialen Blick auf das Geschehen im Plenarsaal des Parlaments. Auch der Parlamentstourismus, das Handeln der Parlamentarier im Wahlkreis, Parlamentarier auf Reisen, Parlamente in der Belletristik[111] oder in der Memoirenliteratur und anderes mehr harren der Erforschung. Am besten erforscht ist die Parlamentsarchitektur, die als baulicher Ausdruck des Selbstverständnisses eines Staates wesentlicher Teil der öffentlichen Kommunikation ist.[112]

 

2.5 Parlamentarier und ihre Lebenswelten

Ungeachtet des Axioms der repräsentativen Demokratie, dass jeder Abgeordnete jeweils das gesamte Volk vertreten soll, haben sich die Zeitgenossen wie die Historiker stets für die Personen interessiert, die das Mandat ausüben.[113] Das geschieht in Form von ausführlichen Biografien einzelner Abgeordneter – die oft auch Regierungsämter innehatten. Als Beispiele für die Lebensläufe prominenter Abgeordneter können die Arbeiten über Ludwig Windthorst oder Eugen Gerstenmaier gelten.[114] Häufiger jedoch sind biografische Handbücher und kollektivbiografische Studien der Mitglieder einzelner Parlamente oder Fraktionen.[115] Dabei geht es beispielsweise um ihre Sozialprofile und deren mögliche Auswirkungen auf Inhalt und Gestalt der jeweiligen Politik – so wie man es für die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 versucht hat, die über einen signifikant hohen Anteil beamteter Juristen verfügte.[116] Charakteristisch für die Sozialdemokratie des Kaiserreichs war hingegen ein hoher Anteil von hauptamtlichen Parteifunktionären in den Parlamenten, die nicht selten als Journalisten parteieigener Blätter tätig waren.[117]

Auf verstärktes Interesse stoßen derzeit Studien, die die Veränderung der parlamentarischen Arbeit durch die Wahl weiblicher Abgeordneter seit 1919 untersuchen. Neuerdings entstehen zudem „parlamentarische Kontinuitätsstudien“ über den quantitativen Anteil und die politische Bedeutung ehemaliger Nationalsozialisten in den westdeutschen Landesparlamenten der 1950er-Jahre.[118] Für den Deutschen Bundestag und die Volkskammer der DDR, die erst mit den freien Wahlen 1990 zu einem Organ der parlamentarischen Repräsentation im Sinne dieses Artikels wurde, sind entsprechende Studien noch nicht in Arbeit.[119]

Die Veränderungen im Mediensystem um 1900 verursachten einen Einschnitt in der Fremdwahrnehmung und Selbstdarstellung der Abgeordneten. Durch das Aufkommen anzeigenfinanzierter Tageszeitungen und fotoillustrierter Zeitschriften stieg das Interesse am privaten Leben der Volksvertreter. Das war nicht ohne Risiko für die Betroffenen. Denn Abgeordnete, die das mediale Spiel nicht beherrschten, konnten in „Skandale“ verwickelt werden, die ihrer politischen Karriere schadeten.[120] Zudem gefährdete ein Übermaß privater Details die Fiktion der abstrakten Repräsentation, die ja von der Idee der sozialen Losgelöstheit der Mandatsträger ausging. Viele Abgeordnete reagierten auf die widersprüchlichen Erwartungen, indem sie „Privatheit“ bewusst inszenierten und ihr öffentliches Image zur Abschirmung ihres tatsächlichen privaten Lebens nutzten.[121] Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Über die „Lebensform“ der Parlamentarier am Parlamentssitz und im Wahlkreis – soweit vorhanden – gibt es bislang wenig systematische Forschungen. Die Wohnverhältnisse am Parlamentssitz, Verkehrskreise, Freizeitbetätigungen, Liebesbeziehungen und ihre Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung der Parlamentarier sind aus historischer Perspektive weitgehend unbekannt. Auch der komplexe Prozess, männlich geprägte Debattenkulturen und Rollenbilder so zu verändern, dass Frauen als Parlamentarier gleichberechtigt am politischen Leben partizipieren können, ist noch nicht ausreichend untersucht.[122] In längerer historischer Perspektive wurde die Entwicklung des Abgeordnetendaseins unter dem Rubrum der „Professionalisierung“ betrachtet, um die Entwicklung vom Honoratiorenpolitiker des 19. Jahrhunderts zum meist hauptberuflichen Abgeordneten der Gegenwart zu beschreiben.[123] Das scheint grundsätzlich plausibel, wenngleich man im Auge behalten muss, dass erfolgreiche Parlamentarier auch im 19. Jahrhundert den Großteil ihrer Zeit für die politische Arbeit aufwandten. Bemerkenswert erscheint der dialektische Zusammenhang zwischen der Professionalisierungs-These und der Kritik an der unterstellten „Verbonzung“, die sowohl in wissenschaftlicher Gestalt als auch in populistischer Ausprägung existiert.

 

2.6 Die Praxis des Gesetzemachens

Der Parlamentarismus verfügt über eine Vielzahl formeller und informeller Regeln, die die Praxis des Gesetzemachens bestimmen. Die formellen Regeln sind in den Geschäftsordnungen niedergelegt, während die informellen Regeln sich aus der Praxis ergeben und ebenfalls große Verbindlichkeit erreichen können. Die Geschäftsordnungen der europäischen Parlamente zeichneten sich seit dem 19. Jahrhundert durch eine Tendenz zur Konvergenz aus, die auf gegenseitiger Beobachtung beruhte.[124] So stammt etwa die deutsche Praxis, die parlamentarische Beratung eines Gesetzes in drei Lesungen vorzunehmen, aus dem englischen Unterhaus.[125] In historischer Perspektive besitzt die Frage nach der Parlamentsautonomie, also dem Recht des Parlaments, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, eine besondere Bedeutung. Ihre schrittweise Durchsetzung verlief parallel zu den Machtzuwächsen des Parlaments gegenüber der Exekutive. Zu den wichtigsten Bereichen der Parlamentsautonomie gehörten die Kontrolle über die Geschäftsordnung, die parlamentarische Öffentlichkeit, die Sicherheit des Parlaments,[126] die administrative Binnenorganisation sowie die Parlamentsarchitektur und -ausstattung.

Über die spezifische Art der parlamentarischen Bearbeitung politischer Probleme und der Praxis des Gesetzemachens liegen ungezählte Spezialstudien vor, die die Entstehung einzelner Gesetze behandeln. Was die innerparlamentarischen Vorgänge angeht, kann besonders die Weimarer Politik als gut untersucht gelten.[127] Die Sicherung des diskursiven Raums erfolgte auch hier durch drei Lesungen, die den Beratungsprozess entschleunigten. Die Beratungen im Plenum und den Ausschüssen hatten jeweils unterschiedliche Aufgaben: Die Details und Kompromisse wurden in den meist vertraulichen Ausschussberatungen getroffen, im Plenum wurden die bereits getroffenen Entscheidungen öffentlich begründet, dargestellt und förmlich beschlossen.[128] Für die parlamentarischen Arbeits- und Redeweisen ist dieses Wechselspiel von Transparenz und Arkanum charakteristisch. Der politische Kompromiss, von dezisionistischen Parlamentarismusgegnern diskreditiert, konnte so als Modus parlamentarischen Entscheidens etabliert werden, ehe die Wahlerfolge der Links- und Rechtsextremisten seit 1930 den Konsens über parlamentarische Regeln sprengten.[129]

Untersuchungen zur parlamentarischen Rhetorik[130] oder Oratorik, die die performativen Elemente mit einbeziehen, gibt es bisher nur vereinzelt.[131] Dabei ist die Quellensituation für die nationalen Parlamente seit 1848[132] und insbesondere für die Zeit nach 1949 sehr gut. Neben den Stenografischen Berichten des Deutschen Bundestags[133] liegen wichtige Quellengruppen inzwischen in Form von gedruckten und/oder digitalisierten Editionen vor. Das gilt für für die Protokolle des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses des Bundestags[134] sowie die Fraktionsprotokolle von zunächst CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, die vollständig ediert und digital nutzbar gemacht werden.[135] Auch audiovisuelle Quellen zu den Plenardebatten sind vorhanden und wurden etwa für die letzte, frei gewählte Volkskammer der DDR ausgewertet.[136] Wirft man einen Blick auf die parlamentarische Praxis insgesamt, so profiliert der vergleichende Blick den Bundestag als ein „Arbeitsparlament“ mit einer wenig entwickelten rhetorischen Kultur im Plenum bei gleichzeitiger Hochschätzung der Ausschussarbeit, während das britische Unterhaus als „Redeparlament“ den rhetorischen Schlagabtausch im Plenum bevorzugt. In beiden Fällen hat man es aber auch mit einer Art self fashioning zu tun: In London sieht man das House of Commons gern als deliberierenden „Club“, in Bonn bzw. Berlin favorisiert man das Image eines „Kärrnerarbeit“ leistenden Parlaments, das auf keinen Fall eine „Quasselbude“ sein möchte.

Während die gewählten Parlamente aufgrund der zeitlich begrenzten Legislaturperioden durch Diskontinuität geprägt sind, wird die Kontinuität der Institution durch die Parlamentsverwaltung gesichert. Dadurch verfügt sie über eine beträchtliche Macht. Deswegen ist es bemerkenswert, dass – anders als für Frankreich[137] – zu den deutschen Parlamenten keine Studien vorliegen, die Ausmaß und Anwendung dieser Macht systematisch untersuchten. Eine Ausnahme stellt die Geschichte der Reichstagsbibliothek dar, die zugleich als Keimzelle der entstehenden deutschen Parlamentsbürokratie gelten kann.[138]

 

2.7 Parlamentarismus und „Mehrebenensysteme“

Der Föderalismus als Widerhaken unitarischer Volkssouveränität begründet eine Form der gemischten Herrschaft innerhalb eines aus verschiedenen Gliedern zusammengesetzten Staates. Als Organisationsprinzip, bei dem die einzelnen Teile eigenständige Einheiten, aber zugleich zu einem übergreifenden Gesamtstaat zusammengeschlossen sind, ist der Föderalismus ein Erbe der vormodernen Imperien, die nicht nur verschiedene Völkerschaften, sondern auch Gemeinwesen unterschiedlicher Art und Größe (Fürstentümer, reichsfreie Städte, kirchliche Territorien) umfassten und lange Zeit den Normalfall europäischer Herrschaftsorganisation bildeten. In der deutschen Geschichte ist der föderative Grundzug als Erbe der frühneuzeitlichen Verfassung des Heiligen Römischen Reichs, die im Deutschen Bund fortlebte, besonders deutlich ausgeprägt.[139] Erst mit der gescheiterten Nationalstaatsbildung von 1848/49 und dann mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 bzw. des Deutschen Reichs 1871 änderte sich dies. Freilich blieben der Zentralisierung Grenzen gesetzt, weil das Reich als Zusammenschluss von Fürstentümern gegründet wurde, in dem weder der Kaiser noch das Volk im Reichstag, sondern (zumindest theoretisch) die Gliedstaaten als „Fürstenbund“ der Souverän waren.[140] Trotz einer allgemeinen Tendenz zur „Verreichlichung“ behielten die Einzelstaaten und ihre mediatisierten Fürsten eine wichtige identitätsbildende Funktion – und sei es nur bei der Gewinnung und Sicherung der Loyalität derjenigen, die eine preußisch-kleindeutsche Nationalstaatsgründung abgelehnt hatten.[141]

Für die Parlamentarisierung Deutschlands hatte der Föderalismus retardierende Wirkung, nicht zuletzt weil dem allgemeinen, gleichen und freien Männerwahlrecht auf Reichsebene das Dreiklassen-Wahlrecht in Preußen als größtem Einzelstaat gegenüberstand. Nach dem Ende der Hohenzollernmonarchie blieb das Übergewicht Preußens und damit eine Unwucht innerhalb des deutschen Föderalismus bestehen, auch wenn sich der größte Gliedstaat des Reiches jetzt unter sozialdemokratischer Führung zu einem Bollwerk der parlamentarischen Republik gegen die politischen Extreme entwickelte.[142] Die herausgehobene Stellung Preußens wurde mit dem „Preußenschlag“ vom Juli 1932 brachial beendet, als die Reichsregierung unter Franz von Papen die Staatsgewalt in Preußen übernahm.[143] Nach der Gleichschaltung der Länder in der NS-Diktatur ermöglichte schließlich die Auflösung Preußens durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs 1947 den gleichgewichtigen Föderalismus der Bundesrepublik, der jetzt verstärkt als Bollwerk gegen zentralstaatliche Diktaturen wahrgenommen wurde. Nach der deutschen Wiedervereinigung konnte daran durch die Bildung von fünf neuen Ländern angeknüpft werden.[144]

Zugleich hat sich der Exekutiv-Föderalismus zu einer verfassungspolitischen Dauerbaustelle entwickelt, da die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern immer komplizierter wird. Die Föderalismusreform von 1969, welche die bisher eher informelle Zusammenarbeit von Bund und Ländern institutionalisierte, diente nicht zuletzt dazu, die Bundesländer auf eine einheitliche Konjunktur- und Haushaltspolitik festzulegen. Im Gegenzug erhielten die Länder im Bundesrat größere Zustimmungsrechte für Gesetzesvorhaben des Bundes. In der Praxis lief die Reform auf eine zunehmende Verflechtung der politischen Ebenen hinaus, die bei unterschiedlichen Mehrheiten in beiden Kammern, wie sie bald üblich wurden, neue Blockademöglichkeiten eröffnete. Durch den Wandel vom Drei- zum Fünf- oder gar Sechs-Parteiensystem löst sich die Polarisierung in sogenannte A- und B-Länder inzwischen auf. Die zahlreichen unterschiedlichen Koalitionen in Bund und Ländern haben tendenziell zu einer permanenten Allparteienregierung in jeweils unterschiedlicher Rollenverteilung geführt. Man kann in der vielfältigen Verflechtung eine indirekte Stabilisierung des Parlamentarismus erblicken, weil alle wichtigen Entscheidungen des Bundestags immer schon mit anderen zentralen Akteuren des föderativen Verfassungssystems abgestimmt und ausgehandelt sind.[145] Man kann sich aber angesichts zunehmender Binnenmobilität und des Strukturwandels der Öffentlichkeit auch fragen, ob es wirklich noch sechzehn „Völker“ gibt, die vernünftigerweise in den „Volksvertretungen“ der Länder repräsentiert werden können.

Die europäische Einigung seit den 1950er-Jahren fügt dem parlamentarischen Mehrebenensystem eine weitere Stufe hinzu.[146] Schon die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) war 1952 mit einer Gemeinsamen Versammlung als Gegenstück zur Hohen Behörde ausgestattet worden. Doch waren demokratische Partizipation und Kontrolle keine leitenden Prinzipien in den an Effizienz und Effektivität orientierten, technokratisch ausgerichteten und teilweise dezidiert parlaments- und parteienskeptischen Vorstellungen der europäischen Gründergeneration. Europa, so hat Kiran Klaus Patel angemerkt, „erschien als zu wichtig und kontrovers, als dass man es den Launen der Völker überlassen konnte“. Erst im Verlauf der 1970er-Jahre gewannen Werte wie Demokratie und Menschenrechte zur Legitimation der fortschreitenden europäischen Integration an Bedeutung.[147] Obwohl der Deutsche Bundestag innerhalb des europäischen Systems einen beständig größer werdenden Teil seiner Souveränität verliert, hat sich die deutsche Spielart des Parlamentarismus seither nicht zuletzt wegen der föderalen Tradition des Landes als besonders integrations-affin erwiesen.[148]

Die Offenheit des deutschen Parlamentarismus für eine supranationale Überwölbung lässt sich beispielsweise an den Karrierewegen von Abgeordneten ablesen: Während französische Politiker ein Mandat im Europäischen Parlament zumeist als Zwischenstufe für eine Rückkehr auf die nationale politische Bühne ansehen, ist eine lange Verweildauer im Straßburger Parlament für deutsche Abgeordnete viel üblicher.[149] Für die breite Akzeptanz der europäischen Ebene des Parlamentarismus in der Bundesrepublik sind außer der lang nachwirkenden Diskreditierung der nationalen politischen Institutionen durch die NS-Diktatur sicherlich die hohe Zahl und das damit verbundene relativ große Stimmgewicht der deutschen Europa-Abgeordneten mitverantwortlich. Subkutan dürften aber auch historische Analogien oder funktionale Ähnlichkeiten zwischen dem Heiligen Römischen Reich der frühen Neuzeit und der heutigen Europäischen Union eine Rolle spielen. Beide Gemeinwesen können als vielschichtige Regierungssysteme verstanden werden, die den Frieden sichern, aggressive oder expansionistische Pläne der mächtigsten Mitglieder vereiteln und Kompromisslösungen in einem hochkomplexen politischen Umfeld mit zahlreichen Akteuren von unterschiedlicher Größe, Status und Macht ermöglichen. Weder das alte Reich noch die EU prägen exklusiv die Identitäten ihrer Mitglieder auf Kosten jeder anderen Art von Zugehörigkeit. Sie beanspruchen lediglich ein Mindestmaß an Loyalität und reflektieren damit multiple Identitäten, wie sie für die Zeit vor und nach der Epoche des uneingeschränkten Nationalstaats typisch sind.[150]

Ob sich die Integrationsoffenheit des deutschen Parlamentarismus angesichts zunehmender Nationalismen und eines verbreiteten Euro(pa)skeptizismus aufrechterhalten lässt, ist eine offene Frage.[151] Die Antwort hängt nicht zuletzt davon ab, für wie gravierend man die demokratietheoretischen Defizite des Europaparlamentarismus hält. Kritische Stimmen verweisen darauf, das Parlament in Straßburg sei zwar den nationalen Institutionen nachgebaut und könne seit der ersten Direktwahl 1979 auf einen stetigen Kompetenzzuwachs zurückblicken; es handele sich bei ihm jedoch allenfalls um ein Parlament im Werden, dem es an einem europäischen Demos ebenso mangele wie an einer europäischen Öffentlichkeit, dem Gegenüber von Regierungs- und Oppositionsparteien sowie der Möglichkeit zur Abwahl der Exekutive. Wegen der unterschiedlichen Größe der EU-Mitgliedsstaaten sei dem Europaparlamentarismus zum Schutz der Kleineren eine degressive Proportionalität eingeschrieben, die eine gleiche Gewichtung aller Stimmen nach dem Prinzip „one man, one vote“ ausschließe.[152]

Eine positivere Lesart verweist darauf, dass an das Europäische Parlament oft überzogene Erwartungen gerichtet würden, weil alle Mitgliedsstaaten der EU aus ihren unterschiedlichen nationalen Traditionen heraus Maximalvorstellungen eines idealisierten Parlamentarismus darauf projizierten. Tatsächlich besitze das EP mehr Kompetenzen als viele nationale Volksvertretungen. Die Finalität einer vollentwickelten parlamentarischen Demokratie nach nationalstaatlichem Vorbild sei die falsche Zielvorstellung. Vielmehr entwickele sich ein neuartiger Parlamentarismus eigener Art in einem europäischen Staatenverbund, für den es kein historisches Vorbild gebe.[153] Ob man einer affirmativeren oder kritischeren Sicht auf den Europaparlamentarismus zuneigt, wird am Ende nicht zuletzt davon abhängen, für wie zentral man die Volkssouveränität als Wesensmerkmal des Parlamentarismus erachtet – und was genau man unter „Souveränität“ versteht[154]: möglichst große praktische Handlungsmöglichkeiten (damit wären Kompetenzübertragungen vom Bundestag auf das EP bzw. das „Pooling“ von Souveränität auf europäischer Ebene durchaus vereinbar) oder eine klar definierte Letztverantwortung (das liefe auf ein Entweder/Oder von nationalstaatlicher und europäischer Ebene hinaus)?

 

3. Ausblick: Der Parlamentarismus in seiner Epoche?

Waren die Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs durch eine optimistische Weltsicht geprägt, wonach sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung und die parlamentarische Demokratie im Zuge einer als unaufhaltsam verstandenen Globalisierung tendenziell weltweit durchsetzen würden, so hat sich der Tenor der Debatten spätestens seit der internationalen Banken- und Finanzkrise von 2008, den aufkommenden linken und rechten „Populismen“, den ökologischen Herausforderungen durch die beschleunigte Erderwärmung sowie den militärischen Bedrohungen angesichts der russischen Überfälle auf die Ukraine 2014 und 2022 grundlegend gewandelt. Eine kaum überschaubare Menge an Neuerscheinungen diagnostiziert eine Krise der Demokratie oder des Parlamentarismus.[155]

Die Krisensymptome, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, sind vielfältig: Zu nennen sind etwa die Steigerung der Komplexität von Fragen, die zu politischer Entscheidung anstehen, von der Außenpolitik über die internationalen Finanz- und Migrationskrisen bis zu den Problemen der Haushalts-, Sicherheits-, Renten- und Sozialpolitik im Innern, neuerdings auch die säkulare Herausforderung durch die Klimakrise. Hinzu kommt der tatsächlich gewachsene oder zumindest doch subjektiv empfundene Zeitdruck, unter dem parlamentarische Entscheidungen getroffen werden müssen.

Parallel dazu steigt die Bedeutung von Experten und Spezialisten, die außerhalb des parlamentarischen Prozesses stehen. Es entsteht der Eindruck, der einzelne Abgeordnete sei als Laie mit den komplizierten Problemen hochspezialisierter Fachgebiete überfordert und das Parlament als Ganzes der falsche Ort, sachgerechte Strategieentscheidungen in einer komplexen Welt zu treffen. Das mündet mitunter in die Forderung nach mehr Fachkompetenz im Dienste von mehr Sachgerechtigkeit, Effektivität und Effizienz. In der Corona-Krise beispielsweise diente der Verweis auf die Autorität „der“ Wissenschaft, deren Erkenntnisse von „der“ Politik lediglich zu implementieren seien, zeitweise dazu, einen politischen Konsens zu ersetzen, der in einer repräsentativen Demokratie nur in der strittigen Auseinandersetzung im Parlament zu erzielen ist. Die Vorstellung eindeutiger wissenschaftlicher Empfehlungen, die lediglich noch politisch umgesetzt werden müssten, waren, angesichts der inhärenten Vorläufigkeit und Strittigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis, von vornherein eine Chimäre.[156]

Dementsprechend hat die antiparlamentarische Kritik, welche die Geschichte des Parlamentarismus seit jeher begleitet, gegenwärtig Hochkonjunktur. Der Vorwurf, es gebe ein „eigentliches“ Volk, das durch die politische und mediale Elite, durch das politische Establishment nicht repräsentiert sei, gehört zum traditionellen Arsenal antiparlamentarischen Protests. In den neuesten Ausformungen des „Rechtspopulismus“ spielt die Argumentationsfigur eines Gegensatzes von eigentlichem Volk und politischer Klasse eine Schlüsselrolle.[157] Im „Linkspopulismus“ taucht derselbe Gedanke als Gegenübersetzung von „Volk“ und „Oligarchie“ ebenfalls auf.[158] In dem Maße, in dem er Gehör findet, lässt sich mit einigem Recht von einer Repräsentationskrise des Parlamentarismus sprechen.

Vor diesem Hintergrund kann man sich fragen, ob die historischen Voraussetzungen, welche die Entwicklung repräsentativer Herrschaftsformen um 1800 ermöglicht haben, mehr als zweihundert Jahre später immer noch existieren oder ob die Strukturwandlungen von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Ökologie und Öffentlichkeit nicht derart tiefgreifend sind, dass sie die Fundamente parlamentarischer politischer Systeme unterspülen. Wird beispielsweise die für die abstrakte Repräsentation des Parlamentarismus wesentliche Repräsentationsfiktion in einer identitätspolitisch gepolten Gesellschaft, in der man flächendeckende Quotierungen als verpflichtenden Bestandteil der Demokratie einfordert, noch hinreichend geglaubt, um wirkmächtig zu sein? Ist parlamentarische Repräsentation in hyperkomplexen „Mehrebenensystemen“ möglich, oder verbergen sich hinter solchen Begriffen lediglich Modelle zur Selbstlegitimierung einer politisch-technokratischen Elite? Wie viel ökonomische Selbstständigkeit im Sinne einer Eigentümergesellschaft braucht es, damit politische Repräsentation im Parlament realisierbar ist?

Kann der Parlamentarismus auf die ebenso dringlichen wie langfristigen Probleme von Klimawandel und Umweltverschmutzung schnell und strategisch genug reagieren, oder bleibt er in der Eigenlogik von Legislaturperioden und dem Interessenausgleich der aktuell jeweils Wahlberechtigten gefangen? Wie wirkt sich die mediale Beschleunigung im Internet-Zeitalter auf die Zeitstrukturen des Parlamentarismus aus, der doch dazu dienen soll, politische Probleme prozedural zu entschleunigen? Wie reagiert die repräsentative Demokratie auf „alternative Fakten“, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz erzeugt werden? Wie geht sie mit der Tatsache um, dass politische Kommunikation über die sozialen Medien den direkten Kontakt zwischen politischen Führungsgestalten und dem Wahlvolk erleichtert, institutionelle Mittler – seien es Parlamente oder die klassischen Medien – übergeht und damit autoritäre oder charismatische Herrschaftsformen begünstigt? Werden die politischen Parteien, speziell die klassischen deutschen Volksparteien, sich als anpassungsfähig und flexibel genug erweisen, um mit derartigen Herausforderungen fertig zu werden und ihre Scharnierfunktion zwischen Staat und Gesellschaft zu behaupten?

Diese Fragen werden nicht nur das weitere Los der repräsentativen Demokratie mitbestimmen und darüber entscheiden, ob der Parlamentarismus eine Zukunft hat oder zu einer abgeschlossenen Epoche der Geschichte wird. Sie sollten auch als Anregungen für die künftige historische Parlamentarismusforschung dienen, die aus einer als krisenhaft empfundenen Gegenwart veränderte Erkenntnisinteressen ableiten und wichtige Impulse für neue Forschungsfragen beziehen kann. So stellen sich beispielsweise Fragen nach dem Charakter der institutionellen Rahmenbedingungen eines politischen Systems, nach der Ausdifferenzierung oder Fragmentierung von Parteienlandschaften, nach der Adaptabilität und Mobilisierungsfähigkeit bestehender Organisationen, aber auch nach der Kompromiss- und Koalitionsfähigkeit der politischen Akteure in Parteien, Fraktionen und Verbänden mit neuer Dringlichkeit.

Dabei ist die letzte Messe für den Parlamentarismus noch nicht gelesen. Denn letztlich sind die Alternativen zur repräsentativen Demokratie nicht wirklich überzeugend.[159] Weder die Rückkehr zu einer altständischen Gesellschaft noch zu einer absolutistischen Monarchie oder einer totalitären Diktatur sind attraktiv. Experimente mit dem Syndikalismus, mit einem Räte-System oder dem imperativen Mandat erscheinen historisch gesehen auch nicht besonders vielversprechend. Verfahrensweisen direkter Demokratie weisen außerhalb überschaubarer kleiner Einheiten, wie den Schweizer Kantonen, ebenfalls keine bezwingende Erfolgsbilanz auf.

Demgegenüber hat das Prinzip der Repräsentation immer noch unbestreitbare Vorzüge. Es bietet mit dem Parlament ein Forum für den öffentlichen Austausch von Argumenten, für den regelbasierten Austrag von Konflikten in der Gesellschaft und für die Aushandlung politischer Kompromisse.[160] Wenn es richtig gehandhabt wird, sorgt es für die klare Zuordnung politischer Verantwortung und verpflichtet die Amtsträger in einer Weise zur Rechenschaft, die bei Modellen der direkten Demokratie nicht gegeben ist, weil letztlich niemand in die Pflicht genommen werden kann, wenn alle gefragt werden. Die repräsentative Demokratie eröffnet dem Wahlvolk in regelmäßigen Abständen die Chance, die Regierenden auf geregeltem Wege loszuwerden, und sichert zugleich ein Mindestmaß an politischer Kontinuität über Regierungswechsel hinweg. Sie ist anderen politischen Systemen schließlich auch mit Blick auf den Schutz von Minderheiten überlegen. Am Ende ist die Funktionsfähigkeit des Parlamentarismus der Prüfstein, der über Stabilität und Krise des politischen Systems entscheidet.[161]

 

Anmerkungen

[1] Zum britischen Parlamentarismus vgl. Clyve Jones (Hrsg.), A Short History of Parliament. England, Great Britain, The United Kingdom, Ireland & Scotland, Woodbridge 2009, sowie die Beiträge in „Parliamentary History“, 1982ff.

[2] Zum französischen Parlamentarismus vgl. Jean Garrigues (Hrsg.), Histoire du Parlement de 1789 à nos jours, Paris 2007, sowie die Beiträge in: „Parlement(s). Revue d´histoire politique“, 2002ff.

[3] Hans Boldt, Parlament, parlamentarische Regierung, Parlamentarismus, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 649-676; Philippe Lauvaux, Le parlementarisme, Paris ²1997; Olivier Rozenberg, On the Concepts of Parliament, Parliamentarianism and Parliamentary Democracy, in: Cyril Benoît/Olivier Rozenberg (Hrsg.), Handbook of Parliamentary Studies. Interdisciplinary Approaches to Legislatures, Cheltenham 2020, S. 14-31.

[4] Zum deutschen Parlamentarismus vgl. Andreas Biefang/Dominik Geppert/Marie-Luise Recker/Andreas Wirsching (Hrsg.), Parlamentarismus in Deutschland von 1815 bis zur Gegenwart. Historische Perspektiven auf die repräsentative Demokratie, Düsseldorf 2022.

[5] Thomas Mergel, Staat und Staatlichkeit in der europäischen Moderne, Göttingen 2022; ders., Parlamentarische Kulturen in der Moderne – Brüche und Kontinuitäten, in: Jörg Feuchter/Johannes Helmrath (Hrsg.), Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder, Düsseldorf 2013, S. 35-50.

[6] Gerhard A. Ritter, Entwicklungsprobleme des deutschen Parlamentarismus, in: ders. (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung. Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf 1974, S. 11-54, Zitat S. 11.

[7] Die in den Politikwissenschaften übliche Unterscheidung zwischen dem „engeren Parlamentarismus“ mit parlamentarisch gebildeten Regierungen und dem „weiteren Parlamentarismus“ dualistischer Systeme tritt hier in den Hintergrund. Vgl. dazu zuletzt mit weiteren Literaturverweisen Stefan Marschall, Parlamentarismus. Eine Einführung, 4. Aufl., Baden-Baden 2025, S. 44-57.

[8] Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Stuttgart 2018 (zuerst 1929), S. 46.

[9] Andreas Biefang, Parlamentarismus und Demokratie, in: ders./Geppert/Recker/Wirsching (Hrsg.), Parlamentarismus in Deutschland, S. 29-50. Zu den politikwissenschaftlichen Definitionsbemühungen vgl. Susanne Pickel, Was ist Demokratie? Vom substanziellen Streit zum autokratischen (Miss-)Verständnis, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 74 (2024), H. 27, S. 4-11, online https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2024-27_online_DemokratieInGefahr.pdf [15.08.2025]; ferner Anja Kruke/Philipp Kufferath, Krisendiagnosen, Meistererzählungen und Alltagspraktiken. Aktuelle Forschungen und Narrationen zur Demokratiegeschichte in Westeuropa, in: Archiv für Sozialgeschichte 58 (2018), S. 3-20, online https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd58/afs58_05_kruke-kufferath.pdf [15.08.2025].

[10] Zitiert nach Winfried Nippel, Antike oder moderne Freiheit? Die Begründung der Demokratie in Athen und in der Neuzeit, Frankfurt a.M. 2008, S. 139; vgl. auch Bernard Manin, Kritik der repräsentativen Demokratie, Berlin 2007; Hans Vorländer, Demokratie, München ³2019, S. 11-36.

[11] Feuchter/Helmrath (Hrsg.), Parlamentarische Kulturen.

[12] Barbara Stollberg-Rilinger, Ständische Repräsentation. Kontinuität oder Kontinuitätsfiktion, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 28 (2006), S. 279-298.

[13] Die 1936 gegründete International Commission for the History of Representative and Parliamentary Institutions trifft diese Unterscheidung nicht, sondern untersucht Repräsentationsorgane „throughout the world in all periods“, wobei der Schwerpunkt zunächst auf der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte lag. Der lose Zusammenschluss von Wissenschaftlern gibt seit 1981 zweimal jährlich die Zeitschrift „Parliaments, Estates and Representation“ heraus, in der inzwischen auch die neuere Geschichte intensiver behandelt wird.

[14] J.R. Maddicott, The Origins of The Englisch Parliament, 924-1327, Oxford 2010, S. IX.; vgl. auch Kurt Kluxen, Geschichte und Problematik des Parlamentarismus, Frankfurt a.M. 1983, S. 15-172.

[15] Willibald Steinmetz, Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume. England 1780-1867, Stuttgart 1993; Andreas Wirsching, Parlament und Volkes Stimme. Unterhaus und Öffentlichkeit im England des frühen 19. Jahrhundert, Göttingen/Zürich 1990.

[16] Eine die Zeiten, Grenzen und Versammlungstypen überschreitende Zusammenschau unternahm das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe. Vgl. dazu das Begleitbuch zur Ausstellung: Bruno Latour/Peter Weibel (Hrsg.), Making Things Public. Atmospheres of Democracy, Karlsruhe/London 2005.

[17] Pasi Ihalainen/Cornelia Ilie/Kari Palonen (Hrsg.), Parliament and Parliamentarism. A Comparative History of a European Concept, New York/Oxford 2016; Pertti Alasuutari, National Parliaments as a Global Institution. An Institutionalist View, Oxford 2025.

[18] Wim Klooster, Revolutions in the Atlantic World. A Comparative History, New York/London 2009.

[19] Silke Hensel/Ulrike Bock/Kathrin Dircksen/Hans-Ulrich Thamer (Hrsg.), Constitutional Cultures: On the Concept and Representation of Constitutions in the Atlantic World, Cambridge 2012.

[20] Boris Barth, Europa nach dem Großen Krieg. Die Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit 1918-1938, Frankfurt a.M./New York 2016; Jure Gašparič, Hinter den Kulissen des Parlaments. Die jugoslawische Skupština 1919-1941, Düsseldorf 2023.

[21] Eric Montigny/François Gélineau (Hrsg.), Parlementarisme et francophonie, Québec 2013.

[22] Jon Elster, Constitution-Making in Eastern Europe: Rebuilding the Boat in the Open Sea, in: Joachim Jens Hesse (Hrsg.), Administrative Transformation in Central and Eastern Europe. Towards Public Sector Reform in Post-Communist Societies, Oxford 1993, S. 169-217.

[23] Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871-1918), Frankfurt a.M. 1997.

[24] Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980.

[25] Andreas Biefang, Der Streit um Treitschkes Deutsche Geschichte 1882/83. Zur Spaltung des Nationalliberalismus und der Etablierung eines national-konservativen Geschichtsbildes, in: Historische Zeitschrift (HZ) 262 (1996), S. 391-422; Claudia Klemm, Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen 2007.

[26] Vgl. z. B. Eduard Bernstein, Die Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung. Ein Kapitel zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, 2 Bde., Berlin 1907; Gustav Mayer, Die Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie in Deutschland (1863-1870), in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung 2 (1912), S. 1-67.

[27] Elisabeth Fehrenbach, Die Anfänge der Parteiengeschichtsforschung in Deutschland, in: Herbert Ludat/Rainer C. Schwinges (Hrsg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Festschrift für Frantisek Graus, Köln/Wien 1982, S. 403-426.

[28] Hermann Oncken, Rudolf von Bennigsen. Ein deutscher liberaler Politiker, 2 Bde., Leipzig 1910 u. 1911.

[29] Dominik Geppert, Hans Delbrück und der Reichstag. Struktur, Praxis und Entwicklungschancen im Deutschen Reichstag, in: Martin Hille/Marc von Knorring/Desiderius Meier (Hrsg.), Vom Nutzen der Historie. Festschrift für Hans-Christof Kraus, Berlin 2023, S. 275-291.

[30] Stephanie Zibell, Politische Bildung und demokratische Verfassung. Ludwig Bergsträsser (1883-1960), Bonn 2006; Harald Bluhm/Skadi Krause (Hrsg.), Robert Michels’ Soziologie des Parteiwesens, Wiesbaden 2012.

[31] Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848-1849, 2 Bde., Berlin 1930-1931.

[32] Johannes Ziekursch, Politische Geschichte des Neuen Deutschen Kaiserreiches, 3 Bde., Frankfurt a.M. 1925-1930.

[33] Franz Schnabel, Geschichte der Ministerverantwortlichkeit in Baden, Karlsruhe 1922; ders., Ludwig von Liebenstein. Ein Geschichtsbild aus den Anfängen des süddeutschen Verfassungslebens, Karlsruhe 1927.

[34] Aus der umfangreichen Literatur sei nur genannt: Kathrin Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübingen 2010.

[35] Martin Schumacher, Gründung und Gründer der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, in: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.), Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S. 1029-1054.

[36] Rudolf Morsey, Die Geschichte der Parlamentarisierung in Deutschland (1908-1919). Das erste Editionsprojekt der Parlamentarismus-Kommission, in: Dieter Hein/Klaus Hildebrand/Andreas Schulz (Hrsg.), Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Festschrift für Lothar Gall, München 2006, S. 175-187.

[37] Rudolf Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917-1923, Düsseldorf 1966, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/1966/01/die-deutsche-zentrumspartei-1917-1923_kgparl_morsey-rudolf.pdf [15.08.2025]; Thomas Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, Düsseldorf 1961, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/1960/02/die-organisation-der-deutschen-parteien-vor-1918.pdf [15.08.2025].

[38] G.A. Ritter, Entwicklungsprobleme.

[39] Gerhard A. Ritter, Deutscher und Britischer Parlamentarismus. Ein verfassungsgeschichtlicher Vergleich, Tübingen 1962 (überarb. Aufl. Göttingen 1976).

[40] Thomas Kühne, Parlamentarismusgeschichte in Deutschland. Probleme, Erträge und Perspektiven einer Gesamtdarstellung, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), S. 323-338, online https://wordpress.clarku.edu/wp-content/uploads/sites/176/2022/05/1998-Parlamentarismusgeschichte-GG_.pdf. Eine vollständige Übersicht der erschienenen Bände unter https://kgparl.de/publikationen/?_sort=date_desc [beide 15.08.2025].

[41] Dominik Geppert, Die ungeschriebenen Regeln der Demokratie. Neuere Ansätze in der historischen Parlamentarismusforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 5/6 (2020), S. 237-244.

[42] Zu den Bemühungen um eine thematische und methodische Erweiterung vgl. Paul Seward, Why the History of Parliament has not been Written, in: David Hayton (Hrsg.), Writing Parliamentary History, in: Parliamentary History 40 (2021), H. 1, S. 5-24, online https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/1750-0206.12540 [15.08.2025]; Michael Bentley, Parliamentary History: An Oblique Glance, in: ebd., S. 228-244, online https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/1750-0206.12552 [15.08.2025].

[43] Centrum voor Parlementaire Geschiedenis (CPG), Radboud Universiteit, Niederlande, https://www.ru.nl/cpg [15.08.2025].

[44] European Information and Research Network on Parliamentary History, https://euparl.net/ [15.08.2025].

[45] Die staatlich finanzierten parteinahen Einrichtungen Friedrich-Ebert-Stiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Erasmus-Stiftung; ferner die jeweils aufgrund eines Bundesgesetzes gebildeten Politikergedenkstiftungen zu Konrad Adenauer, Otto von Bismarck, Willy Brandt, Friedrich Ebert, Theodor Heuss, Helmut Kohl und Helmut Schmidt.

[46] Herbert Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848, Düsseldorf 1984, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/1984/12/anfaenge-des-parlamentarismus-in-preussen-bis-1848.pdf [15.08.2025].

[47] Ewald Grothe, Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt. Das Kurfürstentum Hessen in der ersten Ära Hassenpflug 1830-1837, Berlin 1996; Thomas Raithel, Der preußische Verfassungskonflikt 1862-1866 und die französische Krise von 1877 als Schlüsselperioden der Parlamentarismusgeschichte, in: Stefan Fisch/Florence Gauzy/Chantal Metzger (Hrsg.), Machtstrukturen im Staat in Deutschland und Frankreich, Stuttgart 2007, S. 29-50, online https://www.europa.clio-online.de/Portals/_Europa/documents/B2007/E_Raithel_Verfassungskonflikt.pdf [15.08.2025].

[48] Andreas Thier, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie. Staatssteuerreformen in Preußen 1871 bis 1893, Frankfurt a.M. 1999.

[49] Vgl. die maßgeblich von Florian Tenstett verantwortete „Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914“: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/ [15.08.2025].

[50] Hans-Peter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen, München 2005.

[51] Frank Engehausen, Werkstatt der Demokratie. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Frankfurt a.M./New York 2023.

[52] Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich, Göttingen 1999.

[53] Arthur Schlegelmilch, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus. Eine Neuinterpretation der deutschen und österreichischen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bonn 2009.

[54] Thomas Kühne, Demokratisierung und Parlamentarisierung: Neue Forschungen zur politischen Entwicklungsfähigkeit Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), S. 293-316, online https://wordpress.clarku.edu/wp-content/uploads/sites/176/2022/05/2005-Demokratisierung-GG.pdf [15.08.2025].

[55] Christoph Gusy, 100 Jahre Weimarer Verfassung. Eine gute Verfassung in schlechter Zeit, Tübingen 2018.

[56] Gertrude Lübbe-Wolff, Das Demokratiekonzept der Weimarer Reichsverfassung, in: Horst Dreier/Christian Waldhoff (Hrsg.), Das Wagnis der Demokratie. Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung, München 2018, S. 111-150.

[57] Marie-Luise Recker, Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Bundestag 1949-1969, Düsseldorf ²2019, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/2019/10/parlamentarismus-in-der-bundesrepublik-deutschland_der-deutsche-bundestag-1949%E2%80%931969-1.pdf; dies., Parlamentarismus in der Bewährung. Der Deutsche Bundestag 1949-2020, Düsseldorf 2021, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/2021/09/parlamentarismus-in-der-bewaehrung_der-deutsche-bundestag-1949-2020.pdf [beide 15.08.2025].

[58] Julia Angster/Dieter Gosewinkel/Christoph Gusy (Hrsg.), Staatsbürgerschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2019; Andreas Fahrmeir, Citizenship. The Rise and Fall of a Modern Concept, New Haven 2007.

[59] Günther Grünthal, Das preußische Dreiklassenwahlrecht. Ein Beitrag zur Genesis und Funktion des Wahlrechtsoktrois vom Mai 1849, in: HZ 226 (1978), S. 17-66.

[60] Karl Obermann, Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung im Frühjahr 1848. Die Wahlvorgänge in den Staaten des Deutschen Bundes im Spiegel zeitgenössischer Quellen, Berlin (Ost) 1987; Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848-1850, Düsseldorf 1977, S. 663-679, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/1977/12/deutscher-parlamentarismus-1848-1850.pdf [15.08.2025].

[61] Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben, Frankfurt a.M. 1985.

[62] In fünf Bundesländern können 16-Jährige an den Landtagswahlen teilnehmen, in sechs Bundesländern gilt dies auch für Kommunalwahlen.

[63] Raphael Kies, Étendre le droit de vote des étrangers aux élections législatives: Pourquoi les Luxembourgeois ne veulent pas?, in: Philippe Poirier/Nadam Farhat (Hrsg.), Démocracie(s), Parlementarisme(s) et Légitimité(s), Bruxelles 2019, S. 235-260, online https://orbilu.uni.lu/handle/10993/39866 [15.08.2025].

[64] Thomas Kühne, Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867-1914. Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt, Düsseldorf 1994; James Retallack, Red Saxony. Election Battles and the Spectre of Democracy in Germany, 1860-1918, Oxford 2017; Hedwig Richter/Kerstin Wolff (Hrsg.), Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburg 2018; Andreas Schulz/Tobias Kaiser (Hrsg.), Vorhang auf – Frauen in Parlament und Politik. Ein internationaler Vergleich, Düsseldorf 2022.

[65] Robert Arsenschek, Der Kampf um die Wahlfreiheit im Kaiserreich. Zur parlamentarischen Wahlprüfung und politischen Realität der Reichstagswahlen 1871-1914, Düsseldorf 2003.

[66] Literaturnachweise in: Thomas Kühne, Wahlrecht – Wahlverhalten – Wahlkultur. Tradition und Innovation in der historischen Wahlforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 33 (1993), S. 481-547, online https://library.fes.de/jportal/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00023500/afs-1993-481.pdf [15.08.2025]; Thomas Mergel, Elections, Election Campaigns, and Democracy, in: Nadine Rossol/Benjamin Ziemann (Hrsg.), The Oxford Handbook of Weimar Germany, Oxford 2022, S. 164-192.

[67] Jonathan Sperber, The Kaiser’s Voters. Electors and Elections in Imperial Germany, Cambridge 1997.

[68] Jürgen W. Falter, Die Anhänger der NSDAP 1924-1933, Frankfurt a.M./New York 2020; Dirk Lau, Wahlkämpfe der Weimarer Republik. Propaganda und Programme der politischen Parteien bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag von 1924 bis 1930, Marburg 2008.

[69] Andreas Biefang, Die Reichstagswahlen als demokratisches Zeremoniell, in: ders./Michael Epkenhans/Klaus Tenfelde (Hrsg.), Das politische Zeremoniell im Deutschen Kaiserreich 1871-1918, ²2010, S. 233-270; Thomas Mergel, Betrug, Gewalt, Stimmenkauf. Wahlkulturen in Europa im Übergang zum politischen Massenmarkt, 1860-1914, in: Archiv für Sozialgeschichte 58 (2018), S. 85-106, online https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd58/afs58_09_mergel.pdf [15.08.2025]. Vergleichend: Pascal Perrineau/Dominique Reynié (Hrsg.), Dictionnaire du vote, Paris 2001.

[70] Thomas Mergel, Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949-1990, Göttingen 2010; Claudia C. Gatzka, Die Demokratie der Wähler. Stadtgesellschaft und politische Kommunikation in Italien und der Bundesrepublik 1944-1979, Düsseldorf 2019, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/2019/04/die-demokratie-der-waehler.-stadtgesellschaft-und-politische-kommunikation-in-italien-und-der-bundesrepublik-1944-1979-1.pdf [15.08.2025].

[71] Dieter Langewiesche, Die Anfänge der deutschen Parteien. Partei, Fraktion und Verein in der Revolution von 1848/49, in: Geschichte und Gesellschaft 4 (1978), S. 324-361; Michael Wettengel, Der Centralmärzverein und die Entstehung des deutschen Parteienwesens während der Revolution von 1848/49, in: Jahrbuch zur Liberalismusforschung 3 (1991), S. 34-81, online https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/64119 [15.08.2025].

[72] Thomas Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, Düsseldorf 1961, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/1960/02/die-organisation-der-deutschen-parteien-vor-1918.pdf [15.08.2025].

[73] Margaret Lavinia Anderson, Lehrjahre der Demokratie. Wahlen und politische Kultur im Deutschen Kaiserreich, Stuttgart 2009.

[74]Bluhm/Krause (Hrsg.), Robert Michels’ Soziologie des Parteiwesens; Thomas Mergel, Gegenbild, Vorbild und Schreckbild. Die amerikanischen Parteien in der Wahrnehmung der deutschen politischen Öffentlichkeit 1890-1920, in: Dieter Dowe/Jürgen Kocka/Heinrich August Winkler (Hrsg.), Parteien im Wandel. Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, München 1999, S. 363-395.

[75] Maartje Janse/Henk te Velde (Hrsg.), Organizing Democracy. Reflections on the Rise of Political Organizations in the 19th Century, Basingstoke 2017, online https://scholarlypublications.universiteitleiden.nl/access/item%3A2940210/view [15.08.2025].

[76] Thomas Welskopp, Das Banner der Brüderlichkeit. Die deutsche Sozialdemokratie vom Vormärz bis zum Sozialistengesetz, Bonn 2000.

[77] Walter Mühlhausen, Das rote Parlament. Die Parteitage der Sozialdemokratie im Deutschen Kaiserreich, in: Biefang/Epkenhans/Tenfelde (Hrsg.), Das politische Zeremoniell, S. 271-304; Marie-Emmanuelle Reytier, Die zeremonielle Gestaltung der Katholikentage als „Herbstparaden“ des Zentrums, in: ebd., S. 305-326.

[78] Gerhard A. Ritter, Die deutschen Parteien 1830-1914. Parteien und Gesellschaft im konstitutionellen Regierungssystem, Göttingen 1985, online https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00051624_00001.html [15.08.2025]; Karl Rohe (Hrsg.), Elections, Parties and Political Traditions. Social Foundations of German Parties and Party Systems, 1867-1987, New York 1990.

[79] Karl Rohe, Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlage deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1992.

[80] Falter, Hitlers Wähler.

[81] M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Gerhard. A. Ritter (Hrsg.), Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 56-80 (zuerst 1966).

[82] Claudia C. Gatzka, Die Blüte der Parteiendemokratie. Politisierung als Alltagspraxis in der Bundesrepublik, 1969-1980, in: Archiv für Sozialgeschichte 58 (2018), S. 201-223, online https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd58/afs58_15_gatzka.pdf [15.08.2025].

[83] Christoph Nonn, Verbraucherprotest und Parteiensystem im wilhelminischen Deutschland, Düsseldorf 1996; Siegfried Weichlein, Sozialmilieus und politische Kultur in der Weimarer Republik, Göttingen 1996.

[84] Thorsten Holzhauser/Felix Lieb (Hrsg.), Parteien in der „Krise“. Wandel der Parteiendemokratie in den 1980er- und 1990er-Jahren, Berlin 2021.

[85] Christina Morina, Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren, München 2023, S. 175.

[86] Christina Morina, Vom Sinn des Vergeblichen. Demokratiekritik und Zivilgesellschaft seit dem Umbruch 1989/90, in: Tim Schanetzky u.a. (Hrsg.), Demokratisierung der Deutschen. Errungenschaften und Anfechtungen eines Projekts, Göttingen 2020, S. 382-394, Zitat S. 392.

[87] Thorsten Holzhauser, Die „Nachfolgepartei“. Die Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1990-2005, Berlin 2019.

[88] Silke Mende, „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011; allgemein: Andreas Schulz, Demokratie praktizieren: Verein, Partei, Verband, Bewegung, in: Biefang/Geppert/Recker/Wirsching (Hrsg.), Parlamentarismus, S. 55-76.

[89] Moritz Fischer, Die Republikaner. Die Geschichte einer rechtsextremen Partei 1983-1994, Göttingen 2024.

[90] Patrick Bahners, Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus, Stuttgart 2023; Frank Decker, Etappen der Parteigeschichte der AfD, Bundeszentrale für politische Bildung, 02.12.2022, www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/afd/273130/etappen-der-parteigeschichte-der-afd/ [15.08.2025].

[91] Dazu ist ein Tagungsband in Vorbereitung: Andreas Schulz/Thorsten Holzhauser (Hrsg.), Lobbyismus (Arbeitstitel), Düsseldorf 2026 (i.E.).

[92] Hans-Peter Ullmann, Interessenverbände in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988.

[93] Zum Funktionszusammenhang beider Prinzipien in ideengeschichtlicher Perspektive: Manin, Kritik der repräsentativen Demokratie, bes. S. 229-239; Kurt Imhof, Der normative Horizont der Freiheit. „Deliberation“ und „Öffentlichkeit“: zwei zentrale Begriffe der Kommunikationswissenschaft, in: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.), Die Kommunikationsfreiheit der Gesellschaft, Wiesbaden 2003, S. 25-57, online https://www.foeg.uzh.ch/analyse/publikationen/Horizont_der_Freiheit.pdf [15.08.2025].

[94] Paul Friedland, Political Actors. Representative Bodies and Theatricality in the Age of the French Revolution, Ithaca 2002; Hugo Coniez, Écrire la démocratie. De la publicité des débats parlementaires, Paris ²2012.

[95] Vgl. Andreas Wirsching, Parlament und Volkes Stimme. Unterhaus und Öffentlichkeit im England des frühen 19. Jahrhundert, Göttingen/Zürich 1990; Andrew Sparrow, Obscure Scribblers. A History of Parliamentary Journalism, London 2003.

[96] Anna Gianna Manca, Parlament und Öffentlichkeit im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: Lothar Schilling/Christoph Schönberger/Andreas Thier (Hrsg.), Verfassung und Öffentlichkeit in der Verfassungsgeschichte, Berlin 2020, S. 161-193; vgl. auch die einschlägigen Passagen in den Handbüchern zum Parlamentarismus, siehe Anm. 39.

[97] Engehausen, Werkstatt der Demokratie, S. 143-174.

[98] Andreas Biefang, Die andere Seite der Macht. Parlament und Öffentlichkeit im „System Bismarck“, Düsseldorf ²2012.

[99] Überblicke bei: Frank Bösch, Katalysator der Demokratisierung? Presse, Politik und Gesellschaft vor 1914, in: ders./Norbert Frei (Hrsg.), Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 25-47; ders., Parlamente, Medien, Öffentlichkeiten, in: Biefang/Geppert/Recker/Wirsching (Hrsg.), Parlamentarismus, S. 235-254. Die KGParl hat einen Forschungsschwerpunkt zum Thema eingerichtet: https://kgparl.de/forschung/parlament-und-oeffentlichkeit/ [15.08.2025].

[100] Überblicke: Karl Christian Führer/Knut Hickethier/Axel Schildt, Öffentlichkeit – Medien – Geschichte. Konzepte der modernen Öffentlichkeit und Zugänge zu ihrer Erforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 1-38; Karl Christian Führer/Corey Ross (Hrsg.), Mass Media, Culture and Society in Twentieth-Century Germany, Basingstoke 2006, online http://ndl.ethernet.edu.et/bitstream/123456789/19248/1/164pdf.pdf; Corey Ross, Media and the Making of Modern Germany. Mass Communications, Society, and Politics from the Empire to the Third Reich, Oxford 2008,online http://ndl.ethernet.edu.et/bitstream/123456789/10866/1/53pdf.pdf [biede 15.08.2025].

[101] Zur Stenografie: „Stenographische Praxis. Fachzeitschrift für Stenographie“, 1907-1933; „Neue Stenographische Praxis. Fachzeitschrift für Stenographie“, 1953ff. An der Universität Hamburg bereitet Hannah Boeddeker eine geschichtswissenschaftliche Dissertation über die politische Praxis der Stenografie vor.

[102] Jörg-Uwe Fischer, Parlamentsdebatten: politische Erziehung oder politisches Theater? Zur Diskussion um die Rundfunkübertragungen von Reichstagsdebatten und -reden während der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 25 (1994), S. 637-652; Konrad Dussel, Radiowahlkampf. Oder: Welche Bedeutung besaß der Hörfunk in der Weimarer Republik?, in: Hans-Peter Becht/Carsten Kretschmann/Wolfram Pyta (Hrsg.), Politik, Kommunikation und Kultur in der Weimarer Republik, Heidelberg 2009, S. 127-141; Benedikt Wintgens, Turn Your Radio on. Abgeordnete und Medien in der Bundesrepublik Deutschland nach 1949, in: Adéla Gjuričová/Andreas Schulz/Luboš Velek/Andreas Wirsching (Hrsg.), Lebenswelten von Abgeordneten in Europa 1860-1990, Düsseldorf 2014, S. 295-310.

[103] Christina Holtz-Bacha, Wahlwerbung als politische Kultur. Parteienspots im Fernsehen 1957-1998, Wiesbaden 2000; Andreas Dörner, Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, Frankfurt a.M. 2001.

[104] Andreas Biefang, Leopold Braun. Kunst, Politik, Bohème und die Frage: Wozu malt man ein Parlament?, Düsseldorf 2018.

[105] Andreas Biefang, Bismarcks Reichstag. Das Parlament in der Leipziger Straße. Fotografiert von Julius Braatz, Düsseldorf 2002; ders./Marij Leenders (Hrsg.), Das ideale Parlament. Erich Salomon als Fotograf in Berlin und Den Haag 1928-1940, Düsseldorf 2014; Benedikt Wintgens, Neues Parlament, neue Bilder? Die Fotografin Erna Wagner-Hehmke und ihr Blick auf den Bundestag, in: Biefang/Leenders (Hrsg.), Das ideale Parlament, S. 293-314.

[106] Jörg Requate, Politischer Massenmarkt und nationale Öffentlichkeiten – Die Entstehung einer „Vierten Gewalt“? Deutschland, England und Frankreich im Vergleich, in: Martin Kirsch/Anne G. Kosfeld/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der Verfassungsstaat vor der Herausforderung der Massengesellschaft. Konstitutionalismus um 1900 im europäischen Vergleich, Berlin 2002, S. 145-168; Habbo Knoch/Daniel Morat, Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880-1960. Zur historischen Kommunikologie der massenmedialen Sattelzeit, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880-1960, München 2003, S. 9-33.

[107] Konrad Dussel, Vom Radio- zum Fernsehzeitalter. Medienumbrüche in sozialgeschichtlicher Perspektive, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 673-694; Christina v. Hodenberg, Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973, Göttingen 2006.

[108] Dankwart Guratzsch, Macht durch Organisation. Die Grundlegung des Hugenbergschen Presseimperiums, Düsseldorf 1974; Michael Schellhorn, Alfred Hugenberg, „Wilhelminische Generation“ und bürokratische Herrschaft im Deutschen Kaiserreich (1865-1914), Göttingen 2025; zum KPD-nahen Medienimperium vgl. Riccardo Bavaj, „Revolutionierung der Augen“. Politische Massenmobilisierung in der Weimarer Republik und der Münzenberg-Konzern, in: Ute Daniel/Inge Marszolek/Wolfram Pyta/Thomas Welskopp (Hrsg.), Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, München 2010, S. 81-100, online https://research-repository.st-andrews.ac.uk/handle/10023/9271?show=full [15.08.2025].

[109] Bernhard Fulda, Press and Politics in the Weimar Republic, Oxford 2008; Karl Christian Führer, Politische Kultur und Journalismus. Tageszeitungen als politische Akteure in der Krise der Weimarer Republik 1929-1933, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 2008, S. 26-51; Katja Leiskau/Patrick Rössler/Susann Trabert (Hrsg.), Deutsche illustrierte Presse. Journalismus und visuelle Kultur in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2016.

[110] Philipp Staab/Thorsten Thiel, Social Media and the Digital Structural Transformation of the Public Sphere, in: Theory, Culture & Society 39 (2022), H. 4, S. 129-143, https://doi.org/10.1177/02632764221103527; Philipp Lorenz-Spreen u.a., A Systematic Review of Worldwide Causal and Correlational Evidence on Digital Media and Democracy, in: Nature Human Behaviour 7 (2023), S. 74-101, https://doi.org/10.1038/s41562-022-01460-1 [beide 15.08.2025].

[111] Benedikt Wintgens, Treibhaus Bonn Treibhaus Bonn. Die politische Kulturgeschichte eines Romans, Düsseldorf ²2019, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/2019/03/treibhaus-bonn_die-politische-kulturgeschichte-eines-romans.pdf [1508.2025].

[112] Sofia Psarra/Uta Staiger/Claudia Sternberg (Hrsg.), Parliament-Buildings. The Architecture of Politics in Europe, London 2023, online https://discovery.ucl.ac.uk/id/eprint/10177522/1/Parliament-Buildings.pdf [15.08.2025]; Adéla Gjuričová/Benedikt Wintgens (Hrsg.), Built Representation – Parlamentsarchitektur in Europa, Düsseldorf 2026 (i.E.).

[113] Marie-Luise Recker, Parlamentarier und ihre Lebenswelten, in: Biefang/Geppert/Recker/Wirsching (Hrsg.), Parlamentarismus, S. 207-231.

[114] Margaret L. Anderson, Windthorst. Zentrumspolitiker und Gegenspieler Bismarcks, Düsseldorf 1988; Daniela Gniss, Der Politiker Eugen Gerstenmaier 1906-1986. Eine Biographie, Düsseldorf 2005.

[115] Für die entsprechenden Publikationen vgl. KGParl: Publikationen, https://kgparl.de/publikationen/?_sort=date_desc [15.08.2025].

[116] Wolfram Siemann, Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 zwischen demokratischem Liberalismus und konservativer Reform. Die Bedeutung der Juristendominanz in den Verfassungsverhandlungen des Paulskirchenparlaments, Frankfurt a.M. 1976; Heinrich Best, Die Männer von Bildung und Besitz. Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49, Düsseldorf 1990.

[117] Waltraud Sperlich, Journalist mit Mandat. Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und ihre Arbeit in der Parteipresse 1867 bis 1918, Düsseldorf 1983.

[118] So zu Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein.

[119] In einem Datenbankprojekt der KGParl werden gegenwärtig biografische Informationen zu Abgeordneten der ersten Volkskammern zwischen 1949 und 1963 gesammelt, die als Grundlage für die Untersuchung von Sozialstruktur und Rekrutierungspraxis der parlamentarischen Elite der DDR dienen. Vgl. https://kgparl.de/drittmittelprojekt-mit-elan-und-visionen-die-volkskammerabgeordneten-der-ddr-1947-1963/ [15.08.5.2025).

[120] Frank Bösch, Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880-1914, München 2009, online https://zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/deliver/index/docId/698/file/b%c3%b6sch_%c3%b6ffentliche_geheimnisse_2009_de.pdf; ders., Das Private wird politisch. Die Sexualität des Politikers und die Massenmedien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), S. 781-801, online https://zzf-potsdam.de/sites/default/files/mitarbeiter/PDFs/boesch/2004_das_private_wird_politisch.pdf [beide 15.08.2025].

[121] Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a.M., 14. Auflage 2004.

[122] Für das Deutsche Kaiserreich führen für die KGParl Lukas Yavari und Matthias Berg entsprechende Studien durch.

[123] Kerstin Burmeister, Die Professionalisierung der Politik am Beispiel des Berufspolitikers im parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1993; Christian Jansen, Selbstbewußtes oder gefügiges Parlament? Abgeordnetendiäten und Berufspolitiker in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 33-65.

[124] Remieg Aerts/Carla van Baalen/Henk te Velde/Margit van der Steen/Marie-Luise Recker (Hrsg.) The Ideal of Parliament in Europe since 1800, Cham 2019.

[125] Klaus-Friedrich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, Berlin 1966.

[126] Tobias Kaiser, Parlamentarische Polizeigewalt im europäischen Kontext. Eine politische Kulturgeschichte, Düsseldorf 2023.

[127] Thomas Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, Düsseldorf ³2010.

[128] Thomas Mergel, Funktionen und Modi des Sprechens in modernen Parlamenten. Historische und systematische Überlegungen, in: Andreas Schulz/Andreas Wirsching (Hrsg.), Parlamentarische Kulturen in Europa. Das Parlament als Kommunikationsraum, Düsseldorf 2012, S. 229-246.

[129] Wolfram Pyta (Hrsg.) Kompromiss. Kultur und Praxis eines parlamentarischen Entscheidungsverfahrens im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Düsseldorf 2025.

[130] Hans-Peter Goldberg, Bismarck und seine Gegner. Die politische Rhetorik im kaiserlichen Reichstag, Düsseldorf 1998; Susanne Wein, Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 2014.

[131] Jörg Feuchter/Johannes Helmrath (Hrsg.), Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder, Düsseldorf 2013; Theo Jung, Die Politik des Schweigens und die Herrschaft der Debatte im Europa des langen 19. Jahrhunderts, Düsseldorf 2025.

[132] Frankfurter Nationalversammlung: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. 3. 1848, www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10814057?page=5  Verhandlungen des Deutschen Reichstags und seiner Vorläufer, www.reichstagsprotokolle.de/ [beide 15.08.2025].

[133] Deutscher Bundestag: Plenarprotokolle, www.bundestag.de/protokolle [15.08.2025].

[134] Der Auswärtige Ausschuss des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1949-1982, verschiedene Bearbeiter, Düsseldorf 1998-2017; Der Bundestagsausschuss für Verteidigung 1952-1956, verschiedene Bearbeiter, Düsseldorf 2006-2017.

[135] Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e.V. (KGParl), Online-Edition der Protokolle der Fraktionen des Deutschen Bundestags, https://www.fraktionsprotokolle.de/index.html [15.08.2025].

[136] Bettina Tüffers, Die 10. Volkskammer der DDR. Ein Parlament im Umbruch. Selbstwahrnehmung, Selbstparlamentarisierung, Selbstauflösung, Düsseldorf 2016, online https://kgparl.de/wp-content/uploads/2016/03/die-10.-volkskammer-der-ddr_ein-parlament-im-umbruch.pdf [15.08.2025]; dies., Fernsehaufnahmen als historische Quelle. Die Live-Übertragung der Sitzungen der 10. Volkskammer der DDR, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70 (2020), Heft 5/6, S. 298-314.

[137] Hugo Coniez/Pierre Michon, Servir les assemblées. Histoire et dictionnaire de l´administration parlementaire française de 1789 à la fin du XXe siècle, 2 Bde., Paris 2020.

[138] Gerhard Hahn, Die Reichstagsbibliothek zu Berlin – ein Spiegel deutscher Geschichte, Düsseldorf 1997.

[139] Dieter Langewiesche, Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008.

[140] Oliver Haardt, Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreichs, Darmstadt 2020.

[141] Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990.

[142] Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie, Frankfurt a.M. 1977.

[143] Immer noch grundlegend: Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 5. Aufl., Düsseldorf 1984.

[144] Siehe hierzu und zum Folgenden: Siegfried Weichlein, Föderalismus und Demokratie in der Bundesrepublik, Stuttgart 2019.

[145] So etwa Florian Meinel, Vertrauensfrage. Zur Krise des heutigen Parlamentarismus, München 2019, S. 27.

[146] Michael Gehler, Zeitgeschichte im dynamischen Mehrebenensystem. Zwischen Regionalisierung, Nationalstaat, Europäisierung, internationaler Arena und Globalisierung, Bochum 2001.

[147] Kiran Klaus Patel, Projekt Europa. Eine kritische Geschichte, München 2018, Zitat S. 169; Silke Mende, Das „demokratische Europa“ seit 1970. Zeithistorische Perspektiven auf den Zusammenhang von Demokratie, Parlamentarisierung und Europäisierung als Forschungsfeld, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 5/6 (2020), S. 315-329.

[148] Paul Lukas Hähnel, Europäisierung(en) des Deutschen Bundestags, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 73 (2022), Heft 11/12, S. 613-641.

[149] Zum europäischen Parlament vgl. Ines Soldwisch, Das Europäische Parlament 1979-2004. Inszenierung, Selbst(er)findung und politisches Handeln der Abgeordneten, Stuttgart 2021.

[150] Dominik Geppert, The Power of History. British and German Views of the European, National and Imperial Past, in: Contemporary European History 28 (Februar 2019), S. 14-18, online https://www.cambridge.org/core/services/aop-cambridge-core/content/view/8292685287C2BDE0C38840F4E37C96B1/S096077731800070Xa.pdf/the-power-of-history-british-and-german-views-of-the-european-national-and-imperial-past.pdf [15.08.2025].

[151] Siehe hierzu das Themenheft „Havarie Europa“: Mittelweg 36, Heft 1, Februar/März 2022.

[152] So das Argument von Frank Schorkopf, Die unentschiedene Macht. Verfassungsgeschichte der Europäischen Union, 1948-2007, Göttingen 2023.

[153] So die Position von Wolfram Kaiser, Shaping European Union. The European Parliament ans Institutional Reform 1979-1989, Brüssel 2018. Für eine dezidiert positive Lesart der europäischen Integrationsgeschichte siehe auch Wilfried Loth, Europas Einigung. Eine unvollendete Geschichte, Frankfurt a.M. 2014.

[154] Ulrich Haltern, Was bedeutet Souveränität?, Tübingen 2007.

[155] Siehe etwa den Literaturbericht von Kristin Eichhorn, Krise der Demokratie – Diagnosen, Ursachen und Auswege, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 31 (2019), S. 247-265, online https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748904991.pdf?download_full_pdf=1&page=0 [15.08.2025]; oder auch: Aus Politik und Zeitgeschichte 66 (2016), Heft 40-42 zum Thema „Repräsentation in der Krise?“, online https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2016-40-42_online.pdf [15.05.2025].

[156] Dominik Geppert/Andreas Wirsching, Krise der Repräsentation? Eine Gegenwartsbestimmung des Parlamentarismus aus historischer Perspektive, in: Biefang/Geppert/Recker/Wirsching (Hrsg.), Parlamentarismus in Deutschland, S. 417-430.

[157] Morten Reitmayer, Populismus als Untersuchungsfeld der Zeitgeschichte. Ein kritischer Forschungsbericht, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 69 (2021), S. 573-606.

[158] Chantal Mouffe, Für einen linken Populismus, Berlin 2018.

[159] Hans-Christof Kraus, Parlamentarismuskritik, Antiparlamentarismus und Modelle alternativer Repräsentation, in: Andreas Biefang u. a. (Hrsg.), Parlamentarismus in Deutschland, S. 145–173.

[160] Wolfram Pyta (Hrsg.), Kompromiss.

[161] Geppert/Wirsching, Krise der Repräsentation?, in: Biefang/Geppert/Recker/Wirsching (Hrsg.), Parlamentarismus in Deutschland.

 

 

Periodisierung
Updated:
Artikel-URL:
https://docupedia.de/zg/dipper_periodisierung_v1_de_2025
Page-ID:
100009322
Datum:
2025-05-26
Autor/innen:
Christof Dipper
Titel:
Periodisierung
Version:
1
Alle Kategorien:
Zeit, Historiographiegeschichte,regional übergreifend,20. Jahrhundert übergreifend, vor 1900
Sprache:
Deutsch
Bild-Src:
Ein Zollstock auf dem Begriffe stehen wie Christentum, Frühmittelalter, Barock etc.
Bild-Lizenz:

„2000 Jahre Geschichte am laufenden Meter“: Produktwerbung [14.05.2025], Zollstock mit geschichtlichen Daten und Epochen. Foto: Ch. Dipper, Mai 2025 ©

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1. Perioden sind menschengemacht

Periodisierung ist ein Hilfsmittel der Geschichtsschreibung, das der Gliederung des Stoffs dient. „Der Historiker spricht von Epochen“ – sie werden in diesem Text mit „Perioden“ gleichgesetzt –, „um sich in der Komplexität der vergangenen Geschichten zurechtzufinden. Das ist der erste Schritt zur Verstehbarkeit des Vergangenen.“[1] Bei Laien wie Fachleuten findet sich oftmals die populäre Ansicht, bei „Epochen“ handle es sich um so etwas wie „naturgegebene“ Tatsachen. Das ist ein Irrtum, der wohl deshalb so verbreitet ist, weil bei zahlreichen Geschichtsbüchern schon im Titel von „Epoche“ die Rede ist. Dass Epochen und ihre Periodisierung diskussionsbedürftig sind, wird damit von vornherein nahezu ausgeschlossen.

Der Ahnherr der deutschen Geschichtswissenschaft Leopold von Ranke machte wohl den Anfang mit seinen Vorträgen „Über die Epochen der neueren Geschichte“ vor dem bayerischen König Maximilian II. im Jahr 1854.[2] Rankes Aussage, dass „jede Epoche […] unmittelbar zu Gott“ sei, erlangte geradezu sprichwörtliche Bedeutung.[3] Doch kein Geringerer als Johann Gustav Droysen hatte bereits in seinen „Historik“-Vorlesungen ab 1857 dagegengehalten: „Ich habe kaum nötig, hier ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß es in der Geschichte so wenig Epochen gibt wie auf dem Erdkörper die Linien des Äquators und der Mediankreise, daß es nur Betrachtungsformen sind, die der denkende Geist dem empirisch Vorhandenen gibt, um es so desto gewisser zu fassen.“[4]

Droysen sprach nicht von ungefähr von „Betrachtungsformen“ des „denkende[n] Geist[es]“, also im Plural, denn von ihnen gibt es naturgemäß viele. Eine der Folgen ist die Vielfalt, das Nebeneinander von Periodisierungen, mit der die Pluralisierung der geschichtlichen Zeit und Themen durch die Historikerinnen und Historiker einhergeht. Darum gibt es hier eher kein „wahr“ und „falsch“, vielmehr sind „tragfähig“ oder „angemessen“ die ausschlaggebenden Kriterien. Aber verzichten kann man auf sie ebenso wenig wie ein Globus auf Längen- und Breitengrade. Man braucht sie zur Orientierung.

Dieser Artikel möchte auf zwei scheinbar widersprüchliche Dinge hinweisen: auf die Unverzichtbarkeit von Periodisierung und darauf, dass sie oft eher unbewusst vorgenommen wird. Es gibt in der Geschichtswissenschaft keine ein für alle Mal festgelegte Periodisierung, weil diese Disziplin überhaupt keine kanonisch festgelegten Wissensbestände kennt, sondern nur allgemein akzeptierte Verfahren zur Gewinnung von Aussagen; deren wichtigste ist das Vetorecht der Quellen.[5] Die Geschichtswissenschaft besitzt auch nur ein sehr begrenztes Fachvokabular und bedient sich vorzugsweise der Alltagssprache. Aus all diesen Gründen sind die Grenzen zwischen Zäsur, Strukturbruch, Epoche und Periode fließend und die Bedeutungen des damit jeweils Gemeinten umstritten.

 

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Jahreszahlen sowie gezeichnete Personen, Bauwerke, Wappen etc.
Die Frühe Neuzeit als Gruppenbild mit Dame. Schulwandbild „Geschichtsfries 1500-1750“, Tellus Verlag Essen, 1963-1976. Quelle: Mitte Museum/Bezirksamt Mitte von Berlin / Museum digital [14.05.2025], Lizenz: CC BY-NC-ND

 

2. Perioden sind unverzichtbar, aber umstritten

Im Januar 1952 forderte das Zentralkomitee der SED die ostdeutschen Historiker auf, „die Periodisierung der deutschen Geschichte nach marxistisch-leninistischen Gesichtspunkten neu zu durchdenken“.[6] Daraufhin fanden 1953 und 1954 mehrere Konferenzen statt, auf denen die Faktoren der Datierung, vor allem der Feudalismus-Epoche, wie dort nun das Mittelalter hieß, diskutiert wurden, und zwar unter der Maßgabe, dass historische Zäsuren sich aus dem historischen Geschehen selbst ableiten lassen und damit objektiv, also dauerhaft gültig seien.[7] Abstimmungen gab es darüber nicht, die Partei hatte in solchen Grundsatzfragen stets das letzte Wort.

Im Jahr 2024 entschied ein hochrangig besetztes Gutachtergremium einer internationalen Geologenkommission durch Abstimmung, dass ihre Disziplin nun doch nicht eine neue Erd-Epoche namens „Anthropozän[8] offiziell ausrufen wolle.[9] Die Antragsteller führten dagegen aus, dass in den 1950er-Jahren das menschliche Handeln unwiderruflich die klimatische Stabilität des Planeten und auch sonst unsere Lebensgrundlagen untergraben und damit die vor ca. 12.000 Jahren begonnene Epoche des Holozän, das die Hochkulturen ermöglichte, beendet habe. Vor allem aber sei eben damals die Bedingung für eine neue geochronologische Epoche, nämlich ihre weltweite Ablesbarkeit, erfüllt gewesen: der radioaktive Fallout bei den Kernwaffentests.

 

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Grafik: auf der Zeitleiste: 1860-2021; rechts: Info: massiver Anstieg von Gas, Öl und Kohle
Das Anthropozän als Erd-Epoche? Globale anthropogene CO2-Emissionen nach Quellen von 1850-2021. Grafik: Robbie Andrew, Figures from the Global Carbon Budget 2022, Quelle: Bildungsserver Wiki [15.05.2025], Lizenz: CC BY 4.0

 

Die beiden Beispiele sind ungewöhnlich, weil Abstimmungen und Mehrheitsentscheidungen über wissenschaftliche Aussagen dem geisteswissenschaftlichen Selbstverständnis widersprechen. Ganz und gar nicht ungewöhnlich ist dagegen der Streit um Fragen der Periodisierung. Denn allgemein gültige Kriterien gibt es hierfür nicht. Man kann sogar mit Reinhart Koselleck und Jacques Le Goff behaupten, dass Periodisierung – und damit natürlich auch der Streit um sie – die Geschichte überhaupt erst zur Wissenschaft gemacht hat.[10] Bloßes Erzählen ist noch keine Geschichtswissenschaft. Ebensowenig ist die Verortung von Ereignissen in Dynastie- bzw. Herrscherdaten oder religiös definierten Epochen, also beispielsweise vor und nach Christi Geburt, gleichbedeutend mit historischer Periodisierung. Dasselbe gilt für die Gliederung nach Jahrhunderten, die in der ersten protestantischen Kirchengeschichte, den sog. Magdeburger Centurien,[11] in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus didaktischen Gründen entwickelt wurde. Schon bald wurden allerdings die Jahrhunderte mit Sinn versehen und sind inzwischen zur vorherrschenden Einteilung der Vergangenheit geworden.

Die Geschichte der wissenschaftlichen Periodisierung, die im Folgenden knapp skizziert werden soll,[12] beginnt daher nicht schon, wie oft zu lesen, mit der Einteilung der Geschichte von der Schöpfung bis ans Ende der Welt in die sechs alttestamentarischen, der Schöpfungsgeschichte oder den Altersstufen des Menschen entsprechenden Zeitaltern. Alternativ wird auch die im „Buch Daniel“ zu findende, aber erst im Hellenismus und dann von den Kirchenvätern ausdifferenzierte Vierreichelehre der vier Weltmonarchien der Meder, Perser, Griechen und Römer genannt, deren letzte angesichts des ausbleibenden Weltuntergangs immer weiter verlängert und mittels der Theorie von der translatio imperii schließlich auf das von Karl dem Großen begründete (mittelalterliche) Kaiserreich übertragen wurde.[13]

Als dieses Reich 1806 unterging, hatte die Französische Revolution dafür gesorgt, dass die Menschen sich tatsächlich in neuen Zeiten wähnten. Nun war die Neuzeit, um noch einmal Koselleck zu zitieren, wirklich neu geworden, hatte sie doch in den Augen der Zeitgenossen eine „epochenbewußte Bedeutung“[14] angenommen. Dagegen war die von den Humanisten vier Jahrhunderte zuvor in die Welt gesetzte Zweiteilung in „alte“ und „neue“ Zeit samt der unvermeidlichen „mittleren“ im Blick auf die vorbildhafte griechisch-römische Antike geprägt worden; dieser gegenüber konnte die „neue“ bestenfalls zur „alten“ werden. Den „Durchbruch zum rückwirkenden Periodenbegriff“[15] hatte 1685-1696 der Hallenser Historiker Christoph Cellarius mit seiner Dreiteilung der Geschichte in alte, mittlere und neue vollzogen.[16] Diese Dreiteilung prägt weithin mindestens das westliche Geschichtsbild bis heute. Der bündige Begriff „Neuzeit“ ist im Deutschen 1838 zum ersten Mal nachgewiesen; in der Geschichtswissenschaft taucht er 1855 auf,[17] erst ab 1870 gilt er dem „Grimm’schen Wörterbuch“ zufolge als gebräuchlich.[18]

Die Binnendifferenzierung älterer Geschichtsepochen bereitet keine Schwierigkeiten und löst allenfalls marginale Fachdebatten aus. Der Grund ist einfach: Es handelt sich um definitiv abgeschlossene Epochen, deren Beschaffenheit keinerlei Folgen für das Selbstverständnis der heute Lebenden hat. Im Fall der Neuzeit ist das völlig anders. Erstens handelt es sich um „eine Epoche, die sich selbst gewollt haben will“,[19] d.h. die sich selbst kreierte, und zweitens wird sie dank der hergebrachten Dreiheit immer länger und verschiebt dadurch unseren Ort in ihr, so dass zwangsläufig „neue Epochen entstehen“.[20] Oswald Spengler, der mit dieser linearen Periodisierung nichts anfangen konnte, spottete deshalb, „der zünftige Historiker“ sehe wegen seiner déformation professionnelle die Weltgeschichte „in der Gestalt eines Bandwurms, der unermüdlich Epochen ‚ansetzt‘“.[21]

Seither sind eine Handvoll neuzeitlicher Epochen hinzugekommen, von denen einige inzwischen auch Teil des institutionellen Gehäuses unseres Fachs geworden sind und deshalb hier kurz diskutiert werden sollen. Im Rückblick erwies sich die Anerkennung der Zeitgeschichte als Subdisziplin – denn als Geschichte der eigenen Zeit gibt es sie schon lange, manche sehen gar Thukydides als den Urahn dieser Art der Geschichtsschreibung − bald nach dem Zweiten Weltkrieg als entscheidender Schritt zur Verflüssigung der Neuzeit. Weiter rückwärts etablierte sich wenige Jahrzehnte später nach angelsächsischem und insbesondere französischem Vorbild die Frühe Neuzeit als eigenständige Epoche aufgrund ihres „einzigartige[n] Verhältnis[ses] zur geschichtlichen Zeit selbst“.[22] Es ist nämlich die letzte Epoche, die im Grundsatz von einer unveränderlichen Welt ausging, obwohl das Jahr 1500 in mehrfacher Hinsicht eine deutliche Modernitätsschwelle einleitete.

Komplizierter verhält es sich mit der von Koselleck Anfang der 1960er-Jahre spontan ausgerufenen „Sattelzeit“, die er grob zwischen 1750 und 1850 ansiedelte und die ihm zufolge programmatischen Charakter besitzt als Scharnierzeit zur Moderne, als „Schwellenzeit“.[23] Diese ist nicht nur sprachlich fassbar, was die acht Bände der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ eindrucksvoll belegen,[24] sondern auch sachgeschichtlich. Im Kern veränderte sich damals das Verhältnis der Menschen zur geschichtlichen Zeit radikal – Beschleunigung wurde auffallend oft artikuliert und galt nicht mehr als Vorbote des Weltuntergangs[25] −, aber auch politisch und gesellschaftsgeschichtlich änderte sich Grundlegendes. Das hat die Disziplin überzeugt, und so ist die „Sattelzeit“ inzwischen ein etablierter Zeitabschnitt. Beachtung verdient allerdings, dass zum Wesen der Sattelzeit nicht einfach hundert Jahre gehören, sondern nur das, was damals das Weltverhältnis berührte, denn nur dieses markiert den Strukturbruch.

Am Ende dieses Abschnitts sei noch einmal festgehalten, dass die Geschichtswissenschaft ohne Periodisierung ihren epistemischen Charakter verlöre, auch wenn das eher selten kenntlich gemacht wird. In den allermeisten Fällen ist die chronologische Verortung nur implizit gegeben, weil der Gegenstand zeitspezifisch ist. Und so gilt: Epochen sind sinnstiftende Einheiten, die, anders als nach dem Verständnis der Geologie, nicht „in der Natur“ vorkommen, sondern Ergebnis wissenschaftlicher Auseinandersetzungen sind. Insofern ist es alles andere als trivial, sich über sie Gedanken zu machen. Deshalb soll im Folgenden nicht über den Charakter von Epochen – falls es so etwas nach heutigem Verständnis überhaupt gibt − räsoniert werden, sondern es geht um ihr Zustandekommen in den verschiedenen geschichtswissenschaftlichen Subdisziplinen, um das Kontinuitätsproblem, um die Rolle der alltagspraktisch viel wichtigeren Zäsuren und schließlich um Periodisierungsangebote für das 20. und 21. Jahrhundert. Es sei dabei vorausgeschickt, dass sich der Text in erster Linie auf die deutsche Geschichte konzentriert und es nur gelegentlich Seitenblicke auf die europäische und außereuropäische Geschichte gibt.

 

3. Periodisierung und Erkenntnisinteresse

Als Reinhart Koselleck in späten Jahren seine alte Leidenschaft öffentlich machte und das „Pferdezeitalter“ anstelle der hergebrachten Einteilung in alte, mittlere und neue Geschichte vorschlug, begründete er das mit der weltgeschichtlichen Bedeutung dieses Lebewesens. Es sei nämlich „das einzige Haus- und Kriegstier, das in allen Lebensbereichen eingesetzt werden konnte“ und darum „in der Symbiose mit dem Menschen diesem am nächsten steht“. Das Vorpferdezeitalter liege weit vor der Antike, während das Nachpferdezeitalter nach dem Ersten Weltkrieg durch das Auto eingeleitet worden sei, das „das Pferd überholt, überboten oder ins Abseits gedrängt“ habe. An dieser „hippologischen Wende“, also nach 1918, könne man „den so genannten Beginn der Moderne dingfest machen“. Koselleck fügte hinzu, er wisse natürlich, „dass alle Periodisierungen von perspektivisch ordnenden Fragestellungen abhängen“.[26]

 

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Ein Wagen, auf dem oben Menschen im Freien sitzen, wird von zwei Pferden gezogen.
Um 1900 war das „Pferdezeitalter“ auf dem Höhepunkt. Pferdegezogene Straßenbahn, Melbourne, Australien, zwischen 1880 und 1889. Fotograf: unbekannt. Quelle: Libraries Tasmania / Wikimedia Commons [14.05.2025] public domain

 

An diesem Beispiel lässt sich unschwer erkennen, dass Zeitalter, Perioden, Epochen – in dieser Hinsicht alles Synonyme – retrospektiv festgestellt werden und an Erzählabsicht bzw. Weltverständnis gebunden sind. Sehr selten und überhaupt erst seit dem 19. Jahrhundert, nachdem die Revolutionen die hergebrachte traditionsorientierte Weltdeutung umgestürzt hatten und innerweltliche Utopien in Fülle entworfen wurden, konnten Epochen auch prospektiv ausgerufen werden, um dadurch einen neuen Anfang zu verkünden. Die berühmte Aussage Goethes, mit der Kanonade von Valmy (20. September 1792) habe ein neues Zeitalter begonnen,[27] ist hingegen ein alles andere als seltener Fall retrospektiver Prognose, denn Goethe schrieb diesen Satz dreißig Jahre nach dem Ereignis. Umgekehrt bedient sich seit der Revolution die Politik immer öfters der Geschichte und ruft dabei gelegentlich sogar neue Epochen aus. So hatte zwar nicht Hitler selbst, wohl aber eine Vielzahl seiner Anhänger wieder und wieder zum Ausdruck gebracht, dass 1933 die Ära des „Tausendjährigen Reichs“ begonnen habe.[28]

Historiker dagegen „periodisieren [zwar] immer“, um mit Chris Lorenz zu sprechen, aber sie tun das professionell bedingt ausschließlich retrospektiv, d.h. aus der Perspektive ihrer Gegenwart. Und es ist dabei stets Selektion im Spiel, „denn beim Periodisieren geht es ebenso sehr um das Weglassen wie um das Einbeziehen“.[29] Nur so wird es schließlich seinen beiden Aufgaben bzw. Zwecken gerecht: dem Ordnen und dem Deuten. Insofern kann man tatsächlich sagen, dass es in der Geschichtswissenschaft ohne Periodisieren nicht geht, d.h. dass nichts der rubrizierenden Einteilung entgeht.

Mit Lorenz lassen sich auch die derzeit gängigen Periodisierungen, genauer ihre Benennungen, in metaphorische bzw. substantielle einerseits und rein chronologische andererseits unterteilen, also zwischen inhaltlich bestimmten, gehaltvollen Zeitabschnitten auf der einen und rein zeitlichen auf der anderen Seite, also zum Beispiel zwischen dem „Zeitalter des Imperialismus“ und dem „19. Jahrhundert“. Zwischen beiden besteht ein Spannungsverhältnis, denn ersteres wird stets in letzterem verortet, aber beide decken sich natürlich nicht. Die chronologischen Epochen – Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte – besitzen nach überwiegender Ansicht „keinerlei Inhalt“, aber, so Lorenz, ihre zeitliche Bestimmtheit führe unvermeidlich zu „Grabenkämpfen“ um „lange“ oder „kurze“ Jahrhunderte. Dadurch gebe sich „das fundamentale Unbehagen der Historiker angesichts eines rein chronologischen und damit ‚inhaltsleeren‘ Anfangs- und Endpunktes von Perioden“ zu erkennen.[30]

Ob diese „Grabenkämpfe“ tatsächlich um chronologische Epochen geführt werden, scheint freilich zweifelhaft. Jedenfalls sind Auseinandersetzungen um Benennung, Charakterisierung und Abgrenzung viel eher für die altbekannten Großepochen und deren Ableger bekannt – die Historikerin Barbara Picht spricht von „ganzen Regalmetern“ kritischer Beiträge[31] −, denn sie deuten und ordnen nicht nur.[32] Vom „langen 19.“ bzw. „kurzen 20. Jahrhundert“ ist daher sehr häufig die Rede – aber selten so reflektiert wie bei Jürgen Osterhammel, der seine „zwei Modi der Makroperiodisierung“ eigens erklärt.[33] Lorenz weist noch auf zwei andere Merkmale von Perioden hin.[34] Erstens enthalten sie einen Raumbezug, denn die meisten verbinden mit Benennungen wie „viktorianisches England“ oder „China der Ming-Dynastie“ zeitliche mit räumlichen Angaben. Es sei „wenig überraschend, dass die meisten Räume historischer Periodisierungen den nationalstaatlichen Territorien entsprechen“, denn die Masse geschichtswissenschaftlicher Arbeiten mindestens der Neuzeit bewegt sich nach wie vor im nationalen Rahmen. Zweitens geben Perioden fallweise auch Auskunft über ihre maßgeblichen Akteure.

Epochen enthalten laut dem Historiker Friedrich Jaeger noch eine ganze Reihe weiterer Botschaften.[35] Herausgegriffen sei seine Beobachtung, dass, wenn man Epochen als Arrangements struktureller Ordnungs- und Entwicklungsfaktoren auffasst, beim Blick aufs Ganze „die Geschichte […] in der Abfolge ihrer Epochen einen grundlegenden Formwandel“ erfahre. Das heißt nichts anderes, als dass die Geschichte einen gerichteten Verlauf aufweist, aber natürlich nicht im teleologischen Sinne, sondern als Ergebnis des Zusammenspiels von menschlichem Handeln mit vorgefundenen Strukturen und Möglichkeitsrahmen. Jaeger hat allerdings den Eindruck, dass die „Neuzeit“, die erste Epoche, in der die Selbstwahrnehmung der Zeitgenossen mit den Orientierungsbedürfnissen der Nachgeborenen übereinstimmt, seit geraumer Zeit wegen des Schwindens der neuzeitspezifischen Hegemonie Europas in die Krise gerät. Deshalb spricht er „von einem Ende der Neuzeit im Prozess ihrer Globalisierung“, ohne freilich die sich abzeichnende Nachfolgeperiode zu benennen.[36]

Was aber treibt Periodisierung voran oder, besser gefragt, was kennzeichnet jene markanten Vorgänge, die die Menschen glauben machen, man erlebe einen historischen Umbruch?

 

4. Zäsuren

Wie unverzichtbar Zäsuren sind und was mit ihnen bezweckt wird, dafür lieferte Martin Broszat, der langjährige Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, ein Beispiel. Als er zum 40-jährigen Bestehen der Bundesrepublik am 13. Juli 1989 ein Kolloquium veranstaltete, bat er die Eingeladenen, sich der Kürze der Zeit halber auf wesentliche Zäsuren zu beschränken, denn „die Frage nach Zäsuren der Geschichte geht […] davon aus, daß nicht jedes Jahr der Geschichte gleich zu Gott ist, sondern daß es dicht beschriebene, aber auch ziemlich leere Blätter der Geschichte gibt“.[37] Trotz seiner an Ranke erinnernden Bitte tappte Broszat nicht in die historistische Falle von der Geschichte als sich objektivierendem Geist, fügte er doch gleich hinzu, „die Frage nach Zäsuren“ sei gleichbedeutend mit der Frage nach den „besonders wichtigen und spannenden Teilgeschichten und Entscheidungsprozessen innerhalb des Gesamtverlaufs. Durch solche Auswahl wird die allgemeine Geschichte häufig erst Farbe und Leuchtkraft gewinnen.“

Geschichte kommt also nicht ohne Periodisierung aus und Periodisierung nicht ohne Zäsuren. Als Zäsuren gelten punktuelle, im Regelfall politische oder militärische Ereignisse – in diesen beiden Bereichen ist der Ereignischarakter[38] am offensichtlichsten −, die von den Mitlebenden sofort als außerordentlich bemerkt, in Ereigniszusammenhänge gestellt und dadurch gleichsam zwanglos mit Sinn versehen werden. So gibt es gute Gründe zu sagen, dass Zäsuren, die kein Zeitgenosse bemerkt, auch keine sind.[39] Zäsuren sind also zunächst Wahrnehmungen der Mitlebenden und werden erst später von der Geschichtswissenschaft beglaubigt oder verworfen.[40] Deshalb sind sie voraussetzungsreicher, als es vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag. Da sie in Zeit und Raum verortet sind, ist nicht nur ihre zeitliche Geltung ein Problem, sondern auch ihre räumliche. Und da markante Ereignisse in aller Regel immer noch meist national beschränkt stattfinden und wahrgenommen werden, reicht deren Strahlkraft vielfach nicht über die nationalen und noch seltener über die kontinentalen Grenzen hinaus.

Die erste globale politische Zäsur verorten Lutz Raphael und Jürgen Osterhammel im Jahr 1945, die erste ökonomische allerdings schon 1929.[41] Der oft zu lesende Vorschlag, 1917 als das erste weltumspannende Epochenjahr anzusehen,[42] überzeugt nicht mehr: „Militärisch war es fraglos ein Epochenjahr, nationalgeschichtlich nur für Russland, zur weltumspannenden Zäsur wurde es erst nach 1945/50 erhoben und seit 1989/90 befindet es sich auf dem Rückzug“.[43] Aber vielleicht ändert sich das momentan, weil Putin seit Jahren seine militärischen Vorstöße über die Südgrenze Russlands mit dem Wunsch nach Rückgewinnung des nach 1990 Verlorenen begründet. Wo von Zäsur die Rede ist, ist das Stichwort „Zeitenwende“ nicht fern.[44] Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat es zum „Wort des Jahres 2022“ ausgewählt,[45] und das hat natürlich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 zu tun.

Zeitenwenden bedienen einen „Zäsurbedarf“, der in der Moderne offenbar wächst,[46] und sind wohl unverzichtbar. Tatsächlich ist die Nützlichkeit, vielleicht sogar Unersetzlichkeit der Zäsuren eines ihrer Merkmale, weil sie erfahrungs- mit strukturgeschichtlichen Perspektiven verbinden und uns damit die Welt zu verstehen helfen. Je näher eine Zäsur an der Gegenwart angesiedelt ist, desto größer ist allerdings auch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Gültigkeit alsbald wieder schwindet und andere an ihre Stelle treten. Bei „1945“ dürfte dieser Fall kaum eintreten. Man denke aber nur an die mit hoher Bedeutung aufgeladenen Jahreszahlen 1968 (Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen), 1973/74 (Ölkrise), 1989/90 (Mauerfall), 2001 (Nine Eleven bzw. Irak-Krise[47]), 2008 (Lehmann-Pleite bzw. Finanzkrise), 2015 (Flüchtlingskrise), 2022 (Russisch-Ukrainischer Krieg) oder 2023/24 (Nahostkrieg) und zuletzt 2025 (die USA verabschieden sich von regelbasierter internationaler Politik[48]), um zu sehen, wie in den letzten 60 Jahren eine Fülle von Großereignissen das Leben (nicht nur) der Deutschen in einem Maße beeinflusst hat, dass jede dieser Zahlen problemlos als Zäsur (auf Kosten anderer) durchgehen kann.

 

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Zwei Verkehrspolizisten bringen Autos auf einer verschneiten Straße zum Halten.
„Bundesweites Sonntagsfahrverbot wegen der Ölkrise. Polizisten kontrollieren Autos auf der Eckernförder Straße, Ecke Sylter Bogen in Suchsdorf. Nur Autofahrer mit einer Sondergenehmigung fahren.“ Kiel, 25. November 1973, Fotograf: Friedrich Magnussen. Quelle: Stadtarchiv Kiel / Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0

 

An der zunehmenden Häufung von Zeitenwenden besteht also kein Zweifel. Sie machen den „Zäsurbedarf“ unserer Zeit offensichtlich, denn die bloßen Jahreszahlen gliedern den Fluss der Ereignisse nicht und verleihen ihnen darum auch keine Bedeutung. Zur Orientierung im geschichtlichen Kontinuum werden sinnvolle Einheiten benötigt, die man heute nicht mehr in den Regierungszeiten von Konsuln, Päpsten oder Königen findet, sondern dank eigener oder medial vermittelter Erkenntnis in Markantem, das man mit Martin Sabrow als „Erfahrungszäsur“ bezeichnen kann: Sie entstehe spontan und sei nicht falsifizierbar, wohl aber drohe ihr das Vergessen, wenn sie nicht in einem zweiten Schritt von Instanzen wie der öffentlichen Meinung oder der Geschichtswissenschaft beglaubigt und in den Kanon historischer Zäsuren aufgenommen werde. Dann werde sie zur „Deutungszäsur“.[49] Das verschont sie naturgemäß nicht von weiteren Deutungskämpfen, wobei es nicht um „wahr“ oder „falsch“ geht, sondern um Entwertung durch den Strom der Zeit, der neue zäsurträchtige Ereignisse herbei- und ältere unter Umständen wegschwemmt.

Martin Sabrow beließ es nicht bei seiner Unterscheidung von „Erfahrungs-“ und „Deutungszäsur“, sondern befreite erstere mittels zweier Qualitätsstufen von ihrer Trivialität. Manche Erfahrungszäsur lasse die Welt in ganz neuem Licht erscheinen und sei darum „wissenschaftlich nicht einholbar“; er nennt Nine Eleven als Beispiel. Dann handle es sich um eine „heterodoxe Zäsur“, weil sie „neue Ordnungen“ stifte, während „orthodoxe Zäsuren […] die vorherrschende Weltsicht […] eher bestätigen als in Frage stellen“.[50] Heterodoxe Zäsuren erzwängen „Neuinterpretationen“ und stellten damit „Zeitgenossen vor Anpassungsprobleme“, die den „Gegensatz von biografischer Kontinuität und politischer oder sinnweltlicher Diskontinuität zu bewältigen verlangten. Damit sind sie selbst ein historischer Handlungsfaktor und geben dem Zäsurbegriff nicht nur historiografische, sondern auch historische Bedeutung“. Auch der 9. November 1918 und der 9. November 1989 seien solche Fälle.[51]

Sabrows Hoffnung, die heterodoxen Zäsuren besäßen eine ihre Deutung bestimmende „historische Eigenmacht“ und seien damit gegen spätere Entwertung gefeit,[52] hatte der linguistic turn schon vorher in Frage gestellt. Letztlich ist eben alles ausgehandelt, und nichts spricht für sich selbst. Die referierten Vorschläge müssen sich in der Praxis bewähren; eine am grünen Tisch getroffene Entscheidung, was falsch und was richtig ist, kann es naturgemäß nicht geben. Die Grenzen zwischen Zäsur, Strukturbruch, Epoche und Periode sind darum fließend und die Bedeutungen des damit jeweils Gemeinten umstritten. Sie werden es auch bleiben.

 

5. Periodisierungen historischer Disziplinen im Überblick

Der Zusammenhang von Erkenntnisinteresse und Periodisierung legt nahe, dass auch jede historische Subdisziplin ein eigenes Zeitgerüst besitzt, und das macht Periodisierung in der Praxis der Geschichtsschreibung oft schwer – jedenfalls wenn man nicht wie so oft auf die rein formalen, d.h. eigentlich nur ordnenden Jahrhunderte zurückgreift, sondern einen themenspezifischen Zeitrahmen ins Auge fassen möchte. In der Folge werden nur historische Subdisziplinen im engeren Sinne betrachtet; fallweise kommen auch die wenigen deutschen Vertreter der historischen Soziologie zu Wort. Die Geschichte der Naturwissenschaften, der Medizin und des Rechts bleiben ausgeklammert.[53]

Von der politischen Geschichte ist in diesem Beitrag wohl am meisten die Rede, sie ist quasi allgegenwärtig, auch weil das politische Geschehen, zumal das nationale, unseren Alltag in hohem Maße prägt. Die aus dieser Perspektive praktizierte Periodisierung liegt damit auf der Hand. Sie orientiert sich an den wesentlichen politischen Umbrüchen und setzt den Beginn im deutschen Falle je nach Zeitgeschmack bei Karl dem Großen, also 768, oder erst 911 bei Konrad I. an, obwohl beide sich als Könige des Fränkischen Reiches verstanden und die Bezeichnung „Regnum Teutonicum“ nicht vor dem 11. Jahrhundert belegt ist.

Die zehnte Auflage des bekannten Gebhardt’schen „Handbuchs der deutschen Geschichte“, die von 2001 bis 2024 in nicht weniger als 25 Bänden erschien, offenbart ein weiteres Problem dieses Zugriffs: die immer kleinteiliger werdenden Perioden, je mehr man der Gegenwart nahekommt. Allein das 20. Jahrhundert ab 1914 ist in sieben Bände bzw. Epochen aufgegliedert, was der gelegentlich beklagten „Dekadenklempnerei“ bedenklich nahekommt.[54] Nicht grundsätzlich anders verhält es sich bei Darstellungen der europäischen Geschichte, sofern sie sich an den politischen Grunddaten orientieren,[55] weshalb Ernst Troeltsch eine „wirklich objektive Periodisierung“ ja schon 1922 „nur von den sozialökonomisch-politisch-rechtlichen Unterbauten“ her für möglich hielt.[56]

Wählt man dagegen die politische Strukturgeschichte, so kommt unwillkürlich eine ganz andere Periodisierung in den Blick. Maßgeblich sind drei Aspekte: das Institutionengefüge, also Formen der Staatlichkeit, normative Staatsvorstellungen und die Einbettung in das (in der Neuzeit zunehmend geregelte) Staatensystem. Das war ein Thema, das in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts intensiv bearbeitet wurde. Die bekanntesten Vertreter sind der Soziologe Max Weber, der Ökonom Joseph Schumpeter und der Historiker Otto Hintze. Um nicht den Rahmen zu sprengen, soll nur die Periodisierung des Letzteren hier knapp referiert werden. Hintze hat zwischen 1900 und 1933 die drei Stadien der Herausbildung des idealtypischen modernen Staats im Rahmen der „großen Weltverhältnisse“ zu Papier gebracht:[57] Auf den „feudalen Staat“, zu dem er in dieser Hinsicht auch den Stände- und monarchischen Verwaltungsstaat zählte, sei mit der amerikanisch-französischen Doppelrevolution der „bürgerlich nationale“ und seit dem 20. Jahrhundert der „moderne“ gefolgt, wobei der Übergang zur letzten Form „keine geradlinige Fortsetzung“ darstellte, sondern einen „Bruch“, der das Ende der traditionellen Staatlichkeit herbeigeführt habe. Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis gelangte auch Wolfgang Reinhard sechzig Jahre später.[58]

Einen ganz anderen Ansatz wählte der US-amerikanische Historiker Charles S. Maier, der mit inzwischen drei Werken die Entwicklung des modernen Staats nachgezeichnet hat.[59] In seinem jüngsten Buch stellt er die zwei zunächst vorherrschenden Staatstypen im 20. Jahrhundert vor, den aktiven, zukunftsgestaltenden „project state“ und das allein territorial definierte, Gebiet und Bevölkerung letztlich nur nutzende, wenn nicht geradezu ausbeutende „resource empire“. Beide seien in den 1970er-Jahren krisenbedingt an ihr Ende gekommen. Als Alternative zur herkömmlichen Staatlichkeit habe sich der Markt angeboten, dessen Akteure vielfach transnationalen Charakter aufwiesen und die etablierten Parteien ihrer Identität beraubten bzw. auf der Rechten programmfrei-populistisch werden ließen − mit allen Konsequenzen für das Zusammenleben. Maiers Deutung ist umso überzeugender, als sie auch erklären hilft, weshalb in den USA gegenwärtig unter Trump neben der libertären Wirtschaftspolitik die vor allem von einflussreich gewordenen Tech-Milliardären betriebenen Tendenzen sichtbar werden, den Staat in eine digital gesteuerte Technokratie umzubauen.

Die sozialgeschichtliche Perspektive könnte hier problemlos anschließen. Doch hat diese Subdisziplin nach ihrem Geltungsverlust kaum noch die Kraft, insbesondere die Vorgeschichte der Gegenwart, also die Zeit „nach dem Boom“ (Doering-Manteuffel/Raphael), überzeugend zu erklären. Wie diese aussehen könnte, hat für die „Malocher“, d.h. für die Arbeiterschaft der Schwerindustrie jüngst Lutz Raphael luzide vorgemacht.[60] Sein trinationaler Vergleich zeigt nicht nur den vom Niedergang, in England gar vom Untergang der Arbeiterklasse verursachten gesellschaftlichen Umbau, sondern auch die damit verbundenen Konflikte um angemessene Deutungsmuster. Epochenjahr für die Gegenwart – Raphael nennt es gar „Revolution“[61] − ist für ihn 1979, als Margaret Thatcher antrat und mit dem Big Bang große Teile des Staats dem „web of capital“ auslieferte und damit einen fundamentalen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umbruch nicht nur in Großbritannien einleitete.

In der hergebrachten Sozialgeschichte hat man es mit anderen Vorgängen zu tun, die aber, anders als von Vertretern des orthodoxen Marxismus behauptet,[62] nur in losem Zusammenhang mit politischen Umbrüchen stehen und diese schon gar nicht hervorbringen. Bei der Periodisierung pflegen sich viele Historikerinnen und Historiker rein schematisch auf die Abfolge von der „Ständischen“ zur „Klassengesellschaft“ zu beschränken.[63] Die Deutungsalternative „Industriegesellschaft“ ist als sozial bestimmende Gesellschaftsformation hierzulande kaum vor 1900 nachweisbar, und was auf sie seit den 1960er-Jahren folgt, ist mit „Angestelltengesellschaft“ ganz unzureichend beschrieben, weil der nun dominierende Dienstleistungssektor derart vielgestaltig ist, dass sich ein einheitlicher sozialer Gattungsbegriff verbietet. Der Blick auf die Etappen der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung verspricht hier mehr Aufschluss, auch wenn dabei der Staat unvermeidlicherweise eine namhafte Rolle spielt.[64] So beruht eine deutsche Geschichte auf der Grundlage sozial- oder gar gesellschaftsgeschichtlicher Periodisierung selbst bei Hans-Ulrich Wehler desto mehr auf politischen Zäsuren, je weiter er in die Gegenwart kam.[65]

Anders verhält es sich mit der Periodisierung der Wirtschaftsgeschichte, die sich entweder mit Beginn des nach 1800 einsetzenden statistischen Zeitalters auf hinreichend zuverlässige Zahlenreihen verlassen kann und eine von Konjunkturen und Krisen, also von Zyklen bestimmte Geschichte schreibt,[66] in der der take-off, d.h. die den Durchbruch zur Industrialisierung markierende kurze Zeitspanne, eine entscheidende Zäsur darstellt.[67] Der nationale Rahmen ist wirtschaftsgeschichtlich viel enger mit der Welt als Ganzem vernetzt als in anderen Themenfeldern, und darum lässt sich „von einer mit Daten belegbaren Weltkonjunktur […] seit dem Anfang der sogenannten Großen Depression 1873 sprechen. Noch deutlicher war der Beginn eines großen Aufschwungs im Jahre 1896 – des sogenannten 3. Kondratieff-Zyklus –, ein Phänomen von globaler Tragweite.“[68] Oder die Wirtschaftsgeschichte geht den freilich schwierigeren Weg und liefert einen an den Kategorien Max Webers geschulten strukturellen Überblick, dessen Epochen vom Handels- über den Industrie- zum Finanzkapitalismus bestimmt sind, bei denen zwei Industrielle Revolutionen (von 1770 bis 1840 und von 1870 bis 1930) und dann seit den 1970er-Jahren das neue Strukturmerkmal der Herrschaft der Kredit- und Kapitalmärkte als Umbruchs- bzw. Epochensignaturen fungieren.[69]

Von der Industriellen Revolution ist natürlich auch bei der Periodisierung der neueren Technikgeschichte an zentraler Stelle die Rede, aber damit ist nicht viel gewonnen, weil das damals begonnene „technische Zeitalter“ in einer Hinsicht bis heute besteht, in anderer sich aber so enorm gewandelt hat, dass sich alternative Bezeichnungen geradezu aufdrängen. Vom „Atomzeitalter“ ist seit den 1950er-Jahren immer wieder die Rede, zuerst als Inbegriff der Zukunft, inzwischen eher als Ausdruck möglicher Apokalypse. Vergleichbares gilt für das „Computerzeitalter“. Für andere Technikhistorikerinnen und -historiker hat, wie übrigens auch in der Soziologie, stattdessen nach 1970 der Marsch in die postindustrielle Welt begonnen.[70] Von den natur-, bio- und humanwissenschaftlichen Erkenntniszuwächsen und deren Umsetzung ist in kaum einer Technikgeschichte die Rede, sie gehorchen überdies einer anderen Chronologie. Insgesamt lautet der Befund, dass wohl als Folge der (vielleicht nur scheinbaren) Evidenz der technikhistorischen Zentralzäsur „Industrielle Revolution“ in dieser Disziplin eine Periodisierungsdiskussion kaum stattfindet.

Ähnlich war es bei der Umweltgeschichte bis vor kurzem.[71] Eine Periodisierungsdebatte schien sich angesichts der wesentlichen Rolle des Energieregimes zu erübrigen, weil im Zusammenhang mit der nun schon mehrfach ins Zentrum gerückten Industriellen Revolution der große Umbruch von bescheidenen und nachwachsenden Energiequellen zu solchen fossilen Ursprungs die epochemachende Zäsur darzustellen pflegt.[72] Dieser für den entwickelten Teil der Welt im 19. Jahrhundert situierte Umbruch ist plausibel, seine Einschätzung zeichnet sich allerdings, wie überhaupt ein Großteil der umweltgeschichtlichen Beiträge, durch einen grundsätzlich pessimistischen Bias aus.[73] Es existieren Gegenentwürfe, die einen weiteren entscheidenden Umbruch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verorten. Eine Variante konzentriert sich auf das sogenannte 1950er-Syndrom, das nicht nur den Zeitpunkt der entscheidenden umweltgeschichtlichen Epochenschwelle markiert, sondern zugleich den Beginn des Massenwohlstands in den westlichen Industrieländern als Folge gesunkener Energiepreise.[74] Die andere Variante erkennt in den 1970er-Jahren die fundamentale „ökologische Wende“, deren Anhänger diese These mit Blick auf den Zustand der Umwelt, das Umweltbewusstsein und die Umweltpolitik sowie die Praxis des Umweltschutzes vertreten.[75]

Abschließend folgt noch ein Blick auf die neuzeitliche Globalgeschichte. Hier liegen inzwischen einige Periodisierungsvorschläge vor, obwohl die Versuchung des „Periodisierungsnihilismus“ bei diesem Thema aus naheliegenden Gründen groß ist.[76] Christopher Baylys Globalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ist in puncto Periodisierung bemerkenswert konventionell. Auf eine „Weltkrise“ von 1720 bis 1820 sei die Entstehung der modernen Welt gefolgt, die sich ab 1860 sichtlich beschleunigt und den Imperialismus hervorgebracht habe, der seinerseits in den Ersten Weltkrieg führte. Das 20. Jahrhundert setzte wieder mit einer bis 1930 reichenden Krise ein, auf die um 1950 die US-amerikanische Hegemonie gefolgt sei. Doch situiert Bayly den entscheidenden Umbruch in den „langen 1980er Jahren“, die wissenschaftlich, technisch und geistig völlig Neues kreiert hätten, was freilich nicht verhindert habe, dass zwischen 1991 und 2015 schon die nächste Übergangsepoche registriert werden müsse.[77]

Sehr viel reflektierter geht Jürgen Osterhammel bei seiner Globalgeschichte zu Werke. Schon 2006 hat er einen Vorschlag dazu unterbreitet, in dem auf Mittelalter und Frühe Neuzeit ein „Zeitalter der entstehenden Moderne von 1760 bis 1870 (mit einer Zwischenzäsur um 1830)“ gefolgt sei, an die sich „eine Epoche der krisenhaften Hypertrophie dieser Moderne zwischen 1870 und 1945 (mit einer Zwischenzäsur um 1918)“ angeschlossen habe. Seither leben wir in „eine[r] Periode […], die wir noch nicht benennen können“.[78] Seine Globalgeschichte konzentriert sich aufs 19. Jahrhundert. Im zweiten Kapitel, das dem Thema „Zeit“ gewidmet ist, erörtert er Möglichkeiten und Grenzen einer angemessenen Periodisierung. Sie bereite gerade für dieses Jahrhundert große Schwierigkeiten, denn sein Periodencharakter sei schwach. Osterhammel entscheidet sich daher je nach Gegenstand für ein „kalendarisches“ oder „langes 19. Jahrhundert“.[79]

Was ist das Ergebnis dieses Überblicks? Drei Dinge fallen ins Auge: Erstens die Europazentriertheit aller Periodisierungen, und seien sie noch so reflektiert wie diejenigen Osterhammels. Sie scheint unhintergehbar, denn was unter Geschichte verstanden wird, ist europäisch-nordamerikanischen Ursprungs. Allenfalls das Anthropozän ist von vornherein auf Globalität angelegt, obwohl seine kulturwissenschaftliche Variante vermutlich schwerpunktmäßig ebenfalls in der „Ersten Welt“ erforscht wird. Zweitens: der grundsätzliche Unterschied zwischen auf Kontinuität und auf Umbruch angelegten Geschichtsbildern. Die eher vertraute Kontinuität findet sich eigentlich nur in der politikgeschichtlichen Periodisierung, die übrigen Disziplinen pflegen das Bild der Diskontinuität, während die Sozialgeschichte zwischen beiden Verlaufsformen schwankt. Drittens bereitet das 20. Jahrhundert offensichtlich größere Probleme bei der Periodisierung als frühere Epochen. Was sind die Gründe für diesen auf den ersten Blick erstaunlichen Befund? Die größere Nähe zum Betrachter/zur Betrachterin bzw. die – wenn auch abnehmende – Identität von Betrachter/in und Zeitzeuge, die größere Fülle an Material, d.h. an Quellen, oder die Ausweitung dessen, was für die jüngste Vergangenheit unter Geschichte verstanden wird, wodurch die Verständigung über Perioden schwieriger wird?

 

6. Periodisierung: Was zu beachten ist

In diesem Abschnitt soll die Frage beantwortet werden, was Epochen „benötigen“, um zu überzeugen. Angesichts der von Osterhammel beklagten „Periodisierungsabstinenz der meisten Historiker“[80] sind Kenntnisse auf diesem Gebiet nicht ohne Weiteres vorauszusetzen, und dies umso weniger, als zu diesem Gegenstand kaum geforscht wird.[81] Immer wieder begegnet man einem entweder unreflektierten Umgang mit zeitlichen Einordnungen oder kalkulierter Provokation mit dem Ziel, neue Denkprozesse anzustoßen.[82] Beides darf nicht verwechselt werden mit der „Epochenillusion“. Sie ist wohl unvermeidlich, denn die Nachgeborenen verfügen über ein Mehrwissen, blicken daher anders auf die Vergangenheit zurück und bewerten bzw. gliedern sie anders. Daher kann man sagen, auch „Epochenillusionen sind historische Tatsachen“,[83] denn sie zwingen schon durch ihre bloße Existenz zur Reflexion. Geschichte muss nicht nur fort-, sondern immer wieder umgeschrieben werden, der permanente Erfahrungswandel zwingt dazu.[84]

Welches sind nun die Bedingungen für eine Plausibilität historischer Epochen? Genannt werden sollen hier nur vier. Periodisierung soll ja, um es mit Ernst Troeltsch zu formulieren, keine bloße „Aneinanderreihung und Verbindung großer aufeinander wirkender Komplexe sein“, sondern „Einsicht in die innere Notwendigkeit und Kontinuität des Werdens“ bieten.[85] Daraus folgt zum Ersten, dass Epochen einen inneren Zusammenhang aufweisen müssen, der sie klar unterscheidbar vom Vorher und Nachher macht. Wenn Geschichte einem berühmten Diktum zufolge „die Sinngebung des Sinnlosen“ ist,[86] so ist es zunächst die Periodisierung, die der als sinnlos empfundenen Fülle von Ereignissen rationale, d.h. disziplinspezifische Konturen verleiht. Damit ist auch klar: Epochen sind unterscheidbare Abschnitte der Vergangenheit, ihre inhaltliche Bestimmung ist Aufgabe der Geschichtsschreibung.

Der zweite Gesichtspunkt betrifft den Übergang von einer Epoche zur anderen. Dieser kann entweder allmählich stattfinden – die Sattelzeit ist dafür ein bekanntes Beispiel – oder ein Umbruch sein wie etwa „1789“. In beiden Fällen müssen nach heutiger Ansicht die Zeitgenossen von einem Epochenwandel überzeugt gewesen sein. Zwei Beispiele aus dem 18. Jahrhundert mögen das verdeutlichen. Das erste ist die bereits mehrfach angesprochene „Sattelzeit“. Sie kann durchaus als eigenständige Epoche angesehen werden, aber entworfen hat Koselleck sie als Schwelle zwischen Alteuropa und Moderne − auch wenn er beide Begriffe kaum benutzt hat[87] −, in der „die Auflösung der alten und die Entstehung der modernen Welt“ anhand von politisch-sozialen Grundbegriffen erfasst werden könne. Ursache dafür sei ein „langfristige[r] und tiefgreifende[r], manchmal plötzlich vorangetriebene[r] Erfahrungswandel“,[88] also eher kein von Menschen absichtlich vorangetriebener Umbruch, aber eine Schwelle, die den Zeitgenossen bewusst war.[89] Das andere ist der 14. Juli 1789, der Sturm auf die Pariser Bastille und dessen umstrittene Wahrnehmung am Hof in Versailles. Einer verbreiteten Darstellung nach weckte der Herzog von La Rochefoucauld-Liancourt den König in der Nacht zum 15., um ihn vom unerhörten Vorgang zu informieren, worauf dieser abwehrend meinte, das sei ja bloß eine der üblichen Revolten. Darauf sein Kammerherr: „Non, Sire, c’est une révolution“.[90] Noch am selben Tag wurde beim Auftritt Ludwigs XVI. in der Nationalversammlung die beginnende Demontage des absoluten Königtums offenbar.

Drittens ist der räumliche Geltungsanspruch von Epochen alles andere als trivial. Von den drei klassischen Großepochen besitzt das Altertum Geltung nur für den nahöstlichen und süd- und mitteleuropäischen Raum, das Mittelalter ist ein Kind „der gewohnten, im Grunde nur auf Westeuropa eingestellten Optik“.[91] Das wurde nicht immer beachtet, man sprach vom indischen oder chinesischen Mittelalter[92] – offensichtliche Fremdbestimmungen, die mindestens im Falle Chinas inzwischen als überwunden gelten können. Die chinesische Geschichte wird heutzutage gegliedert in eine Periode selbstbestimmter Zeit von sehr langer Dauer, die von den Opiumkriegen beendet wurde und in eine Phase der Dekadenz mündete, die schließlich vom Übertritt Chiang Kai-sheks nach Taiwan einerseits und der Ausrufung der Volksrepublik durch Mao Zedong andererseits 1945 bzw. 1949 beendet worden ist. Japanische Historiker haben ihrem Land gar ein Mittelalter verordnet, „um auf diese Weise Anschluss an das prestigeträchtige Geschichtsmodell Europas zu finden“.[93]

Mit der Neuzeit ist es richtig kompliziert. „Wo liegt das 19. Jahrhundert?“, fragte sich Jürgen Osterhammel, und seine Antwort lautete: Es kommt darauf an.[94] So umsichtig gehen nicht alle Autoren und Autorinnen vor. Vielfach drücken Geschichtswerke bis heute der außereuropäischen Geschichte unreflektiert Periodisierungen aus einer westlichen Perspektive auf, d.h. hier sind noch immer Kolonialismus und Imperialismus am Werk. In solchen Fällen beansprucht die europäische „Regionalzeit“, die universelle Zeit zu sein,[95] und das heißt nichts anderes, als der außereuropäischen Welt ihre Rückständigkeit, den „Fluch der Verspätung“ (Dipesh Chakrabarty) zu attestieren. Allerdings: Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, desto mehr können als Folge der Globalisierung Epochen universale Gültigkeit beanspruchen. Sie weisen deshalb aber nicht unbedingt identische Inhalte auf, denn die Randbedingungen sind jeweils verschieden. Die chinesische Moderne ist fraglos etwas anderes als die amerikanische, aber das Zeitalter der Weltkriege ist in Ost und West, in Nord und Süd dasselbe.

Eric Hobsbawm ging mustergültig vor. Er betitelte den ersten, bis 1848 reichenden Band seiner Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit „Europäische Revolutionen“, und in der Tat ist von der außereuropäisch-amerikanischen Welt nur wenig die Rede. Der letzte Band hingegen mit dem geradezu sprichwörtlich gewordenen Titel „Das Zeitalter der Extreme“ hat den Untertitel „Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts“ und beglaubigt damit schon auf diese Weise die nun eine ganz neue Stufe erreichende Globalisierung.[96]

Viertens sollten die Nutzer von Perioden die Grenzen ihres Erklärungspotenzials mitreflektieren. Da ist zum einen die Frage, ob Ereignis- oder Strukturgeschichte die Grundlage bilden soll. Auch wenn sich traditionellerweise die Epochen an Jahreszahlen der politisch-militärischen Geschichte orientieren, wirft das vielfach Schwierigkeiten auf, denn es handelt sich meist um ein der nationalstaatlichen Geschichte entnommenes Analyseraster, das weder für unter- noch für oberhalb angesiedelte historische Einheiten wirklich passt. Ereignisgeschichtlich fundierte Epochen sind in der Praxis zwar die häufigsten, aber die weiter oben zitierten Kriterien Troeltschs der nötigen „sozialökonomisch-politisch-rechtlichen Unterbauten“ erfüllen sie nur in Grenzen.[97] Man kann das am Beispiel des „Gebhardt-Handbuchs“ erkennen: Band 15, der der Industriellen Revolution und Nationalstaatsgründung gilt und die Zeit von 1849 bis 1870/71 behandelt, hat es mit zwei historisch alles andere als aufeinander bezogenen Gegenständen zu tun, folgt aber einer ganz konventionellen Datierung und bereitet dem Verfasser darum Schwierigkeiten.[98] Denn die Industrielle Revolution in Deutschland war 1871 keineswegs beendet, aber auch das neue Deutsche Reich war 1871 alles andere als fertig.

Die Alternative sind struktur- und erfahrungsgeschichtlich angelegte Perioden. Für letztere ist das wohl bekannteste Beispiel aus der deutschen Geschichte die bereits erwähnte „Sattelzeit“, die gewissermaßen im heuristischen Vorgriff die Entwicklung zwischen 1750 und 1850 als kategoriale Wende versteht. Aber selbst ihr Erfinder hatte Zweifel, ob diese Epoche den deutschen Kulturraum transzendiere, und zwar weil für ihn die Sattelzeit primär sprachlich fassbar sei und der hier beobachtete „Umbruch […] so in den Nachbarländern in dieser Zeit nicht stattgefunden hat“.[99] Wo Erfahrungswandel nicht nur sprachlich greifbar ist, sondern Ergebnis politischer, wirtschaftlicher, ökologischer oder anderer Großereignisse, finden sich viele Perioden mit einer die Sprachräume überwindenden Geltung. Die „Epoche der Weltkriege“ ist ein naheliegendes Beispiel, die von der Weltwirtschaftskrise ausgelöste Depressionsphase ein anderes. Beide leiteten das 20. Jahrhundert ein.

Dieses weist eine Fülle von Binnenepochen auf. Ihre Überzeugungskraft ist unterschiedlich, ihre Halbwertszeit vielfach sehr begrenzt. Die vorstehend skizzierten Bedingungen sollten den Blick geschärft haben, um die Angebote seriös sichten zu können. Dabei darf eine Erkenntnis nicht vergessen werden, dass nämlich vieles nicht zusammenstimmt. Aber das ist kein Fehler. Denn „Periodisierung ist immer ein Spiel mit mehreren möglichen Lösungen, kein Puzzle, das ‚richtig‘ zusammengesetzt werden kann“.[100]

 

7. Periodisierungsangebote für das 20. und 21. Jahrhundert

Das Angebot an Periodisierungen für das 20. ist deutlich größer als für frühere Jahrhunderte, und das ist natürlich kein Zufall. Die daraus resultierenden Probleme seien kurz genannt: Am wichtigsten ist die nun schon mehrfach angesprochene, aber oft übersehene identitätsstiftende Funktion aller Periodisierungen. Sie vor allem ist die Ursache, dass das jüngst vergangene Jahrhundert in seiner Deutung besonders umstritten ist. Denn im Zeitverlauf hat sich seine Einschätzung natürlich häufig geändert, sodass man mit einigem Abstand eine Generationenabfolge von Einteilungen und ihren Urhebern unschwer erkennen kann.

Der erste, aber nicht nur deshalb besonders einflussreiche Vorschlag hat das 20. Jahrhundert mit „Zeitgeschichte“ in ein geradezu symbiotisches Verhältnis gesetzt – und begründete die mittlerweile fest etablierte Subdisziplin gleichen Namens: Hans Rothfels definierte sie 1953 als „Epoche der Mitlebenden“ und legte sich auf 1917 fest.[101] Das war für ihn mit Jahrgang 1891 kein Problem, aber faktisch bedeutete diese Festlegung eine Art moving wall, weshalb einer von Rothfels’ Nachfolgern als Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“, Hans-Peter Schwarz (Jg. 1934), fünfzig Jahre später die Zäsur nach der Maßgabe „Geschichte schreiben, während sie noch qualmt“, auf 1989/90 legte.[102] Sein Kollege Karl Dietrich Bracher (Jg. 1922) widersprach ihm noch im selben Heft: Die „Weimarer Erfahrung“ sei noch nicht Geschichte, sie gehöre durchaus in den Alltagszusammenhang der Gegenwart.[103]

Das zweite Problem dreht sich deshalb um die Frage, ob diese enge Bindung Bestand haben soll oder wie die beiden voneinander getrennt werden können, ohne dass ein Teil Schaden nimmt. Die enge Verbindung von Zeitgeschichte und 20. Jahrhundert gilt oft als deutsches Phänomen. Jedenfalls datieren die Franzosen den Beginn der histoire contemporaine auf 1789, weshalb seit einiger Zeit die histoire du temps présent hinzukommt; die Italiener die storia contemporanea auf 1796, das steht so sogar in Gesetzen und staatlichen Verordnungen.[104] Im revolutionsabstinenten England wird dagegen betont, dass es keine feste Zeitgrenze geben könne, was die Disziplin dort nicht der Schwierigkeit enthebt, die contemporary von der neuerdings hinzugekommenen current history zu unterscheiden.[105]

Damit wird das dritte Problem sichtbar, nämlich die Tragfähigkeit eines nationalen Interpretationsrahmens für die Untersuchung international bedeutsamer Ereignisse – oder umgekehrt. Selbst innerhalb eines Landes können Epochenjahre für Teilgesellschaften auseinanderfallen. Für die unterschiedlichen Erinnerungen in den alten und den neuen Bundesländern gilt das ohnehin. Aber als Wolfgang Schieder 1999 vor ehemaligen Stipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung einen Vortrag über die Wendepunkte der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert hielt und dabei von 1918, 1933, 1945 und besonders von 1989 sprach, antwortete ihm Moshe Zimmermann, dass keines dieser Jahre für die deutschen Juden vergleichbare Bedeutung habe; für sie bedeuteten die zehn Jahre von 1932 bis 1943 das Ende des deutschen Judentums.[106]

Auch eine weitere Frage muss wenigstens gestreift werden: Wann ging überhaupt das 19. Jahrhundert zu Ende? Es ist durchaus unsicher, ob es für die Zeitgenossen bereits im Sommer 1914 beendet war,[107] ganz unabhängig davon, dass man sich von ihm eigentlich schon mit großem Pomp im Rahmen der „wilhelminischen Jahrhundertwende“ 1900 verabschiedet hatte.[108] Die nachgeborenen Historiker sind uneins: Thomas Nipperdey führte seine dreibändige, mit Napoleon beginnende „Deutsche Geschichte“ bis zur deutschen Niederlage 1918, ebenso machte es Heinrich August Winkler in seinem „Langen Weg nach Westen“ und auch der „Gebhardt“ lässt seine dem 19. Jahrhundert gewidmeten Bände 1918 auslaufen; Hans-Ulrich Wehler untergliederte den vierten Band seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ dagegen von 1914 bis 1949.

Im Ausland ist die Lage nicht anders. Frankreich hat das Problem, dass die III. Republik Jahrhundertwende und Ersten Weltkrieg unbeschadet überstand. Aber so sehr 1939/40 in der französischen Geschichte ein Epochendatum ersten Ranges ist, kann man das 19. Jahrhundert nicht erst dann enden lassen. Die meisten Darstellungen setzen daher trotzdem 1914 eine Zäsur, andere wie René Rémond mit „Notre siècle“ jedoch 1918, weil sein Kollege François Caron in derselben Reihe mit „La France des patriotes“ es gar von 1851 bis 1918 reichen ließ. Auch englische Darstellungen des 19. Jahrhunderts erstrecken sich zumeist bis 1914, so etwa Edgar J. Feuchtwangers „Democracy and Empire“. Die italienischen Gesamtdarstellungen der Verlage Einaudi und UTET sind hingegen so kleinteilig organisiert, dass die für das Land in Frage kommenden Epochendaten gar nicht in den Blick geraten. Dagegen macht die bei Laterza erschienene mehrbändige „Storia d’Italia“ bei 1914 einen Schnitt, was überrascht, weil für Italien der Erste Weltkrieg bekanntlich erst 1915 begonnen hat.[109]

Wenn man Epochen mit einem charakteristischen Merkmal identifiziert, macht das die Dinge nicht einfacher. Thematisch ausgerichtete Überblicke der europäischen oder gar Weltgeschichte lassen das „Zeitalter des Imperialismus“ regelmäßig bis 1918 währen, das „Zeitalter des Nationalismus“ pflegt dagegen 1914 zu enden, und 1914 ist auch das Epochendatum für Winklers ersten Band seiner weltumspannenden „Geschichte des Westens“. Das alles kann nur heißen, dass Jahrhundert- keine Epochengrenzen sind.[110] Trotzdem hält die Mehrheit der Historikerinnen und Historiker an der Jahrhundertzählung fest und sieht sich darum genötigt, die Saecula mit dem merkwürdigen Zusatz „lang“ oder „kurz“ zu versehen. Vor allem das 20. Jahrhundert gilt derzeit als „kurz“.[111]  

Ein besonders einflussreiches Beispiel ist Eric Hobsbawms Buch „Age of Extremes“ von 1994, dessen überwiegend düsteres Bild des „kurzen“ 20. Jahrhunderts von 1914 bis 1991 eine alsbald weithin akzeptierte Periodisierung des vergangenen Saeculums lieferte.[112] Sein Blick richtete sich in erster Linie auf das Scheitern der großen Verheißungen des 19. Jahrhunderts: Staatssozialismus, Kapitalismus und Nationalismus. Dass Hobsbawm an fast allem persönlich Teil hatte, macht das Buch streckenweise zur littérature engagée mit allen Stärken und Schwächen, die daraus folgen.

Die genannten Beispiele entstammen ganz überwiegend der politischen Geschichte, deren Daten im Regelfall als Zeitgerüst für Periodisierung dienen. Dass trotzdem nicht einmal die Nationalgeschichten eines Landes einheitlich getaktet sind, verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung des Erkenntnisinteresses, das, je mehr wir uns der Gegenwart nähern, zusätzlich vom Miterleben der Interpreten beeinflusst wird. Das ist nur auf den ersten Blick ein Nachteil, zeugt diese Vielfalt doch eher von Meinungsfülle und Freiheit der Wissenschaft.

Anders verhält es sich mit den Vorschlägen universaler Zäsuren des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls der politisch-militärischen Geschichte entnommen sind. Aus der Sicht des frühen 21. Jahrhunderts kommen nach Ansicht der Fachleute nur drei Jahreszahlen in Frage, die hinreichende Einschnitte im globalen Verlauf seiner Geschichte markieren, d.h. die, um das oben Ausgeführte in einem Satz zu verdichten, ein nationales, europäisches und globales Ereignis darstellten und sich als solches auch im Bewusstsein der Mitlebenden niedergeschlagen haben: 1917, 1945 und 1989. Diese Jahre weisen schon auf den ersten Blick – und das verstärkt noch ihre Eignung – untereinander kausale Verbindungen auf. Das gilt weder für 1914 – der „Weltkrieg“ beschränkte sich bis 1917 weitgehend auf Europa und den Nahen Osten – noch für 1933, das noch nicht einmal ein europäisches Geschichtsdatum ist.

Das Jahr 1917 brauchte außerhalb der Sowjetunion lange,[113] um als Periodengrenze anerkannt zu werden. In den meisten Staaten Europas und selbst im 1917 in den Krieg eingetretenen Nordamerika galt 1918 als das wichtigere Datum, in Deutschland sowieso.[114] Wie berichtet, war es hierzulande Rothfels, der in einem klaren Fall von geschichtspolitischem Dezisionismus 1953 das Datum 1917 zum Beginn einer neuen universalgeschichtlichen Ära ausgerufen hat.[115] Bald schon war dann von der Epoche des Totalitarismus die Rede. 1918 hingegen brachte zwar Deutschland und Österreich samt Nachfolgestaaten Frieden, aber weiter im Osten, auf dem Balkan, am Bosporus und in Nord- bzw. Ostafrika gingen die militärischen Auseinandersetzungen noch jahrelang weiter, weshalb es keinen „chronologischen Nullpunkt wie den 11. November 1918 gab“.[116]

Im Falle von „1945“ ist die Lage eindeutig: Bei diesem Datum handelt es sich um einen „der wenigen übergreifenden globalen Synchronisierungspunkte im 20. Jahrhundert“.[117] Die Gründe finden sich auf drei Ebenen: In Deutschland wurde Auschwitz befreit, die Wehrmacht kapitulierte, und es begann der Prozess gegen führende Repräsentanten des NS-Staats in Nürnberg. In Europa bahnte sich die Spaltung an, die in Ost und West sehr unterschiedliche Wirkungen hatte: Wiederherstellung der Demokratie auf der einen und Etablierung einer stalinistischen Herrschaft auf der anderen Seite. Global schließlich mündete am 8. Mai in Sétif im damals französischen Algerien ein Protestmarsch muslimischer Demonstranten in ein Massaker mit mehreren tausend Toten, während im August die USA zum ersten und bisher einzigen Mal die Atombombe einsetzten, woraufhin Japan kapitulierte und nach dem Ende der japanischen Besetzung in Djakarta und Hanoi die Führer der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen – vergeblich − das Ende der Kolonialherrschaft ausriefen.

    

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Zwei Fotos: links: zwei schlafende Männer in Matrosenanzügen auf der Straße mit einer Zeitung mit der Schlagzeile Peace; rechts: Ein Mann hisst eine Fahne mit Hammer und Sichel auf einem Gebäude
Das Jahr 1945 als einer der wenigen übergreifenden globalen Synchronisierungspunkte im 20. Jahrhundert: hier das Ende des Zweiten Weltkriegs.
Links: Das ikonische Foto vom Hissen der Flagge der Sowjetunion auf dem Reichstag von Jewgeni Chaldei (und eine der berühmtesten Retuschen), Originaltitel: „Auf dem Berliner Reichstag, 2. Mai 1945“. Quelle: Wikimedia Commons [14.05.2025], public domain; rechts: amerikanische Matrosen, o.D., o.O., Fotograf: unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons [14.05.2025], public domain

 

Martin Sabrow hat für „die epochale Bedeutung des Mauerfalls 1989“ in mehreren Anläufen Vergleichbares unternommen wie Lutz Raphael für 1945, privilegierte dabei aber die Erfahrungszäsur mit der Folge, dass er erhebliche Einschränkungen schon für das gesamte Deutschland vornehmen musste, von der weltweiten Gültigkeit ganz zu schweigen.[118] Gleichwohl ließe sich – unter dem selbstverständlichen Vorbehalt der „Epochenillusion“ − aus heutiger Sicht von einer im Jahre 1989 stattgefundenen Zäsur bzw. Zeitenwende[119] von universaler Bedeutung sprechen, umso mehr als dieser Einschnitt mit dem vom 24. Februar 2022 in ursächlichem Zusammenhang steht.

Die hier für das 20. Jahrhundert in aller Kürze diskutierten Zäsuren sind ausnahmslos der politisch-militärischen Ereignisgeschichte entnommen. Ihre Wirkungen, d.h. ihre Bedeutungen reichen zwar weit über diese Bereiche hinaus, aber es bleiben dennoch zwangsläufig andere Wahrnehmungen und strukturbestimmende Wandlungsprozesse unterbelichtet. Ideengeschichtlich inspirierte Periodisierungsvorschläge halten sich dagegen zahlenmäßig sehr in Grenzen.

Beachtung verdient zunächst der Vorschlag Anselm Doering-Manteuffels, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in Zeitbögen zu erfassen. Er offeriert damit einen Gegenentwurf zu den zäsurabhängigen Politikgeschichten; seine Zeitbögen sind „Zeitspannen von mehreren Jahrzehnten, die sich überlappen können, aber durch markant unterschiedliche Vorstellungen von der Ordnung in Gesellschaft und Staat gekennzeichnet sind“.[120] Der erste umspannt die Jahrzehnte von der Hochindustrialisierung um 1890 bis in den Zweiten Weltkrieg, die zusammengehalten werden von der Kulturrevolution des Antiliberalismus. Der zweite Zeitbogen reicht von 1930 bis 1970/75, als die von Kriegen und Krisen belastete Gesellschaft mittels Orientierung an Gemeinschaft, Gleichheit und Konsens stabilisiert werden sollte. Der dritte Zeitbogen wurzelt in den 1970er-Jahren und war bei der Niederschrift noch nicht abgeschlossen; dessen Hauptmerkmal sei „ein neuartiges Modell von ‚Freiheit‘“ als „scheinbar allein gültigem Ordnungsmodell“.[121] Dass im frühen 21. Jahrhundert „die Welt […] zum ‚Westen‘ geworden“ sei und Deutschland seinen „Platz im atlantischen Ordnungssystem gefunden und sich darin zu entfalten gelernt“ habe,[122] erinnert nicht nur an Winklers „Langen Weg nach Westen“, sondern war um 2010 wohl Konsens. Inzwischen, d.h. im Jahr 2025, sieht man vieles sehr anders.

Abschließend soll die weiter oben bereits kurz angesprochene Moderne-Theorie zur Sprache kommen. Sie enthält ein Periodisierungsschema, das sowohl politische, wirtschaftliche und ideengeschichtliche Vorgänge als auch deren subjektive Wahrnehmungen bzw. Verarbeitungen zusammenbindet.[123] Die Epoche der Industriemoderne beginnt mit dem Durchbruch der Industrie zum bestimmenden wirtschaftlichen und sozialen Faktor und den davon ausgelösten Aufbruchsstimmungen wie Verlustängsten vor der Jahrhundertwende, überwölbt die Grenze zwischen 19. und 20. Jahrhundert sowie beide Weltkriege, erklärt die Unterwerfung unter stalinistische wie faschistische Totalitarismen und endet, als der Welt ihre Fortschrittsorientierung abhandenkam und sie „in Instabilität und Krise geschlittert ist“.[124]

Diese Epoche reicht damit von ca. 1870 bis ca. 1970 und ist schon von der Anlage her ein Epochenkonzept, in dem die Übergänge konzeptionell enthalten sind. „Nach dem Boom“, eine von Lutz Raphael und Anselm Doering-Manteuffel wenn nicht entdeckte, so doch enorm popularisierte Erfahrungs- und Deutungszäsur in einem,[125] beginnt die neue (und unabgeschlossene) Epoche der Digitalmoderne. Sie veränderte Politik, Wirtschaft und Gesellschaft neuerlich fundamental und führte zu einer enormen Beschleunigung so gut wie aller Lebensbereiche. Die anfangs euphorischen Erwartungen wurden bald schon von multiplen Krisen und damit einhergehenden Zukunftsängsten abgelöst.

Anders als die landläufigen und zumeist fragwürdigen Konnotationen von „postmodern“[126] soll damit verdeutlicht werden, dass die Moderne keineswegs zu Ende ist, sondern in vieler Hinsicht dramatisch andere Formen angenommen hat. Sie ist nunmehr vom Spannungsbogen Freiheit-Nachhaltigkeit gekennzeichnet, den beiden neuen und, wie es scheint, vorherrschenden Grundstimmungen, wobei „Freiheit“ inzwischen vielerorts eine neoliberale, wenn nicht rundheraus libertäre Färbung angenommen hat und mit der Abkehr von Demokratie und regelbasierter internationaler Ordnung vereinbar wurde. Hobsbawms 1994 niedergeschriebene Erwartung, man befinde sich zwar auf dem Weg „in eine andere, […] unbekannte und problematische, aber nicht notwendig apokalyptische Zukunft“, klingt dreißig Jahre später in den Ohren vieler fast zu optimistisch.[127]

Es ließe sich einwenden, dass dieser Entwurf am Verlaufsmodell der westlichen Industrieländer orientiert ist und daher für globale Periodisierung ungeeignet. In einer globalisierten Welt unterscheiden sich zwar Wahrnehmungen und Befindlichkeiten nach wie vor erheblich, aber die technischen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen sind universal geworden und engen die hergebrachten Spielräume des Umgangs mit ihnen ein. Insofern kann das von der Moderne-Theorie inspirierte Periodisierungsmodell durchaus als weltumspannend gesehen werden.

Die weiter oben angesprochene Zäsur von 1989/90 bedeutete nicht nur einen realhistorischen Umbruch ersten Ranges, sondern führte auch das Ende der jenseits des Eisernen Vorhangs dogmatisch festgelegten Vorstellungen vom geschichtlichen Gesamtverlauf herbei. Dort hatten bis dahin in letzter Instanz die Politbüros über diese Vorstellungen entschieden, denn der Marxismus-Leninismus glaubte, eine allgemeingültige Theorie historischer Entwicklung (mit dem Anspruch prognostischer Kraft) zu besitzen. Epochen und deren Übergänge galt daher besondere Aufmerksamkeit, die entsprechenden Festlegungen waren verbindlich.[128]

Ganz anders die hier präsentierte – und vor 1989/90 von Marxisten oft als „bürgerlich“ diskreditierte – Sichtweise mit ihrer vielleicht unerwarteten Vielfalt von Periodisierungsangeboten. Sie unterstreicht noch einmal, dass die (westliche) Geschichtswissenschaft über kein kanonisiertes Wissen verfügt, wohl aber über eine allgemein anerkannte Methodenlehre. Zu dieser gehört das Wissen, dass Epochen nie in der Vergangenheit selbst vorkommen – dynastisch-genealogische Zusammenhänge allenfalls ausgenommen −, sondern stets im Rückblick gedeutet werden, mögen sie auch noch so selbstverständlich und deshalb kaum wahrnehmbar sein, und dass sie auf eine Vereinfachung vergangener Komplexität hinauslaufen. Epochen sind deshalb auch nicht wahr oder falsch, sondern geeignet oder ungeeignet, sie können neu entdeckt werden oder in der Versenkung verschwinden. Aber ohne sie, ohne Periodisierung geht es nicht, jedenfalls nicht in der Geschichtsschreibung lege artis. Vergleichbares gilt für die Übergänge von einer zur anderen Epoche, denn auch für sie lässt sich nur eine große Vielfalt an Möglichkeiten ermitteln. So bleibt am Ende nur die Feststellung: Periodisierung ist unverzichtbar, komplex und hat Folgen.

 

Anmerkungen

[1] Karl-Georg Faber, Epoche und Epochengrenzen in der Geschichtsschreibung, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 44 (1981), S. 105-113, hier S. 113.

[2] Leopold von Ranke, Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern gehalten, hg. v. Alfred Dove, Leipzig 1888.

[3] „Ich aber behaupte: jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem eignen Selbst. Dadurch bekommt die Betrachtung der Historie, und zwar des individuellen Lebens in der Historie einen ganz eigentümlichen Reiz, indem nun jede Epoche als etwas für sich Gültiges angesehen werden muß und der Betrachtung höchst würdig erscheint.“ Leopold von Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Theodor Schieder u. Helmut Berding, München 1971, S. 59f.

[4] Johann Gustav Droysen, Ungedruckte Materialien zur „Historik“, in: ders., Texte zur Geschichtstheorie. hg. v. Günter Birtsch und Jörn Rüsen, Göttingen 1972, S. 20, online https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00051633_00001.html [14.05.2025].

[5] Stefan Jordan, Vetorecht der Quellen. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010; https://docupedia.de/zg//zg/Vetorecht_der_Quellen [14.05.2025].

[6] Horst Haun, Die erste Periodisierungsdiskussion in der Geschichtswissenschaft der DDR, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 27 (1979), S. 856-865, hier S. 858.

[7] Jürgen Kuczynski, Zur Periodisierung der deutschen Geschichte in der Feudalzeit, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 2 (1954), S. 133-151.

[8] Ariane Tanner, Anthropozän. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 03.05.2022, https://www.docupedia.de/zg/Tanner_anthropozaen_v1_de_2022 [22.04.2025].

[9] Petra Ahne, Anthropozän abgesagt? Gremium votiert gegen neue Epoche, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.03.2024, S. 13.

[10] „Meine These lautet, daß sich in der Neuzeit die Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung zunehmend vergrößert, genauer, daß sich die Neuzeit erst als eine neue Zeit begreifen läßt, seitdem sich die Erwartungen immer mehr von allen bis dahin gemachten Erfahrungen entfernt haben.“ Reinhart Koselleck, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ – zwei historische Kategorien [1976], in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1979, S. 349-375, hier S. 359. „Der Wille zu einer Periodisierung kam erst im 14. und 15. Jahrhundert auf, am Ende gerade jener Periode, die als erste definiert wurde: dem Mittelalter.“ Jacques Le Goff, Geschichte ohne Epochen? Ein Essay, Darmstadt 2016, S. 29.

[11] Ecclesiastica Historia integram ecclesiae Christi […], 13 Bde., Basel 1559-1574. Initiator und leitender Herausgeber der Jahrhundertbände war der Magdeburger Geistliche Matthias Flacius. Einzelheiten bei Johannes Burkhardt, Die Entstehung der modernen Jahrhundertrechnung. Ursprung und Ausbildung einer historiographischen Technik von Flacius bis Ranke, Göppingen 1971.

[12] Manches des im Folgenden Ausgebreiteten findet sich bereits in meinem Aufsatz: Das Jahr 1917 und die Periodisierung des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 69 (2018), S. 86-99.

[13] Sehr ausführlich zu Entstehung und Fortentwicklung in der Antike ist: Marie Oellig, Die Sukzession von Weltreichen. Zu den antiken Wurzeln einer geschichtsmächtigen Idee, Stuttgart 2023. Für die Folgezeit: Werner Goez, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958, online https://archive.org/details/goez-translatio-imperii/mode/2up [14.05.2025].

[14] Reinhart Koselleck, „Neuzeit“. Zur Semantik moderner Bewegungsbegriffe, in: ders., (Hrsg.), Studien zum Beginn der modernen Welt, Stuttgart 1977, S. 264-299, hier S. 272.

[15] Ebd., S. 275.

[16] Christoph Cellarius, Historia Universalis […], Jena 1696. Vorausgegangen waren seit 1685 die Bände zur alten, mittleren und neueren Geschichte, eingeteilt nach Jahrhunderten.

[17] Carl Wernicke, Die Geschichte der Neuzeit, 2 Teile, Berlin 1855-57 (= Die Geschichte der Welt, zunächst für das weibliche Geschlecht bearbeitet, Bd. 3), dürfte zu den Erstbelegen im Historiker-Sprachgebrauch zählen.

[18] Koselleck, Neuzeit, S. 266. Vgl. ders., Wie neu ist die Neuzeit? [1990], jetzt in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a.M. 2000, S. 225-239, hier S. 227.

[19] Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1966, S. 437.

[20] Hermann Heimpel, Über die Epochen der mittelalterlichen Geschichte [1947], in: ders., Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 21957, S. 42-66, hier S. 44.

[21] Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Bd. 1 [1918], Sonderausgabe, München 1963, S. 29.

[22] Johannes Burkhardt, Frühe Neuzeit, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Das Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt a.M. 22003, S. 438-465, hier S. 438.

[23] So Koselleck in: Begriffsgeschichte, Sozialgeschichte, begriffene Geschichte. Reinhart Koselleck im Gespräch mit Christof Dipper, in: Neue Politische Literatur 43 (1998), S. 187-205, hier S. 195, online https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2010-1/interview_koselleck_npl_1998.pdf [14.05.2025].

[24] Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972-2004.

[25] Reinhart Koselleck, Zeitverkürzung und Beschleunigung. Eine Studie zur Säkularisation, in: ders., Zeitschichten, S. 177-202. Neuerdings dazu: Christophe Bouton, Die Beschleunigung der Geschichte bei Koselleck. Eine Studie zu einer historischen Kategorie der Moderne, in: Jeffrey A. Barash/Christophe Bouton/Servanne Jollivet (Hrsg.), Die Vergangenheit im Begriff. Von der Erfahrung der Geschichte zur Geschichtstheorie bei Reinhart Koselleck, Baden-Baden 2021, S. 76-99.

[26] Reinhart Koselleck, Das Ende des Pferdezeitalters, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 221, 25.09.2003, S. 18. Dazu auch Ulrich Raulff, Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung, München 2015.

[27] „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ Johann Wolfgang von Goethe, Die Campagne in Frankreich [1822]. Werke: Autobiographische Schriften, Hamburger Ausgabe, Bd. 10, Hamburg 51972, S. 235.

[28] Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin/New York 22000, S. 607.

[29] Chris Lorenz, Der letzte Fetisch des Stamms der Historiker. Zeit, Raum und Periodisierung in der Geschichtswissenschaft, in: Fernando Esposito (Hrsg.), Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017, S. 63-92, hier S. 84. Lorenz’ Landsmann van der Pot legte 1999 ein umfangreiches Buch zum Zusammenhang von Periodisierung und Deutungsabsicht vor, doch handelt es sich um nicht viel mehr als eine nach Sinndeutungen geordnete Materialsammlung. Johan Hendrik Jacob van der Pot, Sinndeutung und Periodisierung der Geschichte. Eine systematische Übersicht der Theorien und Auffassungen, Leiden 1999.

[30] Lorenz, Fetisch, S. 89. Hervorhebung im Original.

[31] Barbara Picht, Schiefrunde Perlen. Zum Deutungsanspruch metaphorischer Epochennamen, in: Forum Interdisziplinärer Begriffsgeschichte 10 (2021), H. 1, S. 6-12, hier S. 11, https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/59376/file/ZfL_FIB_10_2021_1_Picht.pdf [14.05.2025].

[32] Zwei Beispiele: Paul Egon Hübinger (Hrsg.), Zur Frage der Periodengrenze zwischen Altertum und Mittelalter, Darmstadt 1969; Ernst Walder, Zur Geschichte und Problematik des Epochenbegriffs „Neuzeit“ und zum Problem der Periodisierung der europäischen Geschichte, in: Festgabe Hans von Greyerz zum sechzigsten Geburtstag, 5. April 1967, Bern 1967, S. 21-48.

[33] Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 87.

[34] Zum Folgenden: Lorenz, Fetisch, S. 84ff.

[35] Das Folgende nach Friedrich Jaeger, Neuzeit als kulturelles Sinnkonzept, in: ders./Burkhard Liebsch (Hrsg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Stuttgart/Weimar 2004, S. 506-531. Zitate S. 511, 524. Der Text ist so gut wie identisch mit dem ein Jahr zuvor erschienenen, der aber einen geeigneteren Titel hat: Epochen als Sinnkonzepte historischer Entwicklung und die Kategorie der Neuzeit, in: Jörn Rüsen (Hrsg.), Zeit deuten. Perspektiven, Epochen, Paradigmen, Bielefeld 2003, S. 313-354. Zitate S. 323, 345.

[36] Jaeger, Neuzeit, S. 524. Hervorhebung im Original. „Zeitgeschichte“ und „Postmoderne“ lehnt Jaeger aus unterschiedlichen, aber guten Gründen ab.

[37] Martin Broszat, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 9f., hier S. 10. Das nächste Zitat ebd. Broszat konnte nicht nur nicht wissen, dass sich schon bald mit dem Mauerfall eine neue Zäsur ereignen würde, sondern er erlebte sie auch nicht mehr.

[38] Siehe Frank Bösch, Das historische Ereignis, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 12.05.2020, https://www.docupedia.de/zg/Boesch_ereignis_v1_de_2020 [14.05.2025].

[39] Lutz Raphael, 1945 als langjährige Zäsur der Zeitgeschichte. Nationale, europäische und globale Perspektiven im Vergleich, in: Indes. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 2018/1, S. 75-87, hier S. 76.

[40] Wie das in der Praxis vor sich geht, kann man bei Jürgen Osterhammels Vortrag zum 60. Geburtstag von Angela Merkel an den beiden Beispielen Französische und Industrielle Revolution verfolgen: Vergangenheiten. Über die Zeithorizonte der Geschichte. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum 60. Geburtstag [2014], in: ders., Die Flughöhe der Adler. Historische Essays zur globalen Gegenwart, München 22017, S. 183-202, online https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/rede-osterhammel-berliner-gespraech-spezial.pdf?file=1 [14.05.2025].

[41] Osterhammel, Verwandlung, S. 96f. Für Raphael, 1945, S. 87, ist „1945“ wegen des inzwischen weltweit anerkannten Zivilisationsbruchs, den der Holocaust darstellt, eine globale Zäsur seit der Stockholmer Erklärung vom Januar 2000. Allerdings gehören der International Holocaust Remembrance Alliance gerade einmal 34 Staaten an, ganz überwiegend aus Europa.

[42] Am bekanntesten ist wohl immer noch: Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), S. 1-8, https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1953_1_1_rothfels.pdf [14.05.2025]

[43] Dipper, 1917, S. 99.

[44] In diesem Beitrag werden „Zäsur“ und „Zeitenwende“ als komplementär betrachtet. Martin Sabrow sieht das anders: „Zäsuren strukturieren unser Leben, Zeitenwenden stellen es in Frage“. Martin Sabrow, Zeitenwenden in der Zeitgeschichte, Göttingen 2023, S. 21.

[45] Pressemitteilung der Gesellschaft für deutsche Sprache, 09.12.2022.

[46] Als „Kompensation“ (Marquard) oder „Ausfluss des Medienzeitalters“ (Sabrow). Odo Marquard, Temporale Positionalität. Zum geschichtlichen Zäsurbedarf des modernen Menschen, in: Reinhart Herzog/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, München 1987, S. 343-352. Martin Sabrow, Zäsuren in der Zeitgeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, http://docupedia.de/zg/sabrow/_zaesuren_v1_de_2013.pdf [14.05.2025].

[47] Manfred Berg, Der 11. September 2001 – eine historische Zäsur?, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), S. 463-474, https://zeithistorische-forschungen.de/3-2011/4411 [14.05.2025]

[48] Hubert Wetzel, Freitag, der 28., in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 51, 03.03.2025, S. 4. Am 28. Februar 2025 fertigten US-Präsident Trump und Vizepräsident Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor laufenden Kameras ab und warfen ihn anschließend aus dem Weißen Haus. In der Zusammenfassung des Artikels heißt es: „Es gibt Tage, nach denen die Geschichte anders verläuft als davor“. Gibt es eine treffendere Beschreibung von „Zäsur“? Jürgen Habermas spricht von „Epochenbruch“: Jürgen Habermas, Für Europa, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 68, 22./23.03.2025, S. 16f., hier S. 16.

[49] Martin Sabrow, Der Zeitraum der Zeitgeschichte, in: Quo vadis Zeitgeschichte? Atelier Journée d’études franco-allemande de jeunes chercheurs. S. 11, online https://zzf-potsdam.de/sites/default/files/mitarbeiter/PDFs/sabrow/vortrag_martin_sabrow_der_zeitraum_der_zeitgeschichte_01_10_2014_paris.pdf [14.05.2025].

[50] Ebd., S. 13.

[51] Sabrow, Zäsuren.

[52] Sabrow, Zeitraum, S. 13.

[53] Siehe jedoch Joachim Rückert, Art. „Periodisierung“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4/2, Berlin ²2017, Sp. 466-471, hier Sp. 469. Ferner Thomas Vormbaum, Juristische Zeitgeschichte. Darstellungen und Deutungen, Münster 2011.

[54] Ein Beispiel hierfür lieferte Edgar Wolfrum mit den fünf Bänden der Serie „Deutschland im Fokus“: Die 50er Jahre: Kalter Krieg und Wirtschaftswunder; Die 60er Jahre: Eine dynamische Gesellschaft; Die 70er Jahre: Republik im Aufbruch; Die 80er Jahre: Globalisierung und Postmoderne; Die 90er Jahre: Wiedervereinigung und Weltkrisen, Darmstadt 2006-2008.

[55] Statt vieler Belege sei genannt Christoph Cornelißen, Europa im 20. Jahrhundert (Neue Fischer Weltgeschichte, Bd. 7), Frankfurt a.M. 2020.

[56] Ernst Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme. Erstes Buch: Das logische Problem der Geschichtsphilosophie [1922], hg. v. Friedrich Wilhelm Graf und Matthias Schloßberger (Troeltsch; Kritische Gesamtausgabe, Bd. 16/2), Berlin 2008, S. 1080. Die Aussage findet sich schon in einem Aufsatz von 1920. Von „wirklich objektiver Periodisierung“ wird man heute freilich nicht mehr sprechen wollen.

[57] Otto Hintze, Wesen und Wandlung des modernen Staats [1931], in: ders., Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Bd. 3: Staat und Verfassung, hg. v. Gerhard Oestreich, Göttingen 31970, S. 470-496, hier S. 474. Das nächste Zitat S. 489. Dieser Vortrag für die Preußische Akademie der Wissenschaften darf als Schlüsseldokument für Hintzes Staatstheorie gelten. Dazu jetzt: Andreas Anter/Hinnerk Bruhns (Hrsg.), Otto Hintzes Staatssoziologie. Historische Prozesse, theoretische Perspektiven, Baden-Baden 2024, sowie Hans Joas/Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Otto Hintze. Werk und Wirkung in den historischen Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2024.

[58] Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999.

[59] Charles S. Maier, Leviathan 2.0. Inventing Modern Statehood, Cambridge/Mass. 2014; ders., Once within Borders. Territories of Power, Wealth and Belonging since 1500, Cambridge/Mass. 2016; ders., The Project-State and its Rivals. A New History of 20th and 21st Centuries, Cambridge/Mass. 2023.

[60] Lutz Raphael, Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin 2019.

[61] Ders., Transformations of Industrial Labour in Western Europe. Intergenerational Change of Life Cycles, Occupation and Mobility 1970-2000, in: German History 30 (2012), S. 100-119, hier S. 101.

[62] Vgl. Georg Spitzlberger/Claus D. Kernig, Art. „Periodisierung“, in: Claus D. Kernig (Hrsg.), Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. 4, Freiburg/Br. 1971, Sp. 1135-1160.

[63] Viel Anschauungsmaterial gegen diese grobschlächtige Deutung jetzt bei Christof Dipper, Die Entdeckung der Gesellschaft. Sattelzeit in Europa, 1770-1850, Berlin 2023.

[64] Maßgeblich wegen seiner weithin anerkannten Modellbildung: Gøsta Esping-Andersen, The Three Worlds of Welfare Capitalism, New York 1989. Beispielhaft für Horizont und analytische Tiefe: Hartmut Kaelble, Das soziale Europa. Europäische Sozialpolitik und nationale Wohlfahrtsstaaten, 1883-2020, Frankfurt a.M. 2024.

[65] Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 5 Bde., München 1987-2008.

[66] W[alt] W[hitman] Rostow, The World Economy. History and Prospect, Austin/London 1978.

[67] Ders. (Hrsg.), The Economics of Take-Off into Sustained Growth, London 1963. Die dort präsentierten Zahlenreihen wurden später für viele Länder bestritten bzw. korrigiert.

[68] Osterhammel, Periodisierung, S. 58.

[69] So bei Friedrich Lenger, Der Preis der Welt. Eine Globalgeschichte des Kapitalismus, München 2023.

[70] Daniel R. Headrick, Technology. A World History, Oxford 2009, Kap. 8: Toward a Postindustrial World (1939-2007). Headrick kennt überhaupt nur die „erste Industrielle Revolution“ von 1750 bis 1869 und danach eine nicht näher qualifizierte Zwischenphase bis 1939. Für die Soziologie wohl am berühmtesten und jedenfalls am frühesten: Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York 1975. Im englischen Original von 1973 gibt es einen Untertitel, der die Zukunftsperspektive betont: A Venture in Social Forecasting.

[71] Für das Folgende stütze ich mich im Wesentlichen auf Jens Ivo Engels, Umweltgeschichte als Zeitgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2006, Nr. 13, S. 32-38, online https://freidok.uni-freiburg.de/files/4609/Nrcjui5JwAIRCQwh/Engels_Umweltgeschichte_als_Zeitgeschichte.pdf [14.05.2025].

[72] Siehe Rolf Peter Sieferle, Rückblick auf die Natur. Eine Geschichte des Menschen und seiner Umwelt, München 1997. In diesem Buch läuft alles auf die „große Transformation“ (Überschrift von Teil 3) hinaus, die eingeleitet wird mit der „Wandlung des Energiesystems“.

[73] So Sandra Maß, Zukünftige Vergangenheiten. Geschichte schreiben im Anthropozän, Göttingen 2024. Sie ist „davon überzeugt, dass die bevorstehenden planetarischen Veränderungen eine Anpassung von Theorie, Methodik und Gegenstandsbereich der Geschichtswissenschaft erfordern“, obwohl „das Anthropozän für die Geschichtswissenschaft keine neue Epoche ist“. Ebd., S. 28, 178.

[74] Christian Pfister, Das 1950er Syndrom. Der Weg in die Konsumgesellschaft, Bern u.a. 1995.

[75] Dazu kritisch: Jens Ivo Engels, Modern Environmentalism, in: Frank Uekoetter (Hrsg.), The Turning Points of Environmental History, Pittsburgh 2010, S. 119-131.

[76] „Periodisierungsnihilismus“ lautet der Vorwurf Osterhammels in seiner Rezension von Wolfgang Behringer. Der große Aufbruch. Globalgeschichte der Frühen Neuzeit, München 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 7/8, https://www.sehepunkte.de/2024/07/36769.html [14.05.2025].

[77] Christopher A. Bayly, The Birth of the Modern World, 1780-1914. Global Connections and Comparisons, Oxford 2004 (deutsch 2006); ders., Remaking the Modern World 1900-2015. Global Connections and Comparisons, Hoboken, N.J. 2018. Die „Long 1980’s“ werden ab S. 162ff. behandelt.

[78] Osterhammel, Periodisierung, S. 64.

[79] Ders., Verwandlung, S. 87. Hervorhebungen im Original.

[80] Osterhammel, Periodisierung, S. 45.

[81] Neben den bereits genannten Titeln sei noch hingewiesen auf Helmut Bley, Periodisierung, globale, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 9, Stuttgart 2009, Sp. 962-974; William A. Green, Periodization in European and World History, in: Journal of World History 3 (1992), S. 13-53; Thomas Kohl/Steffen Patzold, Vormoderne – Moderne – Postmoderne? Überlegungen zu aktuellen Periodisierungen in der Geschichtswissenschaft, in: Thomas Kühtreiber/Gabriele Schichte (Hrsg.), Kontinuitäten, Umbrüche, Zäsuren. Die Konstruktion von Epochen in Mittelalter und früher Neuzeit in interdisziplinärer Sichtung, Heidelberg 2016, S. 23-42.

[82] Drei Beispiele neuesten Datums mögen genügen: Victor Sebestyen, 1946. Das Jahr, in dem die Welt neu entstand, Berlin 2015 (engl. Original 2014); Adam Tooze, Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916-1931, München 2015 (engl. Original 2014). Zur kalkulierten Provokation zählt auch das 2019 entstandene „1619 Project“. Damals startete die New York Times-Redakteurin Nikole Hannah-Jones das bald schon mit dem Pulitzerpreis gekrönte „1619 Project“, mit dem sie die herkömmliche heroische, auf 1776 als Gründungsdatum fixierte US-Selbstdarstellung im Interesse der grundlegenden Bedeutung der Sklaverei für dieses Land verschieben möchte: 1619 wurden die ersten Sklaven in die Kolonie Virginia gebracht. Vgl. Nikole Hannah-Jones (Hrsg.), 1619. Eine neue Geschichte der USA, München 2022.

[83] Winfried Barner, Zum Problem der Epochenillusion, in: Herzog/Koselleck (Hrsg.), Epochenschwelle, S. 517-529, hier S. 527.

[84] Zum Auf-, Fort- und Umschreiben der Geschichte durch Erfahrungswandel: Reinhart Koselleck, Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze [1988], in: ders., Zeitschichten, S. 27-77. Eine gewisse Korrektur an Koselleck bei Dieter Langewiesche, Über das Umschreiben der Geschichte. Zur Rolle der Sozialgeschichte, in: Jürgen Osterhammel/Dieter Langewiesche/Paul Nolte (Hrsg.), Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2008, S. 67-80.

[85] Troeltsch, Historismus, S. 1081.

[86] Theodor Lessing, Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, München 1919.

[87] Dazu Ute Schneider, Spurensuche. Reinhart Koselleck und die Moderne, in: dies./Lutz Raphael (Hrsg.), Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christof Dipper, Frankfurt a.M. 2008, S. 61-72.

[88] Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. XIII-XXVII, hier S. XIVf.

[89] „Das Bewußtsein, um 1800 herum an einer epochalen Wende zu stehen, war allgemein.“ Ders., Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt [1977], in: ders., Vergangene Zukunft, S. 176-207, hier S. 199.

[90] Dazu Winfried Schulze, „Non, Sire, c’est une révolution“. Zur Geschichte eines berühmten Zitats, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 40 (1989), S. 777-788; ders., Der 14. Juli 1789. Biographie eines Tages, Stuttgart 1989.

[91] František Graus, Epochenbewußtsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung, in: Herzog/Koselleck (Hrsg.), Epochenschwelle, S. 153-166, hier S. 165. Die Kategorie des „Westens“ als Denkfigur kam übrigens erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch, rückte aber erst nach 1945 in seine heute für selbstverständlich gehaltene prominente Rolle, begleitet von entsprechender Abwertung des „Orients“.

[92] Jüngstes Beispiel ist Kai Vogelsang, Kleine Geschichte Chinas, Ditzingen 22019, Kap. 3: Das chinesische Mittelalter.

[93] Osterhammel, Verwandlung, S. 93.

[94] Ebd., S. 131.

[95] Ebd., S. 87.

[96] Eric Hobsbawm, Europäische Revolutionen, Zürich 1962; ders., Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1995.

[97] Troeltsch, Historismus, S. 1080.

[98] Friedrich Lenger, Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung 1849-1870/71 (Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 15), Stuttgart 2003. Lenger behandelt zunächst die Wirtschaftsgeschichte und kommt erst auf Seite 257, also nach der Hälfte, auf die Politik zu sprechen. Kann man besser demonstrieren, dass die konventionelle politische Datierung ungeeignet ist?

[99] Reinhart Koselleck im Gespräch mit Christof Dipper, S. 196.

[100] Osterhammel, Periodisierung, S. 56f.

[101] Hans Rothfels, Zeitgeschichte, S. 2. Die Überzeugungskraft dieses Vorschlags lag laut Jan Eckel darin, dass er „eine Selbstverortung bot, die die Erfahrungsbezüge hinter das Datum 1917 ausdehnte und gleichzeitig die post-nationalsozialistische Weltkonstellation zurückprojizierte“. Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005, S. 323. Die Dominanz dieser Subdisziplin erhellt sich etwa aus den Sektionen der Historikertage. In München (2021) belief sich der Anteil der zeitgeschichtlichen Sektionen am Gesamt auf 31%, zusammen mit den Sektionen zur Neueren und Neuesten Geschichte, die großenteils das 20. Jahrhundert betrafen, stieg er sogar auf 58%. Für Leipzig (2023) lauten die entsprechenden Zahlen 15% bzw. 51%.

[102] Hans-Peter Schwarz, Die neueste Zeitgeschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 51 (2003), S. 5-28, online https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2003_1_2_schwarz.pdf [14.05.2025].

[103] „Unsere ‚ältere Zeitgeschichte‘ mit den Marksteinen von 1914 und 1917/18, von 1923 und 1933, von 1939 und 1945 [ist] tatsächlich höchst präsent, ja grundlegend geblieben.“ Karl Dietrich Bracher, Es begann mit der Weimarer Erfahrung, ebd., S. 1-4, hier S. 2; das vorige Zitat S. 1, online https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2003_1_1_bracher.pdf [14.05.2025].

[104] Ministero dell’Universitá e della Ricerca, Decreto Ministeriale n. 639 del 02-05-2024, https://www.mur.gov.it/it/atti-e-normativa/decreto-ministeriale-n-639-del-02-05-2024 [14.05.2025].

[105] Der Blick auf die Selbstdarstellungen zeitgeschichtlicher Zeitschriften hilft da nicht weiter. „Contemporary History“ nimmt nur Beiträge für die Zeit nach 1930, „Contemporary European History“ nach 1918, „Current History“ dagegen ab 1914. Die deutschsprachigen zeitgeschichtlichen Zeitschriften versichern, das gesamte 20. Jahrhundert zu behandeln („Zeithistorische Forschungen“) oder seit Beginn des Ersten Weltkriegs („Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“) bzw. schweigen sich zum chronologischen Rahmen aus („Österreichische Zeitschrift für Zeitgeschichte“). Genauere Blicke auf die Subdisziplin „Zeitgeschichte“ in unseren Nachbarländern finden sich hier: https://www.docupedia.de/zg/kategorie/Länder [14.05.2025].

[106] „Zehn Jahre nach dem Umbruch [von 1932/33] war die Realität so eindeutig erschütternd, daß die Bezeichnung ‚Umbruch‘ schon ein Understatement geworden war.“ Moshe Zimmermann, Deutsche Juden und deutsche Umbrüche, in: Dietrich Papenfuß/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Deutsche Umbrüche im 20. Jahrhundert, Köln 2000, S. 19-29, hier S. 28.

[107] Die Schüsse von Sarajevo bedeuteten jedenfalls für die Zeitgenossen keine Zäsur. Kaiser Wilhelm II. begab sich danach noch auf die übliche Nordlandreise. Erst im Rückblick wurde der 28. Juni 1914 zum Epochendatum. Das rekonstruiert Bernd Sösemann, Der Anlaß: Der Erste Weltkrieg, in: Holm Sundhaussen/Hans-Joachim Torke (Hrsg.), 1917-1918 als Epochengrenze?, Wiesbaden 2000, S. 11-28.

[108] Dazu Arndt Brendecke, Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt a.M./New York 1999, Kap. 11.

[109] René Rémond, Notre siècle, 1918-1988, Paris 1988; François Caron, La France des patriotes de 1851 à 1918, Paris 1985; Edgar J. Feuchtwanger, Democracy and Empire. Britain 1865-1914, London 1985; Giovanni Sabbatucci/Vittorio Vidotto (Hrsg.), Storia d’Italia, Bd. 3: Liberalismo e democrazia (1887-1914), Rom/Bari 1995; dies. (Hrsg.), Storia d’Italia, Bd. 4: Guerre e fascismo (1914-1943), Rom/Bari 1997. Mit der Jahreszahl 1943 wird, nebenbei bemerkt, wieder einmal die radikale Phase des Faschismus, die Republik von Salò, aus der Geschichte des italienischen Faschismus eskamotiert. Sie kommt im folgenden Band auf gerade einmal fünf Seiten zur Sprache: dies. (Hrsg.), Storia d’Italia, Bd. 5: La Repubblica (1943-1963), Rom/Bari 1997, S. 29-33.

[110] Das ist keine ganz neue Erkenntnis. Der Wittenberger Kirchenhistoriker Johann Matthias Schröckh polemisierte 1768 gegen die in der Nachfolge der berühmten „Magdeburger Centurien“ hypostasierte Bedeutung der Jahrhunderte: „Mit einem neuen Jahrhunderte geht nicht sogleich eine neue Gestalt der Welt an: viele Unternehmungen entwickeln sich erst spät in denselben, welche lange vorher in dem verflossenen waren angefangen worden.“ Johann Matthias Schröckh, Christliche Kirchengeschichte, Bd. 1, Frankfurt a.M./Leipzig 1768, S. 292; zit. n. Burkhardt, Entstehung, S. 88.

[111] Dazu Manfred Hettling, Der Mythos des kurzen 20. Jahrhunderts, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 49 (1998), S. 327-345. Inzwischen können sogar Jahre „lang“ oder „kurz“ sein. Die „Westfälischen Forschungen“ haben ein Themenheft „Das lange 1933“ zusammengetragen, hg. von Philipp Erdmann und Sabine Mecking, und zwar „in begrifflicher Anlehnung an Eric Hobsbawm“. Aber der Beitrag von Annika Hartmann und Jan Neubauer behandelt „Krise und nationalsozialistischer ‚Aufbruch‘. Die Stadtverwaltungen Münster und München im ‚kurzen Jahr 1933‘“. Westfälische Forschungen 73 (2023), S. 97-126.

[112] Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Er schildert einleitend „das Jahrhundert aus der Vogelschau“ S. 13-33, dessen Einheit darin bestehe, dass „die Welt, die Ende der achtziger Jahre in Stücke brach, […] von den Auswirkungen der Russischen Revolution 1917 geprägt worden war“; ebd., S. 18.

[113] Dass die kommunistische Geschichtsschreibung 1917 als Schlüsseljahr betrachtete, versteht sich von selbst. Es gilt als „Beginn der eigentlichen Weltgeschichte“. Spitzlberger/Kernig, Periodisierung, Sp. 1147.

[114] Für einen „globalen Moment“ hält dagegen Ewald Frie das Jahr 1918 auch noch aus heutiger Sicht: Ewald Frie, 100 Jahre 1918/19. Offene Zukünfte, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 15 (2018), H. 1, S. 98-114, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2018/5561 [14.05.2025].

[115] Rothfels, Zeitgeschichte, S. 6f.

[116] Jörn Leonhard, Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923, München 2018, S. 1276. Siehe auch Robert Gerwarth, Die Besiegten. Das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs, München 2017. Thema ist das von verschiedenen Wellen paramilitärischer Gewalt heimgesuchte Mittel-, Ost- und Südosteuropa zwischen 1917 und 1923.

[117] Raphael, 1945, S. 87.

[118] Genannt seien nur Sabrow, Zäsuren, sowie ders., Zeitenwenden, S. 31ff.

[119] Sabrow unterscheidet: „Zäsuren strukturieren unser Leben, Zeitenwenden stellen es in Frage“; Zeitenwenden, S. 21.

[120] Anselm Doering-Manteuffel, Die deutsche Geschichte in Zeitbögen des 20. Jahrhunderts, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014), S. 321-348, hier S. 324, online https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2014_3_1_doering-manteuffel.pdf [14.05.2025].

[121] Ebd., S. 342.

[122] Ebd., S. 347f.

[123] Mehr dazu bei Christof Dipper, Moderne, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 17.01.2018, http://docupedia.de/zg/Dipper_moderne_v2_de_2018 [14.05.2025].

[124] Hobsbawm, Zeitalter, S. 503.

[125] Das ist inzwischen in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen worden. Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen, ³2012 [zuerst 2008]. Ferner dies./Thomas Schlemmer (Hrsg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, sowie Morten Reitmayer/Thomas Schlemmer (Hrsg.), Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in Westeuropa nach dem Boom, München 2014.

[126] Eine kluge Kritik aller „Postismen“ – „Ich will der Vorsilbe Post- den Kultstatus streitig machen, über den sie – in welcher Kombination auch immer – zu verfügen scheint“ – bei Dieter Thomä, Post-. Nachruf auf eine Vorsilbe, Berlin 2025. Zitat S. 25, Hervorhebung im Original.

[127] Hobsbawm, Zeitalter, S. 21.

[128] Beispielhaft für den Historischen Materialismus sind die Ausführungen des einflussreichen Historikers Ernst Engelberg in dem von ihm mitherausgegebenen Sammelband: Genese und Gültigkeit von Epochenbegriffen. Theoretisch-methodologische Prinzipien der Periodisierung, Berlin (DDR) 1973, S. 5-23. In These 10 heißt es: „[…] Die Periodisierung soll die Entwicklung und Lösung von Widersprüchen, die sich in der Dialektik von Produktivkräften, Produktions- und Klassenverhältnissen und ihren Überbauerscheinungen zeigen, im Zusammenhang mit der gesetzmäßigen Abfolge der Gesellschaftsformationen und deren verschiedenen qualitativen Phasen zum Ausdruck bringen. Stets zielt die Periodisierung darauf ab, qualitative Veränderungen im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts zu kennzeichnen.“ Ebd., S. 6f. Engelberg war Professor und Mitglied der SED-Parteileitung der Humboldt-Universität, ferner zugleich Direktor der Forschungsstelle für Methodologie und Geschichte der Geschichtswissenschaft an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Außerdem war er damals Präsident des Nationalkomitees der Historiker der DDR.

 

 

Reichtum
Updated:
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Page-ID:
100009321
Datum:
2025-03-05
Autor/innen:
Eva Maria Gajek, Felix Römer
Titel:
Reichtum
Version:
1
Alle Kategorien:
Sozialstruktur, Klassen, Politik, Begriffe, Gesellschaftsgeschichte, Materielle Kultur,Deutschland,1945-
Sprache:
Deutsch
Bild-Src:
Eine gut gekleidete Frau und ein Mann mit Sektgläsern
Bild-Lizenz:

Sektempfang bei der französischen Pelzmodenschau, Frankfurt a.M., April 1975 (Ausschnitt). Fotografin: Abisag Tüllmann, Quelle: bpk 70371263, /Lizenz: CC BY-NC-ND

Ist Übersetzung von:
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Weitere:
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1. Einleitung

In den letzten Jahrzehnten ging die Schere zwischen den Reichen und der übrigen Gesellschaft immer weiter auseinander. Dem World Inequality Report von 2022 zufolge, entfielen die Wohlstandszuwächse seit den 1990er-Jahren zu fast 40 Prozent auf die reichsten 1 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur zu rund 2 Prozent auf die ärmsten 50 Prozent.[1] Vor diesem Hintergrund wurden Ungleichheit, Armut und Reichtum nicht nur von den Sozialwissenschaften und anderen Disziplinen als Forschungsthemen wiederentdeckt, sondern zuletzt auch von Historiker:innen. Schließlich zeigen die Trends der vergangenen Jahrzehnte, dass soziale Ungleichheit nicht bloß ein gesellschaftliches Problem der Gegenwart darstellt, sondern auf historischen Prozessen und Konstellationen beruht, die teilweise weit in die Geschichte zurückreichen.

Die historischen Dimensionen von „Reichtum“ beginnen damit, wie darüber zu unterschiedlichen Zeiten gedacht und gesprochen wurde. Schon in biblischen, antiken und mittelalterlichen Texten wurde Reichtum ambivalent beurteilt.[2] Zunehmende Kritik zogen die Privilegien der Reichen im Zuge der Aufklärung, der transatlantischen Revolutionen und der „sozialen Frage“ des 19. Jahrhunderts auf sich.[3] Ins 19. Jahrhundert fielen zudem die Anfänge der „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ – der Beginn der empirischen Sozialforschung, die während der Nachkriegsjahrzehnte im 20. Jahrhundert zur vollen Entfaltung kam.[4] Durch ökonomische und soziologische Studien, Statistiken und Massenmedien wurde das Phänomen „Reichtum“ seit dieser Zeit deutlich greifbarer.

Doch das zunehmende Wissen offenbarte auch die klaffenden Wissenslücken, die bis in die Gegenwart immer wieder beklagt werden. So stellten britische Ökonomen 1961 fest, dass die Konzentration der hohen Vermögen fast überall auf der Welt von „statistischer Dunkelheit“ umhüllt sei.[5] Heute dagegen können wir Statistiken über „Reichtum“ auf Knopfdruck im Internet abrufen und unsere eigene Position in der Vermögensverteilung z.B. im „Spiegel“-Kalkulator online bestimmen.[6] Die verfügbaren Statistiken regen regelmäßig gesellschaftliche Debatten an – so wie die aktuelle Interpretation, dass gegenwärtig eine Rückkehr zu den extremen sozialen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts festzustellen sei.[7]

Nicht nur das Wissen über „Reichtum“ ist historisch gewachsen, auch der Begriff selbst stellt ein kulturelles Konstrukt dar. Dieses Verständnis konnte man schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einem Konversationslexikon nachlesen: „Reichtum“ sei ein „relativer Begriff, welcher gegenüber den eigenen Bedürfnissen und dem Besitz anderer ein verhältnismäßig großes Vermögen bezeichnet“, ein Begriff, der aber „zeitlich und örtlich wandelbar“ sei.[8] Was „Reichtum“ ausmachte und was Zeitgenoss:innen darüber wussten und dachten, ist also historisch und kulturell variabel. Bei „Reichtum” handelt es sich in diesem Sinne sowohl um einen Quellenbegriff aus vergangenen Zeiten als auch um ein analytisches Konzept, das heutigen geschichtswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Forschungen zu diesem Thema zugrunde liegt, wie sie in diesem Artikel vorgestellt werden sollen.

Auf der ersten Ebene definiert sich „Reichtum“ durch zeitgenössische Erfahrungen, Praktiken, Diskurse, Wissensbestände und Sozialstrukturen. Auf der zweiten Ebene orientiert sich die Geschichtswissenschaft bei der Konzeptualisierung von „Reichtum“ vor allem an den Theorieangeboten der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die das Denken über „Reichtum“ seit dem 20. Jahrhundert immer mehr bestimmten und dabei selbst historische Entwicklungen durchliefen. Beim Thema „Reichtum“ drängt sich demnach eine interdisziplinäre Perspektive in doppeltem Sinne auf: Historiker:innen müssen nicht nur die Wissensstände der relevanten Nachbardisziplinen einbeziehen, sondern auch deren eigene Historizität in Rechnung stellen.

„Reichtum“ ist aber nicht nur als gesellschaftliches Konstrukt aufzufassen, sondern zugleich als Teil der materiellen Erfahrungswelt: In Villenvierteln wie Hamburg-Blankenese ist er in Stein gemeißelt, und die gesellschaftlichen Machtpositionen, die mit „Reichtum“ einhergehen, können spürbare Konsequenzen für die Lebensrealitäten der weniger privilegierten Bevölkerung haben.[9] Die materiellen und strukturellen Dimensionen und Entwicklungstrends von Reichtum sind Gegenstand einer umfangreichen sozialwissenschaftlichen, statistischen und sozialgeschichtlichen Forschung, die unter anderem die eingangs zitierten Zahlen hervorgebracht hat. Reichtum ist also sowohl auf einer „realhistorischen“ Ebene zu analysieren als auch auf symbolischen Ebenen mit Blick auf Diskurse und Repräsentationen.[10]

Wie „Reichtum“ historisiert werden kann, skizzieren die folgenden Abschnitte am Beispiel der deutschen Gesellschaft und mit einem Schwerpunkt im 20. Jahrhundert, das nicht nur als Vorgeschichte aktueller Problemlagen besondere Relevanz besitzt, sondern auch die Sichtweisen von Historiker:innen auf das Thema maßgeblich geprägt hat.[11] Der Artikel konzentriert sich dabei auf Ungleichheitsverhältnisse innerhalb der deutschen Gesellschaft (within-country inequality) und geht weniger auf Diskussionen über Ungleichheiten zwischen ganzen Ländern und Weltregionen ein (cross-country inequality / global inequality), die einen eigenen Artikel erfordern würden, auch wenn beide Ebenen eng miteinander verzahnt sind.[12]

 

2. Definitionen von Reichtum

Die Konstruktion von „Reichtum“ beginnt bereits bei der Definition des Begriffs. Eine „objektive“ Definition von Reichtum existiert bis heute nicht, und keine Definition kann Allgemeingültigkeit beanspruchen, zumal jede auf unterschiedlichen normativen Festlegungen und theoretischen Perspektiven beruhen kann. Aus denselben Gründen sagen alle Definitionen allerdings viel über zugrunde liegende historische Wahrnehmungen und Normen aus – und nicht zuletzt auch über die diversen Akteure, die sich an den Deutungskämpfen beteiligt haben. Die interdisziplinäre Forschung geht schon seit langem davon aus, dass Auseinandersetzungen über die Definitionen von Reichtum als wichtiger „Bestandteil des Ungleichheitsgeschehens“ selbst anzusehen und in die Analyse einzubeziehen sind.[13]

Begriffsgeschichtliche Befunde legen nahe, dass „Reichtum“ fast durchgängig als Fremdzuschreibung verwendet wurde und kaum als Selbstbeschreibung. Hierauf wies Anfang der 1930er-Jahre bereits der Psychologe, Schriftsteller und Politiker Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi hin: „Fast niemand hält sich für reich. Für die meisten Menschen beginnt der Reichtum bei einem Einkommen, das ihr eigenes zehnmal übersteigt.“[14] Daneben ist zu berücksichtigen, dass der Begriff nicht für sich allein steht, sondern von einem größeren semantischen Feld mit Synonymen, Kollokationen und Assoziationen umgeben ist, das seinerseits historisch wandelbar ist. Hierzu zählten häufig Synonym-Begriffe wie Vermögen, Wohlstand, Eigentum oder Kapital, aber auch Begriffe wie Luxus, Privileg, Prestige oder auch Erbe. Als soziale Gruppe werden „die Reichen“ in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen auch als „Oberschicht“, „Elite“, „Bonzen“ oder als „die oberen Zehntausend“ bezeichnet; alternativ werden noch abstraktere Positionsbestimmungen wie „oben“ oder neuerdings das „obere 1 Prozent“ verwendet.[15]

Ansatzpunkte für begriffsgeschichtliche Analysen bieten historische Wörterbücher und Konversationslexika. Hierin wurde „Reichtum“ bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts an Geldbesitz gekoppelt, aber lange recht allgemein als „Überfluss“ beschrieben, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Assoziation mit großen Vermögen stärker in den Vordergrund trat.[16] Um Bilder und Semantiken des Reichtums darüber hinaus zu rekonstruieren, ließen sich neben Wörterbüchern noch viele weitere Quellentypen heranziehen, beispielsweise aus den Massenmedien, der Belletristik, den bildenden Künsten oder der Populärkultur.

Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff zunehmend von den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften geprägt, doch blieb die Definition von „Reichtum“ auch in diesen Disziplinen bis heute umstritten. In den Sozialwissenschaften konkurrieren seit langem qualitative und quantitative Ansätze. Aus der Perspektive der quantifizierenden Sozialstrukturanalyse kann „Reichtum“ heute als eine obere soziale Lage mit weit überdurchschnittlichen ökonomischen Ressourcen beschrieben werden.[17] Aus qualitativer Perspektive definiert sich „Reichtum“ nicht allein durch Geld, sondern auch durch nicht-monetäre Komponenten wie z.B. einen bestimmten Habitus und Lebensstil.[18]

Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wiederum wird die Gruppe der „Reichen“ häufig mit den oberen 1 Prozent oder 10 Prozent in der Einkommens- und Vermögensverteilung gleichgesetzt oder als 200 Prozent bzw. 300 Prozent des Median-Einkommens definiert.[19] Insbesondere die letztgenannte Definition zog allerdings die Kritik auf sich, die Unterschiede zwischen „Wohlhabenden“, „Reichen“ und „Superreichen“ zu verwischen.[20] Wie sich an solchen Definitionsfragen öffentliche Kontroversen entzünden können, zeigte 2018 die Diskussion um den Millionär und CDU-Politiker Friedrich Merz, der sich nicht zur „reichen Oberschicht“ zählte, sondern zur „gehobenen Mittelschicht“.[21] Wie in diesem Fall basieren gesellschaftliche Selbstbeschreibungen und Debatten in der Regel auf Konzepten und Kategorien aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.[22] Die Geschichte der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema besitzt für die Historisierung von „Reichtum“ deshalb besondere Relevanz.

 

3. Interdisziplinäre Forschungen zu Reichtum

3.1 „Reichtum“ als Thema der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften

In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften entwickelte sich eine eigenständige Forschung zu „Reichtum“ erst im späten 20. Jahrhundert, doch kam das Thema als Aspekt der sozialen Ungleichheit zuvor immer wieder zur Sprache. In Marx’ Klassenkampftheorie des 19. Jahrhunderts bildete der Reichtum an Produktionsmitteln das zentrale Kriterium für die Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse der Kapitalbesitzer. Zu Fragen von Macht und Lebensstil von Vermögenden erschienen zudem schon im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sozialwissenschaftliche Klassiker von Thorstein Veblen, Werner Sombart, Georg Simmel und Max Weber, die spätere Forschungen inspirierten.[23] Allerdings mangelte es jahrzehntelang an empirischen Forschungen und statistischen Daten – auch wenn schon im deutschen Kaiserreich erste Millionärslisten und Steuerstatistiken existierten, auf die frühe Sozialstrukturanalysen zurückgreifen konnten.[24] Zudem lagen die Schwerpunkte der aufkommenden Sozial- und Wirtschaftswissenschaften lange woanders. So verzeichnete Charles Booth in seiner einzigartigen Sozialkartographie von London (1902/03) zwar auch die Wohnorte „der Reichen“, doch galt sein Hauptinteresse der Armut.[25] Bei der Analyse der Klassengesellschaft in Großbritannien schienen die Grenzen zur upper class so klar gezogen, dass Fragen zur working class und middle class deutlich mehr Aufmerksamkeit erhielten.[26]

 

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Stadtplan mit farbigen Straßen
„Charles Booth’s London Poverty Maps“: Kartenausschnitt: Marylebone, London, 1889. Die Straßen sind farblich gekennzeichnet, um die wirtschaftliche Klasse der Bewohner darzustellen: schwarz: „Lowest class. Vicious, semi-criminal“; dunkelblau: “Very poor, casual. Chronic want; blau: „Poor. 18s. to 21s. a week for a moderate family“; grau: „Mixed. Some comfortable, others poor“; rosa: „Fairly comfortable. Good ordinary earnings“; rot: „Middle class. Well-to-do“; gelb: „Upper-middle and Upper classes. Wealthy“
Quelle: Wikimedia Commons [25.02.2028], public domain

 

Die Wissensproduktion zu Fragen von sozialer Ungleichheit nahm vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich zu. Durch transnationalen Austausch glichen sich Theorien und Themen dabei zunehmend an, doch folgten die Sozialwissenschaften lange nationalen Entwicklungspfaden, wie das Beispiel der Bundesrepublik zeigt.[27] In der Nachkriegszeit galt das Konzept der Klassengesellschaft zunächst als verpönt, und die westdeutsche Soziologie vernachlässigte die Sozialstrukturanalyse.[28] Zudem galt das Interesse vor allem der „Mitte“ der Gesellschaft und weniger den Rändern.[29] Seit Ende der 1950er-Jahre wurde die Diskussion über „Reichtum“ dann durch wirtschaftswissenschaftliche Studien belebt, welche die hohe Vermögenskonzentration in der Bundesrepublik aufzeigten.[30] Solche Befunde nährten während der 1960er-Jahre die neomarxistische Kritik an der Klassengesellschaft. Einflussreiche Vertreter der kritischen Theorie wie Jürgen Habermas sprachen von latenten „klassenspezifischen Unterschieden“ in der Bundesrepublik, boten jedoch kaum tiefergehende Sozialstrukturanalysen.[31]

In den 1970er-Jahren kehrte die Soziologie zu einer Schichtungstheorie zurück, in der Einkommen und Vermögen nur noch eine neben anderen Ungleichheitsdimensionen darstellten – zu denen nun auch race und gender gezählt wurden.[32] Die Relativierung der ökonomischen Dimension wurde in der Soziologie im Zuge der „kulturalistischen Wende“ seit Mitte der 1980er-Jahre noch weiter geführt, als Lebensstile, Konsumgewohnheiten und andere kulturelle Merkmale als soziale Marker in den Vordergrund traten.[33] Einer der Pioniere auf diesem Feld, der berühmte französische Soziologe Pierre Bourdieu, argumentierte, dass soziale Klassenlagen nicht nur durch akkumuliertes ökonomisches Kapital, sondern auch durch soziales und kulturelles Kapital bestimmt seien. Demnach definierte sich der soziale Status im Frankreich der 1960er-Jahre sowohl durch Geldbesitz als auch durch unterschiedliche Vorlieben beispielsweise für die klassische Oper oder für modernen Jazz.[34] In der Rezeption der Bourdieu’schen Feldtheorie wurde allerdings häufig übersehen, dass Bourdieu das ökonomische Kapital immer noch als die „dominierende Kapitalform“ bezeichnet hatte.[35]

Seit den 1990er-Jahren kam es schließlich zu einer Re-Ökonomisierung der Diskussion: Aufbauend auf einem internationalen Boom der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zur Einkommens- und Vermögensungleichheit etablierte sich um die Jahrtausendwende eine eigenständige Forschung zum „Reichtum“.[36] Diese misst „Reichtum“ in erster Linie an hohen Einkommen und Vermögen, fragt aber auch nach qualitativen Aspekten wie den Alltagspraktiken, Beziehungsgeflechten und Machtpositionen „der Reichen“.[37] Dass gesellschaftlicher Einfluss nicht zuletzt durch großen Kapitalbesitz bedingt ist, hob auch die ebenfalls florierende Elitenforschung hervor.[38] In Anbetracht wachsender Vermögensungleichheit rund um den Globus bekräftigte die internationale Soziologie zuletzt wieder die überragende Bedeutung ökonomischen Kapitals.[39] Grundlegend hierfür waren nicht zuletzt die Forschungen führender Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz, Anthony B. Atkinson und Thomas Piketty – sie trugen dazu bei, dass der „Reichtum“ der oberen 1 Prozent seit der Finanzkrise von 2008 mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhielt als jemals zuvor.[40]

Die statistischen Analysen Thomas Pikettys zeigen einen globalen Trend hin zu einer hyper-inegalitären Wirtschafts- und Sozialordnung: Nachdem „die Reichen“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen relativen Rückgang ihrer Positionen erlebten, holten sie diesen im Zuge der neoliberalen Wende seit den 1970er/80er-Jahren wieder auf.[41] In manchen Weltregionen kam es zu einem regelrechten Boom der Ungleichheit, wobei die steilen Anstiege der entsprechenden Werte in den USA und Großbritannien noch weit übertroffen wurden von der russischen Entwicklung zu einer hyperlibertären Oligarchie oder den extremen sozialen Verhältnissen in den Golfstaaten.[42]

 

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Grafik mit fünf Linien, die alle steil nach oben gehen.
„Per adult national income: Russia vs West. Europe, 1870-2016“, in: Filip Novokmet/Thomas Piketty/Gabriel Zucman, From Soviets to Oligarchs: Inequality and Property in Russia 1905-2016. WID.world Working Paper Series No 2017/10, Figure B2, S. 36, https://wid.world/document/appendix-soviets-oligarchs-inequality-property-russia-1905-2016-wid-world-working-paper-201710/ [25.02.2025]. Quelle: Wikimedia Commons [25.02.2025]

 

Speziell in der Bundesrepublik zeigt sich bei den Spitzeneinkommen der oberen 1 Prozent nicht nur eine große Kontinuität über 1945 hinaus, sondern auch eine besonders hohe Konzentration, die seit den späten 1990er- und 2000er-Jahren weiter anstieg.[43] Statt der vermeintlichen Stabilität der Ungleichheitsverhältnisse, von denen in sozialgeschichtlichen Analysen häufig die Rede war, deuten neuere statistische Studien schon für die Zeit des „Wirtschaftswunders“ auf eine zunehmende Spreizung der Einkommen hin.[44] Bei der Analyse nach Dezilen zeigen sich seit Mitte der 1980er-Jahre erneut überproportionale Einkommenszuwächse bei den reichsten 10 Prozent.[45]

Auch im Hinblick auf die Vermögensungleichheit ist im 20. Jahrhundert in vielen westlichen Gesellschaften zunächst ein relativer Rückgang und seit den 1980er-Jahren ein deutlicher Wiederanstieg zu verzeichnen.[46] Im internationalen Vergleich wies die Bundesrepublik durchgehend eine besonders hohe Vermögenskonzentration auf: 1960 ermittelte der Ökonom Wilhelm Krelle, dass 1,7 Prozent der Bevölkerung ganze 35 Prozent des Produktivvermögens besaßen, und für 2019 ergab der verbesserte SOEP (Sozio-oekonomisches Panel)-Survey für die oberen 1 Prozent wiederum einen Anteil von 35 Prozent, allerdings am Gesamtvermögen.[47] Bei den oberen 1 Prozent handelt es sich überwiegend um Unternehmer und nicht nur in Deutschland disproportional häufig um weiße Männer, wie neue Forschungen gezeigt haben, die mittlerweile für Fragen nach intersektionalen Ungleichheitsverhältnissen sensibilisiert sind.[48]

 

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Infografik mit zwei in Rot gezeichneten Männern links und mehreren in Blau gezeichneten Frauen rechts
Die reichsten 252 Männer haben mehr Vermögen als alle 1 Milliarde Frauen und Mädchen in Afrika, Lateinamerika und der Karibik zusammen. Quelle: Oxfam 2022; Infografik: ungleichheit.info Visuals, https://ungleichheit.info/de/visuals [25.02.2025], Lizenz CC BY-NC 4.0

 

Die steigende Tendenz bei der Konzentration der Einkommen und Vermögen hat auch historische Gründe.[49] Hierzu zählen vor allem die ungleichen Wirkungen von Erbschaften, die bestehende Disparitäten durch Prozesse der Vermögensakkumulation langfristig reproduzieren und verstärken.[50] Die Effekte dieser weit zurückreichenden Akkumulationsprozesse sind an Jahr für Jahr steigenden Gesamtvolumina von Erbschaften ablesbar.[51] Dies war freilich eine westdeutsche Entwicklung, während der Vermögensbildung im Staatssozialismus enge Grenzen gesetzt waren, was bis heute eine wichtige historische Ursache für weiter bestehende Ungleichheiten zwischen west- und ostdeutschen Privathaushalten ist.[52] 

 

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Zwei Bilder eines Katalogs: links: eine Familie neben einem Wartburg; rechts ein Schwimmbecken im Garten
Genex-Katalog 1986. Die Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH (Genex; später Genex Geschenkdienst GmbH) wurde 1956 auf Anordnung der DDR-Regierung gegründet und avancierte zu einer der wichtigsten Devisenquellen. Diente Genex anfangs nur als Geschenkdienst für Kirchengemeinden in der DDR, wurde das Geschäft schließlich so ausgeweitet, dass auch Privatpersonen aus der Bundesrepublik, der Schweiz und Dänemark Geschenke an Bürger:innen in der DDR versenden konnten. Quelle: Genex-Katalog 1986, https://archive.org/details/genexhauptkatalog1986/mode/2up [25.02.2025]

 

Im Westen wiederum potenzierte das Aufkommen des digitalen Finanzmarktkapitalismus seit den 1970er/80er-Jahren die Möglichkeiten zur Anhäufung von Vermögen.[53] Solche Einsichten unterstreichen nicht nur die überragende Bedeutung von Vermögen als Quelle des Reichtums und die Rolle der Familie, sondern haben in den Sozialwissenschaften auch das Bewusstsein für die Relevanz historischer Prozesse für heutige Ungleichheitsverhältnisse verstärkt – der britische Soziologe Mike Savage zum Beispiel spricht in diesem Zusammenhang vom „Gewicht der Vergangenheit“.[54]

Neben der ökonometrischen Forschung fächerte sich seit den 1990er-Jahren auch die qualitative Reichtumsforschung immer weiter auf.[55] Diese fragt zunächst nach dem heterogenen Sozialprofil und den Sozialbeziehungen der Reichen sowie nach Herkunft, Verwendung und Erhaltung ihres Reichtums.[56] In Hinblick auf ihr Handeln wurde in manchen Studien ihr gesellschaftliches Engagement betont, in anderen ihr klimafeindliches Konsumverhalten.[57] Zur Einbettung in die jeweilige Wirtschafts- und Sozialordnung wurde das Konzept der Reichtumskultur vorgeschlagen – eine historisch wandelbare Matrix sozialer Normen und Konventionen, die bestimmen, wie Reichtum in der Gesellschaft legitimiert und repräsentiert werden kann.[58]

Dass sich Reiche durch demonstrative Lebensstile und Konsumpraktiken distinguieren, zeigen kultursoziologische Forschungen: Dabei orientieren sich die Reichen nicht nur an gesellschaftlichen Normen, sondern können diese auch selbst prägen, insbesondere im Zeitalter von Massenmedien und Social Media.[59] Ein Beispiel für solche Leitbilder sind Selbstinszenierungen bestimmter Körperästhetiken wie gebräunte Haut und gebleichte Zähne, die Gesundheit, Wohlstand und Leistungsfähigkeit demonstrieren sollen.[60] Umgekehrt wird durch Umfrageforschung und Medienanalysen untersucht, wie Reiche in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen und dargestellt werden.[61] Allerdings liegen bislang vergleichsweise wenige sozialwissenschaftliche Umfragen über die Einstellungen breiterer Bevölkerungsgruppen gegenüber den „Reichen“ vor, was die späte Entwicklung des Forschungsinteresses an diesem Thema widerspiegelt.[62]

Sowohl die Symbolik als auch die Materialität von Reichtum offenbart sich in der Sozialgeografie, in der sich Reiche in Villenvierteln oder Gated Communities abschotten und zunehmend auch den übrigen Wohnungsmarkt als Investoren beherrschen.[63] Nicht nur wegen ihrer Kontrolle über Städte wie London sind „die Superreichen“ als eigene Gruppe in den Fokus der Forschung gerückt.[64] Daneben stellt sich auch die Frage, inwieweit sie ihre ökonomische Macht in politischen Einfluss ummünzen können und damit Demokratien unterlaufen oder das kapitalistische System zu ihren Gunsten verändern.[65]

Die gesellschaftliche Stellung der Reichen und Superreichen basiert laut Thomas Piketty in historischen Ungleichheitsregimen auf veränderbaren Konstellationen in der Eigentumsordnung, dem Steuerregime, dem Bildungssystem und der politischen Kultur.[66] Neben den Bedingungsfaktoren für Reichtum innerhalb von Nationalstaaten werden auch die grenzüberschreitenden Bewegungen, Praktiken und Netzwerke der Reichen untersucht, denen sich im Zuge des Globalisierungsschubs seit den 1990er-Jahren neue Entfaltungsmöglichkeiten eröffneten.[67] Diese werden in engem Zusammenhang mit dem Wachstum des Finanzsektors betrachtet, das mit dem Anstieg der Ungleichheit in vielen Gesellschaften korreliert, auch weil Beschäftigte und Manager im Finanzsektor Spitzeneinkommen kassierten.[68] Inwieweit diese Entwicklungen auch zur Entstehung einer neuen globalen Wirtschaftselite geführt haben, bleibt allerdings umstritten.[69]

 

3.2 Historische Forschung

Während sich in den Sozialwissenschaften seit den 1990er-Jahren ein eigenes Forschungsfeld zu „Reichtum“ etablierte, blieb eine solche Entwicklung in den Geschichtswissenschaften lange aus. In den historischen Wissenschaften westlicher Staaten entstanden eher kompartmentalisierte nationale und zeitlich versetzte Forschungsinteressen und Zugänge zu dem Thema. Wichtige Impulse gingen dabei von Forschungen in den USA aus, die „Reichtum“ im Rahmen der neu entstandenen „Historical Sociology“ in den 1960er-Jahren als eigenes Thema und als Sozialphänomen entdeckten.[70] In diesem Kontext erschienen nicht nur zahlreiche Studien zu reichen Individuen, Familien oder Dynastien,[71] sondern auch verstärkt interdisziplinäre Reflexionen darüber, welche Rolle Vermögensungleichheit für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt spielte.[72] Arbeiten von Historikern wie Frederic Cople Jaher, Edward Pessen oder historisch arbeitende Ökonomen wie Lee Soltow setzten sich auch aus historischer Perspektive mit Klassenfragen auseinander und verstanden „Reichtum“ in diesem Kontext als zentrales Strukturmerkmal von Gesellschaften, das expliziter erforscht werden sollte.[73]

Angeregt von den Studien in den USA begannen sich dann in den späten 1970er- und verstärkt in den 1980er-Jahren auch europäische Wissenschaftler:innen mit „Reichtum“ intensiver auseinanderzusetzen, insbesondere Sozialhistoriker:innen in Frankreich und Großbritannien. Einen zentralen Beitrag hierzu leistete der aus den USA stammende und dort auch ausgebildete Historiker William D. Rubinstein, der in den 1970er-Jahren zunächst in England, dann Australien, später schließlich in Wales lehrte.[74] Er veröffentlichte nicht nur eigene Studien, die qualitative und quantitative Ansätze verbanden, sondern begann auch vergleichende Perspektiven einzubeziehen und Wissenschaftler:innen aus Frankreich, Italien und den USA ins Gespräch zu bringen.[75]

Eine wichtige Grundlage für diese Forschungen stellten vor allem quantitative Daten wie Reichenlisten, Nachlassakten oder Personenstandsdaten aus öffentlichen Meldeämtern dar. Auch wenn bereits zu dieser Zeit eine problematische Datenlage zu „Reichtum“ beklagt wurde,[76] ließen die Quellen detaillierte Aussagen zu: Sie zeigten die extreme Zunahme von Vermögensbesitz diesseits und jenseits des Atlantiks seit den 1880er-Jahren, die Binnenstrukturen des Vermögens in Großbritannien, vor allem das Verhältnis von Landbesitz und anderen Kapitalsorten, sowie die Sozialstrukturen der vermögenden Klasse. Im Hinblick auf den letzteren Ansatz lag ein besonderer Fokus auf Fragen der Konfession, was sicher auch mit dem akademischen Hintergrund vieler einschlägiger Autor:innen in den Jewish Studies zusammenhing.[77] Ein weiteres Kennzeichen dieser Forschungen war, dass sich viele Studien noch bis in die 1990er-Jahre auf die Epoche zwischen 1870 und 1914 konzentrierten, in der nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa die großen Vermögen entstanden waren.[78]

Dieselbe Konzentration auf die Zeit vor 1918 lässt sich auch für die deutsche historische Forschung feststellen, die vereinzelt in den späten 1980er- und dann verstärkt in den 1990er-Jahren an die Forschungen aus Großbritannien und den USA anknüpfte. Wichtige Beiträge entstanden zum großen Teil in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – im Unterschied zu den geschilderten Entwicklungen in den Sozialwissenschaften und der historischen Forschung in den USA und Großbritannien, allerdings kaum im Rahmen eines eigenen Forschungsfelds, sondern eher als beiläufiges Thema in verschiedenen Forschungskontexten. Die historische Wissenschaft überließ das Feld gerade in der Bundesrepublik der 1960er- bis in die 2000er-Jahre eher den Journalisten und Journalistinnen. In anekdotisch geprägten und auf einzelne Biografien zugeschnittenen Porträts veröffentlichten sie zahlreiche Bücher für ein breites Publikum zu Themen, die nun als Quelle einer neuen historischen Reichtumsforschung historisiert werden können.[79] In geschichtswissenschaftlichen Arbeiten war Reichtum vielmehr als Rahmenbedingung personalisierter Geschichten präsent, wie beispielweise in Studien zu Unternehmer:innen, Bürger:innen oder Mitgliedern des Adels, oder als wichtiges Merkmal einer Sozialstruktur im Rahmen von Forschungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte.

Einen wichtigen Beitrag hierzu lieferte die Bürgertums- und Adelsforschung, die sich mit der Frage von Elitenbildung beschäftigte und hierbei auch familiensoziologische und mikrohistorische Perspektiven einband.[80] Heinz Reif prägte für die Adelsgeschichte den Begriff einer „Sozialgeschichte von Oben“.[81] Die (kollektiv-)biografiegeschichtlichen Zugriffe auf Individuen, Familien oder Dynastien der Bürgertumsforschung rückten in diesem Kontext Fragen nach dem sozialen Zusammenhalt, der Lebensführung, den gemeinsamen Werten einzelner sozialer Akteursgruppen sowie ihrer Abgrenzung zueinander in den Mittelpunkt.[82]

Die Arbeiten lieferten damit bereits wichtige Perspektiven, auch wenn „Reichtum“ vordergründig als zentrale Differenzierungskategorie zwischen dem Besitz- und dem Bildungsbürgertum sowie dem Adel fungierte und nicht als eigenes Strukturmerkmal in den Blick geriet. Fragen nach Klassenbildung und Sozialstrukturen spielten hierbei keine „nennenswerte Rolle“,[83] und nur selten erweiterten die Arbeiten den Blick auf das 20. Jahrhundert. Ein deutlicher Schwerpunkt lag auf der Sozialstruktur vermögender Unternehmer während der Kaiserzeit.[84] Nicht zuletzt als Erklärungsansatz der viel diskutierten „Sonderwegsthese“ gingen diese Arbeiten der Bedeutung der Feudalisierung des Bürgertums nach und diskutierten in diesem Kontext die Bedeutung ökonomischen Kapitals.[85]

Basis dieser Studien war das von Rudolf Martin 1912 herausgegebene „Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Preußen“.[86] Arbeiten von Hartmut Kaelble,[87] Hartmut Berghoff[88] oder Willi A. Boelcke[89] konnten daran eindrücklich zeigen, dass die reichste Gruppe um 1900 sich aus Unternehmern zusammensetzte, die einen „eigenen Lebensstil“ herausbildeten, der sich sowohl vom klassischen Bürgertum als auch vom Adel unterschied, und die – anders als lange Zeit angenommen – gerade nicht in den Adel strategisch einheirateten. Hartmut Berghoff prägte in diesem Kontext 1995 den Begriff der Vermögenseliten.[90] Nicht die Bürgerlichkeit, sondern den ökonomischen Besitz verstand er hierbei als Kennzeichen einer sozialen Gruppe und verschob damit den Fokus hin zu der Frage, welche Rolle Reichtum und Vermögen für diese Klasse spielten.[91]

Berghoff griff damit ein Thema auf, das schon in der Dissertation von Dolores Augustine eine zentrale Rolle spielte.[92] Obwohl die 1994 erschienene Arbeit Teil eines von Hartmut Kaelble geleiteten Forschungsprojekts zu Millionären war, wurde sie in der Rezeption bezeichnenderweise nicht in den Kontext der Studien aus den USA und Großbritannien aus derselben Zeit eingeordnet und kaum als Beitrag zur Geschichte der Vermögensungleichheit oder sozialen Mobilität gelesen, sondern weiterhin als Beitrag zur Bürgertumsforschung verstanden.[93] Solche frühen systematischen Bemühungen, die auch vergleichend argumentierten und sich an Ergebnissen der internationalen historischen und soziologischen Reichtumsforschung der 1990er-Jahre orientierten, blieben aber die Ausnahme und wurden zudem nicht als Perspektiven der Zeitgeschichte übernommen und methodisch weiterentwickelt.

Reichtum als Strukturmerkmal einer Ungleichheitsgeschichte rückte parallel zu solch einer stark an Akteursgruppen interessierten Forschung ebenfalls in den 1990er-Jahren in den Blick: auf der einen Seite in quantitativen Analysen von Wirtschaftshistoriker:innen zu den Vermögensverhältnissen,[94] auf der anderen Seite als Perspektive einer Gesellschaftsgeschichte, wie sie sich aus der in den 1960er- und 1970er-Jahren entstandenen „Bielefelder Schule“ heraus entwickelt hatte.[95] Reichtum war hierbei Teil eines größeren Ungleichheitsgeschehens, das Reflexionen über gesellschaftliche Positionen und Macht einschloss. Hartmut Kaelble widmete sich in verschiedenen Publikationen diesem Thema, zog auch immer wieder internationale, europäische und transatlantische sowie diachrone Vergleiche. Mit Blick auf Europa beschreibt er die 1950er- bis 1970er-Jahre als eine Zeit abnehmender Ungleichheit, die seit den 1980ern von einer „Ära der Wiederzunahme“ abgelöst wurde.[96] Hans-Ulrich Wehler wiederum hat die stabile und hohe Konzentration der Einkommens- und Vermögensungleichheit in der gesamten Geschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland betont.[97] In solchen Analysen übernahmen Historiker:innen die von den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften produzierten Sozialdaten häufig weitgehend unhinterfragt, bis sich in jüngster Zeit eine kritischere Auffassung etablierte (vgl. auch unten, 4.4).[98]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die deutsche Geschichtswissenschaft lange Zeit aus den in den Sozialwissenschaften geführten Begriffs- und Definitionsdebatten auffällig herausgehalten hat. Dies gilt nicht nur für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, sondern insbesondere für die Kulturgeschichte, die Fragen nach sozialen Ungleichheiten als Thema aus ihren Analysen lange Zeit ausgegrenzt hatte.[99] Erst Anfang der 2010er-Jahre setzten Diskussionen über das Sozialphänomen unter Historiker:innen als ein eigenes Forschungsfeld ein. Es wurden Themenhefte[100] und Sammelbände[101] zu Reichtum herausgegeben, Konferenzen[102] und Sektionen beim Historikertag[103] zum Thema veranstaltet, und die sechsten Schweizerischen Geschichtstage 2019 waren sogar explizit diesem Begriff gewidmet.[104] Es entsteht derzeit ein immer vielfältiger werdendes Forschungsfeld, das auch den Dialog zwischen den einzelnen Subdisziplinen der Geschichtswissenschaft sucht und produktiv nutzt. Im Folgenden sollen vier aktuelle Zugänge zu dem Themenfeld „Reichtum“ vorgestellt werden, die für die Geschichtswissenschaften produktive zukünftige Perspektiven eröffnen.

 

4. Aktuelle Ansätze einer historischen Reichtumsforschung

4.1 Wissen und Wissenschaften

Gesellschaftliche Diskurse über Reichtum bauten insbesondere im 20. Jahrhundert häufig auf Wissensbeständen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften auf, die einflussreiche Bilder bestehender Sozialordnungen produzierten.[105] Besondere Bedeutung kam dabei Statistiken über die personelle Einkommens- und Vermögensverteilung zu, die es ermöglichten, Reichtum zu vermessen und sichtbar zu machen. Die produzierten Zahlen wurden indes nicht nur von zeitgenössischen Kommentator:innen aufgegriffen, sondern auch von späteren Historiker:innen, welche die Daten nutzten, um historische Sozialstrukturen zu rekonstruieren.

In jüngster Zeit hat sich indes eine kritischere Auffassung durchgesetzt.[106] Demnach stellen Statistiken keine „objektiven“ Messungen dar, sondern sind komplexe zeitgenössische Konstrukte, die von der jeweiligen Gesellschaft geprägt werden und zugleich das Bild der Gesellschaft von sich selbst prägen (Co-Konstruktion von Statistik und Gesellschaft).[107] Zudem weisen sie häufig Defizite auf, besonders im Bereich des Reichtums, der in freiwilligen Haushalts-Surveys häufig unterschätzt wurde.[108] Solche Einsichten haben Historiker:inen dafür sensibilisiert, dass historische Sozialdaten nicht nur eingehender Quellenkritik bedürfen, sondern mit ganz eigenen interessanten Geschichten verbunden sind und selbst relevante Forschungsgegenstände darstellen.

Hierzu hat sich eine Forschungsperspektive entwickelt, die sich mit Fragen und Methoden der Wissensgeschichte zur Analyse der gesellschaftlichen Produktion und Zirkulation von Wissen über Sozialstrukturen und Ungleichheitsverhältnisse auseinandersetzt.[109] So wurde in einer neuen Studie zu Großbritannien herausgearbeitet, dass die Wissensproduktion über ökonomische Ungleichheit von wandelbaren Wissensregimen abhing: Die Vermessung der Vermögenskonzentration wurde hier erst während der Hochphase sozialdemokratischer Politik in den 1970er-Jahren entschieden vorangetrieben, ab 1979 unter Thatcher aber wieder eingeschränkt.[110] Auch zur deutschen Geschichte liegen bereits Forschungsergebnisse vor. Hier ermöglichte die Einführung von Einkommens- und Vermögensteuern seit dem 19. Jahrhundert nicht nur die Generierung umfassenden Regierungswissens, sondern auch „eine sehr viel präzisere Quantifizierung von Armut und Reichtum als zuvor“; zudem befeuerte das Wissen über die Umverteilungseffekte der Steuerpolitik die öffentlichen Debatten über eine gerechtere Gesellschaftsordnung.[111] Eine ähnliche Wirkung bezweckte der Regierungsbeamte und Publizist Rudolf Martin, als er von 1911 bis 1914 auf der Basis von Steuerstatistiken detaillierte Listen von Millionären veröffentlichte.[112]

In der Bundesrepublik blieb die Zahl der Millionäre lange unbekannt und das Wissen über die Vermögenskonzentration sehr lückenhaft, bis seit den späten 1950er-Jahren detaillierteres Wissen verfügbar wurde und öffentliche Debatten angestoßen worden.[113] Die Hauptquellen, die Einkommens- und Verbrauchsstichproben (seit 1962/63) sowie die Vermögensteuerstatistik, waren jedoch in puncto Reichtum nur begrenzt aussagekräftig, und der Staat investierte zunächst kaum in Verbesserungen.[114] Auch die vorhandenen Statistiken über Vermögenstransfers durch Erbschaften waren „dürftig“, obwohl sie größere Trends wie das ansteigende Erbvolumen anzeigten.[115] Zwar ebbte das öffentliche Interesse an der Vermögensverteilung in den 1970er-Jahren wieder ab, doch wurden in den 1980er-Jahren u.a. mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP, ab 1984) wichtige Grundlagen für die heutige Reichtumsforschung geschaffen.[116] Die Debatten um Reichtum wurden also lange von weitreichendem Nichtwissen geprägt – ähnlich wie auf anderen Themenfeldern der sozialen Ungleichheit wie zum Beispiel der gesundheitlichen Ungleichheit, wie weitere Forschungen zeigen.[117]

 

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Roter Zahlenzähler auf grünem Grund
Friedrich-Ebert-Stiftung „Erbschaftsteueruhr“ [Stand: 04.03.2025, 18.30 Uhr]. „So viel kosten uns die Privilegien von Überreichen bei der Erbschaftsteuer in Deutschland seit 2009“. Friedrich-Ebert-Stiftung, Erben verpflichtet! #FairErben, https://www.fes.de/finanzpolitik/erben-verpflichtet-erbschaftsteueruhr [25.02.2025]

 

4.2 Diskurse und Repräsentationen

Viele neuere Studien nehmen massenmediale Repräsentationen und Diskurse in den Blick, die im 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle bei der gesellschaftlichen Wahrnehmung von „Reichtum“ spielten. Diese Studien fassen Massenmedien als wichtige meinungsbildende Institutionen auf, welche die sozialen Vorstellungswelten von Reichtum in der Öffentlichkeit nicht nur ausstellten, sondern eben auch aushandelten und darauf zurückwirkten.[118] So konnte die Historikerin Anne Kurr anhand der Debatten um Vermögensverteilung und Vermögenspolitik in der Bundesrepublik zeigen, dass es Phasen intensiver und weniger intensiver Auseinandersetzungen gab und vor allem wie eng dabei die Diskurse in verschiedenen Arenen verbunden waren: Wissenschaftlich generiertes Wissen, massenmediale Repräsentationen und politisches Handeln hingen miteinander zusammen und reagierten aufeinander. Gerade zu Beginn der 1960er-Jahre kam es nach einer verstärkten Berichterstattung zu einer politischen Auseinandersetzung mit Vermögensungleichheit und Reichtum. Das Finanzministerium finanzierte sogar wissenschaftliche Studien, die jedoch nicht zu Gesetzesänderungen führten. Denn die Phase der intensiven Auseinandersetzung endete mit der Wirtschaftskrise 1973/74 – und damit auch das politische Interesse an der Analyse ungleicher Vermögensverhältnisse.[119] Der Historiker Ronny Grundig machte ebenfalls deutlich, dass über die Erbschaftspolitiken in den 1960er- und 1970er-Jahren intensiv öffentlich diskutiert wurde, diese Diskussionen aber ebenfalls nur zu einer „moderaten Anpassung“ in der Steuerpolitik unter der sozialliberalen Koalition führten.[120]

Gerade die Analysen der massenmedialen Diskurse weisen zudem darauf hin, wie zentral die Sichtbarkeit bzw. die Sichtbarmachung von „Reichtum“ und damit die Visualität des Sozialphänomens ist. Georg Simmel und auch Thorstein Veblen betonten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Reichtum ein soziales Demonstrationsphänomen sei: Viele aus dieser Gruppe wollten zeigen, dass sie zu den Reichen gehörten.[121] Mit dem Sozialphänomen sind insbesondere bestimmte Konsumpraktiken verbunden, was nicht zuletzt an der Visualität von Reichtum in Fotografien mit Booten, Villen und Autos deutlich wird. Dabei konnten neuere Arbeiten zeigen, dass diese Sichtbarkeit von Reichtum und der darin zum Ausdruck kommende starke Repräsentationswillen gerade in Deutschland nicht selten mit Strategien der Unsichtbarmachung und der Zurückhaltung einhergingen.[122]

Solche Selbstinszenierungen korrespondierten stets mit normativen Fremdwahrnehmungen der „Reichen“ in der übrigen Gesellschaft. Wie neuere Forschungen zeigen, wandelten sich gesellschaftliche Einstellungen zu Reichtum im Lauf der Zeit. Im Mittelalter galt übermäßiger Reichtum oft als moralisch fragwürdig, doch genossen Reiche hohes Ansehen, wenn sie sich großzügig zeigten, insbesondere in Krisenzeiten. Die Bereitschaft reicher Eliten, zum Gemeinwohl beizutragen, habe in der Moderne aber zunehmend abgenommen, wie der Wirtschaftshistoriker Guido Alfani mit Blick auf die Finanzkrise 2008 oder die COVID-19-Pandemie argumentiert.[123] Wie Fremdzuschreibungen und Repräsentationsarbeit als Bestandteile von „Reichtumskulturen“ zusammenwirkten, bedarf weiterer Forschung.[124] Auch liegen bisher wenige Arbeiten dazu vor, die solche Inszenierungen mit Blick auf Geschlecht oder Ethnizität lesen oder die eine Verbindung zur Körpergeschichte explorieren.[125] Dies scheint ein lohnendes Forschungsfeld zu sein, das in Zukunft noch weitere Aufmerksamkeit verdient.

 

4.3 Alltagspraktiken und Geldpraktiken

An die Diskussionen zur Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit seit dem 19. Jahrhundert, die vor allem der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty angestoßen hat, schloss sich in den letzten Jahren die Frage an, wie es zu einer solchen Konzentration von Vermögen über Jahrhunderte kommen konnte. Schließlich konnte auch Guido Alfani zeigen, dass die Konzentration von Reichtum bei einer kleinen Elite ein konstantes Muster in der westlichen Geschichte bildete. Es habe zwar vorübergehende Einschnitte gegeben – etwa durch die Pest im Mittelalter oder die beiden Weltkriege –, aber langfristig seien die Reichen stets in der Lage gewesen, ihre Vormachtstellung immer wieder zurückzugewinnen. Die dominierenden Formen des Wohlstands hätten sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, von Landbesitz im Mittelalter über Handel und Industrie in der Moderne bis hin zu Technologie- und Finanzwirtschaft in der Gegenwart. Die Frage, wie es gelang, Vermögenswerte über lange Zeiträume und Umbruchphasen hinweg zu erhalten, lenkt den Blick auf die Praktiken und Mechanismen der Vermögensbewahrung. Während die Juristin Katharina Pistor die Rolle des Rechts bei der Vermögenssicherung betont und danach fragt, inwieweit juristische Akteure entscheidenden Anteil daran hatten,[126] wiesen andere in ihren Studien auf die Bedeutung von Erbschaften hin.[127]

Erbschaft ist zweifelsohne ein wichtiger Motor von Ungleichheit und widerspricht zudem in besonderer Weise dem Leistungsideal der bürgerlichen Gesellschaft.[128] Derzeit entwickeln sich unterschiedliche Perspektiven auf dieses Thema auch in der Geschichtswissenschaft. In den Blick geraten Fragen nach Steuerpolitiken genauso wie Praktiken der Erbregelung sowie quantitative Analysen zur Verteilung von Erbschaften im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Erbschaft wird hierbei ganz gezielt nicht als ein kurzer Zeitraum von Vermögensübertragung verstanden, sondern auch als langfristiger Prozess der Vermögenssicherung. Dabei scheint besonders interessant, dass Vermögende offenbar einen deutlich größeren Handlungsspielraum hatten und sich in ihren Erbübertragungen deutlich von anderen Gesellschaftsteilen unterschieden. Während etwa die untere Hälfte der Bevölkerung bis heute ohnehin kaum über nennenswerte Vermögen verfügt, unterschieden sich die Vermögensportfolios reicher Personen zum einen in ihrer Zusammensetzung und den enthaltenen Vermögensformen. Zum anderen verfügen Reiche auch über die nötigen Mittel, um Dienstleistungen spezialisierter Rechtsanwält:innen und Berater:innen in Anspruch zu nehmen, so dass sie vielfältige Strategien entwickeln konnten, um ihr Vermögen zu bewahren und eine möglichst verlustlose Weitergabe zu gewährleisten, zum Beispiel durch Stiftungen, Trusts und Nachlassplanungen.[129]

 

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Foto einer Musikkapelle und eines Reiters auf einem Schimmel vor einer Villa
Der Staatspräsident von Togo, Olympio, zu Besuch bei der Firma Krupp in der Villa Hügel, Essen, 17. Mai 1961. Fotograf: unbekannt. Quelle: Bundesarchiv B 145 Bild-F010289-0011 / Wikimedia Commons, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

 

Die Historikerin Simone Derix nahm das Vermögenshandeln der Familie Thyssen in den Blick und konnte daran exemplarisch zeigen, wie es diesen auf der einen Seite durch internationale Vernetzung, auf der anderen Seite durch professionelle Hilfe von „Hidden Helpers“,[130] d.h. einer Vorform von Vermögensberatern, gelang, über die Zäsuren des 20. Jahrhunderts hinweg Vermögen zu akkumulieren und zu bewahren. Solche Formen von strategischen Erbschafts- und Vermögenspraktiken zeigten sich auch für weniger exponierte Familien, die Steuergesetze steuervermeidend auslegen konnten und nicht zuletzt von der Internationalisierung der Finanzindustrie im 20. Jahrhundert profitierten.[131] Solche Befunde scheinen besonders interessant, da große Erbschaftsreformen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts größtenteils ausblieben, auch wenn es Gesetzesmodifikationen durch einen Wandel des Familienverständnisses gab.[132] Inwiefern solche Geldpraktiken der Vermögenssicherung auch Normen und Vorstellungen über Reichtum selbst prägen, sind Fragen, die zukünftig ergiebige Forschungsperspektiven für die Zeitgeschichte eröffnen.[133]

Ein zweiter Fokus jüngerer Forschung liegt auf den Alltagspraktiken und den Lebenswelten meist einzelner vermögender Familien. Hierbei wird nicht nur die Mobilität der Reichen in den Blick genommen, sei es durch internationalen Immobilienbesitz, saisonale Aufenthaltsorte[134] oder die Bewegungsmittel,[135] sondern auch das lokale Handeln und damit verbundene Distinktionsprozesse.[136] Besonders interessant ist, dass einige Studien dabei auch den Blick über demokratische und kapitalistische Gesellschaften hinaus erweitern. So liegen bereits erste Ergebnisse zu den deutschen Diktaturen vor, die den kulturell konstruierten Charakter von „Reichtum“ in besonderer Weise unter Beweis stellen und dieses Sozialphänomen damit nicht nur als eine Form von ökonomischem Besitz, sondern auch als Handlungs- und Gestaltungsmacht verstehen.[137] Trotz der Betonung von Unterschieden beim Konsum oder bei den gesellschaftlichen und politischen Legitimitätsvorstellungen konnten solche Arbeiten ebenfalls die sozialen Schließungsmechanismen dieser sozialen Gruppe aufzeigen, die sich an historisch gewachsenen Praktiken des „bürgerlichen Wertehimmels“ orientierten.[138]

 

4.4 Sozialdaten und Sozialstrukturen

Mit der Analyse materieller Lebenswelten verbinden sich Fragen nach materiellen Ungleichheitsverhältnissen und Sozialstrukturen. Hierzu ist die Forschung auf historische Sozialdaten angewiesen, bei denen es sich, wie bereits dargelegt, um kulturelle Konstrukte der jeweiligen Zeit handelt. Während es in der oben diskutierten Forschung (4.1) vor allem darum geht, die Genealogien und diskursiven Wirkungen dieser Konstrukte zu analysieren, geht es bei der historischen Sozialstrukturanalyse um die materiellen, also die quasi „realen“ sozialen Verhältnisse. Schließlich gehen Historiker:innen davon aus, dass historische Statistiken trotz ihres Konstruktionscharakters einen gewissen „Realitätsgehalt“ besitzen und für sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Analysen vergangener Sozialstrukturen unverzichtbar bleiben.[139] So wurde festgestellt, dass historische Vermögensteuerstatistiken „ein erhebliches Erkenntnispotential“ bieten, um die langfristige Entwicklung von Reichtum, Vermögensformen und das Sozialprofil der Reichen im 20. Jahrhundert zu analysieren.[140] Mit ähnlichen administrativen Datenquellen rekonstruierte die Sozialhistorikerin Sonja Niederacher die Vermögensverhältnisse der reichen Minderheit unter der jüdischen Bevölkerung Wiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.[141]

Insbesondere die detaillierten Täterdokumente der nationalsozialistischen Enteignungspolitik ab 1938 bieten eine große Datenfülle, die auch genderspezifische Muster der Vermögensakkumulation erkennbar werden lässt und gleichzeitig antisemitische Klischees widerlegt. Zuletzt wurden auch bislang ungenutzte Erbschaftsteuerakten vermehrt verwendet, um neue Einblicke in die Vermögensverteilung in diversen Gesellschaften zu gewinnen.[142] Weitere aktuelle Forschungen zu sozialen Ungleichheiten stützten sich auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), das auch für die historische Reichtumsforschung genutzt werden könnte.[143] Für diese bietet das anhaltende Forschungsinteresse an historischen Sozialdaten vielfältige Anschlussmöglichkeiten.[144]

Daneben floriert eine rege Forschung an der Schnittstelle von Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftswissenschaften zu strukturellen Trends in der ökonomischen Ungleichheit, die große Berührungspunkte mit dem neuen Forschungsinteresse an Reichtum aufweist. Hierzu zählt u.a. die Forschung von Thilo Albers, Charlotte Bartels und Moritz Schularick, die Trends in der Vermögenskonzentration in Deutschland im 20./21. Jahrhundert untersucht haben.[145] Ihre Analyse zeigt eine Abmilderung der Vermögensungleichheit in der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis in die frühe Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, bevor es zu einem deutlichen Wiederanstieg der Vermögenskonzentration seit den 1990er-Jahren kam. Die Entwicklungen auf der materiellen Ebene mit der Geschichte kultureller Praktiken und Diskurse in Verbindung zu bringen, wäre eine Aufgabe für die künftige historische Forschung.

 

5. Schluss

Bis in die jüngste Zeit spielte „Reichtum“ in der Geschichtswissenschaft eine eher beiläufige Rolle. Reiche tauchten zwar immer wieder in Gestalt von Herrschern oder Unternehmern auf, doch ihr Reichtum stand nicht im Zentrum des geschichtswissenschaftlichen Interesses. Mit Aufkommen der modernen Sozialgeschichte entwickelte sich ein verstärktes Forschungsinteresse an Fragen der sozialen Ungleichheit, das auch den Blick auf die Spitzen der Einkommens- und Vermögenspyramiden lenkte, allerdings beschränkte sich der Fokus weitgehend auf sozialstrukturelle Perspektiven. Seit den 2010er-Jahren haben Historiker:innen die soziale Ungleichheit schließlich auch als kulturhistorisches Thema wiederentdeckt, und damit zugleich die Geschichte des Reichtums.

Die neue kulturhistorische Forschung zu sozialer Ungleichheit und Reichtum lehnt sich eng an sozialwissenschaftliche Forschungen an; zugleich gehört die Historisierung der sozialwissenschaftlichen Wissensproduktion zum Forschungsprogramm, das auf der Prämisse aufbaut, dass „Reichtum“ ein kulturelles Konstrukt darstellt. Dementsprechend kombiniert die neue historische Reichtumsforschung wissensgeschichtliche, diskursgeschichtliche, praxeologische und sozialgeschichtliche Ansätze. Sie historisiert das sozialwissenschaftliche und statistische Wissen, durch das Reichtum sichtbar gemacht wurde oder bei fehlendem Wissen unsichtbar blieb; sie rekonstruiert die kulturellen Images von Reichtum sowie die politischen Diskurse, durch die Reichtum legitimiert oder in Frage gestellt werden konnte; sie beleuchtet die Lebenswelten und die Praktiken, die reiche Eliten anwandten, um ihren Reichtum und Einfluss zu erhalten und auszubauen. Damit wird zugleich deutlich, dass Reichtum nicht nur auf symbolischen Ebenen zu untersuchen ist, sondern auch auf materiellen Ebenen: Die strukturellen Trends in der Entwicklung von Reichtum sind Gegenstand aktueller sozialhistorischer, wirtschaftsgeschichtlicher und ökonomischer Forschungen.

Diese verschiedenen Ansätze weiterzuentwickeln und miteinander in Verbindung zu bringen, wäre Aufgabe künftiger Forschungen. Dabei gilt es, verschiedene regionale, nationale, transnationale und globale Skalen in den Blick zu nehmen. Zugleich müsste die Forschung auch intersektionale Perspektiven einnehmen, indem sie Reichtum nach class, race und gender sowie weiteren möglichen kategorialen Ungleichheiten wie disabiliy, age, sex untersucht. Die historische Forschung kann dabei wichtige Beiträge zum Verständnis vergangener und gegenwärtiger Gesellschaften erbringen. Den starken Anstieg der ökonomischen Ungleichheit und den Aufstieg der Superreichen in vielen Gesellschaften seit den 1980er/90er-Jahren aus historischen Perspektiven zu untersuchen, kann wichtige Prozesse in der Vorgeschichte der Gegenwart erhellen.

Durch das Phänomen der „Emissions Inequality“ – also die breit dokumentierte Tatsache, dass Reiche für gewöhnlich viel mehr Energie konsumieren und Emissionen produzieren als weniger wohlhabende Haushalte und Individuen – ist Reichtum zugleich mit einem der drängendsten Probleme der heutigen Welt eng verknüpft, der Klimakrise.[146] Schließlich kann die neue historische Reichtumsforschung auch die gesellschaftlichen und politischen Einflussmöglichkeiten beleuchten, die sich aus hohem ökonomischen Kapital ergeben. In einer Zeit, in der ökonomische Macht zunehmende Bedeutung erlangt hat, kann es zur gesellschaftlichen Relevanz der Zeitgeschichte als Disziplin beitragen, wenn sie Reichtum konzeptionell und empirisch noch stärker bedenkt.

 

Anmerkungen

[1] Lucas Chancel u.a., World Inequality Report 2022, https://wir2022.wid.world/ [05.02.2025].

[2] Vgl. Petra Schulte/Peter Hesse (Hrsg.), Reichtum im späten Mittelalter. Politische Theorie – Ethische Norm – Soziale Akzeptanz, Stuttgart 2015.

[3] Siehe dazu u.a. Pierre Rosanvallon, The Society of Equals, Cambridge, Mass./London 2013.

[4] Vgl. Lutz Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 165-193, hier S. 168, 177; Christian Neuhäuser, Reichtum als moralisches Problem, Berlin 2018, S. 17f. Siehe auch Hagen Krämer, Reichtum in der ökonomischen Theorie, in: Nikolaus Dimmel/Julia Hofmann/Martin Schenk/Martin Schürz (Hrsg.), Handbuch Reichtum. Neue Erkenntnisse aus der Ungleichheitsforschung, Innsbruck 2017, S. 118-138, hier S. 119.

[5] Harold Lydall/D.G. Tipping, The Distribution of Personal Wealth in Britain, in: Oxford Bulletin of Economics and Statistics 23 (1961), S. 83-104, hier S. 83.

[6] Siehe den „Spiegel“-Gehaltsrechner, https://interactive.spiegel.de/int/pub/ressort/wirtschaft/tools/iw-obere-10-prozent/v0/index.html [25.02.2025]; siehe auch die viel genutzte World Inequality Database (seit 2011), https://wid.world/wid-world/ [25.02.2025].

[7] Thomas Piketty, Capital and Ideology, Cambridge, Mass./London 2020.

[8] Meyers Konversationslexikon. Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens, 4. Aufl., Bd. 13, Leipzig/Wien 1890, S. 689. Eine ähnliche Formulierung findet sich noch im Jahr 1907: Meyers Großes Konversationslexikon, 16. Band Leipzig 1907, S. 746. Vereinzelt wird zur Jahrhundertwende auch das Adverb erfasst; siehe beispielsweise: Moritz Heyne, Deutsches Wörterbuch, Zweiter Band, Leipzig 1906, S. 67: „Reich: mächtig, viel besitzend“.

[9] Vgl. Christoph Weischer, Stabile UnGleichheiten. Eine praxeologische Sozialstrukturanalyse, Wiesbaden 2022, S. 561.

[10] Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland, München 2013, S. 39f.

[11] Vgl. Hans Günter Hockerts, Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder, in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 98-127, hier S. 124, online unter https://epub.ub.uni-muenchen.de/4659/1/4659.pdf [25.05.2025].

[12] Vgl. Branko Milanovic, Global Inequality: A New Approach for the Age of Globalisation, Cambridge/Mass. 2016; Weischer, Stabile UnGleichheiten.

[13] Eva Barlösius, Kämpfe um soziale Ungleichheit. Machttheoretische Perspektiven, Wiesbaden 2004, S. 10. Weiterführend: dies., Die Macht der Repräsentation: Common Sense über soziale Ungleichheiten, Wiesbaden 2005.

[14] Richard Nikolaus Coudenhove, Los vom Materialismus!, Wien/Leipzig 1931, S. 138-143, hier S. 138.

[15] Siehe auch das Themenheft der Bundeszentrale für politische Bildung: Oben – Mitte – Unten. Zur Vermessung der Gesellschaft, Bonn 2015, https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/1576_Oben_Mitte_Unten_ba.pdf [25.02.2025].

[16] „Wer nun mehr hat, als er wahrscheinlich braucht, der ist reich, folglich bestehet der Reichthum in einem Uberflusse.“ Johann Heinrich Zedler, Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Zünfte, Leipzig/Halle 1739, S. 198, online unter https://www.zedler-lexikon.de/. Reichthum 1. „Der Zustand, da etwas in Menge, in Überfluß vorhanden ist.“ Joachim Heinrich Lampe, Wörterbuch der deutschen Sprache, Braunschweig 1809, S. 797, online unter https://archive.org/details/bub_gb_pJREAAAAcAAJ/page/1/mode/2up. Siehe auch Heinrich August Pierer, Universal­Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit oder neuestes enzyklopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, Bd. 24, Altenburg 1844, S. 400, online unter https://archive.org/details/universallexiko02piergoog [alle 25.05.2025]. Sowie schon sehr früh bei: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal­lexicon aller Wissenschaften und Künste, Leipzig/Halle 1732-1754, Bd. 31, Art. Reichthum, S. 198-212.

[17] Siehe Weischer, Stabile UnGleichheiten, S. 1ff., 561-564.

[18] So Wolfgang Lauterbach/Miriam Ströing, Wohlhabend, Reich und Vermögend – Was heißt das eigentlich?, in: Thomas Druyen u.a. (Hrsg.), Reichtum und Vermögen. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Reichtums- und Vermögensforschung, Wiesbaden 2009, S. 13-28, hier S. 24.

[19] Siehe z.B. Piketty, Capital and Ideology, S. 670ff. Die letztgenannte Definition wird z.B. in den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung verwendet; https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Indikatoren/Reichtum/Einkommensreichtum/einkommensreichtum.html [25.02.2025].

[20] Vgl. Christoph Butterwegge, Umverteilung des Reichtums, Köln 2024.

[21] „Im Bild-Talk bestätigt: Merz ist Millionär“, in: Bild, 14.11.2018; https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/friedrich-merz-der-millionaer-der-sich-zur-oberen-mittelschicht-zaehlt-58420590.bild.html [25.02.2025].

[22] Vgl. Christiane Reinecke/Thomas Mergel (Hrsg.), Das Soziale ordnen. Sozialwissenschaften und gesellschaftliche Ungleichheit im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2012.

[23] Vgl. Otto Penz, Zur ästhetischen Symbolisierung von Reichtum, in: Dimmel u.a. (Hrsg.), Handbuch Reichtum, S. 468-480.

[24] Vgl. u.a. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 5: Bundesrepublik und DDR 1949-1990, München 2008, S. 111f.

[25] Thames & Hudson Ltd. in Kooperation mit der London School of Economics and Political Science, Charles Booth’s London Poverty Maps, London 2009.

[26] Vgl. Mike Savage u.a., Social Class in the 21st Century, London 2015, S. 31f.

[27] Vgl. Christiane Reinecke/Thomas Mergel, Das Soziale vorstellen, darstellen, herstellen: Sozialwissenschaften und gesellschaftliche Ungleichheit im 20. Jahrhundert, in: dies. (Hrsg.), Das Soziale ordnen, S. 7-30, hier S. 26-30.

[28] Vgl. u.a. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 5, S. 112f.

[29] Vgl. Reinecke/Mergel, Das Soziale vorstellen, darstellen, herstellen, S. 16f.

[30] Vgl. dazu Anne Kurr, Verteilungsfragen. Wahrnehmung und Wissen von Reichtum in der Bundesrepublik (1960-1990), Frankfurt a.M. 2022, S. 86ff., 98ff.

[31] Vgl. Christoph Butterwegge, Die zerrissene Republik: wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland, Weinheim 2020, S. 95ff., 101; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 5, S. 112.

[32] Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 5, S. 112f.

[33] Vgl. ebd., S. 113f.

[34] Vgl. Savage, Social Class in the 21st Century, S. 46ff.

[35] Vgl. Christoph Butterwegge, Ungleichheit in der Klassengesellschaft, Köln 2020, S. 52.

[36] Vgl. Druyen u.a. (Hrsg.), Reichtum und Vermögen; Dorothee Spannagel, Reichtum in Deutschland – sozialwissenschaftliche Perspektiven, in: Eva Gajek/Anne Kurr/Lu Seegers (Hrsg.), Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert, Göttingen 2019, S. 348-362, hier S. 351f.

[37] Vgl. ebd., S. 356; siehe u.a. auch Nicole Burzan/Berthold Vogel, Reichtum. Ein Forschungsessay, in: Soziopolis. Gesellschaft beobachten, 13.7.2023, S. 2, online unter https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/88487/sopolis-reichtum.pdf?sequence=-1&isAllowed=y&lnkname=sopolis-reichtum.pdf [25.02.2025].

[38] Vgl. u.a. Butterwegge, Ungleichheit, S. 62f.

[39] Siehe dazu Mike Savage, The Return of Inequality. Social Change and the Weight of the Past, Cambridge, Mass./London 2021, S. 67.

[40] Vgl. Pedro Ramos Pinto, Inequality by Numbers: The Making of a Global Political Issue?, in: Christian Olaf Christiansen/Steven L.B. Jensen (Hrsg.), Histories of Global Inequality. New Perspectives, Basingstoke 2019, S. 107-128.

[41] Piketty, Capital and Ideology, S. 420f.

[42] Vgl. die Länderstudien bei Piketty, Capital and Ideology.

[43] Vgl. Charlotte Bartels, Top Incomes in Germany, 1871-2014, in: The Journal of Economic History 79 (2019) 3, S. 669-707, online unter https://www.econstor.eu/bitstream/10419/222930/1/2019Bartels%20Top%20incomes%20in%20Germany%201871-2014%20AV.pdf [25.02.2025].

[44] Vgl. Charlotte Bartels/Theresa Neef, Die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 104 (2024), Heft 7, S. 441-447, online unter https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2024/heft/7/beitrag/die-einkommens-und-vermoegensverteilung-in-deutschland.html [25.02.2025].

[45] Vgl. Weischer, UnGleichheiten, S. 541, 545. Wehler ging in seiner Gesellschaftsgeschichte noch von weitgehender Stabilität auf hohem Niveau bis in die 1990er-Jahre aus; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 5, S. 119-124.

[46] Vgl. Piketty, Capital and Ideology, S. 423.

[47] Vgl. Kurr, Verteilungsfragen, S. 103; Carsten Schröder u.a., MillionärInnen unter dem Mikroskop: Datenlücke bei sehr hohen Vermögen geschlossen – Konzentration höher als bisher ausgewiesen, DIW Wochenbericht 29 (2020), S. 511-521, https://www.diw.de/de/diw_01.c.793802.de/publikationen/wochenberichte/2020_29_1/millionaerinnen_unter_dem_mikroskop__datenluecke_bei_sehr_ho___geschlossen______konzentration_hoeher_als_bisher_ausgewiesen.html [25.02.2025]. Beim Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) handelt es sich um eine seit 1984 durchgeführte Langzeitstudie, die neben der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts als wichtigster Haushaltssurvey und Hauptquelle für soziale Trends in der Bundesrepublik gilt: https://www.diw.de/de/diw_01.c.412809.de/sozio-oekonomisches_panel__soep.html [25.02.2025].

[48] Vgl. Bartels, Top Incomes, S. 700; Savage, Return of Inequality, S. 199; Céline Bessière/Sibylle Gollac, The Gender of Capital. How Families Perpetuate Wealth Inequality, Cambridge., Mass./London 2023.

[49] Vgl. Markus M. Grabka/Christoph Halbmeier, Vermögensungleichheit in Deutschland bleibt trotz deutlich steigender Nettovermögen anhaltend hoch, DIW Wochenbericht 40 (2019), S. 735-745, https://www.diw.de/de/diw_01.c.679909.de/publikationen/wochenberichte/2019_40_1/vermoegensungleichheit_in_deutschland_bleibt_trotz_deutlich_steigender_nettovermoegen_anhaltend_hoch.html#section2 [25.02.2025].

[50] Vgl. Jürgen Dinkel, Alles bleibt in der Familie. Erbe und Eigentum in Deutschland, Russland und den USA seit dem 19. Jahrhundert, Köln 2023; Jens Beckert, Erben in der Leistungsgesellschaft, Frankfurt a.M. 2013, S. 221f.

[51] Vgl. Anita Tiefensee/Markus Grabka, Das Erbvolumen in Deutschland dürfte um gut ein Viertel größer sein als bisher angenommen, DIW Wochenbericht 27 (2017), https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.560982.de/17-27-3.pdf [25.02.2025].

[52] Christoph Lorke, Von alten und neuen Ungleichheiten. „Armut“ in der Vereinigungsgesellschaft, in: Thomas Großbölting/Christoph Lorke (Hrsg.), Deutschland seit 1990. Wege in die Vereinigungsgesellschaft, Stuttgart 2017, S. 271-294; Grabka/Halbmeier, Vermögensungleichheit.

[53] Vgl. Thomas Piketty, Capital in the Twenty-First Century, Cambridge, Mass./London 2014; Philip Mader u.a. (Hrsg.), The Routledge International Handbook of Financialization, London 2020.

[54] Vgl. Savage, Return of Inequality, S. 98f.

[55] Vgl. Dimmel u.a. (Hrsg.), Handbuch Reichtum.

[56] Vgl. Burzan/Vogel, Reichtum; Wolfgang Lauterbach/Thomas Druyen/Matthias Grundmann (Hrsg.), Vermögen in Deutschland. Heterogenität und Verantwortung, Wiesbaden 2011.

[57] Vgl. Thomas Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur. Verantwortung im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2011; Sighard Neckel, Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 68 (2023), 4, S. 47-56, online unter https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/april/zerstoererischer-reichtum [25.02.2025].

[58] Vgl. Alexander Ebner/Jens Becker, Reichtumskulturen. Eine wirtschaftssoziologische Perspektive (2011), https://silo.tips/download/reichtumskulturen-eine-wirtschaftssoziologische-perspektive [25.02.2025].

[59] Vgl. Penz, Symbolisierung von Reichtum.

[60] Ebd.

[61] Siehe Hanna Lierse/Patrick Sachweh/Nora Waitkus (Hrsg.), Special Issue on Wealth, Inequality and Redistribution in Capitalist Societies, in: Social Justice Research 35 (2022), H. 4.

[62] Vgl. u.a. Frank Trentmann, Out of the Darkness. The Germans 1942-2022, London 2023, S. 614.

[63] Vgl. Cornelia Dlabaja, Abschottung von oben: die Hierarchisierung der Stadt, in: Dimmel u.a. (Hrsg.), Handbuch Reichtum, S. 481-495.

[64] So u.a. Rowland Atkinson, Alpha City. How London was Captured by the Super-Rich, London 2020.

[65] Vgl. Harald Trabold, Reichtum macht Politik, in: Dimmel u.a. (Hrsg.), Handbuch Reichtum, S. 402-415; Sighard Neckel, The Refeudalization of Modern Capitalism, in: Journal of Sociology 56 (2020), H. 3, S. 472-486; Hans Lukas Richard Arndt, Linking Wealth and Power. Unity and Political Action of the World's Wealthiest Capitalist Families and the Corporate Elite, Köln 2023, online unter https://kups.ub.uni-koeln.de/70612/1/Dissertation.pdf [25.02.2025].

[66] Piketty, Capital and Ideology, S. 1-4.

[67] Siehe u.a. Savage, Return of Inequality, S. 117ff.; Peter A. Berger/Anja Weiß (Hrsg.), Transnationalisierung sozialer Ungleichheit, Wiesbaden 2008.

[68] Vgl. Olivier Godechot, Financialization and the Increase in Inequality, in: Mader u.a. (Hrsg.), Handbook of Financialization, S. 413-424.

[69] Vgl. Morten Reitmayer, Eliten, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 18.02.2022; http://docupedia.de/zg/Reitmayer_eliten_v2_de_2022 [25.02.2025], hier Fußnote 38 und 39.

[70] Ein früher Beitrag ist die Arbeit von Pitirim Sorokin, auf welche die späteren Arbeiten auch stets referierten: Pitirim Sorokin, American Millionaires and Multi-Millionaires; A Comparative Statistical Study, in: Journal of Social Forces 3 (1925), H. 4, S. 627-640.

[71] So u.a. Edward Pessen, Jacksonian America: Society, Personality and Politics, Champaign 1985 [zuerst 1969]; Joseph J. Thorndike, The Very Rich. A History of Wealth, New York 1976.

[72] Frühe Beispiele: Sidney W. Ratner, New Light on the History of Great American Fortunes, New York 1953, online unter https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=uc1.b3899407&seq=25 [25.02.2025]; Edward Pessen, The Egalitarian Myth and the American Social Reality: Wealth, Mobility and Equality in the „Era of the Common Man“, in: The American Historical Review 76 (1971), H. 4, S. 989-1034; Stanley Lebergott, Are The Rich Getting Richer? Trends in U.S. Wealth Concentration, in: The Journal of Economic History 36 (1976), H. 1, S. 147-162; Michael Hout, Review: Hard Data on the Rich and the Super Rich, in: Contemporary Sociology 11 (1982), H. 6, S. 656-658.

[73] Lee Soltow (Hrsg.), Six Papers on the Size Distribution of Wealth and Income, New York/London 1969, online unter https://www.nber.org/books-and-chapters/six-papers-size-distribution-wealth-and-income [25.02.2025]; ders., Men and Wealth in the United States 1850-1870, New Haven 1975; ders., Distribution of Wealth and Income in the United States in 1798, Pittsburgh 1989; Edward Pessen, Riches, Class and Power. America before the Civil War, Lexington 1973; Frederic Cople Jaher, The Rich, the Well Born, and the Powerful: Elites and Upper Classes in History, Illinois 1975; ders., The Urban Establishment. Upper Strata in Boston, New York, Charleston, Chicago and Los Angeles, New York 1982.

[74] William D. Rubinstein, Occupations among British Millionaires, 1857-1969, in: Review of Income and Wealth 17 (1971), H. 4, S. 375-378, online unter https://www.roiw.org/1971/375.pdf [25.02.2025]; ders., Men of Property: The Very Wealthy in Britain since the Industrial Revolution, New Brunswick 1981; ders., Britain’s Elites in the Inter-War Period, 1918-1939: Decline or Continued Ascendancy?, in: British Scholar 3 (2010), H. 1, S. 5-23.

[75] William D. Rubinstein, Wealth and The Wealthy in the Modern World, London 1980.

[76] Vgl. William D. Rubinstein, New Men of Wealth and the Purchase of Land in Nineteenth-Century Britain, in: Past & Present 92 (1981), S. 125-147, online unter https://ia601402.us.archive.org/12/items/rubinstein-w-d-j-auth-new-men-of-wealth-and-the-purchase-of-land/Rubinstein%2C_W_D_j_auth_New_Men_of_Wealth_and_the_Purchase_of_Land.pdf [25.02.2025]; ders., Who Were the Rich?, Vol. 1-5, Brighton 2017ff.; Philip Beresford/William D. Rubinstein, The Richest of the Rich. The Wealthiest 250 People in Britain since 1066, Petersfield 2011.

[77] William D. Rubinstein, Jewish Top Wealth-Holders in Britain, 1809-1909, in: Jewish Historical Studies 37 (2001), S. 133-161; Rubinstein, Britain’s Elites; Werner Eugen Mosse, The German-Jewish Economic Élite 1820-1935. A Socio-Cultural Profile, Oxford/New York 1989.

[78] Vgl. Dolores Augustine, Patricians and Parvenus: Wealth and High Society in Wilhelmine Germany, Oxford/Providence 1994; siehe auch dies., The Business Elites of Hamburg and Berlin, in: Central European History 24 (1991), H. 2, S. 132-146; dies., Arriving in the Upper Class. The Wealthy Business Elite of Wilhelmine Germany, in: David Blackbourn/Richard J. Evans (Hrsg.), The German Bourgeoisie (Routledge Revivals). Essays on the Social History of the German Middle Class from the Late Eighteenth to the Early Twentieth Century, London 2014, S. 46-86.

[79] So zum Beispiel: Michael Jungblut, Die Reichen und die Superreichen in Deutschland, Frankfurt a.M. 1971; Eva Maria Gajek, Reichtum und Reiche in der Bundesrepublik der 1960er Jahre. Eine Dialektik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, in: Werkstatt Geschichte 73 (2017): Themenheft: Reichtum, hg. v. Winfried Süß/Jochen Johrendt, S. 51-70, online unter https://werkstattgeschichte.de/wp-content/uploads/2017/05/WG73_051-070_GAJEK_REICHTUM.pdf [25.02.2025].

[80] Siehe hierzu auch die Arbeiten aus der Reihe „Elitenwandel in der Moderne“: Gabriele Clemens/Dietlind Hüchtker/Martin Kohlrausch/Stephan Malinowski/Malte Rolf (Hrsg.), Elitenwandel in der Moderne/Elites and Modernity, Oldenbourg, die bisher 26 Bände umfasst; Heinz Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland; Bd. 1: Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000; ders. (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland; Bd. 2: Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, Berlin 2001; ders., Adel. Aristokratie, Elite. Sozialgeschichte von Oben, Berlin 2016. Als mikrohistorische Studie ausgesprochen anregend: Heinz Reif, Das Tiergartenviertel. Geselligkeit und Gesellschaft in Berlins „Neuem Westen“ um 1900, in: ders., Adel, Aristokratie, Elite, S.149-179; Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Deutscher Adel und Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2004.

[81] Reif, Adel, Aristokratie, Elite.

[82] Siehe Morten Reitmayer, Bankiers im Kaiserreich. Sozialprofil und Habitus der deutschen Hochfinanz, Göttingen 1999; Heinz Reif, Metropolenkultur und Elitenbildung, in: ders., Adel, Aristokratie, Elite, S. 179-228; Andreas Fahrmeir, Das Bürgertum des „bürgerlichen Jahrhunderts“. Fakt oder Fiktion?, in: Heinz Bude/Joachim Fischer/Bernd Kauffmann (Hrsg.), Bürgerlichkeit ohne Bürgertum. In welchem Land leben wir?, Paderborn 2010, S. 23-32; Werner Plumpe/Jörg Lesczenski (Hrsg.), Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz 2009.

[83] Friedrich Lenger/Dietmar Süß, Soziale Ungleichheit in der Geschichte moderner Industriegesellschaften, in: Archiv für Sozialgeschichte 54 (2014), S. 3-24, hier S. 11, online unter https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd54/afs-54-2014-01-lenger-suess.pdf [25.02.2025].

[84] Siehe z.B. Hans Pohl/Werner Eugen Mosse (Hrsg.), Jüdische Unternehmer in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Zeitschrift für Unternehmensgeschichte Beiheft 64, Stuttgart 1992.

[85] Vgl. Hartmut Berghoff, Aristokratisierung des Bürgertums? Zur Sozialgeschichte der Nobilitierung von Unternehmern in Preußen und Großbritannien 1870 bis 1918, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (VSWG) 81 (1994), H. 2, S. 178-204; ders./Roland Möller, Wirtschaftsbürger in Bremen und Bristol. Ein Beitrag zur komparativen Unternehmerforschung, in: Hans-Jürgen Puhle (Hrsg.), Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft – Politik – Kultur, Göttingen 1991, S. 156-177.

[86] Vgl. Eva Maria Gajek, Sichtbarmachung von Reichtum: Das Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Preußen, in: Archiv für Sozialgeschichte 54 (2014), S. 79-108, online unter https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd54/afs-54-2014-04-gajek.pdf [25.02.2025].

[87] Hartmut Kaelble, Wie feudal waren die deutschen Unternehmer im Kaiserreich? Ein Zwischenbericht, in: Richard Tilly (Hrsg.), Beiträge zur quantitativen vergleichenden Unternehmensgeschichte, Stuttgart 1985, S. 148-171, online unter https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/34074/ssoar-1985-kaelble-Wie_feudal_waren_die_deutschen.pdf [25.02.2025].

[88] Berghoff, Vermögenseliten. Siehe auch: Berghoff, Adel und Industriekapitalismus.

[89] Willi A. Boelcke, Millionäre in Württemberg. Herkunft – Aufstieg – Traditionen, Stuttgart 1997.

[90] Berghoff, Vermögenseliten.

[91] Hartmut Kaelble, Eine europäische Gesellschaft? Beiträge zur Sozialgeschichte Europas vom 19. bis ins 21. Jahrhundert, Göttingen 2020, S. 61.

[92] Augustine, Patricians.

[93] Siehe beispielsweise die Rezensionen von Thomas Rohkrämer: ders., Reviews: Dolores L. Augustine, Patricians and Parvenus: Wealth and High Society in Wilhelmine Germany, in: European Historical Quarterly 27 (1994), H. 2, S. 268-270; sowie die von Michael Epkenhans, in: Militärische Zeitschrift 58 (1999), H. 1, S. 256f.

[94] Siehe Toni Pierenkemper, Einkommens- und Vermögensverteilung, in: Gerold Ambrosius/Dietmar Petzina/Werner Plumpe (Hrsg.), Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, München 2006, S. 257-281; Toni Pierenkemper, Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung – oder: wie wir reich wurden, München/Wien 2005.

[95] So z.B. Y. S. Brenner/Hartmut Kaelble/Mark Thomas (Hrsg.), Income Distribution in Historical Perspective, Cambridge/New York 1991.

[96] Hartmut Kaelble, Mehr Reichtum, mehr Armut. Soziale Ungleichheit in Europa vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. 2017, S. 103.

[97] Wehler, Die neue Umverteilung.

[98] So Rüdiger Graf/Kim Christian Priemel, Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften. Legitimität und Originalität einer Disziplin, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), H. 4, S. 479-508, online unter https://www.degruyter.com/document/doi/10.1524/vfzg.2011.0026/html [25.02.2025].

[99] Vgl. Lenger/Süß, Soziale Ungleichheit, S. 14; Thomas Mergel, Gleichheit und Ungleichheit als zeithistorisches und soziologisches Problem, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 10 (2013), H. 2, https://zeithistorische-forschungen.de/2-2013/4598 [03.03.2025].

[100] Siehe beispielsweise: Werkstatt Geschichte 73 (2017): Reichtum, https://werkstattgeschichte.de/editorial/reichtum/?highlight=reichtum [25.02.2025]; Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 70 (2019), H. 11/12: Reichtumsgeschichte.

[101] Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum; Eva Maria Gajek/Christoph Lorke (Hrsg.), Soziale Ungleichheit im Visier: Wahrnehmung und Deutung von Armut und Reichtum seit 1945, Frankfurt a.M. 2016; Petra Schulte/Peter Hesse (Hrsg.), Reichtum im späten Mittelalter. Politische Theorie – Ethische Norm – Soziale Akzeptanz, Stuttgart 2015; Ernst Bruckmüller (Hrsg.), Armut und Reichtum in der Geschichte Österreichs, Wien 2010.

[102] Siehe hier beispielsweise die Konferenzen: Universität Münster: Soziale Ungleichheit im Visier. Images von „Armut“ und „Reichtum“ in West und Ost nach 1945, 27/28.11.2014; Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, 18./19.02.2016: Reichtum in Deutschland – Akteure, Netzwerke und Lebenswelten im 20. Jahrhundert; DFG-Netzwerk „Erbfälle und Eigentumsordnungen seit 1800“ an der Universität Leipzig, 15.-17.03.2023: Das Wissen vom Erben und Vererben. Perspektiven und Quellen seit 1800; Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg, 05.10.2023: Reich werden – und bleiben?! Strategien nachhaltigen Investierens in epochen- und disziplinenübergreifender Perspektive.

[103] Historikertag 2021: Deutungskämpfe über Reichtum im 20. Jahrhundert: Die feinen Unterschiede der feinen Leute, Sektionsleitung: Eva Maria Gajek/Alexandra Przyrembel; Historikertag 2018: The Global Knowledge of Divided Societies. Sektionsleitung: Christoph Lorke/Felix Römer; Historikertag 2014: Reichtum. Zur Geschichte einer umstrittenen Sozialfigur, Sektionsleitung: Winfried Süß und Jochen Johrendt.

[104] 5. Schweizerische Geschichtstage: Reichtum/Richesse, 7.-9.6.2019, Universität Zürich.

[105] Vgl. Reinecke/Mergel, Das Soziale vorstellen, darstellen, herstellen.

[106] Siehe Graf/Priemel, Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften.

[107] Vgl. Ann Rudinow Sætnan/Heidi Mork Lomell/Svein Hammer (Hrsg.), The Mutual Construction of Statistics and Society, New York 2010.

[108] Vgl. Spannagel, Reichtum, S. 358f.

[109] Pedro Ramos Pinto/Poornima Paidipaty, Themenheft: Measuring Matters, in: History of Political Economy 52 (2020), H. 3.

[110] Römer, Inequality Knowledge: Felix Römer, Inequality Knowledge. The Making of the Numbers about the Gap between Rich and Poor in Contemporary Britain, Berlin/Boston 2024.

[111] Vgl. Marc Buggeln, Das Versprechen der Gleichheit. Steuern und soziale Ungleichheit in Deutschland von 1871 bis heute, Berlin 2022, S. 23ff., 887ff.

[112] Vgl. Gajek, Sichtbarmachung von Reichtum.

[113] Vgl. Kurr, Verteilungsfragen, S. 81ff.

[114] Vgl. Kurr, Verteilungsfragen, S. 251ff, 261ff.

[115] Vgl. Ronny Grundig, Vermögen vererben. Politiken und Praktiken in der Bundesrepublik und Großbritannien 1945-1990, Göttingen 2022, S. 112f.

[116] Vgl. Kurr, Verteilungsfragen, S. 261ff., 266ff.

[117] Siehe dazu Eva Gajeks abgeschlossenes Habilitationsprojekt: „Auf der Suche nach den Reichen. Eine Wissens- und Wahrnehmungsgeschichte von Reichtum im langen 20. Jahrhundert in Deutschland“, https://www.mpifg.de/1152724/gajek-das-obere-1-prozent [25.02.2025]; vgl. Felix Römer, Soziale Ungleichheit in der Pandemie. Warum Deutsche weniger darüber wissen als Briten, in: Geschichte der Gegenwart, 03.03.2021, https://geschichtedergegenwart.ch/soziale-ungleichheit-in-der-pandemie-armutsstatistiken-in-deutschland-und-grossbritannien/ [25.02.2025].

[118] Siehe Lorke/Gajek, Soziale Ungleichheit im Visier.

[119] Vgl. Kurr, Verteilungsfragen.

[120] Grundig, Vermögen vererben.

[121] Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Frankfurt a.M. 1989 [zuerst 1900], online unter https://archive.org/details/philosophiedesg00simmgoog/mode/2up [25.02.22025]; Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt a.M. 1997 [zuerst 1899].

[122] Vgl. Gajek, Reichtum.

[123] Guido Alfani, As Gods Among Men: A History of the Rich in the West, Princeton 2023.

[124] Siehe dazu Eva Maria Gajek, Die feinen Unterschiede der Emigration. Begegnung von Reichtumskulturen in den USA der 1930er und 1940er-Jahre, in: GWU 70 (2019), H. 11/12, S. 642-660.

[125] Besonders hervorzuheben ist Martin Lüthe, Bedrooms, Bathrooms, and Beyond? MTV Cribs, Hip Hop und Reichtumsperformanzen im privaten Kabelfernsehen in den 2000er Jahre, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 272-288.

[126] Katharina Pistor, The Code of Capital. How the Law Creates Wealth and Inequality, Princeton 2019.

[127] Siehe u.a. Jens Beckert, Durable Wealth: Institutions, Mechanisms, and Practices of Wealth Perpetuation, in: Annual Review of Sociology 48 (2022), S. 233-255; Daria Tisch/Emma Ischinsky, Top Wealth and its Historical Origins: Identifying Entrenched Fortunes by Linking Rich Lists over 100 Years, in: Socius: Sociological Research for a Dynamic World 9 (2023), S. 1-15, online unter https://journals.sagepub.com/doi/epub/10.1177/23780231231192774 [25.02.2025].

[128] Siehe hierzu den Forschungsüberblick und methodische Perspektiven: Dirk van Laak, Was bleibt? Erben und Vererben als Themen zeithistorischer Forschung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 13 (2016), H. 1, S. 136-150, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2016/5334 [25.02.2025].

[129] Vgl. Dinkel, Alles bleibt in der Familie, S. 414.

[130] Simone Derix, Hidden Helpers. Biographical Insights into Early and Mid-Twentieth Century Legal and Financial Advisors, in: European History Yearbook 16 (2015), S. 47-62, online unter  https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110415162-004/html?srsltid=AfmBOorC4SU5a2rChpXTHfWqVlgWvDrowZlr_dhzuKVfpbY-7One_Cys [25.02.2025].

[131] Vgl. Grundig, Vermögen vererben; Korinna Schönhärl, How to Create a Taxpaying Spirit. A Transnational Examination of an US American and a Western German Tax Education Film in and after World War II, in: dies./Gisela Hürlimann/Dagmar Rohde (Hrsg.), Histories of Tax Evasion, Avoidance and Resistance, London, 2023, S. 154-167, online unter https://www.taylorfrancis.com/books/oa-edit/10.4324/9781003333197/histories-tax-evasion-avoidance-resistance-korinna-sch%C3%B6nh%C3%A4rl-gisela-h%C3%BCrlimann-dorothea-rohde [25.02.2025].

[132] Dies betraf zum einen die Stärkung des Ehepartners und auf der anderen Seite die Rolle der unehelichen Kinder, die in den Erbgang zwar eingeschlossen wurden, aber weiterhin schlechter gestellt blieben. Vgl. Grundig, Vermögen vererben.

[133] Siehe Simone Derix, Gelddinge. Doing Money in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Historische Anthropologie 27 (2019), S. 104-124, online unter https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2016-3/Derix_2019.pdf [25.02.2025]; Korinna Schönhärl/Frederike Schotter/Guido Thiemeyer (Hrsg), Reden über Geld. Themenheft Werkstatt Geschichte 88 (2023), online unter https://werkstattgeschichte.de/alle_ausgaben/reden-ueber-geld/ [25.02.2025].

[134] Vgl. Simone Derix, Grenzenloses Vermögen. Räumliche Mobilität und die Infrastrukturen des Reichtums als Zugänge einer Erforschung des „einen Prozents“, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 164-181.

[135] Vgl. Michael Schellenberger, Ein fließender Kulturraum. Reichtum und Mäzenatentum in Hamburg und New York um 1900, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 123-143.

[136] Vgl. Anne Kurr, Reichtum ausstellen. Kunstmäzenatentum als Repräsentation im öffentlichen Raum am Beispiel des Museums Ludwig in Köln (1969-1986), in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 227-247.

[137] Siehe Jürgen Finger, Reiche Lebenswelten in NS-Deutschland. Gestaltungschancen vermögender Unternehmerfamilien am Beispiel Dr. Oetker/Richard Kaselowski, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 77-97; Martin Reimer, Zwischen Diskontinuität und Kontinuität. Praktiken des Reichtums in Dresden der Nachkriegszeit. Eine Spurensuche, in: ebd., S. 98-122; Jens Gieseke, Gab es Reichtum in der DDR? Zu Strukturen, Selbstdarstellungen und kollektiven Wahrnehmungen im Staatssozialismus, in: ebd., S. 329-347; ders., Die egalitäre DDR? Staatssozialistische Intersektionalität und der lange Schatten des Intershops, in: Gajek/Lorke (Hrsg.), Soziale Ungleichheit im Visier, S. 163-180.

[138] Siehe z.B. Manfred Hettling/Stefan-Ludwig Hoffmann (Hrsg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000.

[139] Vgl. Andreas Gestrich, Soziale Ungleichheit und Geschichte der Moderne, in: Christian Marx/Morten Reitmayer (Hrsg.), Die offene Moderne. Gesellschaften im 20. Jahrhundert, Göttingen 2020, S. 32-58, hier S. 35; Lutz Raphael, Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin 2019, S. 92ff.

[140] Ralf Banken, Durch Weltwirtschaftskrise und Rüstungsboom. Die Entwicklung der großen Vermögen 1928-1940 in Deutschland, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum in Deutschland, S. 289-312.

[141] Sonja Niederacher, Das Vermögen jüdischer Frauen und Männer in Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum in Deutschland, S. 313-328.

[142] Dinkel, Alles bleibt in der Familie; Grundig, Vermögen vererben; Ronny Grundig, Reiche im Sozialismus? Erbschaftssteuerakten als Schlüssel zur Erforschung von Vermögensverhältnissen in der DDR, in: Schweizerisches Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 36 (2021), S. 115-127, online unter https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=sgw-002:2021:36::302#119 [25.05.2025].

[143] Workshop „Sozialdaten der Ungleichheit in historischer Perspektive“, Arbeitskreis Sozialdaten und Zeitgeschichte, Bad Homburg, 6./7.11.2023.

[144] Themenheft Geschichte und Gesellschaft 48 (2022), H. 1: Sozialdaten als Quellen der Zeitgeschichte.

[145] Thilo Albers/Charlotte Bartels/Moritz Schularick, Wealth and its Distribution in Germany, 1895-2018, CESifo Working Paper No. 9739, 10 May 2022, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4103952 [25.02.2025].

[146] Piketty, Capital and Ideology, S. 661-670.

 

 

Historical Comparison
Updated:
Artikel-URL:
https://docupedia.de/zg/kaelble_historical_comparison_v2_en_2024
Page-ID:
100009315
Datum:
2024-11-15
Autor/innen:
Hartmut Kaelble
Titel:
Historical Comparison
Version:
2
Alle Kategorien:
Vergleiche, Global History, Transnationale Geschichte,regional übergreifend,20. Jahrhundert übergreifend
Sprache:
Englisch
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gezeichneter Größenvergleich eines Kirchturms, eines Schiffs und von drei Gebäuden
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size comparison, ca. 1898-1900. source: Library of Congress, public domain, https://www.loc.gov/item/2016649824/ [02.04.2024]

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Historical comparison has changed considerably over the past forty years,[1] both in terms of its status within historical studies and its application in research practice, the fields and periods of comparison, the topics of historical comparison, and the methods and impetuses from other academic disciplines. This article begins with definitions of historical comparison, then outlines the debates on historical comparison and thereafter deals with the changes in historical comparison over the past decades.

 

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gezeichneter Größenvergleich eines Kirchturms, eines Schiffs und von drei Gebäuden
Size comparison of the ocean liner Kaiser Wilhelm der Große with Trinity Church, the St. Paul Building in New York, the Washington Monument and the U.S. Capitol in Washington, D.C. / Gray Litho. Co., N.Y. between 1898 and 1900. Source: Library of Congress, https://www.loc.gov/item/2016649824/ [06.11.2024], public domain

 

1. What is Historical Comparison?

In the early days, historical comparison was understood to mean the systematic comparison of two or more historical units (places, regions, nations or civilisations, including historical personalities) in order to explore similarities and differences, convergences and divergences. From the outset, the aim was not only to describe typologies, but also to explain and develop them. Practitioners of such comparisons did not adopt John Stuart Mill’s fundamental separation between the method of difference and the method of correspondence, i.e. the analysis of differences or parallels and similarities; both approaches were included in historical comparisons.[2]

However, for a long time, historical comparison was often put into practice via differences. Major debates among historians about American exceptionalism, the exception française, the special development of Great Britain, the peculiarities of the Japanese economy or the German Sonderweg centred entirely on differences. Sometimes, observers have even concluded that historical comparison is by its very nature centred on differences. Recent developments, however, have shifted the emphasis away from differences and towards similarities. The interest in global history, as well as the intra-European comparison in the course of Europeanisation, have contributed to this. The two major books on the global history of the long 19th century – by Jürgen Osterhammel and Christopher A. Bayly – are impressive examples of the comparative search for both differences and similarities. The latest volumes on Franco-German history, for example, are far less focused on national differences than the research of thirty years ago. Even in the numerous syntheses on European history, historians tend to concentrate on European similarities alongside intra-European differences at the national and regional levels.[3]

Historical comparison is not uniform and includes a wide variety of approaches. Historical comparison can be used to analyse cases from the same epoch, as well as from different historical periods. It can be used to compare international spaces, or regions, places, families or individuals within a country. Historical comparison can be limited to cases from the same culture, as the old master of historical comparison Marc Bloch demanded, but it can also juxtapose cases from completely different civilisations, as in the debate about the rise of Europe and the lagging development of China in the 18th and 19th centuries.[4] Comparative cases can be examined with equal intensity, or one case can be placed at the centre in an asymmetrical comparison, while historians can only take brief comparative glances at other cases. Historical comparison can only deal with two cases or a larger number of cases, although this is usually limited by the fact that historians endeavour to place each comparative case in its historical context. When embarking on a comparative historical project, it is important to realise the diversity of options.

 

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geografische Zeichnung von Bergen und Klimazonen
The comparative ikon shows the distribution of plants in various parts of the world and in different altitudes of five individual mountains or mountain regions: Anden, Teneriffe, Himalaya, Alps & Pyrenees, Lapland.
Alexander von Humboldt: Die geographische Verbreitung der Pflanzen. Grundzüge der Botanischen Geographie: Die Verteilung der Pflanzen in senkrechter Richtung, in: The Physical Atlas, A Series of Maps & Illustrations of the Geographical Distribution of Natural Phenomena. Johnston, Alexander Keith, 1850. Source: Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alexander_von_Humboldt_-_1850_-_Geographical_Distribution_of_Plants.jpg [06.11.2024], public domain

 

There have been attempts to typologise differences between historical comparisons. The intentions of historical comparisons can be categorised into three types: analytical comparison, which helps to develop explanations for a historical phenomenon through the comparative analysis of different cases; contrastive, enlightening comparison, which can deal with the development of democracy or human rights, for example, and contrasts their historical implementation in some countries with their historical failure in other countries; understanding and simultaneously distancing comparison, through which other countries are better understood in historical comparison with the historian’s own country; at the same time, this method can facilitate a different perspective on the historical self-understanding of one’s own country, which can lead to revisions of such self-concepts.[5]

Another typology is based on the fundamental contrast between the individualising comparison, which focuses on the individual case and is pursued by most historians, and the generalising comparison, which is concerned with general developments. The social scientist Charles Tilly distinguished four types of comparison in his now classic, oft-cited typology: the individualising comparison, which works out the particularities of two or fewer cases; the inclusive comparison, which compares parts of a larger whole, such as the colonies of an empire; the variation comparison, which concentrates on the variants of a general universal process, such as urbanisation or demographic transition; and finally the generalising comparison, which is concerned with identifying general rules.[6]

The classical definition of historical comparison was in need of supplementation and has been amended in various ways. Three particularly important openings should be mentioned here.

First, there has been intensive discussion in recent years about opening up historical comparison to include the history of relationships between case studies, i.e. a closer look at transnational transfers, international interdependencies, images of the own and the other. Today, the relationships between the comparative cases analysed are generally included in the definition of comparison. The mere confrontation of the cases appears to have become too narrow, as will be discussed later.

Second, one long-existing, yet hardly discussed, application of historical comparison is to the comparison between successive epochs of a territorial unit. Historians often apply this mode of historical comparison, but they do not usually refer to it as a comparison. At first glance, the difference to comparison seems difficult to comprehend, because it involves similar methods of analysis to historical comparison. What is explored as upheavals between epochs, for example, bears a strong resemblance to the identification of differences between comparative cases; similarly, what historians see as continuity between epochs is very similar to the apperception of similarities between comparative cases.

Nevertheless, historians do not count such inter-epochal comparisons as historical comparisons because historical development on the time axis has a fundamentally different character than the juxtaposition of two spatially and perhaps also temporally separate cases. Historical development creates a dense relationship of causalities, experiences and memories between successive epochs within the same country or the same place, which is inconceivable when comparing different places or countries of the same epoch. Nevertheless, the boundaries for comparison are fluid. Comparisons between instances of the same continent, country or place that are far apart in time, such as between the French Revolution of 1789 and the Russian Revolution of 1917, or between Charles V and Napoleon I, or between Paris in the Roman Empire and Paris in the Second Empire, tend to be regarded as historical comparisons. The question of what makes a comparison between epochs different from a historical comparison, leads to interesting new considerations.

A third method that is also rarely discussed yet often used by historians is the historical depiction of international developments, which deals with many countries that are often very different in character. With the growing interest in global history and in the history of Europe, historians have applied this mode of historial comparison more frequently, both in the form of syntheses and in the form of monographs on international processes, institutions or ideas. Such studies are usually not comparative in the strict sense, because they are primarily concerned with common trends, and they usually address differences in an unsystematic way, in a synthesis of European history or Latin American or African or Southeast Asian history, as well as in global studies of civil rights or women's movements or educational opportunities, to name just a few topics. It is not possible to compare the multitude of countries in the same depth as two individual countries in a binational comparison. But even in such syntheses and analyses, historians make comparisons, albeit using different methods and with a different proximity to the sources. Ultimately, they are also part of historical comparison.

 

2. Debates about Historical Comparison

Since the 1990s, a whole series of debates have ignited around the classical historical comparison, especially between French, American and German comparative historians and literature specialists. These methodological debates, which were not always encouraging for younger historians, have since died down again, but today's historical comparison is difficult to understand without these productive debates, which we will review here in abbreviated form. These debates did not simply follow research practice; they sometimes preceded it, and they sometimes lagged behind it.

In the 1990s, the French literature specialist Michel Espagne, an expert on Franco-German relations, criticised historical comparison because it forced researchers to construct artificially homogeneous national units, thereby not only overlooking the diversity within each country, but also taking us back to the age of the often detrimental attachment of historical studies to national identities. Furthermore, according to Michel Espagne, historical comparison can only be used for structural analyses and ignores the experiences and actions of the individual. He therefore argued in favour of replacing historical comparison with historical transfer studies, i.e. the study of the transfer of ideas and values, the exchange of goods and the migration of people from one society to another, which would open up historical studies to international cultural interdependencies and the cultural history of experiences and practices.[7] Espagne was not the only scholar to lodge this critique.

Another objection to historical comparison came from global historians. They argued that the historical comparison with non-European countries over-emphasised the superiority of Europe, especially the Europeanisation of the non-European world, and the backwardness of non-European regions since the late 18th century. This neglects the notion of ‘shared history’ or ‘entangled history’, i.e. the influence of the non-European world on Europe not only indirectly through the non-European experiences of Europeans, but also directly through intercontinental transfers of non-European goods, plants, music, humanities and technological knowledge to Europe. Some global historians therefore also place such transfers at the centre of their studies. Others want to focus entirely on global institutions, movements, public spheres, conflicts and upheavals. They are less interested in units smaller than the world as a whole, and are thus hardly interested in historical comparisons.[8] For Sebastian Conrad, a leading global historian, however, comparative history provides important inspiration.[9]

A third challenge for historical comparison arose from transnational history, which gained momentum in the 2000s and early 2010s. This field was primarily understood as a departure from purely national history and as an internationalisation of research topics, without a single sophisticated concept or even a theory behind it. Impulses for transnational history came from very different directions: particularly clearly from global history;[10] from diplomatic history, which is more interested in the broad social and cultural context of international relations; from non-European history, which broke away from the concept of regional studies and sought to work more closely with historians from other regions of the world; from post-colonial history; from social and cultural history, which became more internationalised; from historians of European integration, who wanted to expand the purely political history of decision-making.

What was decisive for historical comparison here was that in the new programmatic texts on transnational history, historical comparison was usually not attacked at all; on the contrary, it was mostly ignored, as in the case of Akira Iriye and Pierre-Yves Saunier, who by transnational history primarily mean interrelationships and transfers of ideas, people and goods across national borders.[11] Only gradually did a connection emerge between historical comparison and transnational history.[12] The historian Margrit Pernau saw in her synthesis of transnational history an approach towards a changed historical comparison.[13]

The concept of ‘histoire croisée’ (crossed history) by Michael Werner and Bénédicte Zimmermann offered a synthesis of these debates. On the one hand, they recognised historical comparison as an indispensable method of historical scholarship, but on the other hand they called for a fundamental change in historical comparison as well as in transfer research: for continuous reflection on and empathy with the other compared culture, and constant examination of the image of one's own culture, as early as in the formulation of questions and research design.[14]

The impact of these debates on research practice should not be overestimated. They were conducted in publications between a small number of historians. However, these historians were almost always not pure methodological theorists, but usually made comparisons themselves. These debates were therefore read by other comparative historians, had an impact on the practice of historical comparison, or at least reflected the changes in historical comparison.

 

3. Changes in Comparison

Classical historical comparison changed in six dimensions. First, it became normal. Second, it changed methodologically and included transnational exchange in the comparison. Third, it expanded thematically and was applied in all subject areas of historical studies, no longer primarily in specific fields. Fourth, its geography expanded. Fifth, it opened up new time periods: The period after 1945 became a new Eldorado of historical comparison, a period in which the nation state looked fundamentally different than before 1914 or in the interwar period. Sixth, the connection to fundamental theorems changed. The significance of neighbouring sciences, from which many ideas for comparison were taken, shifted.

The first change can be described as normalisation. The classical historical comparison of the 1970s and 1980s possessed a relatively high level of prestige in historical studies, and was even described as the ‘royal road’. Historical comparison had long roots not only in historical sociology, above all Max Weber, but also in historians such as Marc Bloch, Henri Pirenne, Otto Hintze and, in some cases, Karl Lamprecht.[15] Comparativists sometimes saw themselves as pioneers of an international opening of historical studies, which could be thematically much more comprehensive and diverse than the history of diplomacy or the international history of ideas. But historical comparison was only practised by a small group, with only a few comparisons being published each year. Historical comparison was considered risky for dissertations and post-doctoral theses.

In recent decades, historical comparison has moved on from this marginalised position. It has become a normal method used by historians in a discipline in which more methods are practised than in the 1970s. Historical comparison lost its pioneering character, including the glamour of the new, as more and more historians began working from a comparative perspective. The writing of comparative dissertations and post-doctoral theses was no longer a rare event. Historical comparisons continued to increase, particularly in Germany and France, right up to the present day. In the USA, their number remained at least at a stable level; today, historical comparisons can draw on a broad pool of several hundred historical studies without anyone really having counted them. Normalisation also means that this development was not linear. After an initial upswing in the 1970s and 1980s, the number stopped increasing in the 1990s and 2000s against the backdrop of the aforementioned debates and even decreased. Only since the end of the 2000s has the number of comparisons practised in the new contexts increased again.[16]

This growth in comparative work did not occur in a vacuum. Historians who chose this method encountered increasingly favourable financial conditions, as historical comparison was promoted by international research centers and conferences, institutes abroad, international networks, and foundations such as the European Research Council. These circumstances coincided with the recognition that comparative publications improved career opportunities, as one's own expertise extended to several countries and thus made it possible to apply for different chairs. The method of historical comparison also reflected the internationalisation of everyday life in Europe through travel, international educational and working stays, migration and the numerous private and international connections that arose as a result.

Historical comparison was not just a passing fashion. It became an established method in historical studies because the society in which historians today work thinks intensively in terms of comparisons. In the increasingly intensive personal encounters and experiences with other European and non-European cultures, comparisons are constantly being made and judgements passed. In this encounter and dialogue with others, assistance or critique from comparative historians is often helpful. The use of international comparison is not new in politics; it has been on the rise since the 1990s in the European Union with the open method of coordination and in international organisations, for example with the regular PISA studies of the OECD since 2000, as well as in countless international rankings of countries, cities, companies, scholars and artists.[17] To abandon historical comparisons would therefore mean no longer facing up to an important responsibility of historical scholarship.

 

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Vergleichende Grafik mit sechs stilisierten Frauen
The comparative graph shows the percentage of women in office as mayors (red), as ministers (orange) or as deputees in parlaments (violet) in Bolivia, Brasil, Chile, Columbia, Mexiko and Nicaragua.
Comparative chart: “Women in political office 2020, in percent”. Source: ILO/Heinrich Böll Foundation/Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frauen_in_politischen_%C3%84mtern_(50718474193).png [06.11.2024], license: CC BY-SA 2.0 Deed https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de

 

However, this normalisation of historical comparison, as well as the effect of the aforementioned debates, has led historians to become more aware of the problems of comparison: the danger of bias in national ways of thinking and mere self-affirmation through historical comparison; the overstatement of the developments that prevailed in the end and the understatement of the alternatives that remained weak; the neglect of the internal diversity of the comparative cases that complicated the comparison; the dependence of the selection of comparative cases on available sources and on the language skills of the comparative historian; the often unspoken assumptions about the normality or even superiority of one of the comparative cases, sometimes of one's own country, sometimes of other countries.

The second change in historical comparison is a methodological expansion: the opening of the comparison to the history of relationships between the compared cases, i.e. to transfers, to interdependencies, and to images of the self and the other. This broadening of the approach has become widely accepted because historians have recently not been content in general with the juxtaposition of individual cases in historical comparisons. They are also more often interested in the influence the compared cases had on each other, how strongly they were intertwined, and how contemporaries perceived the differences or similarities between the cases being compared. Whether a transnational historical study emphasises comparisons or transfers, interdependencies or reciprocal images, or whether it treats all these approaches equally, depends above all on the research question, the characteristics of the chosen comparison, the sources available for the respective project, and the intellectual currents that prevail at the time. This methodological expansion has improved the comparison.

However, there were also disappointments. The inclusion of the history of relationships in the practice of comparison led to new experiences. Transfers, interdependencies and images ‘of the other’ are not equally dense and comprehensible everywhere; sometimes, such evidence is disappointingly thin. Even between neighbouring and closely intertwined countries such as France and Germany, transfers between political or cultural public spheres have decreased in some cases since 1945. There is even talk of the paradox of declining transfers between countries that are close intertwined both economically and politically.[18]

Moreover, in the early days, it was primarily countries that were politically and culturally on an equal footing with each other for which the demand for more relationship history was realised in historical comparisons. Relations between France and Germany were often the inspiration for these demands. However, equality is not the rule. Historical comparisons are often made between countries that are positioned very differently in the international hierarchy or are even dependent on each other. This applies not only to comparisons between the northern and southern hemispheres, but often also to historical comparisons within Europe. Transfers to lower-positioned or dominated societies tend to be overestimated, while transfers to better-positioned or dominant societies tend to be underestimated. Therefore, including transfers in the comparison also means analysing transfers between unequally positioned countries more closely.

Finally, the inclusion of the history of relations in the historical comparison between many cases looks fundamentally different from the usual historical comparison between two or three cases. These comparisons between several cases have been neglected thus far. Transfers between many countries often become hybrid transfers in which the contributions of individual countries are difficult to recognise and which therefore need to be examined differently. Interdependencies between many countries could look very different. They range from ‘spider webs’ in which one country or one actor played a central role, to interlinkages in which each country has an equal weight. Even in the case of interdependencies, untested assumptions can lead to dead ends. Reciprocal images cannot be analysed for all pairs of countries in comparisons with many countries. Taking up a history of relations in historical comparison therefore often requires different research designs.[19]

However, this expansion of historical comparison was also facilitated by the fact that the undeniable methodological problems that historians have to deal with when using the method of historical comparison often exist in the history of relationships as well. For transfer and entanglement studies, too, the units between which transfers or entanglements exist must be constructed or contemporary constructions must be sought out – and are then perhaps overestimated. Moreover, just like historical comparison, transfer studies have a dark history. They could also be used as a component of ‘enemy sciences’: for example, “Westforschung” (research on the West) during the period of Nazi rule about alleged Germanic transfers to northern Belgium and France, the thesis of the older European colonial sciences of the primarily beneficial Europeanisation of the colonial populations, or some of the theses developed during the Cold War about the complete Sovietisation of Eastern Central Europe.[20]

The third change in historical comparison is the greater diversity of topics. The classical comparison focussed on a few fields of historical studies, on social and economic history, as in the case of Germany or the USA, and on cultural history, as in the case of France. Thematically, the use of comparison was concentrated in a few subject areas such as the welfare state, family, workers, the middle class, social protests and revolutions, industrialisation and enterprises. This changed. Historical comparison was increasingly used in all subject areas of historical research, no longer just in specific fields: in structural history as well as in the history of experience and ideas, in cultural and political history as well as in social and economic history.

In addition to comparisons between two or just a few countries, international synthesis with numerous comparisons in many subject areas has increased, in the history of capitalism and in the history of social inequality, in the history of civil rights and in the history of intellectuals, in the history of empires and colonies and in environmental history, in the history of opera and theatre as well as in the history of women and gender, to name just a few subject areas. Thematically, there were no longer any recognisable barriers to comparison.

The fourth change was the expansion of the areas of comparison and gradual disengagement from a Eurocentric focus. The area of classical historical comparison was Europe, sometimes also the West, including the USA, as the benchmark of modernity. In Europe, the comparison largely focussed on France, Great Britain and Germany, with occasional glances at Sweden or Switzerland as particularly modern countries, or at Italy and Eastern Europe as less modern parts of the continent. Comparisons with non-European countries were rarely made. However, French research was a significant exception. In France, historical comparison was initially driven primarily by experts from non-European countries. For this reason, non-European countries were initially included in comparisons more frequently than elsewhere. Unlike in Germany or the USA, comparisons were not necessarily made with the author’s own country, i.e. France.[21]

In recent decades, the Europe-centred nature of comparison has weakened somewhat. The comparison with non-European countries beyond the USA, on the other hand, increased, especially the comparison with East Asia.[22] The changed global political situation, the end of the Cold War, and the emergence of a world with several centres of power, also began to have an impact on historical comparison. European experts of non-European countries now played an important role in the gradual global opening of historical comparison, and not only in France. At the same time, scholars in France also turned more towards Europe and compared their own country with other, mostly European countries.[23] On the whole, however, European historical comparison remained and remains strongly focussed on Europe. Comparisons with the neighbouring Arab and African world are still just as rare as with other, more distant regions of the world, such as Latin America, South Asia or Southeast Asia.

A fifth change concerns the connection to theories. The most important, if not the only, theoretical link to classical historical comparison was modernisation theories, but not in a simple sense. Historical comparison did not simply mean classifying the compared cases into different degrees of modernisation; it also meant working out different paths of modernisation or pointing out contradictions between political and economic modernisation. The attraction of using historical comparison as a method in research usually lay not simply in the proof of modernisation, but also in the discussion of the obstacles and contradictions of historical development in relation to modernisation theories. In this sense, industrialisation, enterprises, literacy, family and demographic transition, social classes, social conflicts and revolutions, education systems, welfare states, urban planning, political parties and constitutions were compared.

 

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drei Grafiken von Stadtplanungen
City plans: from left to right Datong, 1955, source: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Datong_Urban_Plan_1955.jpg; Downtown Columbus, 1971-1980. source: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Planning_map_of_downtown_Columbus_-_DPLA_-_643fab4449bde81a0b20eebb5f41d935.jpg; Białystok, 2019, source: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bia%C5%82ystok_general_city_plan_2019_01.jpg, all public domain [06.11.2024]

 

In recent decades, however, the modernisation paradigm of both non-Marxist and Marxist origin has lost some of its influence on historical comparison. Historical comparison no longer merely served to classify modernising developments; it also facilitated a better understanding of the other and often also the self. More often, comparison meant wanting to understand the other better and no longer just pursuing the realisation of modernity. For this better understanding of the other, the precise comparison between the self and the other helped. Not only does it make it possible to show more precisely how the self differed from the other, where transfers and interdependencies were dense or were fended off, but in addition to reflections on one's own unexpected and overlooked similarities, convergences and interdependencies can also be revealed.

In this context, the seventh change, which arose due to impulses from other disciplines, can be identified. For the classical, still rather rare, historical comparison, particularly important impulses came from American historical social scientists such as Charles Tilly, Karl Deutsch, Reinhard Bendix and Barrington Moore, but also from European historical social scientists such as Stein Rokkan and Peter Flora.[24] The early comparative historians were often in direct personal contact with these scholars. This gradually changed.[25] Relationships with American comparative social science remained important, but American research lost its reference character for European historical comparison, since comparison became strongly established in Europe and political science in Europe became a discipline with particularly intensive comparative research, even more so than sociology. However, this gave rise to other interdisciplinary relationships. In the presentation of these comparative studies in political science textbooks, historical comparison has only played a minor role in recent times. Interdisciplinary links with historians were therefore rather rare. At the same time, a whole series of political scientists, such as Peter Katzenstein, Maurizio Cotta, Bertrand Badie, Ivan Krastev, Stephan Leibfried, Wolfgang Merkel and Herfried Münkler, to name just seven leading names, have made significant historical comparisons that have had an impact on historical studies; however, they have rarely written about the methodology of historical comparison.[26]

 

4. Summary

All in all, historical comparison today is not an obsolete, earlier stage of international history, one that contained too much national history and that was subsumed first by transfer studies and then by transnational history, as some have posited in exaggerated fashion. Over the past forty years, historical comparison has established itself as a mature method of historical studies that increasingly finds both regular and frequent expression, building on significant predecessors among historians and social scientists in the first half of the 20th century.

At the same time, historical comparison has changed considerably in recent decades. Its application has become routinised and standardised in research practice. In the process, its pioneering aura and with it the glamour of the new has been lost, but this has led to it being used in a more self-critical and reflective way. Since its establishment as a historical method, it has often been combined with other approaches such as the study of transfer, the study of entanglements or the study of historical representations of the self and the other, yet it is not simply absorbed into these other approaches. It has somewhat expanded its areas of comparison and is somewhat less centred on Europe than before. Its application has been extended to many topics and is now present in all historical topics. Comparativists have turned more strongly to contemporary history since 1945, which in turn has also changed the method, because this epoch leads to other focal points than the former Eldorado of historical comparison, the long 19th century. The method of historical comparison has loosened its originally close ties to the American historical social sciences and modernisation theories and is no longer exclusively an instrument for classification in modernity, but has also become a method for a more precise understanding of the other.

Historical comparison was intensively discussed and criticised, especially in the 1990s and 2000s. It was misunderstood as soon as it was seen exclusively as a rigid construction of national characteristics or even as a breeding ground for national prejudices. There were certainly historical comparisons of this kind, especially in times of international tension and war, when research on other countries was conducted as ‘enemy science’, i.e. as science about the enemy, and often consisted of historical speculation rather than serious research.

 

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gezeichnete vergleichende Tabelle mit Zeichnungen
German Reich propaganda poster, 1916: “Are we the barbarians?” Statistical comparison of the German Reich, England and France in the categories: a) social security; b) illiteracy; c) education; d) book production; e) Nobel Prizes; f) patents. Graphic: L[ouis] O[ppenheim]; Printed by: Dr. Selle & Co, Berlin. Source: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, J 151 Nr 2243 / Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sind_Wir_Die_Barbaren%3F.jpg [06.11.2024], License: CC BY 3.0 DE Deed https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/deed.de

 

Empirically demanding historical comparison, on the other hand, today usually gives historians the opportunity to familiarise themselves intensively with the other country being compared, its historical research, its language and way of thinking, its institutions and norms, and its historical memories. Comparison almost inevitably internationalises the researcher. Today, historical comparison is therefore part of transnational history and thus also part of the liberation of historical science from the corset of pure national history.

However, historical comparison is still strongly focussed on Europe and the West and does not deal enough with Africa, the Arab countries, Latin America, South Asia and Southeast Asia. Within Europe, it concentrates too much on the large countries, on Great Britain, France and Germany. It still compares too many nation states, too few regions and places and at the same time too few world regions.[27] International exchange between comparative historians even seems to be declining recently. Despite changes and improvements to the method, historical comparison is not chiseled in stone. Future generations of historians will continue to adapt it as they see fit.

 

German Version: Hartmut Kaelble, Historischer Vergleich, Version: 2, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.04.2024, https://docupedia.de/zg/kaelble_historischer_vergleich_v2_de_2024

 

References

[1] Overviews of historical comparison: Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka (eds.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung (Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag, 1996); Marcel Detienne, Comparer l'incomparable, Paris 2000, online at https://archive.org/details/comparerlincompa0000deti [06.11.2024]; Heinz-Gerhard Haupt, “Comparative History,” in: International Encyclopedia of the Social and Behavioural Sciences (Amsterdam: Elsevier, 2001), vol. 4, pp. 2397–2403; Jürgen Kocka, “Comparison and Beyond,” in: History and Theory 42 (2003), pp. 39–44; Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka (eds.), Comparative and Transnational History. Central European Approaches and new Perspectives (New York/Oxford: Berghahn Books, 2009), online at https://archive.org/details/comparativetrans0000unse_y9v4 [06.11.2024]; Jürgen Kocka, “Comparative History: Methodology and Ethos,” in: Benjamin Z. Kedar (ed.), Explorations in Comparative History (Jerusalem: Hebrew University Magnes Pres, 2009), pp. 29–36; James Mahoney/Dietrich Rueschemeyer (eds.), Comparative Historical Analysis in the Social Sciences (Cambridge: Cambridge University Press 2003); Hannes Siegrist, “Comparative History of Cultures and Societies. From Cross-Societal Analysis to the Study of Intercultural Interdependencies,” in: Comparative Education 42 (2006), pp. 377–404; Thomas Welskopp, “Comparative History,” in: European History Online (EGO), 12.03.2010, http://ieg-ego.eu/en/threads/theories-and-methods/comparative-history/thomas-welskopp-comparative-history [06.11.2024]; James Mahoney/Kathleen Thelen (eds.), Advances in Comparative-Historical Analysis (Cambridge: Cambridge University Press, 2015); Hartmut Kaelble, Historisch Vergleichen. Eine Einführung, (Frankfurt: Campus Verlag, 2021) (revised new edition of: Historical Comparison. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt: Campus Fachbuch, 1999); Hartmut Kaelble, “Der historische Vergleich,” in: Stefan Haas (ed.), Handbuch Methoden der Geschichtswissenschaft (Wiesbaden: Springer VS, 2023), http://doi.org/10.1007/978-3-658-27798-7_13-1 [06.11.2024].

[2] John Stuart Mill, A System of Logic, Ratiocinative and Inductive. Being a Connected View of the Principles of Evidence, and the Methods of Scientific Investigation (London: John W. Parker, 1843).

[3] Cf. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19.Jahrhunderts (Munich: C.H. Beck, 2009); Christopher A. Bayly, Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780–1914 (Frankfurt /New York: Campus Verlag, 2006). The different approach to the Franco-German comparison becomes particularly clear in: Hélène Miard-Delacroix, Deutsch-französische Geschichte. 1963 bis zur Gegenwart (Darmstadt: wbg, 2011).

[4] Marc Bloch, “Pour une histoire comparée des sociétés européennes (1928),” in: Mélanges historiques, ed. by Charles-Edmond Perrin (Paris: S.E.V.P.E.N, 1963), pp. 16–40; Osterhammel, ch. 12.

[5] Cf. Haupt, “Comparative History;” Kaelble, Historisch Vergleichen, pp. 49c.; important for historical explanation: Jürgen Osterhammel, “Explanation: The Limits of Narrativism in Global History,” in: Stefanie Gänger/Jürgen Osterhammel (eds.) Rethinking Global History (Cambridge: Cambridge University Press, 2024), online at https://doi.org/10.1017/9781009444002 [06.11.2024).

[6] Charles Tilly, Big Structures, Large Processes, Huge Comparisons (New York: Russell Sage Foundation, 1984), pp. 82c., 145c.

[7] Michel Espagne, Les transferts culturels franco-allemands, (Paris: PUF, 1999).

[8] Sebastian Conrad/Shalini Randeria (eds.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften (Frankfurt a.M./New York: Campus, 2002); Shalini Randeria, “Geteilte Geschichte und verwobenen Moderne,” in: Jörn Rüsen et al. (eds.), Zukunftsentwürfe. Ideen für eine Kultur der Veränderung (Frankfurt/New York: Campus 1999), pp. 87–96; broad approach including comparison: Dominic Sachsenmaier, “Global History,” Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010, http://docupedia.de/zg/sachsenmaier_global_history_v1_en_2010 [06.11.2024]; Gänger/Osterhammel (eds.) Rethinking Global History.

[9] Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung (München: C.H. Beck, 2013), p. 70.

[10] Cf. Conrad, Globalgeschichte; Alessandro Stanziani, Tensions of Social History: Sources, Data, Actors and Models in Global Perspective (London: Bloomsbury Publishing, 2023); Patrick Boucheron/Stéphane Gerson, France in the World. A New Global History (New York: Other Press, 2019).

[11] Akira Iriye/Pierre-Yves Saunier (eds.), The Palgrave Dictionary of Transnational History. From the mid–19th Century to the Present Day (Houndmills/New York: Palgrave Macmillan, 2009), p. VIII.

[12] Cf. Johannes Paulmann, “Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts,” in: Historische Zeitschrift 267 (1998), pp. 649–685; Alexander C.T. Geppert/Andreas Mai, “Vergleich und Transfer im Vergleich,” in: Comparativ 10 (2000), pp. 95–111, online at https://www.comparativ.net/v2/article/view/1181/2596 [06.11.2024]; Matthias Middell, “Kulturtransfer und Historische Komparatistik – Thesen zu ihrem Verhältnis,” in: Comparativ 10 (2000), pp. 7-41, online at https://www.comparativ.net/v2/article/view/1177/1041 [06.11.2024]; Wilfried Loth/Jürgen Osterhammel (eds.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten (Munich: Oldenbourg Verlag, 2000); Albert Wirz, “Für eine transnationale Gesellschaftsgeschichte,” in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), pp. 489–498; Hartmut Kaelble, “Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer,” in: id./Jürgen Schriewer (eds.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften (Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2003), pp.469–494; Christiane Eisenberg, “Kulturtransfer als historischer Prozess,” in: Kaelble/Schriewer (eds.), Vergleich und Transfer, pp. 399–417; Jürgen Osterhammel, “Transferanalyse und Vergleich im Fernverhältnis,” in: Kaelble/Schriewer (eds.), Vergleich und Transfer, pp. 439–466; Hannes Siegrist, “Perspektiven der vergleichenden Geschichtswissenschaft. Gesellschaft, Kultur, Raum,” in: Kaelble/Schriewer (eds.), Vergleich und Transfer, pp. 263-297; Patricia Clavin, “Defining Transnationalism,” in: Contemporary European History 14 (2005), pp. 421–439; Hannes Siegrist, “Transnationale Geschichte als Herausforderung der wissenschaftlichen Historiographie,” in: Connections, 16.02.2005, online at https://www.connections.clio-online.net/debate/id/fddebate-132113 [06.11.2024]; Hartmut Kaelble, “Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt?” in: Connections, 08.02.2005, online at http://www.connections.clio-online.net/debate/id/fddebate-132112 [06.11.2024]; Gunilla Budde/Sebastian Conrad/Oliver Janz (eds.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006); Ian Tyrrell, What is Transnational History? published on the website of Ian Tyrrell 2007, http://iantyrrell.wordpress.com/what-is-transnational-history/ [06.11.2024]; Kiran Klaus Patel, “Transnationale Geschichte,” in: Europäische Geschichte Online (EGO), Mainz, 03.12.2010, http://ieg-ego.eu/de/threads/theorien-und-methoden/transnationale-geschichte/klaus-kiran-patel-transnationale-geschichte [06.11.2024]; Konrad H. Jarausch, “Reflections on Transnational History,” in: H-German, 20.01.2006, https://lists.h-net.org/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=h-german&month=0601&week=c&msg=LPkNHirCm1xgSZQKHOGRXQ&user=&pw= [06.11.2024]; Madeleine Herren/Martin Rüesch/Christiane Sibille, Transcultural History. Theories, Methods, Sources (Heidelberg/Berlin: Springer, 2012); Margrit Pernau, Transnationale Geschichte (Göttingen: UTB, 2011); also: Wolfram Kaiser, “Brussels calling. Die Geschichte der Europäischen Union und die Gesellschaftsgeschichte Europas,” in: Arnd Bauerkämper/Hartmut Kaelble (eds.), Gesellschaft in der europäischen Integration seit den 1950er Jahren. Migration – Konsum – Sozialpolitik – Repräsentationen, (Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 2012), pp. 43–62; Philipp Gassert, “Transnationale Geschichte,” Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29.10.2012, http://docupedia.de/zg/gassert_transnationale_geschichte_v2_de_2012 [06.11.2024]; Hans-Jürgen Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer, 4th ed., (Stuttgart: J.B. Metzler, 2016); Kaelble, Historisch Vergleichen, pp.103–126.

[13] Pernau, Transnationale Geschichte, p. 53c.

[14] Michael Werner/Bénédicte Zimmermann, “Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen,” in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), pp. 607–636.

[15] Cf. Bloch, “Pour une histoire comparée des sociétés européennes (1928);” Otto Hintze, Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, vol. 2, 2nd ed. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1964), p. 251. Cf. as an example of a classic sociological comparison of Max Weber: Hinnerk Bruhns/Wilfried Nippel (eds.), Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000).

[16] Cf. Kaelble, Historisch Vergleichen, pp. 167c.

[17] Cf. Willibald Steinmetz (ed.), The Force of Comparison. A new Perspective on Modern European History and the Contemporary World (New York/Oxford: Berghahn Books, 2019); Angelika Epple/Walter Erhart (eds.), Die Welt beobachten. Praktiken des Vergleichens, (Frankfurt: Campus Verlag, 2015).

[18] Cf. Jörn Leonhard, “Nationen und Emotionen nach dem Zeitalter der Extreme – Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert,” in: id. (ed.), Vergleich und Verflechtung. Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert (Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2015), pp. 7–25, online at https://freidok.uni-freiburg.de/data/12790 [06.11.2024].

[19] Cf. for many examples of studies: Kaelble, Historisch Vergleichen, pp. 103c.

[20] Cf. Peter Schöttler, “Die deutsche ‘Westforschung’ der 1930er Jahre zwischen ‘Abwehrkampf’ und territorialer Offensive,” in: id. (ed.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945 (Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 1997), pp. 204–226; Karl Ditt, “Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel Franz Petri (1903-1993),” in: Westfälische Forschungen 46 (1996), pp. 73–176; Konrad H. Jarausch/Hannes Siegrist (eds.), Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970, (Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1997).

[21] Kaelble, Historisch Vergleichen, pp. 172c.

[22] In addition to world-historical syntheses mentioned above, cf. some further examples: Dominic Sachsenmaier, Global Perspectives on Global History. Theories and Approaches in a Connected World (Cambridge: Cambridge University Press, 2011); Isabella Löhr, Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. Neue Strukturen internationaler Zusammenarbeit 1886–1952 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010); Andreas Weiß, Asiaten in Europa, Begegnungen zwischen Asiaten und Europäern 1880–1914 (Paderborn: Brill Schöningh, 2016); Kristin Meißner, Strategische Experten. Die imperialpolitische Rolle von ausländischen Beratern in Meiji-Japan (18681912) (Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2018); Jürgen Osterhammel, Unfabling the East: The Enlightenment's Encounter with Asia (Princeton: Princeton University Press, 2018); Christian Methfessel, Kontroverse Gewalt. Die imperiale Expansion in der englischen und deutschen Presse vor dem Ersten Weltkrieg (Vienna/Cologne/Weimar: Böhlau, 2019); Christof Dejung/David Motadel/Jürgen Osterhammel (eds.), The Global Bourgeoisie: The Rise of the Middle Classes in the Age of Empire (Princeton: Princeton University Press, 2019); Andrew B. Liu, Tea War: A History of Capitalism in China and India (New Haven/London: Yale University Press, 2020).

[23] See, among others, Nicolas Delalande/Béatrice Joyeux-Prunel/Pierre Singaravélou/Marie-Bénédicte Vincent (eds.), Dictionnaire historique de la comparaison (Paris: Éditions de la Sorbonne, 2020). Christophe Charle, the French historical comparatist with the most publications, has published several European comparative studies on intellectuals, empires, theatre and cultures since the 1990s (cf. ibid., p. 302).

[24] Cf. Reinhard Bendix, Herrschaft und Industriearbeit. Untersuchungen über Liberalismus und Autokratie in der Geschichte der Industrialisierung (Frankfurt: Europäische Verlagsanstalt, 1960); Barrington Moore, Social Origins of Dictatorship and Democracy: Lord and Peasant in the Making of the Modern World (Boston: Beacon Press, 1966); Tilly, Big Structures, Large Processes, Huge Comparisons; Stein Rokkan, Vergleichende Sozialwissenschaft: Die Entwicklung der inter-kulturellen, inter-gesellschaftlichen und inter-nationalen Forschung. Hauptströmungen der sozialwissenschaftlichen Forschung (Frankfurt: Ullstein, 1972); Theda Skocpol, States and Social Revolutions: A Comparative Analysis of France, Russia, and China (Cambridge: Cambridge University Press, 1979); Peter Flora (ed.), Stein Rokkan: Staat, Nation und Demokratie in Europa. Die Theorie Stein Rokkans aus seinen gesammelten Werken rekonstruiert und eingeleitet von Peter Flora (Frankfurt: Suhrkamp 2000).

[25] Cf. Dominic Sachsenmaier, Global Perspectives on Global History. Theories and Approaches in a Connected World (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), pp. 59c., here 110c., 122c.

[26] Cf. Stefan Immerfall, “Europäischer Gesellschaftsvergleich,” in: Maurizio Bach/Barbara Hönig (eds.), Europasoziologie. Handbuch für Wissenschaft und Studium (Baden-Baden: Nomos, 2018), pp. 470–478; Klaus von Beyme, Vergleichende Politikwissenschaft (Wiesbaden: VS, 2010); James Mahoney/Kathleen Thelen (eds.), Advances in Comparative-Historical Analysis (Cambridge: Cambridge University Press, 2015).

[27] Particularly informative in this regard: Osterhammel, “Transferanalyse und Vergleich im Fernverhältnis,” in: Kaelble/Schriewer (eds.), Vergleich und Transfer; Osterhammel, “Explanation: The Limits of Narrativism in Global History,” in: Gänger/Osterhammel (eds.), Rethinking Global History.