Eliten

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Dem Begriff der ‚Elite‘ wohnt eine begriffliche Unschärfe inne, welcher Morten Reitmayer in seinem Artikel auf den Grund geht. Beginnend bei frühen Elite-Theorien, die die Unterscheidung von Elite und Nicht-Elite als wichtigste gesellschaftliche Trennlinie betrachteten, wendet er sich zentralen Termini zu und grenzt Funktions- und Machteliten voneinander ab. Zentral für Reitmayer sind auch die fruchtbaren kritischen Ansätze von Bourdieu, die für ihn eine potentielle Bereicherung der Erträge der Eliten-Forschung bereithalten.
Eliten, Machteliten, Funktionseliten, Elitenwechsel

von Morten Reitmayer

Im Gegensatz zu ähnlich gelagerten Ordnungsbegriffen wie „Masse" oder „Klasse", die in der Bundesrepublik nach 1945 relativ schnell aus dem sozialwissenschaftlichen Vokabular wie aus der politischen Sprache und dem Alltagsgebrauch verschwanden, erfreut sich der Elite-Begriff nach wie vor einer großen und sogar zunehmenden Beliebtheit bei Wissenschaftler/innen, Publizist/innen und Politiker/innen. In der politisch-publizistischen Sprache der Bundesrepublik changiert die Bedeutung des Begriffs zwischen Ansprüchen auf den Vorbildcharakter der Eliten-Mitglieder einerseits und der individuellen Leistungsauslese andererseits, während im anglo-amerikanischen Raum die Akkumulation gesellschaftlicher Macht im Vordergrund steht. In jedem dieser Fälle drückt die Verwendung des Elite-Begriffs ein spezifisches Meinungswissen über die Gesellschaft aus.[1] Daher bedarf er in seinen unterschiedlichen Ausprägungen einer präzisen Historisierung: Eine Geschichte der Elite-Theorien wird diese stets in den Kontext ihrer Entstehung einbetten; die Verwendung dieser Theorien wird den impliziten und expliziten Vorannahmen, die aus diesem Kontext in die Theoriebildung eingeflossen sind, nicht entgehen können.

Genese und Entwicklung der modernen Elite-Theorien

Sieht man von Versuchen ab, frühe Theorien über Eliten auf Saint-Simon, Thomas Carlyle, Machiavelli oder sogar Plato zurückzuführen – diese Autoren verwendeten den Terminus „Elite" noch nicht –, so beginnt die Entwicklung des modernen, sozialwissenschaftlich untermauerten Elite-Begriffs mit den Arbeiten von Gaetano Mosca und Vilfredo Pareto. Was beide Sozialtheoretiker bei allen Unterschieden miteinander verband, war der Ehrgeiz, realistische und vorurteilsfreie Begriffe zur Beschreibung der sozialen Welt zu konzipieren und auf diese Weise die Krise der liberalen Demokratie zu überwinden, in der sich die europäischen Gesellschaften ihrer Meinung nach befanden. Demzufolge war ihr jeweiliger Elite-Begriff eingebettet in eine ganze Theorie der Bedingungen sozialer Stabilität beziehungsweise (vor allem bei Pareto) des sozialen Wandels – von schrittweisen Veränderungen bis hin zur Revolution. Allerdings verwendeten beide den fraglichen Terminus nicht in strenger Form, das heißt abgegrenzt von seinen Nachbarbegriffen. Vielmehr gebrauchte Pareto „Elite", „Aristokratie" und „Herrschende Klasse" durchaus synonym, und Mosca, der dem Wort „Elite" eher unwillig gegenüber stand, schrieb lieber von der „Politischen Klasse" („classe politica"), woraus in der Rezeption die „Regierende", später die „Herrschende Klasse" und schließlich die „Elite" wurde.[2]

Die begriffliche Unschärfe ist den Elite-Modellen also von Anfang an eingebaut. Sie ist die logische Folge des Anspruchs ihrer Urheber, mit dem Elite-Begriff eine überhistorische Kategorie mit universaler Analyse- und Erklärungskraft gefunden zu haben. Das empirische Material, auf das sich Mosca und Pareto bezogen, waren die gesamte Menschheitsgeschichte beziehungsweise angenommene anthropologische Konstanten. Die dabei im Gestus der Entlarvung aufgestellte Behauptung, alle menschlichen Gesellschaften würden von Eliten regiert, zielte politisch auf die Entlegitimierung aller demokratischen und partizipatorischen Parteien, Bewegungen und Ideologien einschließlich des Marxismus, auf dessen „Widerlegung" beide einen erheblichen Aufwand verwendeten.

Der gedankliche Ausgangspunkt von Moscas wie Paretos Bemühungen war die Behauptung, die Unterscheidung zwischen Elite und Nicht-Elite stelle die wichtigste gesellschaftliche Teilungslinie dar. In diesem Zusammenhang verdanken die Ideengeschichte und die Sozialwissenschaften Pareto einen der konsequentesten Versuche, einen wirklich präzisen Elite-Begriff zu modellieren, nämlich mittels eines Index menschlicher Leistungen: Die Individuen mit der höchsten Messzahl stellen die Elite dar.[3] Langfristig wirksamer als diese in der empirischen Arbeit schwer umzusetzende Idee einer „Leistungselite" wurde Paretos Modell sozialen Wandels, das auf der permanenten Konkurrenz zweier Fraktionen der Elite basiert, der aktuell regierenden und der nicht-regierenden (ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei Mosca). Die späteren Modelle von „Machteliten" und „Funktionseliten" haben hier ihren theoretischen Ursprung. Aus der Dynamik dieser Konkurrenz versuchten die frühen Elite-Theorien, allen gesellschaftlichen Wandel zu erklären, und reduzierten damit letztlich das relevante soziale Geschehen auf das Handeln der Elite. Dieser Glaube an die gesellschaftlich allein ausschlaggebende Bedeutung der Elite, der sich unter anderem in der Vorannahme nicht weniger späterer Elite-Studien manifestiert, die Analyse der Elite eines Landes enthielte bereits alles Wissenswerte über dessen Gesellschaft, stellt deshalb ebenso wie die elementare gesellschaftliche Einteilung in Elite und Nicht-Elite ein Erbe Moscas und Paretos dar.

Funktionseliten

Weder Mosca noch Pareto hinterließen wissenschaftliche Schulen, die ihre Ideen hätten weiterentwickeln können. So erhielt die Theoriebildung erst in den 1940er- und frühen 50er-Jahren neue Impulse. Nun stellte allerdings nicht mehr die Krise des Liberalismus, sondern die totalitäre Bedrohung der Massendemokratie beziehungsweise der Ost-West-Konflikt den politisch-ideellen Stimulus dar.

In seinem englischen Exil verfasste der deutsche Soziologe Karl Mannheim nicht nur den ersten brauchbaren Überblick über die bisher erschienene Literatur zum Elite-Thema; er konzipierte vor allem die Vision einer Planungselite im Massenzeitalter, die durch die effiziente Steuerung der gesellschaftlich notwendigen Funktionen die Demokratie am Leben hält. In diesem Modell wurde die Demokratie erstmals zum schützenswerten Gut einer funktional gedachten Elite (allerdings noch nicht einer „Funktionselite" im strengen Sinn).[4]

In seiner reinsten Form wurde das Konzept der Funktionselite dann zu Beginn der 1960er-Jahre von Hans Peter Dreitzel entwickelt. In diesem Modell gewährleisten die Elite-Mitglieder, die nach den Maßstäben individueller Leistung und des Erfolgs bei der Erledigung ihrer Aufgaben in die Elite aufgenommen werden, die wesentlichen Funktionen einer Gesellschaft. Gleichzeitig wirken sie als gesellschaftliches Vorbild, indem sie die zentralen Systemanforderungen als persönliche Werthaltungen über ihren engeren Personenkreis hinaus verbreiten. Dreitzel definierte diese Funktionselite wie folgt:

„Eine Elite bilden diejenigen Inhaber der Spitzenpositionen in einer Gruppe, Organisation oder Institution, die auf Grund einer sich wesentlich an dem persönlichen Leistungswissen orientierenden Auslese in diese Positionen gelangt sind, und die kraft ihrer Positions-Rolle die Macht oder den Einfluss haben, über ihre Gruppenbelange hinaus zur Erhaltung oder Veränderung der Sozialstruktur und der sie tragenden Normen unmittelbar beizutragen oder die auf Grund ihres Prestiges eine Vorbildrolle spielen können, die über ihre Gruppe hinaus das Verhalten anderer normativ mitbestimmt. […] Die elitäre Sozialstruktur [der industriellen Gesellschaft, M.R.] verlangt prinzipielle Offenheit ihrer Spitzenpositionen für jeden und stellt damit das Problem der Auslese in neuartiger Schärfe. […] Für die industrielle Gesellschaft ist die prinzipielle Offenheit der Berufsstruktur […] eine funktionale Notwendigkeit, weil sie die Voraussetzung ihrer Leistungsfähigkeit ist."[5]

In mehrfacher Hinsicht ist Dreitzels Elite-Modell dabei exemplarisch geworden: Erstens schätzte sein Urheber selbst es als weitgehend ungeeignet für die empirische Forschung ein, und tatsächlich liegen kaum empirische Untersuchungen zu Funktionseliten in diesem strengen Sinne vor. Zweitens verknüpfte Dreitzel wie kein anderer das Moment der individuellen Leistungsauslese der Elite mit den systemischen Anforderungen moderner Gesellschaften, zu denen er auch die kommunistisch beherrschten rechnete. Drittens insistierte Dreitzel wiederholt darauf, dass nur die entwickelten Industriegesellschaften über die „elitäre Sozialstruktur" verfügten, die Eliten erst notwendig mache und hervorbringe. Diese elitäre Sozialstruktur beruhe auf der grundsätzlichen sozialen Offenheit des Zugangs zu den funktionalen Spitzenpositionen. Dreitzels Elite-Begriff ist also eine historische, keine universale Kategorie. Damit steht sein Modell paradigmatisch für die spätestens seit Mitte der 1960er-Jahre in der Bundesrepublik vorherrschende Aufladung des Elite-Begriffs mit dem Moment der individuellen Leistungsauslese. Viertens schließlich stellten Funktionseliten immer nur Teileliten dar; im Horizont dieses Elite-Begriffs existiert also keine einheitliche und beherrschende Gesamtelite.

Eine andere, ganz ausdrücklich kaum weniger empirieferne Elite-Theorie entwarf fast zur gleichen Zeit Suzanne Keller mit ihrem Konzept der „Strategischen Eliten". Unter ausdrücklicher Berufung auf Talcott Parsons' berühmtes AGIL-Schema[6] und im Vertrauen auf die vermeintliche Objektivität funktionalistischer Ansätze[7] entwarf Keller ein historisches Phasenmodell der Entwicklung von Eliten, das durch fortwährende funktionale Differenzierungen von den herrschenden Kasten früher Gesellschaften über die Aristokratien des europäischen Mittelalters und die herrschenden Klassen des 19. Jahrhunderts (daher der Titel ihrer Monografie: „Beyond the Ruling Class") in die Entwicklung der „Strategischen Eliten" der Gegenwart mündete. „Eliten" gab es demnach zu allen Zeiten, „Strategische Eliten" erst im 20. Jahrhundert. Während sich alle Eliten durch ihre besonderen Funktionen, nämlich die Verantwortung für die Realisierung der wesentlichen Ziele der Gruppe und die Kontinuität der sozialen Ordnung auszeichnen (auch Keller übernahm hier die Grundannahme Moscas und Paretos von der elementaren Relevanz der Elite für jede Gesellschaft), können diese Aufgaben in modernen Gesellschaften wegen deren Differenziertheit nicht mehr von einer einheitlichen, sondern nur noch von funktionalen Teileliten wahrgenommen werden. Diese strategischen Teileliten seien von geringem zahlenmäßigen Umfang und von flüchtiger sozialer Konsistenz und in ihrer Rekrutierung auch nicht derart geschlossen wie die oberen Klassen des 19. Jahrhunderts. Aus diesem Grund insistierte Keller – wie Dreitzel – auf der sozialen Offenheit dieser Teileliten als sozialem Faktum.

Keller schloss ihr Buch mit einem optimistischen Fazit: Der Traum von einer Gesellschaft, die Freiheit und Pluralismus für alle ihre Mitglieder ermöglicht und die statt durch Despotie durch Leistung regiert wird, sei schon beinahe Wirklichkeit geworden. Dieser Fortschrittsoptimismus ließ sich in den 1960er-Jahren, als Kellers Studien entstanden, durchaus als „liberal" verstehen. Doch hat die These der sozialen Offenheit von Elitepositionen der empirischen Überprüfung nicht standgehalten und verwandelte sich mit der Zeit in eine sozialkonservative Abwehrideologie, während gleichzeitig die Vorstellung, Freiheit und Pluralismus sollten allein vom Verhalten der Funktionseliten abhängen, auf die Kritik von Partizipationsforderungen stieß.

Machteliten

Wirkungsmächtig wurde dieser Begriff zunächst in den Vereinigten Staaten, wo im Verlauf der 1950er-Jahre eine Reihe von Studien erschien, die in methodischer und empirischer Hinsicht für lange Zeit maßgeblich wurden, und zwar in dreifacher Hinsicht: Erstens legten sie die Grundlagen für den systematischen Vergleich zwischen nationalen Eliten; zweitens begannen sie, über narrative Quellen hinaus sozialstrukturelle Daten als empirische Belege ihrer Untersuchungen zu verwenden und teilweise selbst zu erheben. Und drittens zielten sie darauf, aus der Formation nationaler Eliten allgemeine Rückschlüsse auf die Politik von Ländern ziehen zu können, die von besonderem Interesse für die USA waren, weshalb zu dieser Zeit Westdeutschland, aber auch das Dritte Reich und das faschistische Italien sowie die Volksrepublik China und die Sowjetunion den Untersuchungsgegenstand darstellten.[8]

Noch aus zwei weiteren Gründen waren die US-amerikanischen Sozialwissenschaften zu dieser Zeit führend in der Weiterentwicklung der Eliten-Forschung in Theorie und Praxis. Zum einen schuf die community-power-Forschung mit dem Reputations- und dem Entscheidungsansatz neue Verfahren der Identifizierung zunächst lokaler, dann aber auch überlokaler Eliten.[9] Zum anderen wies C. Wright Mills' gleich näher zu erörterndes Konzept der „Machtelite" in eine ganz neue Richtung der Eliten-Forschung. Erst als dieses konzeptionelle Niveau der Analyse von Eliten in Theorie und Praxis erreicht war, konnte ein Problem aufgerollt werden, das die Elite-Theorien und –Theoretiker/innen bis heute beschäftigt: der modelltheoretisch nach wie vor nicht hinreichend bestimmte Status des sozialen Aggregats „Elite" als eine Art (Herrschender) Klasse, als Schicht („Führungsschicht", „Oberschicht") oder als rein abstrakte Summe von Individuen.

Bemerkenswerterweise waren und sind es gerade mehr oder weniger unorthodox marxistisch inspirierte Sozialwissenschaftler, die auch gelegentlich als „kritische" Eliten-Theoretiker bezeichnet werden, die die avanciertesten Lösungen für dieses Problem konzipiert haben. Zu nennen sind neben C. Wright Mills vor allem Michael Hartmann und Pierre Bourdieu.

Mills sah die amerikanische Gesellschaft der Eisenhower-Ära beherrscht von einer sehr kleinen und hochintegrierten, ja oligarchischen „Machtelite" (ein Begriff, dem er mit seinem Buch Berühmtheit verschaffte), die längst zu einer schweren Bedrohung der Demokratie geworden sei. Damit übernahm Mills aber auch zwei wichtige Grundannahmen der klassischen Elite-Theorie Moscas und Paretos, nämlich zum einen, dass die Zweiteilung zwischen Elite und Nicht-Elite die wichtigste soziale Unterscheidung darstelle, und zum anderen den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Elite und Demokratie; eine solche Bedrohung wollte Mills allerdings ausdrücklich nur für die Gegenwart und nicht etwa für die gesamte US-amerikanische Geschichte anerkennen.

Andererseits war Mills' Konzept der Machtelite ganz deutlich, wenn auch indirekt, ein Produkt des Kalten Krieges, also einer einmaligen historischen Konstellation, denn ein wesentlicher Faktor für ihre politisch-soziale Genese war laut Mills die „permanente Kriegswirtschaft", welche die enge und dauerhafte Verzahnung politischer, wirtschaftlicher und militärischer Interessen erst ermöglicht habe. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist Mills' Konzept der „Machtelite", entwickelt zur Analyse der realen Machtverteilung einer aus seiner Sicht bloß noch formal demokratischen, kapitalistischen, atomaren Supermacht im Zustand hoher außenpolitischer Spannungen, nur schwer auf andere Gesellschaften übertragbar.

Diese wenige tausend Köpfe zählende Machtelite bezeichnete Mills ausdrücklich nicht als „Herrschende Klasse", um nicht eine Dominanz der Unternehmerschaft zu suggerieren. Eine „Oberschicht" müsste zahlenmäßig viel umfangreicher sein; eine bloße Summe von Individuen wiederum wäre untereinander nicht stark vernetzt. Seit Mills bleibt der Terminus „Machtelite" daher für eine kleine Oligarchie mit hochkonzentrierten und weitreichenden Entscheidungsmöglichkeiten reserviert. Diese Machtelite definierte er als diejenigen „Männer", denen ihre Positionen „die Möglichkeit [geben], Entscheidungen von größter Tragweite zu treffen". Damit meinte er die Inhaber der Schlüsselpositionen der „großen institutionellen Hierarchien" – Politik, Wirtschaft und Militär:

Sie „beherrschen […] die mächtigsten Hierarchien und Organisationen der modernen Gesellschaft. Sie leiten die großen Wirtschaftsunternehmen. Sie sitzen an den Schalthebeln des Staatsapparates und beanspruchen für sich alle Vorrechte, die sich daraus ergeben. Sie befehligen die Streitkräfte. Sie nehmen in unserer Gesellschaftsstruktur die strategisch wichtigen Kommandostellen ein und verfügen damit auch über alle Mittel, von der Macht, dem Reichtum und der Berühmtheit, deren sie sich erfreuen, wirksam Gebrauch zu machen."

Im Weiteren gab Mills eine sehr ausdifferenzierte positionale Bestimmung der amerikanischen Machtelite, weil er nicht allein die einfache Position an der Spitze der Hierarchie zum Qualifikationskriterium erklärte, sondern die Verknüpfung verschiedener gesellschaftlicher Teilsysteme. Der „innere Kern" der amerikanischen Machtelite bestand demnach zum einen „aus den Männern, die die Führungsrollen in den drei Institutionen untereinander austauschen: dem Admiral, der gleichzeitig Bankier und Anwalt ist und jetzt einer wichtigen Bundesbehörde vorsteht; dem Generaldirektor, dessen Gesellschaft zu den drei größten Kriegsmaterial-Produzenten gehörte und der jetzt Verteidigungsminister ist". Zum anderen rechnete Mills zu diesem „inneren Kern" die Leiter einiger großer Anwaltsfirmen sowie eine Reihe von Bankiers, die die Rolle eines „professionellen Mittelsmann[es] zwischen Wirtschaft, Politik und Militär" spielten. Diese Personen stünden in einem ständigen beruflichen wie privaten Austausch miteinander und prägten so eine gemeinsame Wert- und Wahrnehmungsstruktur aus. Die „Männer an der Peripherie der Macht-Elite" bekleideten dagegen eine Spitzenposition in nur einem der drei Bereiche, und in ihren und „den darunter gelegenen Rängen geht die Macht-Elite allmählich in die mittleren Machtebenen über".[10] In der Differenziertheit seiner Studie fand Mills nur wenige Nachfolger. Allerdings erntete er auch heftige Kritik, weil sein skeptischer Blick offensichtlich gegen das zeitgenössische Meinungswissen verstieß, das lieber vom Pluralismus konkurrierender Teileliten sprach und in diesen „Vetogruppen" keine Bedrohung für die Demokratie sehen mochte.

„Kritische" Elite-Theorien

Michael Hartmann, derzeit sicherlich Deutschlands führender „Elitesoziologe", hat den Ansatz von Mills – unter ausdrücklicher Adaption von dessen gesellschaftskritischer Perspektive, wenn auch nicht seiner umfassenden Zeitdiagnose – übernommen und weiterentwickelt. Das Erkenntnisinteresse seiner Arbeiten ist deutlich darauf gerichtet, die in Deutschland zweifellos vorherrschende Auffassung, Eliten, vor allem wirtschaftliche, würden durch individuelle Leistung auserlesen, als Mythos zu entlarven.[11] Das ist ihm empirisch zweifellos gelungen, wobei er in weitaus höherem Maß als Mills quantifizierend argumentiert. Allerdings hat Hartmann dabei partiell den Elite-Begriff zu Gunsten desjenigen der „Herrschenden Klasse" beziehungsweise des damit synonym gebrauchten „gehobenen Bürgertums" aufgegeben. Dies ist die logische Konsequenz der Anlage von Hartmanns Untersuchungen, die im Wesentlichen der Reproduktion einer „Positionselite", in diesem Fall der Vorstandsmitglieder von Großunternehmen, durch soziale Herkunft, Bildungstitel und habituelle Prägungen nachgehen und demzufolge ein wesentlich breiteres soziales Stratum als Herkunftsmilieu der Topmanager erschließen müssen, als es etwa Mills konzentrierte „Machtelite" darstellt. Die Elite besteht hier also nicht allein aus der kleinen Gruppe der Positionsinhaber, sondern aus dem gesamten, rund 4 Prozent der Bevölkerung umfassenden Sozialmilieu, aus dem die Inhaber der Spitzenpositionen bevorzugt rekrutiert werden. Hartmanns Annäherung des Elite-Begriffs an Klassen-Konzepte erscheint damit ebenso sehr als politisch-ideell („kritisch") motivierte Revitalisierung der Klassenanalyse wie als notwendige Folge seiner Analyserichtung.

Damit eröffnen sich allerdings neue (aus Sicht der Klassenanalyse durchaus bekannte) konzeptionelle Probleme, von denen hier nur drei genannt werden sollen: Erstens müsste eingehender als bisher geklärt werden, worin die „Klassenherrschaft der Elite" denn besteht, wie sie sich zu demokratischen Institutionen, bürgerschaftlicher Partizipation, betrieblicher Mitbestimmung usw. verhält, wie sich das „Klassenbewusstsein" dieser Elite reproduziert und weshalb ihr keine andere selbstbewusste Klasse gegenübersteht, auf welche Weise und mit welchen Mitteln die Klassenherrschaft ausgeübt und gesichert wird, in welchen Institutionen und Ereignissen sie manifest und sichtbar wird, kurz, wie es um den Klassencharakter der bundesdeutschen Gesellschaft jenseits der unbestreitbaren Segregation im Bildungssystem und der auseinanderdriftenden Einkommensverteilung bestellt ist.

Zweitens sind die Beziehungen zwischen den Klassen und damit die typische Art und Weise des Elite-Handelns so gut wie unerforscht, jedenfalls im konzeptionellen Horizont der neueren Elite-Theorien. Reduzieren sich die (Klassen-)Beziehungen zwischen der Unternehmerschaft und den Beschäftigten auf das Lohnverhältnis, oder eröffnet der Elite-Begriff hier die Möglichkeit zu einer größeren Differenzierung? Wie lässt sich darüber hinaus historischer Wandel des Elite-Handelns konzipieren? Und drittens stellt sich die Frage nach den anderen Fraktionen dieser Elite oder „Herrschenden Klasse", vor allem denjenigen in Politik, Bildungswesen, Medien und Kultur, die zur Aufrechterhaltung dieser Klassenherrschaft notwendig sein müssten, zu denen die ökonomische (Teil-)Elite jedoch nicht nur Komplementär-, sondern auch Konkurrenz- und Konfliktbeziehungen unterhält (ganz abgesehen von „Gegeneliten", vor allem in Gewerkschaften und oppositionellen politischen Parteien). Anders gesagt, das zentrale Problem des Verhältnisses zwischen ökonomischem Kapital einerseits und politischem, kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital andererseits scheint an dieser Stelle modelltheoretisch noch nicht gelöst.

Den weitesten Schritt zu einer solchen Lösung hin hat sicherlich der französische Soziologe Pierre Bourdieu getan, der sich im Verlauf der 1980er- und 90er-Jahre in seinen Untersuchungen mehr und mehr vom bisher verwendeten Begriff der „Herrschenden Klasse" (den Terminus „Elite" verwendete er nur polemisch) verabschiedet und diesen durch das Konzept des „Feldes der Macht" ersetzt hat. Dieses Feld unterscheidet sich seinem Ansatz nach von anderen sozialen Feldern zum einen dadurch, dass innerhalb seines Ausdehnungsbereichs nicht um die Akkumulation einer bestimmten einzelnen Kapitalform – im ökonomischen Feld beispielsweise um wirtschaftliche Profite –, sondern um den relationalen Wert der oben genannten Kapitalsorten gekämpft wird. Hier geht es also um die Suprematie einer bestimmten Kapitalform über die anderen (was sich grob als „Primat der Politik" oder „Primat der Wirtschaft" ausdrücken ließe). Zum anderen finden in diesem Feld neben den Auseinandersetzungen um das „herrschende Herrschaftsprinzip" auch diejenigen um das „herrschende Legitimationsprinzip" statt. Damit löste Bourdieu nicht nur einige der oben skizzierten konzeptionellen Probleme, vor allem diejenigen der Herstellung von Legitimation für Herrschaft und Ungleichheit sowie der Beziehungen zwischen den Teileliten; er vollzog vor allem einen entscheidenden Bruch mit allen bisherigen Elite-Theorien,[12] indem er sein Augenmerk nicht mehr auf das Profil einer Personengruppe (der „Elite" oder „Herrschenden Klasse") richtete, sondern auf „Strukturen der Macht" und auf die spezifische Logik einer Arena von Positionen und Kämpfen, auf die hier vorherrschenden Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen, die legitimen Reproduktionsmechanismen, auf den nomos des Feldes.[13]

In seinen empirischen Arbeiten hat Bourdieu dann immer wieder Teilbereiche des Feldes der Macht mit seinen Institutionen untersucht: das höhere Bildungssystem (besonders die grandes écoles), das französische Episkopat, die großen nationalen Planungsstäbe, aber auch das Feld der Intellektuellen und Aspekte des ökonomischen Feldes, ohne jedoch jemals eine geschlossene Darstellung des Feldes der Macht als solchem vorzulegen.[14] So bleiben die allgemeine wie die jeweilige historische Logik dieses besonderen Feldes letztlich nur vage. An diesem „Versäumnis" krankt sicherlich die Rezeption des Konzepts in Deutschland. Zweifellos hat die knappe Darstellung in „La Noblesse d'état" mit ihrer sehr schematischen Gegenüberstellung von nur zwei Kapitalsorten – dem ökonomischen und dem kulturellen Kapital –, die sich bei weitem nicht mit der Differenziertheit messen kann, die die Darstellung des sozialen Raums in „Die feinen Unterschiede" oder in „Homo academicus" erreicht, eher zu Missverständnissen herausgefordert. Dazu kam noch die gelegentliche Bemerkung, der Staat stelle eine Art „Zentralbank für symbolischen Kredit", für die einmal erkämpften „Wechselkurse" dar;[15] was von deutscher Seite einmal mehr als typisch französischer und nicht verallgemeinerbarer Etatismus wahrgenommen werden konnte. Andererseits könnten gerade Bourdieus Überlegungen zum „Feld der Macht" die empirische Eliten-Forschung aus den oben erläuterten konzeptionellen Sackgassen befreien. Dazu wäre es zunächst notwendig, die zentralen Prozesse und Konflikte um das herrschende Herrschafts- und das dominierende Legitimationsprinzip zu identifizieren, in denen das Feld der Macht in seinen Kräfteverhältnissen und seiner Binnenlogik sichtbar wird. An diesem Punkt dürfte es auch notwendig sein, dem politischen Kapital einen weitaus größeren Stellenwert einzuräumen, als Bourdieu es getan hat, und zwischen den unterschiedlichen Formen des kulturellen Kapitals stärker zu differenzieren.

Und schließlich könnte eine solche konzeptionelle Neuausrichtung den Anlass und die Möglichkeit geben, Eliten daraufhin zu untersuchen, weswegen man ihnen gesellschaftliche Bedeutsamkeit unterstellt, nämlich ihr spezifisches Handeln, also die aktive Ausübung von Elitenmacht. Hier ist zu überlegen, inwieweit unter dem Stichwort der „Gouvernementalität" Anschlüsse an die Überlegungen des in der deutschen Eliten-Forschung eigentlich fast vollständig abwesenden Michel Foucault möglich und notwendig sind. Unabhängig davon, ob das Handeln der Eliten als das Erbringen systemnotwendiger Funktionen gedacht wird oder als Durchsetzung von Akkumulations- und Reproduktionsinteressen: Die spezifische Art und Weise, in der Herrschafts- und Funktionsträger, also die jeweiligen „Eliten", in Beziehung zu anderen Sozialgruppen treten, einen Konsens über die Gruppenziele herstellen und die Allokationsentscheidungen zum Erreichen dieser Ziele durchsetzen, ist von der Eliten-Forschung bislang stiefmütterlich behandelt worden. Das gesamte Feld der Semantiken und Praktiken, das sich im Begriff der „Führung" verdichtet, von der gewaltsamen Unterwerfung und dem Befehlsprinzip über paternalistische Strategien bis hin zu quasi-partizipatorischen Verfahren, bildet hier nicht nur einen lohnenden Untersuchungsgegenstand, sondern geradezu den modelltheoretischen Fluchtpunkt aller Elite-Theorien.

Elitenwechsel

Das Interesse am Austausch von Eliten ist der Eliten-Forschung inhärent: Von Anfang an stand im Zentrum der Elite-Theorien die Frage nach der Beziehung zwischen Elitenzirkulation und Regimewechseln. Allerdings hat sich schon seit dem Zweiten Weltkrieg dabei die Perspektive gewissermaßen umgekehrt: Nicht mehr von der Geschwindigkeit der Elitenrotation wird auf die Stabilität des politischen Systems geschlossen, sondern die Auswirkungen von Regimewechseln auf die Kohäsion von Eliten, aber auch die Bedeutung alter und neuer Eliten für einen gedeihlichen (demokratischen) Neuanfang werden untersucht. Deshalb konzentrierte sich bereits die frühe empirische Eliten-Forschung auf die neuen Eliten in Westdeutschland, aber auch im kommunistischen Russland und in China. In den 1970er-Jahren dehnte sich das Untersuchungsgebiet auch deutscher Forscher/innen dann auf postkoloniale Gesellschaften und Schwellenländer aus, um den Zusammenhang zwischen (eventuell fehlenden) Eliten und den Entwicklungsmöglichkeiten und Schwierigkeiten dieser Gesellschaften zu untersuchen.[16]

Besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang die Untersuchung der Herrschafts- und Funktionsträger in den staatssozialistischen Gesellschaften, vor allem der DDR. Abgesehen von den politisch-publizistisch motivierten Aussagen, die im Namen eines politisch-moralisch überhöhten Elite-Begriffs die Existenz von Eliten in der DDR grundsätzlich verneinen, steht auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung im Zeichen der lange vorherrschenden Annahme einer grundsätzlichen Andersartigkeit von Eliten in demokratischen Gesellschaften und in Diktaturen. Nur auf den ersten Blick sind die Befunde auf der semantischen Ebene eindeutig: Die DDR wurde in der Propaganda als egalitäre Gesellschaft präsentiert, in welcher die Bezeichnung der „Leiter, Funktionäre, Nachwuchskräfte sowie Spezialisten"[17] daher „Kader" lautete. Diese Gruppen werden längst mit den etablierten Verfahren der Eliten-Forschung untersucht. Zur Diskussion stehen dabei im Wesentlichen erstens die Beziehungen zwischen der „Machtelite" im engeren Sinne, also den Inhabern höherer Positionen im Herrschaftsapparat, und den funktional, hierarchisch, regional usw. differenzierten „Teileliten", zweitens die Mechanismen, Milieus und Institutionen der Rekrutierung all dieser Teilgruppen im Wandel, drittens die Ursachen für die spätestens in den 1980er-Jahren offensichtlich nachlassende Integrationskraft der DDR-Führungsgruppen sowie viertens die Suche nach „Gegeneliten" in staatssozialistischen Systemen.[18]

Erträge der Eliten-Forschung

Die empirische Untersuchung bundesdeutscher Eliten ging Ende der 1960er-Jahre für rund zwei Jahrzehnte fast unangefochten in die Hände der Politikwissenschaft über. In erster Linie ist hier auf die zwischen 1968 und 1995 erschienenen und nach den Orten ihres Entstehens benannten „Mannheimer", „Bonner" und „Potsdamer Elitestudien" zu verweisen.[19] Sie zeichnen sich durch eine beeindruckende empirische Dichte aus (für die „Potsdamer Elitestudie" wurden über 2300 Interviews mit Inhabern der – vorab auf 4000 geschätzten – „Führungspositionen der Bundesrepublik" realisiert), die aus einem Totalerhebungsanspruch resultiert. Allerdings stellt sich bei derart groß konzipierten Unternehmungen das Problem von Aufwand und Nutzen, zumal die Leitfrage („Wer gehört zur Machtelite der Bundesrepublik") eher schlicht und mit der Festlegung des Positionssamples eigentlich schon beantwortet war. Umstritten bleibt jedenfalls nach wie vor die soziale Offenheit des Zugangs zu wirtschaftlichen Spitzenpositionen, wie sie das Konzept der „Leistungselite" ja unterstellt.

Die historische Eliten-Forschung hat sich in Deutschland im Wesentlichen auf die Untersuchung bürgerlicher Gruppen zwischen 1850 und 1950 konzentriert, und hier liegen auch ihre wesentlichen Erträge. Sieht man von den Sammelbänden der Ranke-Gesellschaft ab, die ebenfalls großenteils in diesen Zusammenhang fallen,[20] so standen im Wesentlichen drei Leitfragen im Vordergrund: Erstens die Bedeutung bürgerlicher Funktionseliten für den „deutschen Sonderweg", zweitens der Aufstieg und das Schicksal der jüdischen Wirtschaftselite zwischen dem frühen 19. Jahrhundert und dem Nationalsozialismus, drittens die Zusammensetzung, die Binnendifferenzierung sowie das Sozial- und Bildungsprofil der Unternehmerschaft zwischen Hochindustrialisierung und früher Bundesrepublik.[21]

Auf allen drei Untersuchungsfeldern hat die Eliten-Forschung bedeutende Erträge hervorgebracht. So näherte sich das Bürgertum des Kaiserreichs keineswegs dem Adel politisch und soziokulturell derart an, wie die frühe Sonderwegsthese unterstellt hatte (ein Befund, den die These nicht unbeschadet überstand). Die „relative politische Schwäche" des deutschen Bürgertums ging auf die unvermeidliche Machtteilung mit dem Adel sowie auf Spezifika des Wahlrechts in Reich, Bundesstaaten und Kommunen zurück, aber nicht auf ein „Defizit an Bürgerlichkeit". Die Ursachen für die Bereitschaft weiter Teile des deutschen Bürgertums, obrigkeitsstaatlich-autoritäre Reglementierungen hinzunehmen sowie sich später planmäßig an der Zerstörung der Weimarer Republik und der Etablierung des nationalsozialistischen Regimes zu beteiligen, ließen sich in der sozialen Morphologie dieser Elitegruppen nicht überzeugend nachweisen. Im internationalen Vergleich zeigte sich überdies, wie ausgeprägt die Bereitschaft der europäischen oberen Mittelklassen war, die politische Macht mit dem Adel zu teilen und diesem auch symbolische Vorrechte zu gewähren. Nach dem Ende der „Aufladung" der Bürgertumsforschung durch die Sonderwegsdebatte, die die Forschung außerordentlich befruchtet hat, ist diese allerdings vielfach in eine eher affirmative Phase eingetreten, in welcher nicht wenige Forscher/innen sich an den Phänomenen hochbürgerlicher Kultur in ihrer „Blütezeit" erfreuen.

Zweitens ist die Bedeutung der jüdischen Unternehmer für die deutsche Wirtschaft zwischen 1820 und 1935 kaum zu überschätzen (auch wenn es übertrieben sein mag, von einem „jüdischen Sektor" innerhalb der deutschen Wirtschaft zu sprechen).[22] Sie nahm im Verlauf der Weimarer Republik und durch die Weltwirtschaftskrise zwar graduell ab, wurde jedoch erst vom Nationalsozialismus ausgelöscht. Vieles spricht für die Annahme, dass die jüdischen Unternehmer besser mit dem jüdischen Teil des Bildungsbürgertums vernetzt waren als mit ihren nichtjüdischen Berufskollegen. Drittens schließlich zeigt sich gerade bei längerfristiger Betrachtung der Unternehmerschaft deren außerordentliche soziale Stabilität, vor allem hinsichtlich ihrer exklusiven Rekrutierung und ihrer Fähigkeit, Regimewechsel zu überstehen. Bereits im Kaiserreich schritt nicht nur ihre Akademisierung zügig voran, sondern auch die korporative Vernetzung ihrer Spitzengruppe in einem dichten Geflecht von Aufsichtsratsmandaten, das später als ein zentraler Bestandteil des „rheinischen Kapitalismus" identifiziert wurde.

Nahezu alle hier diskutierten Studien bezeichneten die in Frage stehenden Gruppen mehr oder weniger explizit als Funktionseliten, erforschten dann aus untersuchungspragmatischen Gründen jedoch Positionseliten, wobei die Positionen vorab festgelegt worden waren,[23] obwohl bekanntlich eine derartige Gleichsetzung nicht unproblematisch ist.[24] Diese Vorgehensweise ist durchaus typisch für die historische Eliten-Forschung und ebenso den Schwierigkeiten der Quellenüberlieferung wie dem geringen Interesse der Historiker/innen an methodologischen Erörterungen geschuldet. Andererseits haben diese Untersuchungen einen weitaus schärferen Blick auf die konkreten Handlungsspielräume der Akteure (gegenüber dem Adel; in einem judenfeindlichen Umfeld; in verschachtelten Konzernen und Aufsichtsratsnetzwerken) geworfen, als es die sozialwissenschaftlichen Studien bislang taten. Die Aufgabe der Zukunft dürfte darin liegen, diese Perspektive mit den Ansätzen der „kritischen" Eliten-Forschung zu kombinieren und auf diese Weise die Reproduktion und Ausübung sozialer Macht differenzierter und synthesefähiger zugleich zu analysieren.

Empfohlene Literatur zum Thema

Klaus von Beyme, Die politische Elite in der Bundesrepublik, Piper, München 1971, ISBN 3-492-01876-9.

Klaus von Beyme, Die politische Klasse im Parteienstaat, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1993, ISBN 3-518-28664-1.

Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, Piper, München 1965.

Wolfgang Felber, Eliteforschung in der Bundesrepublik Deutschland, Teubner, Stuttgart 1986, ISBN 3-519-00129-2.

Karl-Christian Führer (Hrsg.), Eliten im Wandel. Gesellschaftliche Führungsschichten im 19. und 20. Jahrhundert, Westfälisches Dampfboot, Münster 2004, ISBN 3-89691-550-9.

Michael Hartmann, Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich, Campus, Frankfurt a. M. 2007, ISBN 3-593-38434-5 (online).

Michael Hartmann, Topmanager. Die Rekrutierung einer Elite, Campus, Frankfurt a. M. 1996, ISBN 3-593-35513-2.

Ronald Hitzler (Hrsg.), Elitenmacht, VS Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3-8100-3195-X.

Stefan Hradil, Peter Imbusch (Hrsg.), Oberschichten – Eliten – Herrschende Klassen, Leske + Budrich, Opladen 2003, ISBN 3-8100-3392-8.

Herfried Münkler (Hrsg.), Deutschlands Eliten im Wandel, Campus, Frankfurt a. M. 2006, ISBN 3-593-38026-9 (online).

Hilke Rebenstorf, Die politische Klasse. Zur Entwicklung und Reproduktion einer Funktionselite, Campus, Frankfurt a. M. 1995, ISBN 3-593-35306-7.

Barbara Wasner, Eliten in Europa. Einführung in Theorien, Konzepte und Befunde, VS Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3-8252-2459-7.

Wolfgang Zapf, Wandlungen der deutschen Elite. Ein Zirkulationsmodell deutscher Führungsgruppen 1919 – 1961, Piper, München 1965.

Zitation
Morten Reitmayer, Eliten, Machteliten, Funktionseliten, Elitenwechsel, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.1.2010, URL: http://docupedia.de/zg/Eliten

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  1. Morten Reitmayer, Elite. Sozialgeschichte einer politisch-gesellschaftlichen Idee in der frühen Bundesrepublik, München 2009.
  2. Gaetano Mosca, Elementi di Scienza Politica, Turin 1923; ders., The Ruling Class, New York 1939; ders., Die herrschende Klasse. Grundlagen der politischen Wissenschaft, Bern 1950; James H. Meisel, Der Mythos der herrschenden Klasse. Gaetano Mosca und die „Elite“, Düsseldorf 1962; Vilfredo Pareto, Allgemeine Soziologie. Ausgewählt, eingeleitet und übersetzt von Carl Brinkmann, Tübingen 1955.
  3. Pareto, Allgemeine Soziologie, § 2027, § 2031.
  4. Karl Mannheim, Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Leiden 1935, erweiterte Ausgabe Darmstadt 21958.
  5. Hans Peter Dreitzel, Elitebegriff und Sozialstruktur. Eine soziologische Begriffsanalyse, Stuttgart 1962, S. 93, 71.
  6. AGIL steht für „Adaption, Goal-Attainment, Integration, Latency“ als den vier Grundfunktionen, die ein jedes System zu seiner Selbsterhaltung braucht.
  7. Suzanne Keller, Beyond the Ruling Class. Strategic Elites in Modern Society, New York 1963, S. 3-28.
  8. Harold Lasswell/Daniel Lerner (Hrsg.), World Revolutionary Elites. Studies in Coercive Ideological Movements, Cambridge 1966; Karl Deutsch/Lewis Edinger (Hrsg.), Germany Rejoins the Powers. Mass Opinion, Interest Groups and Elites in Contemporary German Foreign Policy, Stanford 1959; Hans Speier/W. Phillips Davidson (Hrsg.), West German Leadership and Foreign Policy, Evanston 1957.
  9. Als deutschsprachiger Überblick Hans-Jörg Siewert, Lokale Elitesysteme. Ein Beitrag zur Theoriediskussion in der Community-Power-Forschung und ein Versuch zur empirischen Überprüfung, Meisenheim 1979; Paul Drewe, Techniken zur Identifizierung lokaler Eliten, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 19 (1967), S. 721-735.
  10. Charles W. Mills, Die amerikanische Elite. Gesellschaft und Macht in den Vereinigten Staaten, Hamburg 1962, S. 325.
  11. Michael Hartmann, Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, Frankfurt a. M. 2002.
  12. Gerade in der „Eliteforschung“ ist Bourdieu dafür kritisiert worden, etwa von Michael Hartmann, Elitesoziologie. Eine Einführung, Frankfurt a. M. 2004, S. 105-107; aus der Perspektive der Kritischen Theorie apodiktisch und weitgehend verständnislos Christian Oswald, Rezension zu: Bourdieu, Pierre: Der Staatsadel, Konstanz 2004, in: H-Soz-u-Kult, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-038 (10.02.2010).
  13. Pierre Bourdieu, Das Feld der Macht und die bürokratische Herrschaft, in: Die Intellektuellen und die Macht, Hamburg 1991, S. 67-100.
  14. Pierre Bourdieu, Der Staatsadel, Konstanz 2004; ders., Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgeschehens, Konstanz 2000; ders., Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a. M. 1999; ders., Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1987; ders., Homo academicus, Frankfurt a. M. 1988; ders., Die Erben. Studenten, Bildung und Kultur, Konstanz 2007; ders. u.a., Titel und Stelle. Über die Reproduktion sozialer Macht, Frankfurt a. M. 1981.
  15. Bourdieu, Das Feld der Macht und die bürokratische Herrschaft, S. 99.
  16. Exemplarisch Günter Endruweit, Elite und Entwicklung. Theorie und Empirie zum Einfluss von Eliten auf Entwicklungsprozesse, Frankfurt a. M. 1986.
  17. Zitiert nach Jens Gieseke, „Genossen erster Kategorie“. Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit als Elite, in: Peter Hübner (Hrsg.), Eliten im Sozialismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der DDR, Köln 1999, S. 201-240, hier S. 207.
  18. Arnd Bauerkämper/Jürgen Danyel/Peter Hübner, „Funktionäre des schaffenden Volkes“? Die Führungsgruppen der DDR als Forschungsproblem, in: dies. (Hrsg.), Gesellschaft ohne Eliten? Führungsgruppen in der DDR, Berlin 1997, S. 11-86.
  19. So u.a. Edo Enke, Oberschicht und politisches System in der Bundesrepublik Deutschland, Bern 1974; Ursula Hoffmann-Lange, Eliten, Macht und Konflikt in der Bundesrepublik, Opladen 1992; Wilhelm Bürklin/Hilke Rebenstorf (Hrsg.), Eliten in Deutschland. Rekrutierung und Integration, Opladen 1997.
  20. Beispielsweise Hanns Hubert Hofmann/Günther Franz (Hrsg.), Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbilanz, Boppard 1980.
  21. Jürgen Kocka (Hrsg.), Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987; ders. (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, 3 Bde. München 1988; Hartmut Kaelble, Wie feudal waren die deutschen Unternehmer im Kaiserreich? Ein Zwischenbericht, in: Richard Tilly (Hrsg.), Beiträge zur quantitativen vergleichenden Unternehmensgeschichte, Stuttgart 1985, S. 148-174; Dolores L. Augustine, Patricians and Parvenus. Wealth and High Society in Wilhelmine Germany, Oxford 1994; Morten Reitmayer, Bankiers im Kaiserreich. Sozialprofil und Habitus der deutschen Hochfinanz, Göttingen 2000; Werner E. Mosse, Jews in the German Economy. The German-Jewish Economic Elite 1820-1935, Oxford 1987; ders., The German-Jewish Economic Elite 1820-1935. A Socio-cultural Profile, Oxford 1989; Martin Münzel, Die jüdischen Mitglieder der deutschen Wirtschaftselite 1927-1955. Verdrängung – Emigration – Rückkehr, Paderborn 2006; Hartmut Kaelble/Hasso Spode, Sozialstruktur und Lebensweisen deutscher Unternehmer 1907-1927, in: Scripta Mercaturae 24 (1990), S. 132-179; Volker R. Berghahn u.a. (Hrsg.), Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuität und Mentalität, Essen 2003; Paul Erker, Industrieeliten in der NS-Zeit. Anpassungsbereitschaft und Eigeninteresse von Unternehmern in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft 1936-1945, Passau 1993.
  22. Mosse, Jews in the German Economy, S. 403.
  23. Vgl. einschlägig Dieter Ziegler, Kontinuität und Diskontinuität der deutschen Wirtschaftselite 1900 bis 1938, in: ders. (Hrsg.), Großbürger und Unternehmer. Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 31-53, hier S. 35-39.
  24. Günter Endruweit, Elitebegriffe in den Sozialwissenschaften, in: Zeitschrift für Politik NF 26 (1979), S. 30-46, hier S. 41-45; Paul Drewe, Techniken zur Identifizierung lokaler Eliten, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 19 (1967), S. 721-735.