Wer die zeitgeschichtliche Forschung zur Türkei in den Blick nimmt, kommt unweigerlich zu fünf generellen Aussagen. Erstens: Als Fach existiert die „Zeitgeschichte der Türkei“ nicht; sie ist weder in der Türkei noch international eine etablierte Teildisziplin der Geschichtswissenschaft.
Zweitens: Der Anteil von Fachhistorikerinnen und Fachhistorikern auf dem Forschungsgebiet der türkischen Zeitgeschichte ist marginal. Die Zeitgeschichte der Türkei ist in erster Linie eine Angelegenheit der Politikwissenschaft. Das Problem stellt sich aber nicht nur quantitativ. Die politologische Ausrichtung bestimmt die wissenschaftlichen Interessen, Erkenntnisziele, Themen, Herangehensweisen und Perspektiven auf die Zeitgeschichte und damit auch ihre Deutungen. Der Zeitgeschichtsforschung zur Türkei fehlt es bisher an einem fachlichen und methodischen Selbstverständnis sowie einem eigenständigen Profil innerhalb der Geschichtswissenschaft.
Drittens: Die Periodisierung ist alles andere als eindeutig. Ist im Kontext der Türkei von zeitgeschichtlicher Forschung die Rede, dann sind in der Regel Untersuchungen zur jüngsten Vergangenheit und Gegenwart gemeint. So ist ein deutliches Übergewicht der Arbeiten zu den AKP-Regierungen (Adalet ve Kalkınma Partisi, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) seit 2002 festzustellen, wohingegen eine zeitgeschichtliche Forschung für die Zeit nach 1945 beziehungsweise 1950 bis 2002 erst in letzter Zeit vermehrt eingesetzt hat.
Viertens: Seit etwa drei Jahrzehnten ist in den öffentlichen Debatten ein Geschichtsboom zu beobachten, der zeitgeschichtliche Themen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und sie enorm popularisiert hat. Zwischen der Lebhaftigkeit der Diskussionen und dem Stand an gesichertem empirischen Wissen bestand jedoch oft eine Kluft. Allzu häufig ging es weniger um quellenbasierte und methodisch abgesicherte Befunde als um ideologische, politische und religiöse Deutungen, wenn nicht gar Aneignungen. Studien dieser Art erhielten dadurch einen hohen Stellenwert in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Zeitgeschichte und wurden ihrerseits zu einer Ressource für Auslegungen und Deutungen, um die wiederum eine steigende Anzahl von Interessengruppen konkurrierte.
Fünftens: Auch in der Türkei hat die deutlich zu beobachtende Transformation von Geschichte in Erinnerungs- und Gedächtniskultur, ihrerseits Ausweis einer interessengeleiteten Aneignung und teilweise auch Ideologisierung der Zeitgeschichte, die Diskrepanz zwischen Wissenschaft und gesellschaftlichen Diskussionen vergrößert.
Aus disziplinären und fachlichen Gründen, aber auch wegen des öffentlichen „Gebrauchs“ von Zeitgeschichte in der Türkei, sind eine Klärung des Selbstverständnisses und der Aufgaben der zeithistorischen Forschung zur Türkei sowie der Periodisierungsfragen somit dringend notwendig. Hinzu kommen Fragen der Einordnung in die internationale Zeitgeschichtsforschung. Diese Klärung kann sinnvoll nur vom Standpunkt der Geschichtswissenschaft aus erfolgen, die durch Quellenkritik, Methoden, Theorien und historische Einordnung ihre fachspezifischen Perspektiven entwickelt und sie Wissenschaft sowie Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.
1. Das Grundproblem: (Zeit-)Geschichtsschreibung als staatliche Veranstaltung
Die Geschichtswissenschaft in der Türkei kennt keinen Begriff, der vergleichbar mit dem der deutschen „Zeitgeschichte“ oder der englischen contemporary history wäre. Günümüz tarihi (Geschichte der Gegenwart) ist in der türkischen Geschichtswissenschaft nicht geläufig, wenn nicht sogar weitgehend unbekannt.[1] Gewöhnlich wird unterschieden zwischen der Osmanlı tarihi (Osmanische Geschichte) und der Cumhuriyet tarihi (Geschichte der Republik). Erstere befasst sich mit der rund 600-jährigen Geschichte des Osmanischen Reichs bis spätestens zur Gründung der Republik 1923, letztere mit einem Überlappungsbereich zur Osmanischen Geschichte mit der Periode von 1918 bis 1950.
Diese Aufteilung in zwei Bereiche der Geschichtswissenschaft entstand bereits in den ersten Jahren nach 1923, als die Gründerväter der Republik im Bewusstsein ihres historischen Tuns die auf die damalige Gegenwart bezogene „Sonderdisziplin“ unter dem Titel „Revolutionsgeschichte“ (İhtilaller tarihi) ins Leben riefen,[2] um eine historische Legitimationswissenschaft für den von ihnen betriebenen Wandel zu begründen. Ihre Themen blieben bis heute fast unverändert: der „Unabhängigkeitskrieg“, auch „Befreiungskrieg“ genannt (1919-1922), die Republikgründung, die Reformen der 1920er- und 1930er-Jahre sowie die alles überragende Gestalt des Staatsgründers und ersten Präsidenten Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938).
In diese frühe Institutionalisierung von Zeitgeschichte flossen bestimmte Grundannahmen ein. Die Kemalisten glaubten sich aufgefordert, eine neue Epoche der türkischen Geschichte zu beginnen. Sie betrieben ihr Projekt, die moderne Türkei zu erbauen, zugleich im Bewusstsein der tiefen historischen Zäsur der Umbruchsjahre nach dem Ersten Weltkrieg – seine historiografisch legitimierende Begleitung war die Aufgabe der neuen Disziplin.[3]
Inhaltlich knüpften ihre Gründer an europäische Vorbilder einer auf die Nation ausgerichteten Verwissenschaftlichung von Geschichtsschreibung an, wobei die Vernunft und der zivilisatorische Fortschritt in der Geschichte der Türkei in die (noch zu erreichende) Nationsbildung der Türken münden sollten. Nationale Gründungsmythen und Geschichtsnarrative wurden im Stil der nationalistischen Historiografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit dem Siegel der Wissenschaftlichkeit versehen.[4] Die Gegenwart deuteten sie gemäß der eigenen Erinnerung zu legitimatorischen Zwecken um. Das bekannteste Dokument dafür ist die sechsunddreißigeinhalb Stunden dauernde Rede Atatürks vor den Delegierten des Parteikongresses der Regierungspartei CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, Republikanische Volkspartei) im Oktober 1927, in der er seine Version der Geschichte zwischen 1919 und 1926 präsentierte.[5] Die kemalistische Geschichtswissenschaft erhielt die zentrale Aufgabe, über ethnische, soziale und kulturelle Gegensätze hinweg die als historisch notwendig verstandene Entwicklung des türkischen Nationalstaats historiografisch zu untermauern.
Auf diese Weise stellten die Kemalisten die Geschichtswissenschaft in ihren Dienst.[6] Der politisch-ideologische Gehalt der offiziellen Revolutionsgeschichte, der Gründungsmythos der Nation und der Republik sowie die kanonischen Texte und Quellen der Bewegung entstanden bereits in den 1920er- und 30er-Jahren.[7] Allerdings veränderte sich die Begrifflichkeit. Die „Revolutionsgeschichte“ wandelte sich zur „Türkischen Reformgeschichte“. Als Fach an Bildungseinrichtungen in Ankara bereits gelehrt, wurde sie im Zuge der Universitätsreform 1933 zum universitären Institut für Türkische Reformgeschichte (Türk İnkılâp Tarihi Enstitüsü) an der Istanbuler Universität aufgewertet.[8] Die ersten Lehrkräfte waren einige der Republikgründer selbst.[9]
Dem neuen Fach lag eine Periodisierung zugrunde, die seiner Aufgabe entsprach, den jungen Staat zu legitimieren. Die „Reformgeschichte“ kappte die Verbindung zur osmanischen Geschichte und stellte die Geschichtsuhr auf null; sie setzte mit dem „Befreiungskrieg“ bzw. „Unabhängigkeitskrieg“ (1919-1922) ein und endete mit dem Verlust der Regierungsmacht der kemalistischen CHP 1950. Diese Geschichtsschreibung war und ist bis heute geprägt von Teleologie und Linearität, die von der Vergangenheit in die Gegenwart führt und die geschichtliche Rolle der „ewigen“ türkischen Nation unterstreicht, begleitet von einer überbordenden Personalisierung der Geschichte, wie sie an der Person Kemal Atatürks zum Ausdruck kommt. In dieser Geschichte war er der charismatische Führer (ulu önder)[10] der nationalen Befreiungsbewegung, der revolutionäre Erbauer der modernen Türkei und Vater der türkischen Nation.
Zur Mystifizierung seiner Person trug die türkische Historiografie erheblich bei. Sie übernahm im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben auch die Rolle einer politisch-moralischen Geschichtsschreibung in erzieherischer Absicht und entwickelte sich zu einem Instrument der Heranziehung nationalistisch denkender und patriotisch handelnder Bürger und auch Bürgerinnen.[11] Das Fach „Revolutions-“ bzw. „Reformgeschichte“ erhielt seitdem auch einen festen Platz in den Curricula aller schulischen Bildungsstufen einschließlich des tertiären Bereichs. Entsprechend der Tradition wird es an Universitäten bis heute zum Teil von fachfremdem Lehrpersonal wie Diplomaten und Politikern gelehrt.[12]
Die universitäre „Republikgeschichte“ hat bis heute ihren Charakter als staatstragende Legitimationswissenschaft beibehalten. Warum sie auch später noch ein politisch gebundenes, heteronomes Wissenschaftsfeld blieb und sich nicht zu einer kritischen Wissenschaft entwickelte, lässt sich zum einen mit der Entstehungsgeschichte, darüber hinaus aber auch mit folgenden, knapp skizzierten Faktoren begründen: Die Geschichtswissenschaft unterlag, wie auch alle anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer, dem Zugriff der Militär- sowie illiberalen Zivilregierungen seit dem ersten Militärputsch im Jahr 1960. So wurde im Kalten Krieg die Historie im Rang einer Staatsdoktrin zur geistigen Landesverteidigung in plakativ antikommunistischer Ausrichtung funktionalisiert.[13] Insbesondere nach der Militärintervention 1980 nahm die ideologische Steuerung und politische Kontrolle der historischen Wissenschaft und darüber hinaus der nichtuniversitären geschichtswissenschaftlichen Berufsfelder deutlich zu.
Nicht alles jedoch geschah auf Veranlassung „von oben“. Auch die Historiker selbst haben ihren Anteil an der Kongruenz von Staat und Geschichte. Besonders die universitäre Geschichtswissenschaft, die sich traditionell als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Politik positionierte und bis heute diese Rolle nicht aufgegeben hat, darf als Hauptproduzentin der nationalgeschichtlichen Beschreibungen und der nationalistischen türkisch-islamischen Ideologie gelten; sie hat sich als eine die Vergangenheit verwaltende und kontrollierende Instanz mit geringer kritischer Distanz zum Staat etabliert.[14] Das bedeutet nicht, dass es keine kritischen Historikerinnen und Historiker gegeben hätte, aber die generelle Entwicklung des Fachs rechtfertigt diese Aussage.
In der Politikwissenschaft, deren Bedeutung für die Erforschung der Zeitgeschichte eingangs schon erwähnt wurde, verlief die Entwicklung anfangs nicht viel anders. Institutionell aus der Verwaltungsakademie für die höhere Beamtenausbildung an den Schaltstellen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung entstanden, war auch sie von Staatsnähe geprägt, wenngleich hier eher ein technokratisch-modernistischer Gestaltungswille zu Tage trat. Seit der partiellen Verwissenschaftlichung als sozialwissenschaftliches Fach Mitte der 1980er-Jahre hat sich die Politikwissenschaft zu einem vergleichsweise liberalen, gleichzeitig aber auch historisch imprägnierten Fach entwickelt. Die universitäre Geschichtswissenschaft hingegen hat keine vergleichbare Entwicklung durchgemacht.
Diese knappe Skizze muss vorläufig bleiben, weil sie sich nicht auf Untersuchungen zur Disziplingeschichte beider Fächer stützen kann; solche liegen schlichtweg nicht vor.[15] Wie stark die politischen und hochschulpolitischen Entwicklungen in der Türkei auf die Forschungssituation in der Geschichtswissenschaft zur Republikzeit einwirkten, lässt sich aber nicht übersehen. Sie waren und sind von einschneidender Bedeutung, besonders der massive Eingriff in die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer nach dem Militärputsch 1980. Als Hort „linker Umtriebe“ verunglimpft,[16] wurden die Hochschulen unter Kuratel der Regierung gestellt und ihre Autonomie aufgehoben.
Ein politisch gesteuerter Hochschulrat (Yükseköğretim Kurumu, YÖK) wacht seitdem über die Einhaltung der politisch-ideologischen Grundsätze. Ausgestattet mit umfangreichen Vollmachten wie der Ernennung von Rektoren und Dekanen, Planung und Einrichtung von Fakultäten, Instituten und Curricula kontrollierte YÖK politisch-ideologisch und administrativ die gesamte Universitätsausbildung und den Lehrkörper.[17] Die Anfänge von Forschungsfreiheit und kritischer Wissenschaft wurden dadurch abgewürgt. Nach dem Urteil von Ernst Eduard Hirsch, dem 1933 in die Türkei emigrierten Rechtswissenschaftler, der das Rechtssystem in der Türkei entscheidend mitgeprägt hat, verdienten die türkischen Universitäten nach 1980 nicht mehr, als solche bezeichnet zu werden; sie seien „keine Einrichtungen mehr für Forschung und Lehre, sondern hierarchisch gegliederte Bereiche der staatlichen Verwaltung“.[18]
Die staatlichen Interventionen stürzten alle geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer in eine bis heute anhaltende tiefe Krise. Sie sind zumindest teilweise der Grund, warum von der stark in das Korsett einer staatlichen und politischen Legitimationswissenschaft eingeschnürten Geschichtswissenschaft keine Impulse zur Erneuerung ausgegangen sind. Gleichwohl gab es zwischen Mitte der 1990er-Jahre bis 2016 eine Phase der Internationalisierung, gekoppelt mit dem Ausbau des Hochschulwesens. Eine kontrollierte Liberalisierung und partielle Autonomie besonders der erstmals neu entstandenen privaten Universitäten war die Folge.
Um die Entwicklung der staatlich alimentierten Geschichtswissenschaft richtig zu verstehen, muss man sie auch in den Kontext der jüngsten allgemeinen Hochschulentwicklung stellen. Mehrere Strukturreformen im Gefolge des „Bologna“-Prozesses sollten die universitäre Ausbildung „marktgerecht“ und im globalen Kontext wettbewerbsfähig machen. Der Weg ging nun von den kontinentaleuropäischen Vorbildern hin zum anglo-amerikanischen Bildungssystem mit seinen Bildungsidealen seit den 2000er-Jahren. Zum Zweck der Internationalisierung gingen die meisten privaten sowie zwei der führenden staatlichen Universitäten, die schon genannte ODTÜ in Ankara und die Boğaziçi Üniversitesi in Istanbul, dazu über, vollständig oder teilweise auf Englisch zu unterrichten. Die politische Kontrolle der Hochschulen durch den Hochschulrat YÖK blieb allerdings auch unter diesen Umständen erhalten, während die privaten, durch Stiftungen finanzierten Universitäten in finanziell-administrativen Angelegenheiten wesentlich autonomer wurden.[19]
Im Jahr 2016 aber erfolgte ein gewaltiger Rückschlag. Die Campus-„Säuberungen“, das heißt Entlassungen von kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach dem Putschversuch des Militärs und dem staatlichen Gegenputsch des Erdoğan-Regimes, waren zwar nicht die ersten ihrer Art in der Türkei, aber hinsichtlich des Umfangs einzigartig.[20] Die Gruppe der Entlassenen ist heterogen: Sie umfasst Kemalisten, Linke und Anhänger der Gülen-Bewegung. Die Gruppe der Nutznießer ist dagegen homogen: AKP-Mitglieder und parteinahe Personen.
Die betroffenen Fächer, darunter die Geschichtswissenschaft, wurden auf dem Weg zur Professionalisierung und Verwissenschaftlichung weit zurückgeworfen. Stellenbesetzungen mit politisch passenden, aber unqualifizierten Bewerbern, Budgeteinschnitte, Verschulung der Curricula und willkürliche Versetzungs- und Rotationspolitik beim wissenschaftlichen Personal führten zu einem in der Türkei zuvor nicht gekannten Bildungsniedergang. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die davon betroffenen Fächer unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen von dem Niveauverlust erholen werden.[21] Die Effekte der erzwungenen Emigration von Historikerinnen und Historikern nach Europa oder Nordamerika hinsichtlich eines Aufschwungs der Geschichte der Türkei in den Ankunftsländern sind trotz einiger Auffangprogramme derzeit noch nicht zu beobachten.
Hochschulexpansion und Restrukturierung des Hochschulwesens seit den 2000er-Jahren hatten auch Folgen für die „Geschichte der Republik“. Die früheren Atatürk İlkeleri ve İnkılâp Tarihi (Prinzipien Atatürks und Reformgeschichte)-Institute[22] firmieren seitdem in der Regel unter Cumhuriyet tarihi (Geschichte der Republik) und konzentrieren sich zumeist auf die Jahre 1923 bis 1945/1950. Letztere gelten als konstitutive Phase der modernen türkischen Geschichte, wobei inzwischen auch die Vorgeschichte der Republik, namentlich die „Revolution“ der Jungtürken 1908, ihre Folgen sowie der Erste Weltkrieg von der Abteilung „Osmanische Geschichte“ zur „Republikgeschichte“ gewandert sind.[23] „Republikgeschichte“ ist in jedem universitären Fach, auch in den Natur- und Ingenieurswissenschaften, obligatorischer Teil der Lehre.[24]
Für die Stellung und Bedeutung der Geschichtswissenschaft insgesamt wie auch der Zeitgeschichtsforschung ist auch das große Qualitätsgefälle zwischen den angesehenen Metropoluniversitäten und den übrigen zu berücksichtigen. Letztere haben zwar vom Ausbau der Universitäten quantitativ profitiert, aber sich kaum qualitativ weiterentwickelt. Die genannten Öffnungen in den Jahren von 1996 bis 2016 und die partielle Abkehr von der staatstragenden Geschichtswissenschaft haben sie kaum vollzogen. Die Dominanz der nationalen Geschichte blieb generell bestehen. Außertürkische Geschichte ist in der türkischen Forschungslandschaft selten, auch an den angesehenen privaten Hochschulen. Im Ausbildungsprogramm unter „Europäische Geschichte“ ausgewiesene Kurse werden in der Regel von ausländischen Gastprofessorinnen und Gastprofessoren angeboten. Die privaten Hochschulen können allerdings mit internationalen Kooperationen sowie Gastprofessuren für Ausländer aufwarten. Die internationale Ausrichtung und anglophone Bildungssozialisation von Nachwuchswissenschaftlern hatten durchaus eine inhaltliche und methodische Öffnung der Fächer zur Folge.
Was Themen und Herangehensweisen in den historischen Instituten und Seminaren angeht, so ist vieles in der Tradition der überkommenen theoriefernen und faktizistischen Detailforschung verblieben. Die zumeist in staatlichen Instituten entstandenen Forschungsbeiträge zur neueren türkischen Geschichte lassen sich nach wie vor als parochiale Erkundungen charakterisieren, in denen Kollektivbegriffe wie Staat und Nation als handelnde Akteure die Perspektive bestimmen. Kurzum: Es handelt sich um eine ereignis- und tatsachenbezogene Geschichtsschreibung, die vornehmlich vom staatspolitischen Geschehen, von „großen Männern“, leitenden Ideen und Parteiprogrammen bestimmt wurde und wird. Seit dem Regierungsantritt der AKP (2002) hat das Fach zudem graduell eine islamische Einfärbung erfahren. Vertreten wird diese Art der Geschichtsdeutung heute vornehmlich von der Türkischen Historischen Gesellschaft (Türk Tarih Kurumu, TTK) in Ankara sowie den meisten historischen Instituten an staatlichen Universitäten. Seit der Jahrtausendwende ist die TTK die Zentralinstanz, um armenische und internationale Genozid-Anschuldigungen abzuwehren.[25]
In diesem Forschungsumfeld ist kein Platz für Fragen nach dem Sinn der Geschichte und den Erkenntnismöglichkeiten der Geschichtsschreibung oder für die Reflexion der eigenen historiografischen Schreibpraxis. Von dieser Beschreibung ausgenommen sind einzelne staatliche und private Institutionen sowie Fach- und Hobbyhistoriker und -historikerinnen, die auf solider wissenschaftlicher Basis kritische Geschichtswissenschaft betreiben.
Wichtige Standardwerke und Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Republik Türkei (im Übrigen auch zur osmanischen Geschichte), die wissenschaftlichen Kriterien standhalten, stammen vielfach aus der Feder von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die außerhalb der Türkei lehren und forschen.[26] Ausnahmen bestätigen die Regel.[27] In der türkischen Geschichtswissenschaft wird das Genre methodisch informierter Überblicke nicht gepflegt. Die historische Komparatistik existiert nicht.[28] So stammt die einzige, von Debatten in der Türkei der 1930er-Jahre angestoßene Vergleichsuntersuchung mit dem italienischen Faschismus und dem Sowjetsozialismus, ebenfalls aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangenen umstürzlerischen Systemen, aus der Feder eines ausländischen Historikers.[29] Die Tatsache, dass die hier einschlägigen Geschichtswerke aus dem Englischen, Deutschen und Französischen zügig ins Türkische übersetzt werden, zeigt den Bedarf nicht nur an wissenschaftlicher Forschung und einer alternierenden Geschichtswissenschaft, sondern ist zugleich Ausdruck für die internationale Bedeutungslosigkeit der universitären Geschichtswissenschaft in der Türkei.
Zu beklagen sind auch große Lücken. Bis heute fehlt eine empirisch solide Sozialgeschichte der Türkei im 20. Jahrhundert. Eine Ausdifferenzierung und Profilierung verschiedener historischer Teilgebiete wie Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Umweltgeschichte u.a. ist kaum vorhanden. Studien in diesen Bereichen werden von einzelnen Wissenschaftlern, und zwar hauptsächlich von Vertreterinnen und Vertretern der Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft verfasst. Methodendiskussionen finden nicht statt. Denkschulen oder fachwissenschaftliche Diskurszusammenhänge vermögen sich unter diesen Bedingungen kaum zu entwickeln.[30] Aus diesem Grund gibt es auch keine methodischen und theoretischen Abgrenzungsdebatten zwischen der Politik- und Geschichtswissenschaft. Im türkischen Kontext besteht das Konkurrenzverhältnis nicht zwischen den verwandten geistes- oder sozialwissenschaftlichen Fächern, sondern zwischen der staatstragenden Historiografie und denjenigen, die sie ablehnen.
2. Die Forschung zur Zeitgeschichte in nichtstaatlichen Institutionen und im Ausland
Im Gegensatz zu den allermeisten staatlichen Hochschulen stehen Interdisziplinarität bzw. das studium generale an wenigen staatlichen, besonders aber an privaten Universitäten hoch im Kurs. Sie verbinden in der Regel die an sozial-, politik- und geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen interessierten Fächer und verpflichten sie auf einen konsequent kulturwissenschaftlichen Kurs. Das schließt auch die breit gefasste moderne Geschichte der Türkei mit ein. Einige Institute wie das Atatürk Institute for Modern Turkish History (AIMTH) an der renommierten staatlichen Boğazici Universität[31] verstehen sich explizit als wissenschaftliche Einrichtungen zur Erforschung der türkischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Sowohl AIMTH als auch einige andere Einrichtungen an privaten Universitäten wie etwa an der Sabancı-Universität sind interdisziplinäre Institutionen, die vor allem die Politikwissenschaft und insbesondere das Fach Internationale Beziehungen sowie zu einem geringeren Anteil Geschichte und Soziologie verbinden. Die dort betriebenen Forschungen haben die Schwelle der Jahre 1945/1950 inzwischen überschritten und sind in den 1960er-Jahren angelangt.
Zu nennen sind noch universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen wie das Istanbul Policy Center, eine Vielzahl von Zentren und Forschungsinstituten für Frauen- und Geschlechterforschung sowie staatliche und private Archive zur Erforschung zeitgeschichtlicher Fragestellungen, darunter die Stiftung zur Erforschung der Sozialgeschichte in der Türkei (Türkiye Sosyal Tarih Araştırma Vakfı, TÜSTAV) als Zweigstelle des Amsterdamer Instituut voor Sociale Geschiedenis, aber auch mehr oder weniger locker organisierte Arbeitsgemeinschaften oder Kommunikationszentren von Nichtregierungsorganisationen, die sich als wesentliche Träger der zunehmenden Zeitgeschichtsforschung charakterisieren lassen.
Dass die Geschichtsschreibung zur Türkei seit einiger Zeit thematisch und methodisch plural geworden ist, liegt hauptsächlich am Beitrag angrenzender Disziplinen, allen voran der Politik- und der Sozialwissenschaft, aber auch an außeruniversitären Zeitschriften, privaten geschichtlichen Arbeitskreisen und einzelnen Fach- und Hobbyhistorikern. Sie waren es, die mit anspruchsvollen und innovativen Ansätzen Forschungen betrieben, die vornehmlich die kemalistische Phase, weniger die Jahre seit 1950 in den Blick nahmen. Das Themenspektrum reicht von Gender- und Gedächtnisstudien über Städteforschung und Arbeitergeschichte bis zu kulturwissenschaftlichen Beiträgen. Die thematische und methodische Pluralität ist auch das Ergebnis eines als „Geschichtsboom“ bezeichneten enormen Anstiegs des öffentlichen Interesses an Geschichte und ihren kulturellen Objektivierungen seit den 1990er-Jahren, von dem noch die Rede sein wird.
Als Multiplikatoren der nichtstaatlichen Historiografie spielen einzelne akademische und nicht-akademische Verlagshäuser eine große Rolle, besonders der Verlag İletişim, der u.a. die linksliberalen Zeitschriften „Birikim“ und „Toplum ve Bilim“ verlegt. Seit den 1990er-Jahren ließ İletişim den national zentrierten orthodoxen Marxismus hinter sich und leistete im Zusammenspiel mit der internationalen Türkeiforschung einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung der historischen Erblasten der jüngeren türkischen Vergangenheit. Neben den Themen der historischen Schuld und des Umgangs mit der Vergangenheit betrafen die öffentlichen Interventionen und Publikationen von İletişim-Autorinnen und Autoren die politische Praxis des Kemalismus, die obrigkeitliche Staatsideologie, undemokratische Strukturen und den gewaltsamen Umgang mit Minderheiten. Es ist nicht übertrieben, in İletişim den führenden Akteur im „Memory-Boom“ zu sehen, der den staatlichen Meistererzählungen kollektive Erinnerungen, Oral History sowie minoritäre, ethnische, geschlechtliche und politische Identitätsnarrative entgegenstellte.
Zusätzlich ist auch die private Stiftung mit ihrem Verlag für Geschichte (Tarih Vakfı) zu nennen, die, im Jahr 1991 von 264 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen sowie Schriftstellern, Politikern und Gewerkschaftern gegründet, inzwischen zu einer festen Größe im türkischen akademischen Verlagswesen geworden ist. Sie versteht sich explizit als eine Nichtregierungsorganisation, deren Ziel es ist, zur „Entwicklung des Geschichtsbewusstseins in der Türkei“ beizutragen und plurale Zugänge zur Geschichte und kritischen Geschichtswissenschaft zu fördern.[32]
Im Ausland wird die türkische Geschichte zumeist von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Fächern Turkologie/Türkische Studien, Politikwissenschaft, Orientalistik und Islamwissenschaft erarbeitet. Deren Erkenntnisinteressen und Herangehensweisen sind zumeist nicht zuvörderst fachhistorisch, obwohl auch sie sich als historisch arbeitende Fächer verstehen. Eine historische Forschungstradition bezüglich der Türkei besitzen die philologisch orientierte Turkologie sowie die Islamwissenschaft, deren Verdienste vor allem im Bereich der älteren Geschichte liegen. Sie lieferten wichtige Beiträge zur Entwicklung verflechtungs- und vergleichsgeschichtlicher Ansätze für die ältere bzw. osmanische Periode. Insgesamt jedoch, so das Urteil der Nahost-Historiker:innen Ulrike Freitag und Noël van den Heuvel, dominieren „philologisch textzentrierte Ansätze gegenüber theoretisch inspirierten Fragestellungen“.[33] Die Zeitgeschichte nach 1945/50 behandeln sie kaum.
Allein in Frankreich trifft man auf die institutionalisierte Geschichte der Türkei, darunter auch die Zeitgeschichte, etwa in den Studien, die am CETOBaC (Centre d'Études Turques, Ottomanes, Balkaniques et Centrasiatiques) entstanden sind.[34] Einen wichtigen Beitrag zur türkischen Zeitgeschichte leistet das französische Forschungsinstitut IFEA (Institut Français d´Études Anatoliennes) in Istanbul, das einen zeitgeschichtlichen Schwerpunkt (Republikgründung bis heute) samt Dokumentationszentrum und eigener Publikationsreihe unterhält.[35]
Die Institute für Turkish Studies in europäischen Ländern und den USA, die institutionell eher eine interdisziplinäre Form der Area Studies bilden, vor allem an Lehrstühlen und Instituten der Near and Middle Eastern Studies, haben ihre Verdienste in der spätosmanischen sowie in der frühen Republikgeschichte.[36] Auch diese Einrichtungen sind in der Regel nicht von der Geschichtswissenschaft geprägt. Die thematischen und temporalen Schwerpunkte, aber auch die Lücken sind der Forschung in der Türkei vergleichbar, wenngleich sie die Themen sehr unterschiedlich behandeln. Einige Experten sehen in der Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit der Türkei im 20. Jahrhundert die eigentliche Aufgabe der Turkish Studies.[37]
Türkei-zeithistorische Forschungsnischen finden sich in den Cold War Studies, die jedoch ohne institutionellen Zusammenhang und Kooperationen von einzelnen Forscherinnen und Forschern in verschiedenen Ländern bearbeitet werden.[38] Um die türkische Zeitgeschichtsforschung zu koordinieren, Methoden, Konzepte und Fragestellungen neu auszurichten, wurde das von der DFG geförderte internationale „Netzwerk Zeitgeschichte der Türkei“ an der Universität Duisburg-Essen unter der Leitung der Verfasserin ins Leben gerufen.[39] Darüber hinaus gibt es verschiedene Zusammenschlüsse und Zentren in Deutschland und international, die zeitgenössische Türkeistudien betreiben, die jedoch nicht spezifisch zeitgeschichtlich ausgerichtet sind.[40]
Vor diesem Hintergrund werden die eingangs genannten Grundprobleme der zeitgeschichtlichen Forschung verständlicher. Fehlt das Fach überhaupt, so auch ein expliziertes Epochen- sowie Methodenverständnis, durch das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Forschungsfelder über die Ereignis- und Politikgeschichte hinaus eröffnen, Quellen erschließen, Probleme formulieren, sie methodisch und konzeptionell reflektiert erforschen und vor allem an die internationale zeitgeschichtliche Forschung anschließen könnten. Nicht die politologische Prägung der türkischen (Zeit-)Geschichtsschreibung ist das Problem, sondern die historisch zu verstehende Idiosynkrasie der türkischen Politikwissenschaft beziehungsweise der Türkeistudien. Bedeutende Fachvertreter wie Donald Quataert und Sabri Sayari führen dafür unter anderem die Theorieferne, den erklärungsabstinenten Deskriptivismus sowie die nationalzentrierte Selbstbezogenheit an.[41]
3. Restriktiver Zugang zu Archiven
Die Zeitgeschichtsforschung erhält von Seiten der Archive kaum Unterstützung. Trotz anderslautender offizieller Beteuerungen sind türkische Staatsarchive für die Zeit nach 1914 nicht oder nur für politisch unverfängliche Sachgebiete zugänglich. Regierungs- und Verwaltungsakten sowie militärisches und sicherheitspolitisches Archivgut gilt als Arkanum. Zugang zu diesen Archivbeständen hat nur ein sehr kleiner, staatsnaher Personenkreis.[42] Einen Rechtsanspruch auf Benutzung der Archive gibt es nicht. Dasselbe gilt für lokale und regionale Archive, wobei hier hinzukommt, dass niemand einen Überblick darüber hat, wie es um sie bestellt ist. Gemeindearchiven droht z.B. Vernichtung oder Beschädigung durch falsche Lagerung, noch bevor sie erschlossen worden sind.[43]
Die restriktive Handhabung des Zugangs zu staatlichen Archiven hat fatale Folgen für die Forschungsmöglichkeiten im Bereich der Zeitgeschichte. Das Vetorecht der Quellen ist damit weitgehend außer Kraft gesetzt. Studien zur türkischen Zeitgeschichte müssen daher allzu häufig ohne Archivalien auskommen, was ebenfalls die Abstinenz der zeithistorischen Fachwissenschaft erklären mag. Archive für Druckerzeugnisse, das Parlamentsarchiv (Türkiye Büyük Millet Meclisi, TBMM) sowie Bibliotheken sind hingegen zugänglich. Archive in West- und Nordeuropa sowie in den USA enthalten wichtige Bestände zur Geschichte der modernen Türkei.[44] Sie bilden die Grundlage der meisten zeitgeschichtlichen Untersuchungen. Archive einzelner politischer Parteien, NGOs, von Anwaltskammern, Gerichten, Verbänden, Gewerkschaften, Banken und Einzelpersonen sind grundsätzlich zugänglich. Rechtliche und praktische Hindernisse – es gibt keine gesetzliche Regelung für Privat- und Familienarchive – sowie praktische Schwierigkeiten (fehlende Inventare und Findbücher) erschweren die Nutzung zum Teil erheblich.[45]
4. Fragen der Periodisierung
Welche Zäsuren sollten in der Geschichte der türkischen Republik aus fachlicher Sicht gesetzt werden? Unstrittig ist die Bedeutung der großen Zäsur 1918/19. In den Jahren danach vollzog sich der größte Umbruch in der jüngeren Geschichte der Türkei: der Zerfall des Osmanischen Reichs, die Entstehung der Republik Türkei und die anschließenden fundamentalen Reformen. Von dieser Einigkeit abgesehen, kristallisieren sich drei Probleme für die Periodisierung der Zeitgeschichte heraus: die Dominanz der jüngsten bzw. Gegenwartsgeschichte, die wiederum die beiden anderen umso stärker hervortreten lässt: die Frage der Binnenzäsuren und die eklatante Vernachlässigung der Periode von 1950 bis 2002.
Der Blick auf die Forschungsbeiträge der letzten zwanzig Jahre lässt eine klare Tendenz zu Tage treten. „Zeitgeschichte“ der Türkei besteht demnach in der Beschreibung und Analyse der erlebten jüngsten Gegenwart. Sie umfasst die zwei Jahrzehnte der AKP-Herrschaft seit 2002. Das Gros dieser Beiträge lässt sich als fortwährende Interpretationen des Regierungshandelns lesen. Diese Untersuchungen zeichnen sich durch thematische und methodische Konjunkturabhängigkeit aus; viele Konzepte erleben einen raschen Aufschwung, um häufig ebenso schnell wieder an Bedeutung zu verlieren; häufig schwimmen sie im Fahrwasser der Politik.[46]
So stand diese Forschung die ersten Jahre nach dem Regierungsantritt der AKP 2002 unter dem Eindruck der außerordentlichen Erfolgsgeschichte der Partei. International, aber auch in der liberalen Öffentlichkeit in der Türkei, wurde die AKP als Modell für die Vereinbarkeit von einem moderaten politischen Islam mit der Demokratie („muhafazakâr demokrasi“)[47] angesehen und gefördert.[48] In diesem Umfeld entstanden unzählige Forschungsbeiträge und Policy Papers, die sich allen erdenklichen innen-, außen-, wirtschafts-, kultur- und identitätspolitischen Themen und Minderheitenfragen, insbesondere der Kurden, widmeten. Der Grundtenor war verhalten oder wohlwollend optimistisch bis kritisch.
Einige Jahre später, nach dem Scheitern der Friedensgespräche mit der kurdischen PKK, dem dilettantischen Putschversuch einiger Armeeoffiziere und dem erfolgreichen Gegenputsch der Regierung 2016, in dem das Regime unter Recep Tayyip Erdoğan endgültig autoritär wurde, waren die früheren Deutungen veraltet, die Befürchtungen hatten sich hingegen bestätigt. Deutungsmuster und Kausalanalysen passten sich den changierenden Verhältnissen an.[49] Allzu häufig wurden die Zeitdiagnosen von der Wirklichkeit überholt, was mehr über die Forschungen als über die untersuchte Wirklichkeit aussagt. Mitunter dürften sie aber auch politische Entwicklungen und Trends mit ausgelöst haben. Das macht die politik- und sozialwissenschaftlichen Gegenwartsanalysen selbst zu einem lohnenden und historisierungsbedürftigen Feld künftiger Forschungen. Sie leiden aber an einem grundsätzlichen Dilemma: Die von der Zeitgeschichte zu trennende Gegenwartsgeschichte entzieht sich, mit Martin Sabrow gesprochen, ihrer Historisierung schon dadurch, dass sie noch keine abgeschlossene Periode darstellt.[50]
Die zünftige Historie hat sich aus den Gegenwartskommentaren herausgehalten. Es bleibt ihre künftige Aufgabe, die Langzeitentwicklungen und Wandlungsprozesse unberührt vom flüchtigen Charme der politikwissenschaftlichen Kommentare historiografisch zu erforschen.
Angesichts des vorherrschenden Präsentismus, der gewissermaßen vorgestern und heute unter Ausklammerung von gestern in Beziehung zueinander setzt, kann das geringe Interesse an Periodisierungsfragen der türkischen Geschichte im 20. Jahrhundert nicht verwundern. Die türkische Geschichtswissenschaft hat bisher keine ausreichenden Vorstellungen von Zeitordnungen entwickelt. Periodisierung wird nicht als ein historiografisches Problem oder als ordnendes und sinngebendes Verfahren aufgefasst, sondern hat meist keinen anderen Zweck als kalendarische Einordnung. Es herrscht deshalb ein auf die Umbrüche in der Politik bezogener, gelegentlich aber auch kaum begründeter Chronologismus vor.
So wird die „Nachkriegszeit“ – aufgrund der Neutralität der Türkei ein ohnehin fragwürdiger Begriff – entlang politischer Zäsuren geordnet: der Übergang zum Mehrparteiensystem 1945, die Ablösung der kemalistischen Regierung durch die demokratisch gewählte Oppositionspartei Demokrat Parti 1950, die Militärputsche von 1960, 1971 und 1980, der sogenannte postmoderne Putsch 1997 und schließlich der Beginn der AKP-Ära 2002; dementsprechend auch nach „großen Männern“ und Regierungszeiten: die Ära von Atatürk (1923-1938), İsmet İnönü (1938-1950), Adnan Menderes (1950-1960), Turgut Özal (1983-1993) und so weiter – oder nach Dezennien – die 1950er-, 1960er-Jahre etc.
İlhan Tekelis und Selim İlkins Periodisierung der türkischen Geschichte nach Modernisierungsetappen hält sich ebenfalls an die bekannten politischen Zäsuren. Sie sprechen von der „schüchternen Modernität“ (türk. modernite) im 19. Jahrhundert, der „radikalen Modernität“ 1923-1950 sowie der „populistischen Modernität“ 1950-1980 und für die Zeit nach 1980 von der „Abnutzung der Modernität“.[51] Nicht durchgesetzt haben sich Einteilungen wie „Zweite Republik“ für die Periode von der ersten Militärintervention 1960 bis zur dritten 1980 oder „Dritte Republik“ für die Jahre nach 1980.[52] Die Klärung der Periodisierungsfrage wird gelegentlich eingefordert, ist aber bisher in den Anfängen steckengeblieben.[53] Wenn Vertreterinnen und Vertreter anderer Disziplinen, etwa der Wirtschaftswissenschaften, mit alternierenden zeitlichen Einteilungen operieren, findet dies kaum Resonanz in der auf Politikgeschichte fixierten Geschichtswissenschaft.[54] Eine Periodisierung gemäß genuin gesellschafts- bzw. sozialgeschichtlicher Kriterien hat noch nicht begonnen.
Aus dieser Beschreibung dürfte deutlich geworden sein, dass die Beschäftigung mit dem weitgehend ausgeblendeten „Zwischenraum“ der Jahre 1950 bis 2002 besonders unter sozial-, demografie-, wirtschafts- und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten neue Perspektiven auf die Zeitgeschichte der Türkei und darüber hinaus auf den historischen Ort der Gegenwart eröffnen kann. Die Grundlagen für zukünftige Entwicklungen wurden während der kemalistischen Ein-Partei-Herrschaft gelegt und zunächst sozialtechnologisch gesteuert, aber spätestens seit den 1960er-Jahren entfaltete sich eine gesellschaftliche Dynamik, die bis heute nachwirkt. Auf diese zeitgeschichtliche Periode wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen.
5. Schwerpunkte der Zeitgeschichtsforschung
5.1 Die ersten Jahre der Republik und der Kemalismus
Unübersehbar hat die historische Forschung im Bereich der „Republikgeschichte“ schwerpunktmäßig die kemalistische Phase untersucht, d. h. die Jahre 1918/23 bis 1950. In diesem Jahr erfolgte nach 27 Jahren Alleinherrschaft der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) der Regierungswechsel zur zuvor oppositionellen Demokrat Parti (DP). Das bedeutet, dass der Kemalismus, die grundstürzenden kemalistischen Reformen und damit Fragen des Laizismus und der Religion,[55] Nationalismus- und Minderheitenfragen,[56] die Rolle und Bedeutung Atatürks und weiterer kemalistischer Führungsfiguren,[57] Parteien und Regierungen[58] sowie die Außenpolitik[59] der frühen Republik deutlich mehr historiografische Forschungsanstrengungen erfahren haben als die Periode nach 1950.[60] In diesen Punkten sind sich die ausländische und türkische Forschung weitgehend einig, wenngleich sie die Themen teilweise sehr unterschiedlich behandeln.
Inzwischen wird die Periode der Jungtürken (1902/1908 bis 1918) häufig in die Republikgeschichte mit einbezogen, weil einige Kontinuitäten, etwa die der Eliten, unübersehbar sind.[61] Insbesondere zum Völkermord an den Armeniern 1915 liegen mittlerweile solide historische Untersuchungen vor.[62] In den 1990er-Jahren begonnen, brachten sie eine „zweite Vergangenheit“ zum Vorschein, die von der kemalistischen Meistererzählung ausgeklammert, tabuisiert oder umgedeutet worden war. Die in diesem Kontext entstandene transdisziplinäre Forschung steht im Gegensatz zur offiziellen türkischen Geschichte und fordert die Aufarbeitung der Vergangenheit nach dem deutschen Vorbild der Vergangenheitsbewältigung.[63]
Die Auffassung, die Zeit um 1900 für die Zeitgeschichte zu beanspruchen, war auch in einigen europäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder der Schweiz lange Zeit nicht unüblich, widerspricht aber inzwischen dem allgemeinen Verständnis von Zeitgeschichte, die neuerdings zunehmend auf die Zeit nach 1945 bezogen wird.[64] Der Zweite Weltkrieg spielte trotz im Alltag deutlich spürbarer Folgen für die Türkei als „neutraler Alliierter“ keine auch nur annähernd so bedeutende Rolle wie in den europäischen Ländern und Gesellschaften. Entsprechend ist auch die „Stunde Null“-Zäsur in der Geschichte der Türkei nicht vorhanden. Bis 1950 regierte die Partei Atatürks, die CHP, die seit den ersten Tagen der Republik die Macht innehatte; ein Systemwechsel wie in Deutschland oder Italien erfolgte in der Türkei nicht. Die Prinzipien des Kemalismus, wie sie während der 1920er- und 1930er-Jahre etabliert worden waren, bestanden außerdem mit nur wenigen Veränderungen weiter.
Für die Türkeiforschung im Allgemeinen, die Geschichtswissenschaft im Besonderen und die Öffentlichkeit in der Türkei stellt der Kemalismus eine nicht vergehende Vergangenheit dar. Er war und ist keine abgeschlossene Geschichte, sondern eine die damalige und heutige Gegenwart konstituierende Kern- und Achsenzeit zwischen gestern, heute und morgen. Inwieweit er seit dem AKP-Putsch von 2016 noch Bestand hat, wäre eine systematische historiografische Diskussion wert. Wenn von Binnenzäsuren in der Zeitgeschichte der Türkei die Rede ist, so muss der Wechsel zur AKP im Jahr 2002 als solche bezeichnet werden, weil seitdem, eindeutig verstärkt seit 2013 (Gezi-Proteste) und 2016 (Militärputsch, Gegenputsch der AKP, Präsidialdiktatur Erdoğans), Prinzipien des Kemalismus massiv verändert worden sind, besonders die Abkehr vom Laizismus und die damit einhergehende Dominanz des politischen Islams, wie ihn die AKP vertritt.
5.2 Die klaffende Lücke: die „Zwischenzeit“ 1950 bis 2002
Die Jahre 1950-2002 waren nicht nur von politischen Umwälzungen geprägt; zeitgleich fand ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel statt. Es ist hier nicht der Ort, diesen ausführlich darzustellen, sodass knappe Hinweise und Stichworte genügen müssen.[65] Dabei geht es um nichts weniger als den Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft, um Industrialisierung (zunächst im kleinen Maßstab), gesellschaftliche Schichtung, Alphabetisierung, Säkularisierung, Bürokratisierung, Bevölkerungsexplosion, Urbanisierung, massenhafte Binnenmigration und Arbeitsmigration, urbane Armut und die Entstehung der sozialen Frage. Bestehende ethnische Konflikte, insbesondere mit dem kurdischen Bevölkerungsteil, kamen hinzu.
In den 1960er-Jahren war die Lage auf dem Land immer noch geprägt von „Unterentwicklung“: 60 Prozent der türkischen Dörfer hatten keine Wasserversorgung, 98 Prozent keinen Strom und 90 Prozent keinen angemessenen Straßenzugang.[66] Die Landflucht der Bauern – die Migration vom Land in die Städte hielt noch bis weit in die 1970er-Jahre ungehemmt an – und die Zunahme der Verstädterung – viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen eher von Verländlichung der Städte – veränderten das soziale Gefüge der Gesellschaft grundlegend. Aus der Perspektive des Zentrum-Peripherie-Modells sahen der Soziologe Şerif Mardin sowie Vertreter seiner Denkschule in dem massiven Wertewandel, dem Neben- und Gegeneinander „traditionaler“ und „moderner“ Lebenswelten den eigentlichen Klassenkonflikt der modernen Türkei.[67] Zahlreiche modernisierungstheoretisch inspirierte Untersuchungen hoben auf die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, die asynchronen Entwicklungsverläufe in der Gesellschaft und die daraus resultierenden Spannungen ab.
Während in einigen Landstrichen die Modernisierung des 19. Jahrhunderts, Eisenbahnlinien, Staudämme, Fabriken und Asphaltstraßen, noch auf sich warten ließ, hatten andere, vorwiegend urbane Regionen, seit den 1960er-Jahren bereits den Übergang zur industriegesellschaftlichen Moderne vollzogen. Die Vielfalt der Modernitäten entfaltete sich nach 1950 sprunghaft vor allem auch in Form subpolitisch evolutionärer Art in Folge der Impulse des Welt- und Medienmarkts. Kommunikationsverdichtung, die Expansion des Pressewesens, das Aufkommen von Zeitungen für die Masse, das Aufblühen des kritischen Journalismus, die rasche Ausbreitung des Radios, seit Mitte der 1960er-Jahre auch des Fernsehens und der mit diesem Medienwandel in Zusammenhang stehende Wandel der politischen Öffentlichkeit wurden bislang kaum beschrieben, ebenso wenig die Folgen für die Massenkultur in der Türkei.
Jedenfalls ist auch im türkischen Kontext von einem Strukturwandel der öffentlichen Kommunikationsprozesse auszugehen, da der Medienwandel Teilöffentlichkeiten entstehen ließ, die langfristig soziale Veränderungen förderten und kurzfristig auch politische Handlungen anstießen. Die kulturelle Moderne, die sich in diesen Jahren zunächst in städtischen Regionen durchsetzte, ist durch das Spannungsverhältnis zwischen demokratisierender und konformisierender Massenkultur charakterisiert, wozu die zunehmende Individualisierung ebenso gehört wie die westlich orientierte Konsumkultur bis hin zur Kommodifizierung von Kultur und Alltag. Sie haben das Leben der Menschen grundlegend geprägt.
Nicht zuletzt stehen die Jahrzehnte zwischen 1960 und 1980 für eine Blütezeit politischer und sozialer Bewegungen, für den Aufstieg der politischen Linken in all ihren Schattierungen ebenso wie auch der Rechten. Die zahlenmäßige Vergrößerung der Arbeiterklasse, die politische Mobilisierung der Bauern, politische Kampagnen der „68er“-Studenten und die gewaltsamen Gegenaktionen ihrer ideologischen Widersacher auf Seiten der ultranationalistischen Rechten sowie der Untergrundkampf der linken Stadtguerilla seit 1970/71 drückten der Geschichte dieser Periode ihren Stempel auf. Die vielfältigen politischen, sozialen und ethnischen Konflikte, Ausweise einer gesellschaftlichen Neuformierung und Selbstorganisation, standen außerdem im Kontext des Kalten Kriegs und wurden dadurch ideologisch aufgeladen. Sie entluden sich in bürgerkriegsähnlichen Zuständen Ende der 1970er-Jahre, in denen die polarisierten Kräfte von „rechts“ und „links“ aufeinanderprallten, bis der Militärputsch 1980 dem ein Ende bereitete. Diese dritte Machtübernahme durch das Militär innerhalb von 20 Jahren führte zur Zerschlagung der linken oppositionellen Gruppen.[68]
Staatliche, aber auch nichtstaatliche politische Gewalt stellt zweifelsfrei eine historische Konstante in der türkischen Geschichte im 20. Jahrhundert dar. Forschungen zur staatlichen Gewaltpraxis gegenüber Minderheiten nahmen seit den 1990er-Jahren stetig zu. Aus ihnen geht hervor, dass die Gewalt der AKP-Regierungen gegen die Kurden in die Gewaltkontinuität seit der Jungtürken-Zeit gestellt werden muss. Während der kemalistischen Periode sind zu nennen: die Niederschlagungen des kurdischen Scheich-Said-Aufstands 1925, der Kurden-Rebellionen in den 1930er-Jahren, darunter als größter der Aufstand im Gebiet Dersim (heute Tunceli) 1937/38,[69] die Pogrome gegen die Juden im türkischen Thrakien 1934[70] sowie gegen Griechen und andere Nichtmuslime in Istanbul 1955[71] und die Massaker an Kurden und Aleviten Ende der 1970er-Jahre.[72] Seit der Republik-Gründung dauert die Diskriminierung der Kurden an, die immer wieder in einen veritablen Krieg in den vorwiegend kurdisch besiedelten Gebieten im Osten und Südosten der Türkei umschlug. Auch das Beschweigen oder Leugnen des Völkermords an den osmanischen Armeniern 1915 und östlichen Christen durch den Staat, gleichgültig welche Partei regierte, gehört in diesen Zusammenhang.[73] Ohne weitere Ausführungen hinlänglich bekannt ist, dass die staatliche nationalistische Historiografie das Thema der Minderheiten nicht nur vollständig anders auslegt als die nichtstaatliche und ausländische Forschung, sondern die wichtigen Fragen der Gewaltkontinuität schlichtweg negiert.[74]
Gewaltakte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – Massaker an der alevitischen und kurdischen Bevölkerung in Maraş, Çorum und Yozgat 1978 und 1980 sowie der Bürgerkrieg zwischen „links“ und „rechts“ Ende der 1970er-Jahre – wurden bislang kaum historisch erforscht.[75] Die Gewalt unter Linken, darunter „Genossenmorde“, ist ebenfalls mit Tabus belegt.[76] Dem türkisch-kurdischen Konflikt der letzten drei Jahrzehnte werden indes größere Forschungsanstrengungen gewidmet.[77] Tatsächlich hat keine andere politische Auseinandersetzung in der Türkei seit 1923 mehr Tod und Leid über die betroffenen Menschen gebracht. Die Bilanz des Kriegs zwischen der türkischen Armee und der kurdischen PKK seit den 1990er-Jahren weist 40.000 Gewaltopfer, 3000 zerstörte Dörfer, Hunderttausende Vertriebene sowie massive Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Armee und die PKK aus[78] – die Gewaltopfer seit 2015 nicht mitgerechnet.
Zusätzlich ist ein weiterer Aspekt knapp zu umreißen, der die Jahrzehnte nach 1950 charakterisiert. Die aus dem Westen importierten Vorstellungen und Entwicklungen der Moderne, die sich in regional unterschiedlichen Ausformungen und Geschwindigkeiten in der Türkei ausbreiteten, zeigten sich auch im Zusammenhang von Kapitalismus, bei der Anbindung an den Weltmarkt und der geopolitischen Integration in den Westen. Diese Entwicklungen sind verflechtungsgeschichtlich in die geopolitische Matrix weltgeschichtlicher Konstellationen im Kontext des Kalten Kriegs einzubetten, ohne jedoch die außenpolitischen Faktoren einseitig zu strapazieren oder sie umgekehrt ausschließlich im nationalen Rahmen zu behandeln. Die Türkei war in dieser Periode ein integraler Bestandteil der von Truman-Doktrin, Marshall-Plan, NATO und dem europäisch-transatlantischen Wirtschaftsmarkt geprägten Nachkriegsordnung. All das hatte Folgen für die Entwicklung der Gesellschaft.[79]
Wenngleich das halbe Säkulum 1950-2002 hier nur grob skizziert werden kann, so mag doch deutlich geworden sein, wie dynamisch sich die Türkei seit etwa 1950 entwickelte, aber auch, welche Kontexte zur Bearbeitung ihrer Zeitgeschichte berücksichtigt werden müssen. Wiewohl eine zeitgeschichtliche Forschung zu dieser Periode sich zu entwickeln beginnt, ist noch immer eine große Forschungslücke zu beklagen. Was die wenigen Studien anbetrifft, so gilt erneut das bekannte Dilemma: Für jeden Zeitabschnitt dieser Periode liegen zeitgenössische politikwissenschaftliche Studien vor, in denen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Staats- und Politikperspektive dominiert, während die Entwicklungen in der Gesellschaft kaum erforscht wurden.[80] Die Schwierigkeiten, die Entwicklungen in der Türkei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihren Wechselbeziehungen zwischen politischen, sozialen, kulturellen und internationalen Entwicklungen und Wandlungsprozessen zu untersuchen und die Zeitgeschichte der Türkei zu einem Teilbereich einer internationalen Zeitgeschichtsforschung zu machen, sind deutlich sichtbar.
6. Deutungskämpfe, Erinnerungskultur und dominierende Narrative in der Öffentlichkeit
Der seit den letzten drei Jahrzehnten zu beobachtende Geschichtsboom hat auch in der Türkei zeitgeschichtliche Themen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt und sie enorm popularisiert. Inzwischen konkurrieren immer mehr Akteursgruppen um Deutungshoheit, Auslegung und Einordnung zeitgeschichtlicher Ereignisse. Die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte ist dadurch diffuser und vielfältiger geworden. Auch das Aufweichen der akademischen Fächergrenzen, durch die kulturalistische Wende beschleunigt, hat zu einer Vitalisierung der öffentlichen Debatten über Themen und Fragen der Zeitgeschichte beigetragen. Gleichzeitig hat sich der Gegensatz zwischen histoire und mémoire deutlich verschärft. Im akademischen wie auch im außeruniversitären Bereich begann die Transformation von Geschichte in Erinnerungs- und Gedächtnisgeschichte zu dominieren. Letztere rückten die leidvollen Erfahrungen von Gruppen und Individuen als Opfer kollektiver Gewalt, die von der etablierten Historiografie verleugnet, unterdrückt oder tabuisiert worden sind, in das Licht der Öffentlichkeit.
Diese neuen Zugänge sind in einem Forschungsfeld zu verorten, das hier vereinfacht als transdisziplinäre Gegenwissenschaft bezeichnet werden soll. Beteiligt sind historisch arbeitende Politologen und Vertreterinnen anderer Fächer, Journalisten-Historiker sowie Interessengruppen und Themen-Lobbys, die sich in der Ablehnung der etablierten Staatshistoriografie einig sind. Wissenssoziologisch steht diese Entwicklung im Zusammenhang mit dem Wechsel der Generationen und den sich damit verschiebenden Fragen und scheinbaren Selbstverständlichkeiten. Es ist vor allem eine in den 1960er-Jahren geborene und in den „wilden“ 1970er- und 1980er-Jahren sozialisierte Forschergeneration, die, der Verabsolutierung des Nationalen überdrüssig, sich seit den 1990er-Jahren die Aufgabe gestellt hat, die nationalen Legenden und Mythen zu dekonstruieren.
Gewalt gegen Minderheiten, die Militärputsche, die obrigkeitliche Staatsideologie, militaristische Traditionen, die die Bürger zu Untertanen degradieren und sie zum Erhalt der Ordnung der Staatsräson unterwerfen, wurden seit den 1990er-Jahren aus verschiedener Warte beschrieben und analysiert.[81] Diese Gegengeschichtsschreibung eröffnet einen Zugriff auf die Geschichte der Türkei von den Rändern, den Minderheiten und marginalisierten Teilen der Gesellschaft; sie trug und trägt so zu neuen Lesarten der Vergangenheit bei. Damit korrespondieren die Verschiebung von Denkhorizonten, Erkenntnisinteressen sowie Fragen nach Identität und Erinnerung. Unverkennbar spielen in dieser Verlagerung ganz gegenwärtige Erfahrungen mit Autoritarismus, undemokratischen Strukturen und Handlungen sowie dem Kurdenkonflikt eine Rolle; darüber hinaus trägt die Orientierungslosigkeit und Unsicherheit über den eigenen (gegenwärtigen) Ort in der Geschichte zu diesen Veränderungen bei.
Mit der kulturalistischen Wende seit den 1990er-Jahren rückten strukturalistische Ansätze in den Hintergrund. Mit dem Fokus auf überindividuelle historische Ordnungen, Gefüge und Rahmenbedingungen hatten seit den 1970er-Jahren Sozialwissenschaftler wie Çağlar Keyder und Vertreter der marxistischen Schule einen Paradigmenwechsel eingeleitet.[82] Statt der Geschichtsmächtigkeit von Einzelpersonen, Ideen und Intentionen hoben sie gesellschaftliche und ökonomische Strukturen hervor. Der strukturgeschichtliche Ansatz hatte jedoch, wie vielfach kritisiert wurde, seine Grenzen, da Akteure, ihre Handlungen und die Kontingenz der Geschichte hinter der strukturellen Determiniertheit des Systems verschwanden. Zugespitzt formuliert glich die Geschichte nach dieser Lesart einem „Marionettentheater“, in dem der oder die Einzelne den Strukturen wehrlos ausgesetzt war.[83] Kritisiert wurden die überindividuellen sozioökonomischen Erklärungsmuster von Vertreterinnen und Vertretern der Alltags-, Frauen- und Geschlechtergeschichte, was zu einer Anerkennung der Erfahrungs- und alternierenden Sinndimensionen geführt hat.[84]
Zur expliziten Herangehensweise solcher Untersuchungen avancierte die Oral History,[85] verstanden als Gegen-Geschichte,[86] die eine Herausforderung für die nationale Meistererzählung darstellt und diese mit den Stimmen der Zeitzeugen dekonstruiert.[87] Obwohl die Erinnerungsforschung seit den 1990er-Jahren regelrecht boomt, fehlt bislang eine theoretisch-methodische Auseinandersetzung mit Oral History im Bereich der Türkeiforschungen. So werden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen häufig methodisch unreflektiert vor anderen Quellengattungen privilegiert und als besonders authentisch verstanden. Ihr Zeugnis gilt häufig als historische „Wahrheit“. Oral History wird vor allem von Fachvertreterinnen und Vertretern der Anthropologie, Soziologie, Literatur- und der Frauenforschung betrieben.[88] In diesem Umfeld sind auch Trauma- und Grievance-Studien zu verorten, die streng genommen keine historischen Untersuchungen sind, sondern eine Art kritischer Reflexionsraum für Empowerment und Erlösung der Opfer bzw. ihrer Nachkommen.[89] Während des Vormarschs der Kulturwissenschaften gerieten hingegen Forschungsfelder wie die Wirtschaftsgeschichte oder die Arbeitergeschichte in eine Krise, während die Politik- und Ideengeschichte wiederum stark an Einfluss gewannen.
Aus all dem dürfte deutlich geworden sein, dass die frühe Republik bzw. der Kemalismus Dreh- und Angelpunkt der zeitgeschichtlichen Debatten geblieben ist. Dass die heutige Gesellschaft der Türkei den Kemalismus immer noch als Referenzpunkt historischer Interpretationsanstrengungen betrachtet und dessen historische Einordnung seit dem Regierungsantritt der AKP von interessegeleiteten Kommentatoren der Tagespolitik usurpiert und der haute vulgarisation preisgegeben worden ist, zeugt von dem anhaltenden Bedürfnis nach Erklärung dieser Vergangenheit. Die kontroverse Deutung bei Linken, Rechten, Nationalisten, Kemalisten und Angehörigen unterschiedlicher Minderheiten führte zu einer politisierten Rezeption, die – so der Trend – immer kritischer wurde. Eine wissenschaftlich angemessene historische Einordnung kam dadurch bisher nicht zustande. In der Gegenwissenschaft hat sich die kemalistische Meistererzählung seit den letzten Jahren zu einer überwiegend die Schattenseiten betonenden Meistererzählung gewandelt. Es scheint, als sei damit lediglich die Kehrseite der kemalistischen Medaille beschrieben.[90] Von ideologischen und politischen Diskursen überfrachtet, harrt der bis heute in manchen Bereichen von Staat und Gesellschaft ja noch immer virulente Kemalismus seines historischen Urteils.
Die moderne Geschichte der Türkei im 20. Jahrhundert wird aus der Perspektive der Gegenwissenschaft als eine Geschichte der Verlust-, Zwangs- und Vernichtungsgeschichte erzählt, die die kemalistische Phase der Republik in besonderer Weise verkörperte. Dem positiven und optimistischen Selbstbild der kemalistischen Modernisierungstheorie stellt eine jüngere Forschergeneration die negative Seite der „Zwangsmoderne“ entgegen. Jungtürkische wie kemalistische Sozialtechnologie, Biopolitik, staatliche Disziplinartechniken, Unterdrückung und Exklusion von Minderheiten spielen darin ebenso eine Rolle wie die neuerdings durch die neue Kulturgeschichte amerikanischer Provenienz inspirierten Studien zu Rassismus (Critical Whiteness Studies[91]), Gender- und Körpergeschichte.[92]
Eine synthetisierende und vergleichende Geschichte der türkischen Modernisierung und Moderne, auf deren Basis die Prämissen dieses Paradigmas zu überprüfen wären, gibt es indes kaum.[93] Diese Fragen führten jüngst zu einer kontrovers gedeuteten Geschichtsdebatte, die mit immer neuen Aktualisierungen fortgeführt wird.[94] Ungeklärt bleiben bei diesen konzeptionellen Annahmen indes die Fragen nach der oft proklamierten Dialektik der Moderne beziehungsweise wie sich die beiden Meistererzählungen (die „gute“ vs. die „negative“ Moderne) zueinander verhalten oder ob sie gar eine gemeinsame Wurzel haben.[95] Die Ambivalenzen des Kemalismus, zu denen der Autoritarismus ebenso gehört wie ein selektives Emanzipationsideal, die Unterdrückung nationaler Minderheiten ebenso wie die Bildung der Frauen, um nur zwei Beispiele zu nennen, fügen sich nicht in eine historische Erzählung, sondern werden oftmals entweder nur „positiv“ (in der Staatshistoriografie) oder „negativ“ (aus der Sicht der kritischen Wissenschaft) beschrieben.
Sowohl die Modernisierungstheorie als auch ihre Foucault’sche Gegenposition haben in der türkischen Geschichtsschreibung zudem das Manko, dass sie implizit einen türkischen „Sonderweg“ postulieren. Das Problem ist und bleibt bis heute, dass die westliche Modernisierung und Moderne – mit Habermas sei begrifflich zwischen beiden Phänomenen unterschieden[96] – die analytischen Kategorien für die Untersuchungen liefern. Solange aus dem untersuchten Gegenstand aber keine alternativen theoriefähigen Begriffe und Kategorien abgeleitet werden, bleibt die Entwicklung in der Türkei nur die Ableitung („Sonderweg“) des westlichen Vorbilds, und die türkische Variante ist demnach Teil einer analytisch nicht weiterführenden multiplen Moderne.[97]
Über Möglichkeiten und Grenzen der kulturalistischen Ansätze mögen unterschiedliche Auffassungen bestehen. Zweifellos haben sie zu einer Auffächerung der Forschungsfelder beigetragen. Wir wissen heute weitaus mehr als noch vor zwei Jahrzehnten über die Beschädigungen und Verluste der türkischen Modernisierungsgeschichte, über Gewalt und ihre Folgen, Mentalitäten und langfristig wirkende Deutungsmuster von historischen Akteuren – und wie sie heute erinnert werden. Gleichzeitig ist der Trend zu einer immer geschichtsferner gewordenen Forschungslandschaft kaum zu übersehen, deren Folge eine eigentümliche Enthistorisierung der behandelten historischen Stoffe ist. Ihr ist eigen, den Gegenstand ohne hinreichende Quellenkritik, Theorie- und Methodendiskussion und eine angemessene historische Kontextualisierung zu untersuchen und für sich sprechen zu lassen. Bei allem Respekt vor den Verdiensten bei der Aufarbeitung dunkler Kapitel in der jüngeren Geschichte der Türkei trifft dieser Befund zum Teil auch auf die kritische Historiografie samt ihren populärwissenschaftlichen Ausläufern in den Medien zu, bei denen nicht selten die Gegenerzählung ebenso doktrinär vertreten wird wie ihr Gegenpart in der staatlichen Historiografie oder auch methodische und quellenkritische Standards unterschritten werden.[98]
Unübersehbar ist die Deutung der Vergangenheit ein Politikum und Ziel politischer Einflussnahme. Nicht zu vernachlässigen ist daher die revisionistische Geschichtspolitik des AKP-Regimes, das die kemalismus-kritischen Forschungen instrumentalisiert und genutzt hat, um eigene Geschichtsbilder zu konstruieren. Obgleich es leichte Verschiebungen in der Geschichtspolitik der AKP seit 2016 gibt, lässt sie sich grob als Aufwertung der osmanisch-islamischen Vergangenheit im Kontrast zu der laizistisch-modernistischen Politik der kemalistischen CHP-Regierungen beschreiben.[99]
In der Tat sind in der AKP-Periode viele zuvor bestehende diskursive Schranken gefallen, auch wenn keine vollständige Beseitigung geschichtlicher Tabus festzustellen ist. Dennoch ist eine Öffnung und Liberalisierung historiografischer Diskurse bei gleichzeitiger eskalativer Verengung und Radikalisierung deutlich zu erkennen.[100] „(D)ie geschichtspolitische Debatte kann man heute freier führen“, schrieb der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel 2014[101] – 2017 wurde er verhaftet.[102] Ähnlich äußerten sich auch einige armenische und kurdische Intellektuelle, die zumindest vor 2016, als die AKP noch Friedensgespräche mit der PKK führte, eine AKP-freundliche Haltung pflegten.[103]
Fazit
Die Zeitgeschichtsforschung zur Türkei, das zeigt dieser Überblick, steht vor großen Problemen und Herausforderungen, deren Bewältigung nicht von heute auf morgen zu erwarten ist. An erster Stelle steht die notwendige Befreiung der staatlich alimentierten Geschichtswissenschaft aus den Fesseln der Staatsnähe. Unter der Fuchtel von YÖK und den Bedingungen der AKP-Hochschulpolitik ist dies die zentrale Voraussetzung für eine (Zeit-)Geschichte an den staatlichen Universitäten, die hohen wissenschaftlichen Standards folgt. Außerdem ist der schwierige Zugang zu staatlichen Archiven zu nennen, was zur Folge hat, dass zeitgeschichtliche Forschungen in der Regel auf publiziertem Material basieren. Obwohl die Zahl der zeitgeschichtlichen Forschungen in der Türkei wie international zugenommen hat, klaffen noch immer erhebliche Lücken. Von einem etablierten Fach – sofern man diesen Begriff verwenden möchte – kann weder in der Türkei noch international die Rede sein.
Dass Zeitgeschichte in der Regel von Politikwissenschaftlern bearbeitet wird, hat weitreichende Folgen: Es fehlt an einem explizierten Epochenverständnis, an Theoriebezogenheit und an einem Methodenverständnis, mit deren Hilfe Themen und Quellen über die Ereignis- und Politikgeschichte hinaus erschlossen werden können. Erst auf dieser Grundlage können historische Fragestellungen formuliert sowie methodisch und konzeptionell reflektiert erforscht werden. Damit ließe sich auch der Provinzialismus der nationalstaatlichen Darstellung überwinden, und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten an die Diskussionen in der zeitgeschichtlichen Forschung in und zu anderen Ländern anknüpfen.
Nachdrücklich also stellt sich für eine türkische Zeitgeschichtsforschung die Aufgabe, zuvörderst ihr geschichtswissenschaftliches Profil gegenüber den Nachbardisziplinen zu schärfen, indem sie sich thematisch, theoretisch und methodisch öffnet und sich zugleich ihres Handwerkszeugs und geschichtswissenschaftlichen Charakters ihrer Fragestellungen bewusst wird. Die Zeitgeschichte der Türkei wird immer auch strittige Geschichte sein, schon allein deshalb, weil sie in einem Spannungsverhältnis von öffentlichem Interesse und wissenschaftlichem Anspruch steht. Ihre Zuständigkeit für die öffentlich gestellten Fragen und Orientierungsbedürfnisse hat sie bisher weitgehend an andere Disziplinen abgegeben; sie sollte sich daran erinnern, dass sie auch als Publikumswissenschaft in erster Linie für die Vergangenheit disziplinär zuständig ist.
Angesichts des anhaltenden öffentlichen Interesses an der jüngsten Geschichte und wegen der damit einhergehenden Vulgarisierung und politischen Inanspruchnahme muss sie stärker denn je als korrigierende Wissenschaft auftreten, indem sie einen kritisch geprüften Wissensfundus bereitstellt und auf der Grundlage der Quellen als Vetoinstanz gegen den öffentlichen Missbrauch der Historie präsent ist. In dieser Hinsicht hat die staatskritische Gegengeschichte Wichtiges geleistet. Um aber diesen Aufgaben generell gerecht zu werden, sollte sich die professionelle Zeitgeschichtsschreibung der Türkei hohe methodische und konzeptionelle Standards auferlegen. Dazu bedarf es der dauernden Selbstreflexion des eigenen Tuns und die Einsicht in die Grenzen und Möglichkeiten der historiografischen Konstitutionsleistung, aber auch des Muts zum Widerspruch.
[1] Vgl. Zafer Toprak, Contemporary History Studies in Turkey, in: Modern Turkish History (ohne Angabe der Herausgeber), Istanbul 2008, S. 1-6.
[2] Vgl. Yasar Özüçetin/Senem Nadar, Atatürk İlkeleri ve İnkılap Tarihi Dersinin Üniversiteler Düzeyinde Okutulmaya Başlanması ve Gelinen Süreç [Beginn des Unterrichts über die Prinzipien Atatürks und die Geschichte der türkischen Revolution an den Hochschulen und die gegenwärtige Situation], in: Uluslararası Sosyal Araştırmalar Dergisi 3 (2010), H. 11, S. 466-477.
[3] Vgl. hierzu die grundlegende Darstellung von Büşra Ersanlı Behar, İktidar ve tarih. Türkiye’de „resmi tarih“ tezinin oluşumu (1929-1937) [Macht und Geschichte. Die Entstehung der offiziellen Geschichtsthese in der Türkei], Istanbul 1992; Étienne Copeaux (mit Angaben zur weiterführenden Literatur), Espaces et temps de la Nation Turque. Analyse d’une historiographie nationaliste (1931-1993), Paris 1997.
[4] Ebd.
[5] Autorisierte deutsche Übersetzung: Gazi Mustafa Kemal Pascha, Neue Türkei. 3 Bde. Leipzig 1928, online unter https://opendata.uni-halle.de//handle/1981185920/93225 [20.07.2023].
[6] Vgl. Stefan Plaggenborg, Viel Krieg, keine Nation: Die Entstehung der modernen Türkei, in: Ewald Frie/Ute Planert (Hrsg.), Revolution, Krieg und die Geburt von Staat und Nation. Staatsbildung in Europa und den Amerikas 1770-1930, Tübingen 2016, S. 149-167; zur Entwicklung der kemalistischen Historiografie in den 1930er-Jahren: Doğan Gürpınar, Ottoman-Turkish Visions of the Nation, 1860-1950, Basingstoke 2013.
[7] Siehe Gürpınar, Ottoman-Turkish Visions; Veronika Hager, A Past, so Distant, and yet so very Near. Belleten and the Creation of a Historiographical Rupture, in: European Journal of Turkish Studies 24 (2017), https://journals.openedition.org/ejts/5506 [20.07.2023].
[8] Siehe Mustafa Oral, Türk İnkılâp Tarihi Enstitüsü (1933) [Institut zur Geschichte der türkischen Reformen], in: Ankara Üniversitesi Türk İnkılâp Tarihi Enstitüsü Atatürk Yolu Dergisi 27/28 (2001), S. 321-333, online unter https://dergipark.org.tr/tr/pub/ankuayd/issue/1855/22606 [20.07.2023]. Das Institut wurde 1971 zu „Atatürk Devrimleri Enstitüsü“ [Institut für Atatürk’sche Revolutionen] und 1981 zu „Atatürk İlkeleri ve İnkılâp Tarihi Enstitüsü“ [Institut für die Prinzipien Atatürks und Reformgeschichte] umbenannt. Siehe die Website der Universität Istanbul: https://www.istanbul.edu.tr/tr/content/iude-lisansustu-egitim-farki/ataturk-ilkeleri-ve-inkilap-tarihi-enstitusu [20.07.2023].
[9] Vgl. Oral, Türk İnkılâp, S. 328-329.
[10] Siehe die Diskussion der Weber’schen charismatischen Herrschaft hinsichtlich Atatürks in: Stefan Plaggenborg, Ordnung und Gewalt. Kemalismus – Faschismus – Sozialismus, München 2012, S. 167-219.
[11] Im kemalistischen Reformwerk wurden auch bzw. insbesondere Frauen als Staatsbürgerinnen angesprochen; die „moderne“ Frau wurde zu einer der wichtigsten Säulen der türkischen Moderne erklärt. Die Rolle der Frauen als Staatsbürgerinnen in der frühen Republik wird kontrovers diskutiert. Frauenemanzipation (rechtliche Gleichstellung, allgemeine Schulpflicht und die frühe Einführung des Frauenwahlrechts) galt in der älteren Forschung als eines der Hauptverdienste des kemalistischen Modernisierungsprojekts. Zeittypisch war die Frauenfrage patriotisch aufgeladen und in den Dienst der Schaffung einer einheitlichen Nation gestellt. Die jüngere und jüngste Forschung sieht hingegen die „Frauenbefreiung durch den Staat“ sehr kritisch, weil sie „nicht weit genug gegangen sei, den privaten Bereich ausgespart habe und eine unabhängige Frauenbewegung behindert habe“. Siehe Heidi Wedel (mit weiterführender Literatur), „Die undankbaren Enkelinnen“ – Kritische Diskurse über Kemalismus, Identität und Geschlecht in der Türkei, in: Hendrik Fenz (Hrsg.), Strukturelle Zwänge – Persönliche Freiheiten. Osmanen, Türken, Muslime: Reflexionen zu gesellschaftlichen Umbrüchen, Berlin/New York 2009, S. 429-454, hier S. 431; und Jenny B. White, State Feminism, Modernization, and the Turkish Republican Women, in: NWSA Journal 15 (2003), H. 3, S. 226-236; zu Gender-Aspekten der staatsbürgerlichen Erziehung bis heute: Ayşe Gül Altınay, The Myth of the Military Nation. Militarism, Gender and Education in Turkey, New York 2004; Étienne Copeaux, Espaces et temps de la Nation Turque; ders., De l’Adriatique à la mer de Chine: Histoire turque et identité, in: Internationale Schulbuchforschung 18 (1996), H. 3, S. 307-322.
[12] Siehe z.B. die offizielle Webseite des Geschichtsseminars an der Ortodoğu Teknik Üniversitesi (ODTÜ, Middle East Technical University) Ankara: https://fef.metu.edu.tr/en/department-history [20.07.2023].
[13] Vgl. İlker Aytürk, The Flagship Institution of Cold War Turcology, in: European Journal of Turkish Studies 24 (2017), https://journals.openedition.org/ejts/5517 [20.07.2023]; Cangül Örnek, Türkiye’nin Soğuk Savaş Düşünce Hayatı: Antikomünizm ve Amerikan Etkisi [Ideenwelten in der Türkei während des Kalten Kriegs: Antikommunismus und der amerikanische Einfluss], Istanbul 2015.
[14] Vgl. Oktay Özel/Gökhan Çetinsaya, Türkiye’de Osmanlı Tarihçiliğinin Son Çeyrek Yüzyılı: Bir Bilanço Denemesi [Das letzte Vierteljahrhundert der Geschichtsschreibung des Osmanenreichs: Versuch einer Bilanz], in: Toplum ve Bilim 9 (Winter 2001), H. 1, S. 8-38, bes. S. 5ff.
[15] Die Monografie von Ali Kuyaksil, Türkiye’de Siyaset Biliminin Gelişimi ve Zafer Tarık Tunaya [Zafer Tarık Tunaya und die Entwicklung der Politikwissenschaft in der Türkei], Ankara 2014, ist eher eine Hommage an Tunaya, den Doyen der türkischen Politikwissenschaft, als eine kritische Untersuchung der Disziplingeschichte der Politikwissenschaft; zu ihrer institutionellen Entwicklung siehe İlter Turan, Türkiye’de Siyasal Bilimin Gelişimi: Tarihçe ve Kurumsal Gelişmeler [Die Entwicklung der Politikwissenschaft: Geschichte und institutionelle Entwicklung], in: Istanbul Üniversitesi Siyasal Bilgiler Fakültesi Dergisi 40 (2009), S. 13-29, online unter https://dergipark.org.tr/tr/download/article-file/5297 [20.07.2023]; Duygu Bazoğlu Sezer u.a., Türkiye’de Uluslararası İlişkiler Çalışmalarının Bilim Dalı Olarak Gelişmesine Güncel ve Tarihsel bir Bakış, Uluslararası İlişkiler [Eine aktuelle und historische Perspektive auf die Entwicklung der Internationalen Beziehungen als Wissenschaftszweig in der Türkei], in: Special Issue on International Relations Studies and Education in Turkey 2 (2005), H. 6, S. 30-53.
[16] Siehe dazu İlhan Tekeli (mit Angaben zur weiterführenden Literatur), Tarihsel Bağlamı içinde Türkiye’de Yükseköğretimin ve YÖK’ün Tarihi [Geschichte der Hochschulbildung und des Hochschulrats in der Türkei in ihrem historischen Kontext], Istanbul 2010.
[17] Zuvor hatten die Hochschulen Autonomie für Wissenschaftspflege und Verwaltung. Die Mitglieder des Hochschulrats werden vom Staatspräsidenten und der Regierung bestimmt. Die Fakultäten können ihre Dekane nicht selbst wählen. Zur Entwicklung des türkischen Hochschulsystems bis 2007 siehe Andris Barblan/Üstün Ergüder/Kemal Gürüz, Case Studies: Higher Education in Turkey: Institutional Autonomy and Responsibility in a Modernising Society. Policy Recommendations in a Historical Perspective, Bologna 2008.
[18] Zit. nach Martin Strohmeier, Universität, Staat und Gesellschaft in der Türkei, in: Beiträge zur Hochschulforschung 1/2 (1990), S. 45-67, hier S. 61, online unter https://www.bzh.bayern.de/uploads/media/1-2-1990-strohmeier.pdf [20.07.2023]; für das türkische Hochschulwesen nach 1980 siehe Tekeli, Tarihsel Bağlamı içinde Türkiye’de; Doğan Gürpınar, Türkiye’de Aydının Kısa Tarihi [Kurze Geschichte der Intellektuellen in der Türkei], Istanbul 2013; Emre Dölen, Türkiye Üniversite Tarihi [Geschichte des türkischen Hochschulwesens]: Bd. 5. Özerk Üniversite Dönemi [Die Periode der Hochschulautonomie], 1946-1981, Istanbul 2009.
[19] Vgl. Barblan/Ergüder/Gürüz, Case Studies.
[20] Der Umfang der Massenentlassungen wird auf rund 125.000 Personen beziffert. Diese Zahl enthält auch Lehrerinnen und Lehrer im staatlichen Dienst. Zum Umfang der Entlassungen nach dem Staatsstreich von 1980 gibt es nur Schätzungen. Nach offiziellen Zahlen wurden 4891 Dozentinnen und Dozenten aus dem Hochschuldienst entlassen. Vgl. Erkin Başer, Kapitalizmin Kıskacında doğa, toplum ve bilim: Onur Hamzaoğlu Olayı [Natur, Gesellschaft und Wissenschaft im Zangengriff des Kapitalismus: die Onur Hamzaoğlu Affäre], Istanbul 2013, S. 133; Ömer Ulusoy im Interview mit Tanıl Bora, 1402’den KHK’lara: KHK’lılar. Bir muhasebe [Vom Paragraf 1402 zu Rechtsverordnungen mit Gesetzeskraft. Eine Bilanz], in: Birikim, 15.10.2019 https://birikimdergisi.com/guncel/9726/1402-den-khk-lara-khk-lilar-bir-muhasebe-1 [20.07.2023].
[21] Vgl. Besim Dellaloglu, Türkiye’de Yükseköğretimin Soykütüğü [Genealogie der Hochschulbildung in der Türkei], in: Duvar, 04.03.2021, https://www.gazeteduvar.com.tr/turkiyede-yuksekogretimin-soykutugu-makale-1514991 [20.07.2023].
[22] Siehe Anm. 8.
[23] Vgl. Erik Jan Zürcher, The Ottoman Legacy of the Turkish Republic: An Attempt at a new Periodization, in: Die Welt des Islams 32 (1992), H. 2, S. 237-253, online unter https://scholarlypublications.universiteitleiden.nl/access/item%3A2729499/view [20.07.2023]; ders., Turkey: A Modern History, Leiden 2004; Maurus Reinkowski, Geschichte der Türkei. Von Atatürk bis Gegenwart, München 2021, S. 38ff.
[24] 74 der Universitäten sind sogenannte Stiftungsuniversitäten. Geschichtsabteilungen gibt es in 111 Universitäten, davon sind 96 staatlich, 13 Stiftungs- und zwei Privatuniversitäten. Siehe die Übersicht unter https://www.yok.gov.tr/universiteler/universitelerimiz [20.07.2023].
[25] Vgl. Doğan Gürpınar, Historical Revisionism vs. Conspiracy Theories: Transformations of Turkish Historical Scholarship and Conspiracy Theories as a Constitutive Element in Transforming Turkish Nationalism, in: Journal of Balkan and Near Eastern Studies 15 (2013), H. 4, S. 412-433.
[26] Siehe folgende internationale Untersuchungen im Bereich der modernen Geschichte der Türkei, von denen die meisten auch in türkischer Übersetzung vorliegen: Bernard Lewis, The Emergence of Modern Turkey, New York/Oxford 1961; Stanford Shaw/Ezel K. Shaw, History of the Ottoman Empire and Modern Turkey, Vol. 2: Reform, Revolution and Republic: The Rise of Modern Turkey, 1808-1975, New York 1977; Feroz Ahmad, From Empire to Republic: Essays on the Late Ottoman Empire and Modern Turkey, Istanbul 2008; Erik J. Zürcher, Turkey. A Modern History, London 1993; ders., Political Opposition in the Early Turkish Republic: The Progressive Republican Party, 1924-1925, Leiden 1991; ders., The Unionist Factor: The Role of the Committee of Union and Progress in the Turkish National Movement, 1905-1926, Leiden 1984; ders. (Hrsg.), Fighting for a Living: A Comparative Study of Military Labour, 1500-2000, Amsterdam 2013, online unter https://www.jstor.org/stable/j.ctt6wp6pg [20.07.2023]; Hamit Bozarslan, Histoire de la Turquie contemporaine, Paris 2008; Christoph K. Neumann/Klaus Kreiser, Kleine Geschichte der Türkei, Stuttgart 2003; Kurt Steinhaus, Soziologie der türkischen Revolution. Zum Problem der Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft in sozio-ökonomisch schwach entwickelten Ländern, Frankfurt a.M. 1969; Plaggenborg, Ordnung und Gewalt; Cengiz Günay, Geschichte der Türkei: Von den Anfängen der Moderne bis heute, Wien 2012, sowie zahlreiche Bücher Kemal Karpats und Klaus Kreisers.
[27] Siehe Sina Akşin, Istanbul Hükümetleri ve Milli Mücadele [Istanbuler Kabinette und der nationale Widerstand], 2 Bde., Istanbul 1994; ders., Ana Çizgileriyle Türkiye’nin Yakın Tarihi [Neuere Geschichte der Türkei in ihren Hauptlinien], Istanbul 1996; ders., Turkey: From Empire to Revolutionary Republic. The Emergence of the Turkish Nation from 1789 to the Present, London 2007; İlhan Tekeli/Selim İlkin, Cumhuriyetin Harcı. Köktenci Modernitenin Doğuşu [Der Mörtel der Republik: Die Geburt der radikalen Modernität], 2 Bde., Istanbul 2003.
[28] Vgl. Erik Jan Zücher, Monologue to Conversation: Comparative Approaches in Turkish Historiography, in: Turkish Studies 15 (2014), H. 4, S. 589-599.
[29] Plaggenborg, Ordnung und Gewalt. Zu den wenigen komparatistischen Studien gehören auch das folgende ältere Werk von Robert E. Ward/Dankwart A. Rustow (Hrsg.), Political Modernization in Japan and Turkey, Princeton 1964; sowie die Studie von Touraj Atabaki/Erik Jan Zürcher, Men of Order. Authoritarian Modernization under Atatürk and Reza Shah, London 2004.
[30] Das Unbehagen an der staatlich-ideologischen Ausrichtung der türkischen Geschichtswissenschaft ist so alt wie sie selbst. Kritiker (aus allen politischen Lagern) werfen ihr wechselweise wissenschaftliche Mittelmäßigkeit und politische Instrumentalisierung vor. Exemplarisch aus drei Jahrzehnten seien genannt: Der Historiker Mehmet Fuat Köprülü attestierte bereits 1928 seiner Zunft den Mangel an soziologischer und philosophischer Begründung der Geschichte und kritisierte den mechanischen Chronologismus und das Kommentieren von Akten. Seine Kritik hat nach fast 100 Jahren ihre Aktualität nicht eingebüßt: Eski Tarih Eserlerimizi Yakmalı Mı? [Sollen unsere alten historischen Werke verbrannt werden?], in: Hayat Gazetesi, Bd. 4, Ankara, Juli 1928, S. 125; Salih Özbaran, 1980’den Günümüze Tarih Çalışmaları [Studien zur Geschichte von den 1980er-Jahren bis zur Gegenwart], in: Cumhuriyet Dönemi Türkiye Ansiklopedisi 15 (1995), S. 1358-1359; ders., Tarih, Tarihçi ve Toplum [Geschichte, Historiker und Gesellschaft], İstanbul 1997; ders., Tarihçilik Zor Zanaat. Ateşlenen Bir Alana İlişkin Tepkiler [Geschichte als diffiziles Handwerk: Reaktionen zum Auflodern eines Arbeitsgebiets], Istanbul 2015; Oktay Özel, Dün Sancısı. Türkiye’de Geçmiş Algısı ve Akademik Tarihçilik [Schmerzen der Vergangenheit: Die Wahrnehmung der Vergangenheit und akademische Geschichtsschreibung in der Türkei], Istanbul 22015; Özel/Çetinsaya, Osmanlı Tarihçiliği [Geschichtsschreibung des Osmanenreichs]; Vahdettin Engin/Ahmet Şimşek (Hrsg.), Türkiye’de Tarih Yazımı [Geschichtsschreibung in der Türkei], Istanbul 2013. Hinzu kommen die Politisierung geisteswissenschaftlicher Disziplinen und ideologisch-politisches Lagerdenken. Offene Forschungskontroversen gibt es kaum, dafür ein wechselseitiges Desinteresse und nicht selten offenes oder verdecktes Diffamieren von gegensätzlichen politischen und Forschungspositionen sowie andersdenkenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Das hängt wiederum mit dem Fehlen eines entwickelten Rezensionswesens und einer offenen Debattenkultur zusammen. Siehe A. Teyfur Erdoğdu, 2000’den sonra Türkiye’de Tarihçilik [Geschichtsschreibung seit den 2000er-Jahren in der Türkei], in: Yahya Kemal Taştan (Hrsg.), Mehmet Fuat Köprülü, Ankara 2012, S. 277-302, hier S. 281; siehe auch das Bologna Policy Paper zum türkischen Hochschulwesen, in dem fehlende demokratische Strukturen, die fehlende Kultur der Kollegialität und der Mangel an gegenseitigem Respekt betont werden: Barblan/Ergüder/Gürüz, Case Studies, S. 101.
[31] Website des Atatürk Institute for Modern Turkish History (AIMTH) an der Boğazici Universität in Istanbul, https://ata.boun.edu.tr/ [20.07.2023].
[32] Tarih Vakfı, Hakkımızda (eigene Übersetzung; B.P.), https://tarihvakfi.org.tr/tarihvakfi/hakkimizda/ [20.07.2023].
[33] Ulrike Freitag/Noël van den Heuvel, Die Geschichte des Vorderen Orients und Nordafrikas an deutschen Einrichtungen – Entwicklungen und Trends, in: VHD Journal 10 (2021), S. 27-30, hier S. 28.
[34] Website des CETOBaC: https://cetobac.ehess.fr/publications und https://cetobac.ehess.fr/recherches [20.07.2023].
[35] Webseite des IEFA: https://www.ifea-istanbul.net/index.php/fr/services/biblio [25.06.2023]
[36] Siehe die Titel in der Anm. 26, die an deutschen und internationalen Lehrstühlen für Turkologie, Türkeistudien sowie an Instituten für Orientalistik, Islamwissenschaften und Near and Middle Eastern Studies entstanden sind.
[37] Vgl. Howard Eissenstat, Children of Özal: The New Face of Turkish Studies, in: Journal of the Ottoman and Turkish Studies Association 1 (2014), H. 1-2, S. 23-35.
[38] Siehe z.B. den Workshop „Making Sense of Turkey’s Cold War“ am 26. März 2021 an der Universität Leiden, Institute for Area Studies, der Forscher:innen aus der Türkei und international zusammenbrachte. Dazu und zu weiteren Events des Turkey Studies Network – Low Countries an der Universität Leiden https://www.turkeystudiesnetwork.org/events [20.07.2023].
[39] Siehe die Projekt-Website „Network Contemporary History of Turkey“, Universität Duisburg Essen, https://www.uni-due.de/humanities/dfg-network-turkey/home.php [20.07.2023].
[40] Siehe z.B. das von der Mercator-Stiftung geförderte internationale Network Turkey, das sich vornehmlich auf gegenwartsbezogene Türkeistudien konzentriert. Der organisatorische Teil des Network Turkey ist CEST (Consortium for European Symposia on Turkey), https://www.network-turkey.org/cest/ [20.07.2022]. Daneben gibt es das Contemporary Turkey Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin, https://ccrd-berlin.de/contemporary-turkey-studies/ [20.07.2023].
[41] Siehe Donald Quataert/Sabri Sayari (Hrsg.), Turkish Studies in the United States, Bloomington, IN 2003, insbes. Introduction, S.vii-x; Zur Kritik an den Türkeiforschungen siehe auch Sinan Ciddi/ Paul T. Levin, Interdisciplinarity and Comparison in Turkish Studies, in: Turkish Studies 15 (2014), H. 4, S. 557-570, online unter https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/14683849.2014.985482 [20.07.2023]; Erik J. Zürcher, Monologue to Conversation: Comparative Approaches in Turkish Historiography, in: Turkish Studies 15 (2014), H. 4, S. 589-599.
[42] Vgl. Zürcher, Political Opposition, S. 5-6. Seit der Feststellung Zürchers im Jahr 1991 hat sich die Lage kaum wesentlich verändert. Siehe Lale Özdemir/Oğuz Icimsoy, Perceived Silence in the Turkish Archives, in: Michael Moss/David Thomas (Hrsg.), Archival Silences. Missing, Lost and, Uncreated Archives, London 2021, S. 152-167. Zu aktuellen Erfahrungsberichten in türkischen Archiven siehe Kian Byrne, A Survey of Middle East Archives: Turkey, in: Sources and Methods, Blog Wilson Center, Nr. 134, 13.04.2020, https://www.wilsoncenter.org/blog-post/survey-middle-east-archives-turkey [20.07.2023]; İdil Çetin, Where is the Archive? The Reality of Conducting Research on Atatürk Photographs, in: Julia Bärnighausen u.a. (Hrsg.), Photo-Objects. On the Materiality of Photographs and Photo Archives in the Humanities and Sciences, Berlin 2019, S. 102-115, online unter https://www.mprl-series.mpg.de/studies/12/6/index.html [20.07.2023].
[43] Zum prekären Zustand des lokalen Verwaltungsarchivs in Rize siehe Rıza Arıkan, Cumhuriyet döneminde Rize I. (1923-1950) [Rize während der Republikperiode I.], Ankara 2018, hier S. 187ff.
[44] Darunter das Bundesarchiv (Koblenz); Politische Archiv des Auswärtigen Amts (Berlin); Public Record Office (London); Archives diplomatiques – Ministère de L‘Europe et des affaires étrangères (Paris), Archives de la Société des Nations (Genf), National Archives and Records Administration (Maryland), Israel State Archives (Jerusalem); International Institute of Social History (Amsterdam). Für weitere türkische und internationale Archive und Bibliotheken siehe Nicole van Os, Overview of Digital Sources for the Study of the Ottoman Empire and Republic of Turkey, Leiden 2019, https://www.universiteitleiden.nl/binaries/content/assets/geesteswetenschappen/lias/190113_turkish_studies_digital_sources.pdf [20.07.2023].
[45] Vgl. Fatih Rukancı/Hakan Anameriç/Yusuf Yalçın: Private Archives in Turkey, in: Bilgi Dünyasi 17 (2016), H. 1, S. 22-38, online unter https://bd.org.tr/index.php/bd/article/view/69/63 [20.07.2023].
[46] Das ist allerdings nicht nur die Eigenart der türkischen Gegenwartsforschungen. Vgl. Detlev Mares, Too many Nazis? Zeitgeschichte in Großbritannien, in: Alexander Nützenadel/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Zeitgeschichte als Problem: Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa, Göttingen 2004, S. 128-149, hier S. 142.
[47] Grundlegend: Charlotte Joppien, Die türkische Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP): Eine Untersuchung des Programms „Muahafazakâr Demokrasi“, Berlin 2011; siehe auch dies., Kein Ende in Sicht? Hintergründe zu 15 Jahren AKP-Regierung in der Türkei, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 14 (2017), H. 2, https://zeithistorische-forschungen.de/2-2017/5494 [20.07.2023], Druckausgabe: S. 337-351.
[48] Vgl. Reinkowski, Geschichte der Türkei, S. 318; Joppien, Die türkische Adalet ve Kalkınma Partisi, S. 79.
[49] Vgl. Reinkowski, Geschichte der Türkei, S. 364f.
[50] Vgl. Martin Sabrow, Der Zeitraum der Zeitgeschichte, Vortrag, Paris 2014, S. 7, online unter https://zzf-potsdam.de/sites/default/files/mitarbeiter/PDFs/sabrow/vortrag_martin_sabrow_der_zeitraum_der_zeitgeschichte_01_10_2014_paris.pdf [20.07.2023].
[51] Vgl. Tekeli/İlkin, Cumhuriyetin Harcı.
[52] Vgl. Zürcher, Turkey: A Modern History, bes. Kap. 3 „A Troubled Democracy“, S. 231-292; Andrew Mango, The Third Turkish Republic, in: The World Today 39 (1983), H. 1, S. 30-38; Jenny B. White, Muslim Nationalism and the New Turks, Princeton, N.J. 2012; Rainer Herrmann, Die Türkei auf dem Weg zu einer „Zweiten Republik“ in: Schweizer Monatshefte– Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur 76 (1996), H. 9, S. 19-24.
[53] In den wenigen Beiträgen zum Thema werden zumeist die gängige politische oder die an Atatürk orientierte Periodisierung kritisiert, aber es wird kein alternatives Zeitschema entwickelt, siehe z.B. Demo Ahmet Aslan, Türkiye Tarihini Dönemlendirme Meselesi [Zum Problem der Periodisierung der türkischen Geschichte], in: Turkish History Education Journal 3 (2014), H. 2, S. 65-81, online unter https://dergipark.org.tr/tr/download/article-file/164041 [20.07.2023]; Cengiz Sunay, Cumhuriyet Tarihi Üzerine Kısa bir Değerlendirme Denemesi [Kurze Reflexionen zur Republikgeschichte], in: İnsan & İnsan 3 (2016), H. 7, S. 64-98, online unter https://dergipark.org.tr/tr/download/article-file/261415 [20.07.2023]. Allerdings haben die zumeist auf die islamisch-türkisch-osmanischen Wurzeln fixierten Vertreter der Staatshistoriografie in der Türkei keine aus „ihrer“ Geschichte abgeleitete Periodisierung zu entwickeln vermocht. Die Einteilung folgt dem etablierten, in der westeuropäischen Geschichtswissenschaft entwickelten Epochenschema von Antike, Mittelalter und Neuzeit.
[54] Vgl. Korkut Boratav, der die Wirtschaftsgeschichte der modernen Türkei nach acht Zeitperioden einteilt und zugleich politische Zäsuren zum Maßstab nimmt: 1908-1922: Revolution und Kriegsjahre; 1923-1929: Aufbau der offenen Marktwirtschaft; 1930-1939: Protektionismus und etatistische Industrialisierung; 1940-1945: Zäsur des Zweiten Weltkriegs; 1946-1953: Weltmarktintegration; 1954-1961: Blockierung und neue Integration; 1962-1976: Dualismus: Import-Substitutionspolitik bei gleichzeitiger Abhängigkeit vom Ausland; 1977-1979: erneute Wirtschaftskrise. Korkut Boratav, İktisat Tarihi (1908-1980)[Wirtschaftsgeschichte] in: Sina Akşin u.a. (Hrsg.), Türkiye Tarihi [Geschichte der Türkei] Bd. 4: Çağdaş Türkiye [Die moderne Türkei] 1908-1980, o.D., o.O., S. 265-353.
[55] Aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen hier nur einige jüngere Publikationen: Sarah-Marie Demiriz, Vom Osmanen zum Türken. Nationale und staatsbürgerliche Erziehung durch Feier- und Gedenktage in der Türkischen Republik 1923-1938, Baden-Baden 2018; Markus Dressler, Die civil religion der Türkei: Kemalistische und alevitische Atatürk-Rezeption im Vergleich, Würzburg 1999; Patrick Bartsch, Musikpolitik im Kemalismus: die Zeitschrift Radyo zwischen 1941 und 1949, Bamberg 2011; Emre Sencer, Order and Insecurity in Germany and Turkey. Military Cultures of the 1930s, London/New York 2016; Banu Turnaoglu, The Formation of Turkish Republicanism, Princeton 2017; Toni Alaranta, Contemporary Kemalism: From Universal Secular-Humanism to Extreme Turkish Nationalism, New York 2014; Taha Parla/Andrew Davison, Corporatist Ideology in Kemalist Turkey: Progress or Order, New York 2004; Sibel Bozdoğan/Reşat Kasaba (Hrsg.), Rethinking Modernity and National Identity in Turkey, Seattle/London 1997.
[56] Exemplarisch aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen: Ayhan Aktar, Varlık Vergisi ve Türkleştirme Politikaları [Vermögenssteuer und die Politik der Türkisierung], İstanbul 2000; Rıfat Bali, Cumhuriyet Yıllarında Türkiye Yahudileri: Bir Türkleştirme Serüveni (1923-1945) [Türkische Juden in den Jahren der Republik], İstanbul 2000; Metin Heper, The State and Kurds in Turkey: The Question of Assimilation, Houndmills, Basingstoke 2007; Nazan Maksudyan, Türklüğü Ölçmek: Bilimkurgusal Antropoloji ve Türk Milliyetçiliğinin Irkçı Çehresi, 1925-1939 [Die Vermessung des Türkischen: Science Fictional Anthropologie und das rassistische Gesicht des türkischen Nationalismus], Istanbul 2005; Berna Pekesen, Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien, 1918-1942, München 2012; Talin Suciyan, The Armenians in Modern Turkey: Post-Genocide Society, Politics, and History, London 2016; David Shankland, The Alevis in Turkey. The Emergence of a Secular Islamic Tradition, London/New York 2003.
[57] Exemplarisch aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen: George W. Gawrych, The Young Atatürk. From Ottoman Soldier to Statesman of Turkey, London/New York 2013; Şükrü Hanioğlu, Atatürk. An Intellectual Biography, Princeton 2011; Klaus Kreiser, Atatürk. Eine Biographie, München 2008; Aylin Tekiner, Atatürk Heykelleri. Kült, Estetik, Siyaset, Istanbul 2014; Camilla Dawletschin-Linder, Diener seines Staates: Celal Bayar (1883-1986) und die Entwicklung der modernen Türkei, Wiesbaden 2003; Metin Heper/Sabri Sayari (Hrsg.), Political Leaders and Democracy in Turkey, Lanham/Boulder 2002; Metin Heper, Ismet Inönü, The Making of a Turkish Statesman, Leiden 1998; Mustafa Ҫolak, Bülent Ecevit. Karaoğlan, Istanbul 2016.
[58] Aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen exemplarisch: Walter Weiker, Political Tutelage and Democracy in Turkey. Free Party and its Aftermath, Leiden 1973; Sabri Sayari/Pelin A. Musil/Ö. Demirkol (Hrsg.), Party Politics in Turkey. A Comparative Perspective, London/New York 2018; Barry Rubin/Metin Heper (Hrsg.), Political Parties in Turkey, London/New York 2002; Sabri Sayari/Yılmaz Esmer (Hrsg.), Politics, Parties and Elections in Turkey, Boulder CO 2002; Huri Türsan, Democratisation in Turkey. The Role of Political Parties, Brussels 2004; Elise Massicard/Nicole F. Watts (Hrsg.), Negotiating Political Power in Turkey. Breaking up the Party, London/New York 2013; Arda Can Kumbaracıbaşi, Turkish Politics and the Rise of the AKP. Dilemmas of Institutionalization and Leadership Strategy, London/New York 2009; Mogens Pelt, Military Intervention and a Crisis of Democracy in Turkey. The Menderes Era and its Demise, London/New York 2014.
[59] Exemplarisch seien genannt: Ekavi Athanassopoulou, Strategic Relations between the US and Turkey 1979-2000. Sleeping with a Tiger, New York 2014; Naif Bezwan, Türkei und Europa: Die Staatsdoktrin der Türkischen Republik, ihre Aufnahme in die EU und die kurdische Nationalfrage, Baden-Baden 2008; Metin Aksoy, Die Entwicklung der türkischen Außenpolitik im Hinblick auf den Beitrittsprozess der Türkei zur EU, Münster 2012; Elçin Dindar, Die türkische Zypernpolitik im Konfliktfeld des östlichen Mittelmeeres 1950-1974, München 2017; Oktay Yaman, Türkische Außenpolitik im Nahen Osten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts: außenpolitische Neupositionierung der AKP – Kontinuität und/oder Wandel?, Berlin 2017; Rana Deep Islam, Herausforderung Nahost. Die Außenpolitik der EU und der Türkei im Vergleich, Wiesbaden 2013; Mesut Özcan, Harmonizing Foreign Policy. Turkey, the EU and the Middle East, Cornwall 2008; Umut Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy. The Kemalist Influence in Cyprus and the Caucasus, London/New York 2011; Nasuh Uslu, The Turkish-American Relationship between 1947 und 2003: The History of a Distinctive Alliance, New York 2003.
[60] Vgl. Zürcher, Monologue, S. 597; Eissenstat, Children, S. 34-35; Süleyman İnan, Yakın ve Şimdiki Zamanı Yazmak: Türkiye’de Cumhuriyet Tarihçiliği [Geschichtsschreibung der nahen und jüngsten Vergangenheit: Die Geschichtsschreibung der Republik in der Türkei], in: Sosyal Bilimler Dergisi (Prof. Dr. Bayram Kodaman’a Armağan Özel Sayısı), Januar 2010, S. 304-312.
[61] Siehe Şükrü Hanioglu, Preparation for a Revolution. The Young Turks 1902-1908, Oxford 2002; zur Kontinuität vgl. auch die Werke von Zürcher, Anm. 26.
[62] Siehe aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen einige jüngere Publikationen: Taner Akçam, Armenien und der Völkermord: Die Istanbuler Prozesse und die türkische Nationalbewegung, Hamburg ²2013; ders., The Young Turks’ Crime Against Humanity. The Armenian Genocide and Ethnic Cleansing in the Ottoman Empire, Princeton/Oxford 2012; Hilmar Kaiser, The Extermination of Armenians in the Diarbekir Region, Istanbul 2014; Uğur Ümit Güngör, The Making of Modern Turkey: Nation and State in Eastern Anatolia, 1913-1950, Oxford 2011; Ümit Kurt, The Armenians of Aintab: The Economics of Genocide in an Ottoman Province, Cambridge, MA 2021.
[63] Vgl. Ayhan Kaya, Turkish Vergangenheitsbewältigung: The Unbearable Burden of the Past, in: Mischa Gabowitsch (Hrsg.), Replicating Atonement. Foreign Models in the Commemoration of Atrocities, London 2017, S. 99-130; für weiterführende Literatur zur türkischen Vergangenheitsbewältigung: ders., Epilogue: #Occupygezi Movement and Right to the City, in: Oscar Hemer/Hans-Åke Persson (Hrsg.), In the Aftermath of Gezi. From Social Movement to Social Change, London 2017, S. 201-215, hier S. 212.
[64] Siehe die Beiträge in Nützenadel/ Schieder (Hrsg.), Zeitgeschichte als Problem; siehe auch die Docupedia-Kategorie „Länder“.
[65] Siehe ausführlich Berna Pekesen (Hrsg.), Turkey in Turmoil. Social Change and Political Radicalization during the 1960s, Berlin/Boston 2020; Erik Jan Zürcher/Funda Barbaros (Hrsg.), Modernizmin Yansımaları 60lı yıllarda Türkiye, Istanbul 2013; Ayşe Buğra, Kapitalizm, Yoksulluk ve Türkiye’de Sosyal Politika [Kapitalismus, Armut und Sozialpolitik in der Türkei], Istanbul 22021; sowie die „klassischen“ Werke: Kemal H. Karpat u.a. (Hrsg.), Social Change and Politics in Turkey. A Structural-Historical Analysis, Leiden 1973, S. 72-74; Ergun Özbudun, Social Change and Political Participation in Turkey, Princeton, NJ 1976; sowie Çağlar Keyder, State and Class in Turkey: A Study in Capitalist Development, London 1987; Feroz Ahmad, The Turkish Experiment in Democracy, 1950-1975, London 1977.
[66] Vgl. Heiko Schuss, Economic Policy and Interest Groups, in: Pekesen (Hrsg.), Turkey in Turmoil, S. 31-49, bes. S. 46. Siehe auch Kemal H. Karpat, The Gecekondu: Rural Migration and Urbanization, Cambridge 1976, S. 94; ders., (Hrsg.), Social Change and Politics in Turkey; Ruşen Keleş, Kentleşme Politikası [Politiken der Urbanisierung], Istanbul 1984; Mübeccel B. Kıray (Hrsg.), Structural Change in Turkish Society, Bloomington, IN 1991; Michael N. Danielson/Ruşen Keleş, The Politics of Rapid Urbanization. Government and Growth in Modern Turkey, New York 1985.
[67] Vgl. Şerif Mardin, Center-Periphery Relations: A Key to Turkish Politics?, in: Daedalus 102 (1973), H. 1, S 169-190; ders., Batıcılık, in: Cumhuriyet Dönemi Türkiye Ansiklopedisi, Istanbul 1983, S. 245-250; ders., Türk Toplumunu İnceleme Aracı olarak „Sivil Toplum“ [„Zivilgesellschaft“ als Analysekategorie zur Erforschung der türkischen Gesellschaft], in: ders. Türkiye’de Toplum ve Siyaset [Gesellschaft und Politik in der Türkei] (Makaleler 1 [Aufsätze]), Istanbul 1987, S. 7-16.
[68] Obwohl die Junta auch Rechtsextremisten, vulgo die Grauen Wölfe, verfolgte, richtete sich ihre Repression vor allem gegen Linke bzw. gegen Personen, die als „links“ angesehen wurden, die die Hauptopfer der Militärintervention wurden. Vgl. Berna Pekesen, The Left in Turkey: Emergence, Persecutions and Left-Wing Memory Work, in: Christian Gerlach/Clemens Six (Hrsg.), The Palgrave Handbook of Anti-Communist Persecutions, London 2020, S. 477-496. Zur Militärintervention 1980 und ihren Auswirkungen siehe Kerem Öktem, Angry Nation: Turkey since 1989, London 2011.
[69] Vgl. Hans-Lukas Kieser, Dersim Massacre, in: Online Encyclopedia of Mass Violence, Paris 2011, https://www.sciencespo.fr/mass-violence-war-massacre-resistance/en/document/dersim-massacre-1937-1938 [20.07.2023]; Nicole Watts, Relocating Dersim: Turkish State-Building and Kurdish Resistance, 1931-1938, in: New Perspectives on Turkey 23 (Fall 2000), S. 5-30; Suat Akgül, Yakın Tarihimizde Dersim İsyanları ve Gerçekler [Die Aufstände in Dersim in unserer jüngster Geschichte und die Tatsachen], Istanbul 1992; Şükrü Aslan, Ma sekerdo kardaş? N’etmişiz kardaş? „Dersim 38“ tanıklıkları [Was hatten wir angerichtet Bruder? Zeitzeugenberichte zu „Dersim 38“], Istanbul 2010; Hüseyin Aygün, Dersim 1938. Resmiyet ve Hakikat [Offiziösität und Wahrheit], Ankara 2010; Özlem Göner, Turkish National Identity and its Outsiders. Memories of State Violence in Dersim, London/New York 2017.
[70] Vgl. Pekesen, Nationalismus; Rıfat N. Bali, 1934 Trakya Olayları, Istanbul 2012; Hatice Bayraktar, „Zweideutige Individuen in schlechter Absicht“. Die antisemitischen Ausschreitungen in Thrakien 1934 und ihre Hintergründe, Berlin 2011.
[71] Vgl. Speros Vryonis Jr., The Mechanism of Catastrophe: The Turkish Pogrom of September 6-7, 1955, and the Destruction of the Greek Community of Istanbul, New York 2005; Dilek Güven, Nationalismus und Minderheiten. Die Ausschreitungen gegen die Christen und Juden der Türkei vom September 1955, München 2012.
[72] Vgl. Burak Gürel, Civil War and Massacre in Maraş 1978, in: Pekesen (Hrsg.), Turkey in Turmoil, S. 152-180; Emma Sinclair-Webb, Sectarian Violence. The Alevi Minority and the Left: Kahramanmaras 1978, in: Paul J. White/Joost Jongerden (Hrsg.), Turkey’s Alevi Enigma: A Comprehensive Overview, Leiden 2003, S. 215-237.
[73] Vgl. Talin Suciyan, The Armenians in Modern Turkey. Post-Genocide Society, Politics and History, London 2015; Seyhan Bayraktar, Politik und Erinnerung: der Diskurs über den Armeniermord in der Türkei zwischen Nationalismus und Europäisierung, Bielefeld 2010; Richard G. Hovannisian (Hrsg.), Remembrance and Denial: the Case of the Armenian Genocide, Detroit 1999; Yair Auron, The Banality of Denial: Israel and the Armenian Genocide, London/New York 2003; Aida Alayarian, Consequences of Denial: The Armenian Genocide, London/New York 2008; Vahakn N. Dadrian, The Key Elements in the Turkish Denial of the Armenian Genocide. A Case Study of Distortion and Falsification, Cambridge/Toronto 1999.
[74] Der Genozid an den Armeniern 1915 und die Existenzbedingungen der Armenier und anderer Nichtmuslime, aber auch der Kurden sind die bekanntesten Beispiele.
[75] Zur allgemeinen Gewaltproblematik siehe Hamit Bozarslan, Violence in the Middle East. From Political Struggle to Self-Sacrifice, Princeton 2004; ders., Le phénomène milicien: Une composante de la violence politique en Turquie des années 1970, in: Turcica 31 (1999), S. 185-244; Benjamin Gourisse, La violence politique en Turquie. L’État en jeu (1975-1980), Paris 2014; Güney Çeğin/İbrahim Şirin (Hrsg.), Türkiye’de Siyasal Şiddetin Boyutları [Dimensionen der politischen Gewalt in der Türkei], Istanbul 2014; Paul White, The PKK: Coming Down from the Mountains, London 2015; Ali K. Özcan, Turkey’s Kurds: A Theoretical Analysis of the PKK and Abdullah Öcalan, London/New York 2006, online unter http://ndl.ethernet.edu.et/bitstream/123456789/51680/1/37.pdf.pdf [20.07.2023]; Sabri Sayari/Bruce Hoffman, Urbanization and Insurgency: The Turkish Case, 1976-1980, Santa Monica, CA 1991, online unter https://www.rand.org/pubs/notes/N3228.html [20.07.2023].
[76] Zu diesem Thema gibt es Berichte von Zeitzeugen, aber keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Siehe Aytekin Yılmaz, Yoldaşını Öldürmek [Den Genossen töten], Istanbul 2014; Hakkı Öznur, Derin Sol: Çatışmalar, cinayetler, infazlar [Die linke Verschwörung: Zusammenstöße, Morde und Hinrichtungen], 2 Bde., Istanbul 2004. Siehe auch den Beitrag des Demokratischen Türkeiforum e.V., deutsche Zweigstelle der Menschenrechtsstiftung (Türkiye İnsan Hakları Derneği), „Meinungen zu Hinrichtungen innerhalb von Organisationen in der Türkei“ von 2014, https://www.tuerkeiforum.net/Meinungen_zu_Hinrichtungen_innerhalb_von_Organisationen_in_der_T%C3%BCrkei [20.07.2023], sowie den Bericht von Helmut Oberdiek, Amnesty International-Beauftragter zur Türkei, „Turkey: Killings by Armed Groups“, 2014, https://ob.nubati.net/wiki/Turkey:_Killings_by_Armed_Groups [20.07.2023].
[77] Siehe Paul J. White, Primitive Rebels or Revolutionary Modernizers? The Kurdish National Movement in Turkey, London/New York 2000; Marlies Casier/Joost Jongerden (Hrsg.), Nationalism and Politics in Turkey: Political Islam, Kemalism and the Kurdish Issue, London/New York 2011; Cengiz Gunes/Welat Zeydanlıoğlu (Hrsg.), The Kurdish Question in Turkey. New Perspectives on Violence, Representation, and Reconciliation, London/New York 2013; Nicole F. Watts, Activists in Office: Kurdish Politics and Protest in Turkey, Seattle, WA 2010; Adnan Çelik/Lucie Drechselova (Hrsg.), Kurds in Turkey. Ethnographies of Heterogeneous Experiences, Lanham 2019.
[78] Vgl. Maurizio Geri, Ethnic Minorities in Democratizing Muslim Countries: Turkey and Indonesia, London 2018, S. 84f.; Henri J. Barkey/Graham E. Fuller, Turkey’s Kurdish Question: Critical Turning Points and Missed Opportunities, in: Middle East Journal 51 (Winter 1997), H. 1, S 59-79, hier S. 60; Gülistan Gürbey, Der innenpolitische Stellenwert der Kurdenfrage, in: Bernd Rill (Hrsg.), Türkische Innenpolitik: Abschied vom Kemalismus, München 2013, S. 71-77, online unter https://www.hss.de/download/publications/AMZ_86_Tuerkische_Innenpolitik.pdf [20.07.2023].
[79] Vgl. Karpat, Social Change; Özbudun, Social Change.
[80] Eine Ausnahme bildet die in den späten 1950er-Jahren entstandene sogenannte Gecekondu-Literatur, vgl. Anm. 66.
[81] Exemplarisch seien hier genannt: Altınay, Military Nation; Betül Çotuksöken u.a. (Hrsg.), Ders Kitaplarında İnsan Hakları: Tarama Sonuçları [Menschenrechte in Lehrbüchern: Ergebnisse einer Recherche], Istanbul 2003; Ümit C. Sakallıoğlu, AP-Ordu İlişkileri: Bir İkilemin Anatomisi [Das Verhältnis zwischen der Partei der Gerechtigkeit und dem Militär. Anatomie eines Dilemmas], Istanbul 1993; Metin Heper/Ahmet Evin (Hrsg.), State, Democracy, and the Military: Turkey in the 1980s, Berlin/New York 1988; Şaban İba, Milli Güvenlik Devleti: Dünyada ve Türkiye’de Belgeleriyle Milli Güvenlik İdeolojisi ve Kurumlaşma [Der nationale Sicherheitsstaat: Ideologie und Institutionalisierung der nationalen Sicherheit anhand von Dokumenten in der Welt und der Türkei], Istanbul 1999; Ahmet İnsel/Ali Bayramoğlu, Bir Zümre, Bir Parti: Türkiye’de Ordu [Eine Kaste, eine Partei: Die Armee in der Türkei], Istanbul 2004; Nadire Mater, Mehmedin Kitabı: Güneydoğu’da Savaşmış Askerler Anlatıyor [Mehmeds Buch: Die im Südosten kämpfenden Soldaten berichten], Istanbul 1999.
[82] Keyder, State and Class; siehe auch Huricihan İslamoğlu/Çağlar Keyder, Osmanlı Tarihi Nasıl Yazılmalı? Bir Öneri [Wie schreibt man osmanische Geschichte? Ein Vorschlag], in: Çağlar Keyder (Hrsg.), Toplumsal Tarih Çalışmaları [Studien zur Gesellschaftsgeschichte], Istanbul 1983, S. 193-227; Reşat Kasaba, The Ottoman Empire and the World Economy: the Nineteenth Century, Albany 1988; Ebubekir Ceylan, Dünya-Sistemi Teorisinin Osmanlı Tarihi Çalışmalarına Yansımaları [Die Auswirkungen der Weltsystemtheorie auf Studien in der osmanischen Geschichtsschreibung], in: Talid 1 (2003), H. 1, S. 81-94, online unter https://dergipark.org.tr/en/download/article-file/651449 [20.07.2023]; Ahmet İnsel, Tanrı’nın Himmetinden Sermayenin Hikmetine: Wallerstein Tarihi’nin Bir Eleştirisi [Von Gottes Gnaden zur Weisheit des Kapitals: Eine Kritik an der Wallerstein’schen Geschichtsauffassung], in: Toplum ve Bilim 25/26 (1984), S. 133-148.
[83] In der Soziologie siehe z.B. Anthony Giddens, The Constitution of Society: Outline of the Theory of Structuration, Cambridge 1984.
[84] Exemplarisch seien hier genannt: Serpil Sancar, Erkeklik, İmkânsız İktidar. Ailede, Piyasada ve Sokakta Erkekler [Maskulinität, die unmögliche Macht. Männlichkeiten in der Familie, Arbeitswelt und im öffentlichen Raum], Istanbul 2009; Aysegül Altınay, Vatan, Millet, Kadınlar [Vaterland, Nation, Frauen], Istanbul 2000; Zehra Arat (Hrsg.), Deconstructing Images of the Turkish Women, New York 1998; Aksu Bora/Asena Günal (Hrsg.), 90’larda Türkiye’de Feminizm [Feminismus der 1990er-Jahre in der Türkei], Istanbul 2002; Nilüfer Göle, The Forbidden Modern. Civilization and Veiling, Ann Arbor, 1996; Aynur İlyasoğlu/Necla Akgökçe (Hrsg.), Yerli bir feminizme doğru [Auf dem Weg zu einem eigenen Feminismus], Istanbul 2001; Leyla Neyzi, İstanbul’da Hatırlamak ve Unutmak. Birey, Bellek ve Aidiyet [Erinnern und Vergessen in Istanbul. Individuum, Gedächtnis und Zugehörigkeit], Istanbul 1999.
[85] Siehe dazu den Beitrag von Leyla Neyzi, der führenden Oral History-Expertin in der Türkei, Oral History and Memory Studies in Turkey, in: Celia Kerslake/Kerem Öktem/Philip Robins (Hrsg.), Turkey’s Engagement with Modernity. Conflict and Change in the Twentieth Century, London 2010, S. 443-460, hier S. 443.
[86] Vgl. Susannah Radstone, Working with Memory: an Introduction, in: dies. (Hrsg.), Memory and Methodology, Oxford/New York 2020, S. 1-22, hier S. 10f.
[87] Vgl. Neyzi, Oral History; dies., Nasıl Hatırlıyoruz? Türkiye’de Bellek Çalışmaları [Wie erinnern wir uns? Zu Gedächtnisstudien in der Türkei], Istanbul 2014; siehe auch Arzu Öztürkmen, Sözlü Tarih: Yeni bir disiplinin cazibesi [Oral History: Vom Charme einer neuen Disziplin], in: Toplum ve Bilim 91 (2001), H. 2, S. 115-121.
[88] Siehe Neyzi, Oral History, S. 443.
[89] Siehe Leyla Neyzi, Trauma, Narrative and Silence: The Military Journal of a Jewish „Soldier“ in Turkey during the Greco-Turkish war, in: Turcica 35 (2003), S. 291-313, online unter https://research.sabanciuniv.edu/id/eprint/736/ [20.07.2023]. – Die problematischen Aspekte der Gedächtnis- und Traumaforschung bzw. ihr diffiziles Verhältnis zur Geschichtsforschung wurden im türkischen Kontext nach meinem Kenntnisstand bislang nicht so bearbeitet wie etwa in der deutschen Erinnerungskultur, siehe u.a. Konrad Jarausch/Martin Sabrow (Hrsg.), Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt a.M./New York 2002.
[90] Siehe zum Beispiel Cemil Kocaks quellenpositivistische Untersuchungen, darunter Umûmî Müfettişlikler (1927-1952) [Die Generalinspektorate], Istanbul 2003; ders., CHP İktidarının Sonu. Türkiye’de İki Partili Siyâsî Sistemin Kuruluş Yılları (1945-1950) [Das Ende der CHP-Herrschaft. Die Anfangsjahre des Zwei-Parteien-Systems in der Türkei], Istanbul 2017; ders., Türkiye’de Millî Şef Dönemi (1938-1945) [Die Ära des nationalen Chefs in der Türkei], Istanbul 1996; ferner Göle, Forbidden Modern; Taha Parla, Ziya Gökalp, Kemalizm ve Türkiye’de Korporatizm [Ziya Gökalp, Kemalismus und Korporatismus in der Türkei], İstanbul 1989; ders., Türkiye’de Siyasal Kültürün Resmi Kaynakları [Die offiziellen Quellen der türkischen politischen Kultur], 3 Bde., Istanbul 1991-1992; Levent Köker, Modernleşme, Kemalizm ve Demokrasi [Modernisierung, Kemalismus und Demokratie], Istanbul 1990; Mümtaz’er Türköne, Türk Modernleşmesi [Türkische Modernisierung], Ankara 2003; Kadir Cangızbay, Hiçkimsenin Cumhuriyeti [Niemandes Republik], Ankara 2000; Sevan Nişanyan, Yanlış Cumhuriyet: Atatürk ve Kemalizm Üzerine 51 Soru [Die fehlgeleitete Republik: 51 Fragen zu Atatürk und Kemalismus], Istanbul 2008; Emrah Gülsunar, Jakobenizm ve Kemalizm. Eleştirel bir Karşılaştırma [Jakobinismus und Kemalismus. Kritischer Vergleich], Istanbul 2015, und viele andere mehr.
[91] Vgl. Barış Ünlü, Türklük Sözleşmesi: Oluşumu, İşleyişi ve Krizi [Der contrat social des Türkentums. Entstehung, Funktion und Krise], Ankara 2018. Zur Kritik an dem Konzept siehe die Beiträge in der Zeitschrift „Birikim“ 369/370 (Januar/Februar 2020).
[92] Siehe Yiğit Akın, Gürbüz ve Yavuz Evlatlar, Erken Cumhuriyet’te Beden Terbiyesi ve Spor [Gesunde und kräftige Kinder. Körperertüchtigung und Sport in der frühen Republik], Istanbul 2004; Pinar Sarıgöl, Gender and Biopolitics. The Changing Patterns of Womanhood in Post-2002 Turkey, Leiden/Boston 2022, Banu Bargu (Hrsg.), Turkey’s Necropolitical Laboratory, Democracy, Violence, Resistance, Edinburgh 2019; Hilal Alkan u.a. (Hrsg.), The Politics of the Female Body in Contemporary Turkey. Reproduction, Maternity, Sexuality, New York 2022; Arus Yumul, Fashioning the Turkish Body Politic, in: Kerslake u.a. (Hrsg.), Turkey’s Engagement, S. 349-369; Betül Yarar, Neoliberal Body Politics: Feminist Resistance and the Abortion Law in Turkey, in: Wendy Harcourt (Hrsg.), Bodies in Resistance. Gender and Sexual Politics in the Age of Neoliberalism, London 2017, S. 133-161.
[93] Die wenigen komparatistischen Untersuchungen nehmen die frühe Phase der Republik oder die Regierungszeit Atatürks in den Blick, vgl. Plaggenborg, Ordnung und Gewalt; siehe auch die ältere Studie von Robert E. Ward/Dankwart A. Rustow, Political Modernization in Japan and Turkey, Princeton 1964; sowie Atabaki/Zürcher, Men of Order. Zur „Leistungsbilanz“ der türkischen Moderne, in denen die oben genannten konzeptionellen Problematiken allerdings nicht angesprochen werden, siehe Kerslake u.a. (Hrsg.), Turkey’s Engagement; Sibel Bozdoğan/Reşat Kasaba (Hrsg.), Rethinking Modernity and National Identity in Turkey, Seattle/London 1997.
[94] Ausgelöst wurde die Debatte von İlker Aytürk, der 2015 in einem Beitrag in „Birikim“ den Einzug von post-modernen und post-kolonialistischen Paradigmen in der türkischen Zeitgeschichtsforschung aufs Korn nahm: Der Post-Kemalismus bzw. Anti-Kemalismus sei inzwischen selbst zu einer hegemonialen Geschichtsdeutung und zum Kampfbegriff avanciert. İlker Aytürk, Post-Post-Kemalizm: Yeni Bir Paradigmayı Beklerken, in: Birikim 319 (2015), S. 34-48. Seither sind zahlreiche Kritiken, wissenschaftliche Aufsätze, publizistische Beiträge und Polemiken erschienen, die sich mit Aytürks Kritik auseinandersetzen. Siehe dazu auch das Sonderheft mit weiteren Diskussionsbeiträgen zum Thema Post-Kemalismus: Birikim 371 (2020), sowie den jüngsten Beitrag in dieser langjährigen Debatte: İlker Aytürk/Berk Esen (Hrsg.), Post-Post-Kemalizm. Türkiye Çalışmalarında Yeni Arayışlar [Post-Post-Kemalismus. Auf der Suche nach neuen (Paradigmen) im Bereich der Türkeistudien], Istanbul 2022.
[95] Vgl. eine ähnlich geartete Kritik an der deutschen Geschichtswissenschaft von Paul Nolte, Abschied vom 19. Jahrhundert: oder auf der Suche nach einer anderen Moderne, in: Jürgen Osterhammel/Dieter Langewiesche/Paul Nolte (Hrsg.), Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2006, S. 103-132, hier S. 127.
[96] Jürgen Habermas, Die Moderne – ein unvollendetes Projekt, in: ders., Kleine Politische Schriften I-IV, Frankfurt a.M. 1981, S. 444-464.
[97] Vgl. Shmuel N. Eisenstadt (Hrsg.), Multiple Modernities, New Brunswick 2002; ders., Multiple Modernities, in: Daedalus 129 (2000), S. 1-30.
[98] Siehe die sogenannte Torossian-Debatte im Umfeld der Forschung zum Genozid an den Armeniern 1915. Der renommierte Historiker Edhem Eldem hatte große Teile des Kriegstagebuchs des angeblich osmanischen Offiziers armenischer Herkunft Sarkis Torossian nach intensiver Prüfung als eindeutig gefälscht bewertet. Eldem brachte dadurch die Zunft der Genozid-Historiker, darunter Taner Akçam und Ayhan Aktar, gegen sich auf, die ihm die Entwertung eines „survival document“ und unlautere Motive unterstellten. Vgl. Edhem Eldem, A Reply to the Responses by Taner Akçam and Ayhan Aktar, in: Journal of Genocide Research 19 (2017), H. 2, S. 292-297, online unter https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2016.1262501 [20.07.2023]; ders., A Shameful Debate? A Critical Reassessment of the „Torossian Debate“, in: ebd., S. 258-273, online unter https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2016.1262495 [20.06.2023]; Taner Akcam, Everything Makes Sense once Given Context, in: ebd., S. 274-278, online unter https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2016.1262497 [20.07.2023]; Ayhan Aktar, A Rejoinder: the Debate on Captain Torossian Revisited, in: ebd., S. 279-291, online unter https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2016.1262500 [20.07.2023]. Siehe auch den jüngsten Beitrag von Edhem Eldem, Rescuing Ottoman History from the Turks, in: Turkish Historical Review 13 (2022), H. 1-2, S. 8-27.
[99] Siehe Berna Pekesen, Vergangenheit als Populärkultur. Das Osmanenreich im türkischen Fernsehen der Gegenwart, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 12 (2015), H. 1, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2015/5186 [20.07.2023], Druckausgabe: S. 140-151.
[100] Vgl. Thomas Schad, Autokratisches Lernen. Parallelen des russischen und türkischen Neopopulismus, in: Südosteuropa Mitteilungen 62 (2022), H. 5-6, S. 103-117, hier S. 112.
[101] Deniz Yücel, Taksim ist überall: Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei, Hamburg, 2014, S. 42, siehe auch S. 31-32.
[102] Yücel wurde wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ zu fast drei Jahren Haft in der Türkei verurteilt.
[103] Siehe den Pressebericht „Armenier und Kurden“ in: Le Monde Diplomatique, 12.02.2010, online unter https://monde-diplomatique.de/artikel/!484691 [20.07.2023]. Für ähnliche Einschätzungen und weitere Literaturhinweise siehe Joppien, Die türkische Adalet ve Kalkınma Partisi, S. 96-97. Siehe auch Gerhard Schweizer, Türkei verstehen – Von Atatürk bis Erdogan, Wien ²2016, S. 145f., 310f., 369-371.
Feroz Ahmad, The Turkish Experiment in Democracy, 1950-1975, London 1977
Ayşe Gül Altınay, The Myth of the Military Nation. Militarism, Gender and Education in Turkey, New York 2004
Hamit Bozarslan, Histoire de la Turquie contemporaine, Paris 2008
Ayşe Buğra, Kapitalizm, Yoksulluk ve Türkiye’de Sosyal Politika [Kapitalismus, Armut und Sozialpolitik in der Türkei], Istanbul 22021
Çağlar Keyder, State and Class in Turkey: A Study in Capitalist Development, London 1987
Kerem Öktem, Angry Nation: Turkey since 1989, London 2011
Berna Pekesen (Hrsg.), Turkey in Turmoil. Social Change and Political Radicalization during the 1960s, Berlin/Boston 2020
Maurus Reinkowski, Geschichte der Türkei. Von Atatürk bis zur Gegenwart, München 2021
Jenny B. White, Islamist Mobilization in Turkey: A Study in Vernacular Politics, Seattle/London 2002
Paul White, The PKK: Coming Down from the Mountains, London 2015
Erik J. Zürcher, Turkey. A Modern History, London 2017
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