Wiedemann orientalismus v1 de 2012

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Westliche Repräsentationen des „Orients“ gehören zu den zentralen Gegenständen geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung der letzten Jahrzehnte, was insbesondere auf Edward Saids 1978 erschienene, äußerst umstrittene Studie „Orientalism“ zurückzuführen ist. Felix Wiedemann widmet sich in seinem Docupedia-Beitrag ausgehend vom Werk Saids der Rezeption, Kritik und den vielfältigen Weiterführungen dieser „Gründungsurkunde des Postkolonialismus“, um dann in einem zweiten Teil insbesondere auf den deutschen und den jüdischen Orientalismus einzugehen.
Orientalismus

von Felix Wiedemann

Westliche Repräsentationen des „Anderen” im Allgemeinen sowie des „Orients” im Besonderen gehören zu den zentralen Gegenständen geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung der letzten Jahrzehnte.[1] Dabei ist dieses Forschungsfeld wie kaum ein anderes von einer einzigen Publikation beeinflusst, wenn nicht erst konstituiert worden: Edward Saids 1978 erschienene umstrittene Studie Orientalism. Das schnell zu einem kulturwissenschaftlichen Klassiker avancierte Buch des amerikanischen Literaturwissenschaftlers gilt als eine der Gründungsurkunden des Postkolonialismus und hat eine kaum noch überschaubare Debatte in den Kulturwissenschaften ausgelöst, die in den letzten Jahren verschiedentlich selbst historisiert worden ist.[2]

Wiewohl das Buch erst seit kurzem in einer lesbaren deutschen Übersetzung vorliegt,[3] hat sich der Begriff „Orientalismus” längst auch im deutschsprachigen Raum etabliert. Dabei stellte Saids Abhandlung weder die erste Beschäftigung mit der Geschichte europäischer Repräsentationen des Orients dar, noch war er der Erste, der diese einer massiven Kritik unterzog.[4] Bei Said hingegen erfährt der Begriff des Orientalismus eine erhebliche Ausweitung und Umwertung: Weder auf die wissenschaftliche Erforschung der Sprache und Geschichte des Orients noch auf eine spezifische Strömung in der europäischen Kunstgeschichte[5] beschränkt, versteht er unter Orientalismus generell westliche Darstellungen des Orients, in denen dieser als das „Andere” Europas vorgestellt wird. In diesem Sinne hat sich der Begriff in postkolonialen Theorien zunehmend vom konkreten Raum des Orients gelöst und fungiert als allgemeine Bezeichnung für westliche Repräsentationen eines nichtwestlichen Anderen.

In erster Linie aber ist Orientalism eine literaturhistorische Studie über Darstellungen des Vorderen Orients in der europäischen Kultur und Wissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts; und als solche hat das Buch einen nachhaltigen Einfluss auf diverse Bereiche der Neueren Geschichte und der Zeitgeschichte, von der Neueren Kolonialgeschichte bis zu aktuellen politischen Debatten ausgeübt. Dies soll anhand ausgewählter Themenfelder gezeigt werden. In einem ersten Teil gilt es jedoch, die zentralen Punkte der Orientalismus-Theorie, deren Kritik und Weiterführung zu skizzieren.

Edward Said und die Orientalismus-Theorie

Der unmittelbare Erfolg von Orientalism basierte weniger auf einem plötzlichen Interesse am eigentlichen Gegenstand des Buches als auf den spezifischen Analysen und weitreichenden Schlussfolgerungen, die vom Autor gezogen wurden und in denen sich verschiedene, durchaus widersprüchliche politische und intellektuelle Strömungen der 1970er-Jahre bündeln.

Erschienen ist das Buch kurz nachdem der Prozess der Dekolonisation mit der Unabhängigkeit der portugiesischen Kolonien formal weitgehend abgeschlossen war.[6] Dennoch verblieben die Länder der nun sogenannten Dritten Welt bekanntlich auf vielerlei Ebenen – nicht nur in politischer und ökonomischer Hinsicht – in weitgehender Abhängigkeit. Ganz in diesem Sinne fokussiert Saids Studie denn auch weniger auf Formen direkter politischer Herrschaft als vielmehr auf die Ebene fortbestehender kultureller Dominanz, Autorität und Hegemonie „des Westens”. Mit diesem Ansatz avancierte Said zu einem wichtigen Vertreter des sich etablierenden Postkolonialismus.

Vor dem Hintergrund einer sich immer wieder in bewaffneten Konflikten entladenden Krisenhaftigkeit des Nahen Ostens schien das Buch zudem einen interpretativen Rahmen für politische Gegenwartsanalysen in einem konkreten Raum bereitzustellen. Entscheidende Bedeutung kam in diesem Zusammenhang dem politischen Engagement des Autors als palästinensischer Nationalist und seiner Selbststilisierung als postkolonialer Intellektueller zu.[7] Zudem führte Orientalism verschiedene, bis dato weitgehend isolierte Felder der Human- und Sozialwissenschaften wie Wissenschaftskritik, radikalen Konstruktivismus und Diskursanalyse zusammen und verband diese mit einer dezidiert politischen Agenda. Vor allem durch die Anwendung sprach- und literaturwissenschaftlicher Methoden und Begriffe auf Bereiche wie Wissenschafts- und Kolonialgeschichte schien Orientalism zudem jenen Paradigmenwechsel exemplarisch zum Ausdruck zu bringen, für den sich später das Schlagwort des „linguistic turn” etablierte.[8]

Der heterogene politische und intellektuelle Kontext spiegelt sich im Buch auf vielfache Weise wider. Dies zeigt nicht zuletzt seine Umschreibung des Begriffs „Orientalismus” selbst. Said vermeidet eine eindeutige Definition und rekurriert gleich auf drei unterschiedliche Ebenen: Einerseits erscheint Orientalismus als eine Art Gesamtprodukt aller akademischen Aussagen über den Orient, also schlicht als eine Sammelbezeichnung für alle Orientwissenschaften; dies entspricht dem deutschen Begriff der Orientalistik, worunter traditionell historisch-philologische Disziplinen wie Semitistik, Arabistik und Indologie verstanden werden. In diesem Sinne steht die Geschichte der Orientwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert im Zentrum des Buches, wobei sich Said nahezu ausschließlich auf Repräsentationen des arabisch-islamischen Orients beschränkt und für die Orientalistik des 19. Jahrhunderts zentrale Bereiche wie Indologie, Iranistik und Sinologie ausklammert.

Denkmal an die Eroberung Konstantinopels 1453 in Istanbul: einst Wendepunkt im Ringen zwischen Orient und Okzident, heute Kinderspielplatz und Klettergerüst für Touristen. Foto: ©Felix Wiedemann.
Denkmal an die Eroberung Konstantinopels 1453 in Istanbul: einst Wendepunkt im Ringen zwischen Orient und Okzident, heute Kinderspielplatz und Klettergerüst für Touristen. Foto: ©Felix Wiedemann.


Als wichtiger für die Debatte sollten sich hingegen die weiteren Bedeutungsebenen des Begriffs erweisen: Eine zweite, weitaus allgemeinere Bestimmung Saids stellt auf eine fundamentale Grenzziehung ab und bestimmt Orientalismus als „eine Denkweise, die sich auf eine ontologische und epistemologische Unterscheidung zwischen ‚dem Orient' und (in den meisten Fällen zumindest) ‚dem Okzident' stützt”.[9] Diese imaginäre Dichotomie, so heißt es explizit, durchziehe europäische Werke von Aischylos bis zu Victor Hugo und Karl Marx. Mit anderen Worten: Der Orientalismus erscheint als ein das europäische Denken seit der Antike durchziehendes Repräsentationssystem, in dem Okzident und Orient als asymmetrische Gegenbegriffe fungieren und letzterer immer als das exotisierte, essentialisierte und enthistorisierte Andere vorgestellt wird. Zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Nexus von Alterität und Identität zu: Denn erst in der intellektuellen Abgrenzung dieses erfundenen Orients, so Saids Schlussfolgerung, habe sich die westliche Kultur und Identität konstituieren können. Auf diese Weise wird dem Orientalismus eine wichtige Funktion bei der Ausbildung eines spezifisch okzidentalen Selbstverständnisses zugewiesen: Der Orient fungiert als das konstitutive Außen Europas.[10]

Trotz gelegentlicher Referenzen auf antike oder mittelalterliche Quellen setzt Saids eigentliche Darstellung mit der Institutionalisierung und Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit dem Orient am Ende des 18. Jahrhunderts ein. Entscheidend ist hier die Koppelung von Alteritätskonstruktion mit Macht und Herrschaft: Auf dieser dritten Bedeutungsebene wird der Orientalismus als Begleiterscheinung des europäischen Kolonialismus vorgestellt und erscheint als ein hegemonialer Diskurs über den Orient, in dem dieser zwar durchaus ambivalent repräsentiert wird, letztlich aber immer das passive, unterlegene und zu beherrschende Andere Europas verkörpert.

Zu den entsprechenden Topoi zählt Said schwülstige Phantasien eines erotischen Orients ebenso wie stereotype Auslassungen zum „orientalischen Despotismus”. Der Orientalismus, heißt es entsprechend resümierend, „ist seither ein westlicher Stil, den Orient zu beherrschen, zu gestalten und zu unterdrücken”.[11] In diesem Sinne stelle die orientalistische Produktion von Wissen keineswegs einen bloßen Reflex auf politische oder ökonomische Interessen dar, sondern müsse vielmehr als ein konstitutives Element des europäischen Kolonialismus selbst begriffen werden, das immer schon mit Herrschaftspraktiken verwoben sei. Zur theoretischen Unterfütterung dieses Komplexes bezieht sich Said sowohl auf Gramscis Begriff der „kulturellen Hegemonie” als auch auf Foucaults Überlegungen zum Nexus von Wissen und Macht.[12]

Foucault ist auch Saids Gewährsmann, was die Erfassung des Orientalismus als „Diskurs” anbelangt. Dies zeigt die spezifische Mischung der in die Untersuchung einbezogenen Quellen: In Abgrenzung zur traditionellen Ideen- oder Wissenschaftsgeschichte beschränkt sich Said nicht auf den Bereich der Orientalistik, sondern bezieht eine Vielzahl an journalistischen und politischen, vor allem aber an literarischen Texten in seine Analyse mit ein und attestiert eine orientalistische Verwobenheit auch bei solchen Autor/innen – wie Charles Dickens oder Jane Austin –, die bis dahin kaum je mit Kolonialismus und Imperialismus in Verbindung gebracht worden waren. Auf diese Weise erscheint die koloniale Form des Orientalismus als ein alles dominierender Diskurs, dem sich kein Europäer habe entziehen können: „It is therefore correct that every European, in what he could say about the Orient, was consequently a racist, an imperialist, and almost totally ethnocentric.”[13]

Tatsächlich allerdings umfasst die Studie keineswegs ganz Europa, sondern beschränkt sich auf Großbritannien und Frankreich. Erst ein abschließendes Kapitel widmet sich dann vermeintlichen Kontinuitäten in anderen Kontexten. Hier kommt schließlich die politische Ausrichtung des „partisan book”[14] zum Tragen. So versucht Said, die amerikanische Nahost-Politik nach 1945 – und hier insbesondere die Unterstützung Israels – in die Tradition des europäischen Orientalismus einzuordnen bzw. aus dieser heraus zu erklären, und kaprizierte sich in seinen weiteren Publikationen vor allem darauf, den Zionismus als vermeintliche Ausgeburt des kolonialen europäischen Orientalismus zu entlarven.[15]

Debatte, Kritik und Weiterführung

Kritiker haben schon früh den undifferenzierten und polemischen Charakter der Said'schen Urteile und Kontinuitätskonstruktionen moniert. Analoges lässt sich allerdings auch über so manche Streitschrift gegen Orientalism sagen, die dem Autor nicht nur antiwissenschaftliche Ressentiments, sondern einen pauschalen Hass auf „den Westen” unterstellen und sich zu entsprechenden Apologien herausgefordert fühlen.[16] Vor dem Hintergrund weltpolitischer Ereignisse (9/11, Irak-Krieg) und eines sich zuspitzenden Nahost-Konflikts scheint die Orientalismus-Debatte in der letzten Dekade jedenfalls kaum an Brisanz und Vehemenz eingebüßt zu haben.

Said war Literaturwissenschaftler und hat in diesem Bereich (bis heute) eine weitaus intensivere Wirkung entfaltet als in den Orientwissenschaften selbst.[17] Die Kritik an Orientalism hat sich zunächst auf die erheblichen methodisch-theoretischen Schwachstellen und Widersprüche des Buches fokussiert. Hierzu gehört insbesondere der verwirrende Status des Orients: So wendet sich Said einerseits strikt gegen essentialistische Bestimmungen des Begriffs; der Orient erscheint also als reine Konstruktion, als „fast eine europäische Erfindung” ohne Realitätsgehalt.[18] Derselbe Orient führt in Orientalism aber zugleich ein außerdiskursives Dasein und wird als unterworfener – mithin realer – Raum beschrieben, der im orientalistischen Diskurs auf verzerrte Weise repräsentiert werde. Wie aber, so lässt sich fragen, kann eine bloße Imagination beherrscht und verzerrt werden?[19] Said folgt an diesem Punkt im Grunde ganz der traditionellen marxistischen Ideologiekritik: Demnach habe der ideologisch verzerrte, „erfundene” Orient den „realen” zunehmend überlagert; mithin also sei der bloße Schein an die Stelle des Seins getreten und der „latente” Orientalismus der Dichter und Denker sei zunehmend durch den „manifesten” Orientalismus der Kolonialbeamten ersetzt worden.[20]

Derartige Widersprüche resultieren daher, dass Said eigentlich unvereinbare theoretische Versatzstücke – traditionelle Ideologiekritik und Gramscis Konzept kultureller Hegemonie auf der einen Seite und Foucaults Diskursanalyse auf der anderen – zu vereinbaren sucht. Beide werden zudem auf eine sehr eigenwillige Weise rezipiert. So hat Saids Konstruktion eines homogenen, sich von der Antike her fortschreibenden kontinuierlichen Diskurses freilich wenig mit Foucaults auf radikale Diskontinuität abstellender „Archäologie” gemein.[21]

Schließlich hat auch der Kern der Orientalismus-Theorie, also der (Kurz-)Schluss von Alterität auf Machteffekte und (koloniale) Herrschaft, Widerspruch hervorgerufen. Dass Identität durch Abgrenzung hergestellt wird und mithin das Andere immer schon konstitutiv für das Eigene ist, ist schließlich ein allgemeines Phänomen bei Prozessen kollektiver Identitätsbildung und keineswegs ein europäisches Spezifikum. In diesem Sinne beschreibt Said selbst die verzerrende Darstellung anderer Kulturen nach Maßgabe der eigenen zwar einerseits als eine kulturelle und historische Konstante,[22] ohne jedoch andererseits klar zu machen, auf welche Weise sich denn dann der europäische Orientalismus von Alteritätskonstruktionen in anderen Kontexten unterscheide. Sadik Jalal al-Azm hat an einem einfachen Beispiel demonstriert, dass sich Interpretationen des Islams aus dem europäischen Mittelalter in struktureller Hinsicht durchaus analog zu denen des Christentums in der damaligen islamischen Welt verhalten. Dadurch aber, dass Said die verzerrende Repräsentation des Anderen als Charakteristikum des Westens präsentiert, weist Orientalism in dieser Hinsicht selbst eine „eurozentrische” Ausrichtung auf.[23]

Ausgehend von diesen Ungereimtheiten hat Andrea Polaschegg einige konzeptionelle und begriffliche Schwachstellen der postkolonialen Orientalismusforschung nach Said zusammenfassend aufgezeigt: Zum einen wird hier die kategoriale Differenz zwischen der Konstitution des Anderen (bezogen auf das Eigene) und des Fremden (bezogen auf das Vertraute) konsequent ignoriert, sodass „der Andere” und „der Fremde” letztlich als austauschbare Figuren erscheinen.[24] Ebenso wenig beachtet wird der Unterschied zwischen Repräsentationen einer anderen Kultur und eines Anderen der Kultur: Auf diese Weise aber ließe sich zwischen Repräsentationen „kulturloser Räume” (etwa der Südsee oder weiter Teile Afrikas) und des als Ursprung und Wiege der Kultur präsentierten Orients nicht unterscheiden.[25] Als Metonym für Darstellungen des Außereuropäischen schlechthin scheint der Orientalismus mithin kaum geeignet.

Auch aus historischer Sicht sind zu Recht erhebliche Einwände vorgebracht worden, die mittlerweile systematische Korrekturen monografischen Ausmaßes hervorgerufen haben.[26] Nahezu einhellig zurückgewiesen wurde die ahistorische und totalisierende Vorstellung eines von der Antike bis zur Gegenwart virulenten, homogenen europäischen Orientdiskurses. Auf diese Weise generiert Orientalism schließlich ein – umgekehrt essentialisierendes – Bild der westlichen Kultur und trägt zur Fortschreibung eben jenes Dualismus bei, den das Buch eigentlich zu überwinden vorgibt. Zudem sind zahlreiche historische Ungenauigkeiten und Fehler ebenso moniert worden wie die einseitigen Interpretationen der herangezogenen Texte.[27]

Problematisch erscheint jedoch vor allem Saids komplette Ausblendung von Gegendiskursen – ein Einwand, der sich auch durch die Erklärung, sich auf „hegemoniale” und „dominante” Stränge zu fokussieren, kaum entkräften lässt. Blendet man nämlich gegenteilige Befunde einfach aus, so lässt sich bekanntlich noch jede vermeintliche Kontinuität mühelos belegen. In dieses Feld der Gegendiskurse gehören etwa die bei Said auf verkappte Herrschaftsphantasien reduzierten romantischen Orientfiguren und Identifikationen.[28] Unbeachtet bleibt dabei etwa, dass die Idealisierung des Anderen immer schon zum Repertoire der europäischen Kultur- und Religionskritik gehörte und auch aus dieser Tradition heraus verstanden werden muss. Aus wissenschaftshistorischer Sicht ist vor allem Saids Fokussierung auf bestimmte Personen problematisch, die keineswegs als repräsentativ für die gesamte Orientalistik gelten können (wie der in Orientalism omnipräsente Ernest Renan).[29]

Kolonialismushistoriker haben zudem auf das monolithische Bild des europäischen Kolonialismus und die weitgehende Nichtbeachtung der neueren Forschung zu diesem Themenkomplex verwiesen. So ist bereits die zu Beginn des Buches eingeführte These, der Orient habe in der europäischen Kultur immer schon als Inbegriff des Anderen fungiert und entsprechend komme diesem Raum eine paradigmatische Rolle in der Geschichte des europäischen Kolonialismus und Imperialismus zu, äußerst fragwürdig.[30] Eine solche Zentralität hätte indes am Beispiel der Bedeutung Indiens für das British Empire im 19. und frühen 20. Jahrhundert aufgezeigt werden können; Orientalism aber ist ganz auf den Bereich des arabischen Orients fokussiert. Auch was die herausragende Funktion als konstitutives Außen für europäische Identitätskonstruktionen angelangt, ließen sich dem Orient freilich eine Vielzahl weiterer – inner- wie außereuropäische – Andere zur Seite stellen, deren diesbezügliche Bedeutung mitunter entscheidender war.

Trotz aller Widersprüche und Fehler zweifelten die wenigsten Kritiker an, dass durch Orientalism durchaus wichtige Fragen in das Zentrum der kulturwissenschaftlichen Forschung gerückt worden seien, die im Anschluss vielfach aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. So heben jüngere Untersuchungen stärker auf den relationalen Charakter asymmetrischer Repräsentationsmuster ab und fokussieren sich entsprechend auf die andere Seite des Orientalismus, d.h. auf die den Konstruktionen des Anderen notwenig zugrundeliegenden Vorstellungen des Eigenen. Demnach wird der wechselseitige konstitutive Charakter der Repräsentationen von Orient und Okzident betont.

Verwirrend ist allerdings, wenn europäische Selbstbilder dabei als „Okzidentalismus„ firmieren,[31] wird dieser Begriff doch gleichzeitig zur Bezeichnung eines „umgekehrten Orientalismus”,[32] also der verzerrenden Repräsentation der westlichen Kultur in nichtwestlichen Kontexten verwendet. Am bekanntesten in diesem Zusammenhang ist der Versuch Ian Burumas und Avishai Margalits, dem Said'schen Orientalismus als Pendant einen Okzidentalismus an die Seite zu stellen, wobei die Krux hier darin besteht, zentrale antiwestliche Stereotype und Narrative auf die außereuropäische Rezeption antimoderner Ideologen aus Europa zurückzuführen und damit letztlich als genuin westliche Produkte zu entlarven.[33] Jüngst ist überdies vorgeschlagen worden, unter Okzidentalismus nicht nur negative Zerrbilder des Westens, sondern vor allem die positiven Adaptionen der europäischen Kultur zu fassen. Wenn in diesem Zusammenhang zudem der Fokus auf der „Begegnung” zwischen Orient und Okzident liegt und der Said'sche Dualismus überwunden werden soll, so fragt sich freilich, ob der Rekurs auf Kategorien wie Orientalismus und Okzidentalismus überhaupt noch Sinn macht.[34]

Imaginäre Geografien: Der „Orient”, den die legendäre Zugverbindung durchquerte, war eigentlich der Balkan; der Endbahnhof lag nämlich auf der europäischen Seite Istanbuls. Quelle: [http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aff_ciwl_orient_express4_jw.jpg Wikimedia Commons] ([http://en.wikipedia.org/wiki/Public_domain Public Domain]).
Imaginäre Geografien: Der „Orient”, den die legendäre Zugverbindung durchquerte, war eigentlich der Balkan; der Endbahnhof lag nämlich auf der europäischen Seite Istanbuls. Quelle: Wikimedia Commons (Public Domain).


Als Ausgangspunkt für weitere Studien hat sich zudem Saids Kritik einer „imaginären Geographie”[35] erwiesen. Dabei war er keineswegs der Erste, der den Konstruktionscharakter geografischer Raumvorstellungen – sogenannte Mental Maps – oder den intrinsischen Zusammenhang von Geopolitik und imperialer Macht thematisierte.[36] Said verankerte die „Erfindung” des Orients jedoch weniger in geografischen Spezialdiskursen als vielmehr in literarischen, kulturhistorischen und politischen Repräsentationen und hat mit dieser Methode zur kritischen Erforschung kultureller Kartografien und Raumvorstellungen angeregt. So sind seither zahlreiche Arbeiten zur Historizität geografischer Einteilungen des Raums und zur Problematik der Verräumlichung von Kultur erschienen.[37] Zwar gehört die Konstruktion des Orients dabei nach wie vor zu den bevorzugten Gegenständen,[38] darüber hinaus sind aber auch kulturräumliche Konstruktionen wie „Europa” oder „der Balkan” Gegenstand entsprechender Untersuchungen gewesen.[39] Dass kulturhistorische und kulturgeografische Figuren keineswegs bloß historische Phänomene darstellen, sondern eine zunehmend aktuelle Brisanz aufweisen, zeigt sich an der Wiederkehr klassischer kulturräumlicher Klassifizierungen zur Erklärung gegenwärtiger oder zu erwartender Konflikte. Das nachhaltigste Beispiel hierfür stellt zweifellos Samuel Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen” dar.[40]

Die feministische Rezeption der Orientalismus-Theorie hat schließlich die in Orientalism lediglich angedeuteten geschlechtlichen Codierungen kolonialer Diskurse thematisiert.[41] Said hatte vor allem auf das Bild eines sinnlich-erotischen oder effeminierten Orients als negativer Topos des europäischen Orientalismus abgestellt, demgegenüber der Okzident als Ort von Sittlichkeit und männlicher Ordnung konturiert werden konnte.[42] Indes ist verschiedentlich herausgearbeitet worden, dass sich das Muster geschlechtlicher Zuschreibungen erheblich komplexer gestaltete und der Orient durchaus unterschiedliche geschlechtliche Codierungen aufwies. In der europäischen Wüsten- und Beduinenromantik etwa war die Wüste mitsamt ihren Bewohnern eindeutig männlich und „heroisch” bestimmt und konnte gegen weiblich konnotierte Städte ausgespielt werden.[43] Arbeiten über weibliche Orientreisende, Künstlerinnen und Schriftstellerinnen haben zudem gezeigt, dass es sich entgegen Saids Vorstellung beim Orientalismus keineswegs um einen exklusiv männlichen Diskurs gehandelt hat.[44]

Dass die jüngere Orientalismus-Forschung sich zunehmend vom Said'schen Raster gelöst hat, soll im Folgenden anhand dreier für die deutsche Zeitgeschichte besonders relevanter Themenfelder verdeutlicht werden: der Frage nach der Existenz eines deutschen Orientalismus, der Rolle jüdischer Orientwissenschafter und des Zusammenhangs von Orientalismus und Antisemitismus.

Der deutsche Orientalismus

Bei Said hing die Fokussierung auf den Konnex von Wissen und kolonialer Beherrschung mit seiner Konzentrierung auf britische und französische (für das 20. Jahrhundert auch amerikanische) Quellen zusammen. Kritiker haben indes schon früh auf diese höchst problematische Fokussierung hingewiesen. Eine herausragende Rolle kommt in diesem Zusammenhang der Ausklammerung des deutschen Kontextes zu: Die deutsche Orientforschung fiel gerade deswegen durchs Raster seiner Kritik, weil Deutschland bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keine unmittelbaren kolonialen Interessen in der Region verfolgte und von daher die Charakterisierung des europäischen Orientalismus als spezifischer Macht/Wissens-Komplex hier offenkundig nicht griff. Entsprechend versucht Said, den Beitrag der deutschen Orientalistik möglichst zu marginalisieren: Die deutschen Orientalisten, so heißt es, hätten sich damit begnügen müssen, von anderen übernommene „Techniken zu entwickeln und zu verfeinern”.[45] Diese Aussage erstaunt umso mehr, als dass die deutschsprachige Orientalistik seit Mitte des 19. Jahrhunderts weltweit als führend galt: Nirgendwo sonst war die Orientforschung so stark an den Universitäten verankert, und nicht von ungefähr ließen sich britische, amerikanische und französische Wissenschaftler in den Zentren der deutschen Orientalistik (Göttingen, Leipzig, später auch Berlin) ausbilden.[46]

Cover des Buchs
Cover des Buchs "Durch Wüste und Harem" (1892) von Karl May, welches seit der vierten Auflage von 1895 unter dem Titel "Durch die Wüste" erschien. May bot in seinem "Orientzyklus" die gesamte Spannbreite an stereotypen und romantischen Orientphantasien feil, die seinerzeit in der deutschen Gesellschaft verbreitet waren. Quelle: Wikimedia Commons (Public Domain).


Gerade in den letzten Jahren ist eine Reihe an Arbeiten über Orientdiskurse in der deutschen Literatur[47] und Wissenschaft erschienen, die die zentrale Rolle des deutschen Kontextes unterstreichen.[48] Dabei ist die These eines kolonialpolitisch abstinenten deutschen Orientalismus erheblich relativiert worden. Denn wenn auch erst das Wilhelminische Kaiserreich eine aktive Orientpolitik betrieb, so hatten sich entsprechende Phantasien doch bereits lange zuvor publizistisch und literarisch Ausdruck verschafft.[49] Im Hinblick auf die Orientalismus-Debatte kommt aber vor allem der Frage nach der Entstehung und Institutionalisierung der Orientalistik zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine wichtige Bedeutung zu. Während Napoleons Ägyptenfeldzug 1798 und die daraus hervorgegangene berühmte Text- und Bildsammlung Description de l'Égypte(1809-1828) bei Said paradigmatisch die Geburt der modernen Orientwissenschaften aus dem Geist des Imperialismus verkörpern – eine These, die durch neuere Untersuchungen zur Geschichte der Orientwissenschaften in Westeuropa gleichfalls erheblich revidiert worden ist[50] –, scheiden unmittelbare politische Interessen in der Region für den deutschen Kontext aus. Demgegenüber betonen jüngere Untersuchungen die romantischen Wurzeln der deutschen Orientwissenschaften und deren Herkunft aus der (protestantischen) Bibelwissenschaft oder stellen die Institutionalisierung in den Kontext der Transformationen im deutschen Bildungs- und Wissenschaftssystem zu Beginn des 19. Jahrhunderts.[51]

Als generelle Besonderheit der deutschen Orientalistik gilt zudem die schon von Said betonte stark philologische und historische Ausrichtung. Keineswegs sollte daraus jedoch auf eine Abwesenheit stereotyper Orientdarstellungen geschlossen werden. So hat nicht nur Martin Bernal in seiner umstrittenen Studie Black Athena (in vielfacher Hinsicht eine historiografiegeschichtliche Ergänzung zu Orientalism) gezeigt, inwieweit historische Darstellungen aus den (deutschen) Altertumswissenschaften einem eurozentrischen Grundnarrativ folgten, das nicht nur den Alten Orient (als Wiege der Zivilisation) vom gegenwärtigen Orient separierte, sondern vor allem auf die autochthone Schöpfung der griechisch-römischen Antike (als Wiege der europäischen Kultur) abstellte.[52]

Bei genauerer Betrachtung hingegen erscheinen die Dinge wesentlich komplexer. Seit der Romantik bot die Geschichte des Orients immer auch Raum zur Entwicklung kulturkritischer oder gar antiwestlicher Gegennarrative. So traten um 1900 Orientwissenschaftler mit einer dezidiert anti-klassizistischen und anti-eurozentrischen Agenda in Erscheinung, die von Suzanne Marchand treffend als „furiose Orientalisten” bezeichnet werden: Charakteristisch war hier der Rückgriff auf romantische Narrative und die Stilisierung des Orients zum fundamentalen Gegenbild der Moderne.[53] Bei deutschen Orientreisenden lässt sich zudem ein romantischer Antikolonialismus diagnostizieren, in dessen Zentrum die Trauer um die Zerstörung des vermeintlich Archaischen durch die Verbreitung moderner Lebensformen stand. Dabei beschränkte sich diese Kritik in der Regel auf den Kolonialismus der Anderen und wies entsprechend eine dezidiert antibritische bzw. antifranzösische Stoßrichtung auf.[54] Somit kann der romantische oder furiose Orientalismus durchaus dem Phänomenen eines umgekehrten Orientalismus bzw. eines von Europa selbst ausgehenden „Okzidentalismus” zugerechnet werden.

Derartige Positionen sollten allerdings keineswegs mit einer grundsätzlichen Kritik an kolonialer Herrschaft verwechselt werden. Bemerkenswerterweise nämlich konnten die antieuropäischen Narrative des furiosen Orientalismus durchaus in den Dienst imperialer Politik genommen werden, passten sie doch hervorragend zu jener während des Ersten Weltkriegs unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Orientwissenschaftler implementierten „pro-orientalischen” und scheinbar antikolonialen Strategie, mit Hilfe des Osmanischen Reiches einen islamischen „Dschihad” gegen die westlichen Kolonialmächte und Russland zu initiieren.[55] An die hier entwickelte Figur einer besonderen „weltanschaulichen” Nähe Deutschlands zur arabischen und islamischen Welt konnte dann später auch die nationalsozialistische Propaganda – nun um eine dezidiert antisemitische Ausrichtung erweitert – anknüpfen.[56] Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich positive Referenzen auf den arabischen Orient bis in die Literatur der sogenannten Neuen Rechten nachweisen lassen.[57]

Der jüdische Orientalismus

Ein weiterer Beleg für die Heterogenität, Komplexität und Widersprüchlichkeit europäischer Orientdiskurse stellen zeitgenössische Orientdarstellungen aus den Reihen des europäischen Judentums dar. Diese sind in den letzten Jahren vor allem deshalb in den Fokus der Forschung gerückt, weil die hier zum Ausdruck kommenden Bezüge auf die islamische Welt sich deutlich von den kolonialen Deutungsmustern des Said'schen Orientalismus-Modells abheben – und wohl nicht zuletzt, um vor dem Hintergrund eines sich zuspitzenden Nahost-Konflikts an das lange Zeit überaus positive Bild des Islams im Judentum zu erinnern.[58]

Ignaz Goldziher (1850-1921): Begründer der modernen historischen Islamwissenschaft und wohl bedeutendster Orientalist zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bild: Orientalist. Quelle: [http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Goldziher_1911-1912.jpg?uselang=de Wikimedia Commons] ([https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de CC BY-SA 3.0]).
Ignaz Goldziher (1850-1921): Begründer der modernen historischen Islamwissenschaft und wohl bedeutendster Orientalist zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bild: Orientalist. Quelle: Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0).


Die Rolle von Juden in den Orientwissenschaften war keineswegs marginal. Neben der Erforschung der Geschichte des (alten) Orients[59] ist hier vor allem auf den herausragenden Beitrag jüdischer Wissenschaftler zur Islam- und Koranforschung zu verweisen. So können Abraham Geiger und – allen voran – Ignaz Goldziher als eigentliche Begründer einer jenseits christlicher Polemiken angesiedelten historischen Islamwissenschaft gelten.[60] Aufgrund eines komplexen Netzes an Fremd- und Selbstzuschreibungen gestalteten sich die symbolischen Beziehungen der europäischen Juden zum Orient als äußerst komplex. Das jüdische Interesse am Islam war keineswegs ein rein akademisches. Vielmehr zeichnete sich die jüdische Islamforschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht nur durch eine dezidierte Kritik europäisch-christlicher Stereotype, sondern durch eine ausgesprochene Faszination für die islamische Welt aus, wie sie sich etwa in der Idealisierung des sephardischen Judentums oder den im „maurischen Stil” gehaltenen Synagogen-Bauten am Ende des 19. Jahrhunderts manifestierte.[61]

Derartige Referenzen müssen vor dem Hintergrund der spezifischen gesellschaftlichen Situation des europäischen Judentums und im Kontext zeitgenössischer jüdischer Identitätsdiskurse gesehen werden. So fungierte das romantisch verzerrte Bild eines Goldenen Zeitalters jüdisch-muslimischer Kultursymbiose im mittelalterlichen Andalusien als Kontrastfolie zur Gegenwart in einem christlichen Europa, das sein Emanzipationsversprechen allenfalls partiell eingelöst hatte und in dem neue antisemitische Bewegungen Fuß fassten. Zwar gehörten positive Bezüge auf die orientalische Welt immer schon zum Repertoire des romantischen Orientalismus, für jüdische Intellektuelle aber stellte der aufkommende politische Antisemitismus ein zusätzliches Motiv dar, sich von Europa ab und anderen Räumen zuzuwenden.

Wenn freilich auch jüdische Autor/en/innen die islamische Welt als Projektionsfläche benutzten, also ebenfalls auf einen „erfundenen” Orient rekurrierten, und sich die konkreten Topoi dabei auch nicht unbedingt von den allgemein verbreiteten unterschieden haben mögen, so stellt der jüdische Orientalismus doch zweifellos ein spezifisches Phänomen dar: Der Orient erschien hier keineswegs als zu beherrschendes Anderes, sondern als romantischer Identifikationsraum. Nina Berman bezeichnet die jüdischen Orientidentifikationen denn auch als „Strategie einer bewussten Politik der Alterität”,[62] und Susannah Heschel hat in ihrer Studie über Abraham Geiger überzeugend dargelegt, wie die in diesem Kontext entwickelten Narrative als „Gegengeschichten” und „frühe Form postkolonialen Schreibens” gelesen werden können.[63]

Orientalismus und Antisemitismus

Damit hebt Heschel auf die Übernahme und strategische Umwertung ursprünglich negativer Zuschreibungen ab, denn zweifellos gehörte die Assoziation der Juden mit dem Orient zu den zentralen Topoi der europäischen Judenfeindschaft. So sind im deutschen Antisemitismus Verweise auf das „orientalische Wesen” (Bruno Bauer) der Juden und Diffamierungen als „deutsch redende Orientalen” (Heinrich von Treitschke) oder „Wüstenvolk und Wandervolk” (Werner Sombart) Legion.[64] Derartige Invektiven, die sich freilich keineswegs auf die deutsche judenfeindliche Literatur beschränken, zielen auf eine vermeintliche Andersartigkeit und Fremdheit des Judentums in Europa.

Die Bedeutung negativer Orientstereotype in der Geschichte der europäischen Judenfeindschaft ist bisher generell nur unzureichend zur Kenntnis genommen worden. Dabei weist bereits der Begriff Antisemitismus als Bezeichnung einer sich von traditionellen religiösen Argumentationsfiguren abgrenzenden Form der Judenfeindschaft auf die Bedeutung des orientwissenschaftlichen Kontextes hin. So spielte die Vorstellung einer distinktiven semitischen Völkerfamilie oder Rasse in antisemitischen Schlüsseltexten des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Allerdings ist auch bemerkt worden, dass die Kategorie des Semitischen nach der Wende zum 20. Jahrhundert allmählich aus der judenfeindlichen Literatur verschwindet. Dies muss indes nicht unbedingt auf eine schwindende Bedeutung orientwissenschaftlicher Rekurse in antisemitischen Kontexten hindeuten.[65] Vielmehr scheint das Verschwinden der Semiten der Rezeption neuer anthropologischer und historisch-archäologischer Kartografien des Vorderen Orients geschuldet gewesen zu sein, die diese Kategorie obsolet werden ließen.[66] Derartige Verschränkungen orientwissenschaftlicher und judenfeindlicher Debatten im 19. und frühen 20. Jahrhundert hat insbesondere Suzanne Marchand in ihrer Studie zum deutschen Orientalismus aufzeigen können.[67]

Aufgefallen war dieser Zusammenhang bereits Said, und so bezeichnete er den Orientalismus als einen „seltsamen, heimlichen Aspekt des westlichen Antisemitismus”.[68]Allerdings ging er nicht näher auf die Geschichte der Judenfeindschaft ein, und seine vagen Andeutungen legen eine weitgehende Identifizierung von Orientalismus und Antisemitismus nahe. Seither jedoch ist die Orientalismus-These verschiedentlich auf die Geschichte des Antisemitismus bezogen worden. Den Anfang machte der Soziologe Bryan S. Turner mit seinem Vorschlag, europäische Repräsentationen des Judentums und des Islams als zwei unterschiedliche Varianten ein und desselben orientalistischen Repräsentations- und Ausgrenzungssystems zu fassen.[69] Vor dem Hintergrund der langen Geschichte der europäischen Judenfeindschaft und ihrer besonderen Relevanz für das christliche Selbstverständnis erscheint eine solche Subsumption allerdings wenig überzeugend.

Andere Arbeiten versuchen, die Theorie des Othering für die Antisemitismusforschung fruchtbar zu machen. In diese Richtung gehen Vorschläge, Saids Konstruktionsmodell des orientalischen Anderen räumlich zu präzisieren und eine nach außen von einer nach innen gerichteten Variante zu differenzieren: Demnach ließe sich innerhalb europäischer Ausgrenzungsdiskurse ein äußerer Orient – repräsentiert durch Araber, Türken und Muslime – von einem durch die europäischen Juden repräsentierten inneren Orient unterscheiden.[70] Ausgehend von dieser These sind Repräsentationen des Judentums auch direkt mit Kolonialdiskursen verglichen worden. Für den deutschen Kontext avancierte auf diese Weise die Debatte um die „Judenfrage” im 19. Jahrhundert zum Pendant eines fehlenden kolonialen Orientdiskurses. In diesem Sinne hat James Pasto die in der protestantischen Theologie und Bibelkritik entwickelten antijüdischen Diskurse als ein solches „missing link” in der Geschichte des europäischen kolonialen Orientdiskurses identifiziert.[71] Fragwürdig mutet dabei allerdings an, dass Pasto auch noch den nationalsozialistischen Antisemitismus als vermeintlich letzte Konsequenz dieses spezifisch deutschen Zweiges des europäischen Orientalismus verstanden wissen will: „Nazi de-Judaization was a Europe de-Orientalization.”[72]

Angesichts derart problematischer Schlussfolgerungen, die unter Ausblendung der spezifischen Funktion und Geschichte der europäischen Judenfeindschaft Antisemitismus und Orientalismus weitgehend gleichsetzen oder sogar ersteren letzterem unterordnen, hat Achim Rohde versucht, neben Überlappungen gerade auch Unterschiede herauszuarbeiten und dabei die differente Struktur und Funktion antisemitistischer und orientalistischer Diskurse betont. Zu diesem Zweck greift er auf die von Klaus Holz auf den Antisemitismus applizierte Theorie der Figur des Dritten zurück: Demnach entziehe sich die antisemitische Semantik der in postkolonialen Theorien in den Vordergrund gestellten binären Logik von Identität und Alterität, indem sie „den Juden” weder dem Selbst noch dem Anderen zuordnet, sondern als ein ambivalentes Drittes imaginiert, das die fundamentale Ordnung der Welt in (eigene/fremde) Nationen, Rassen, Kulturen oder Religionen selbst negiert.[73] In diesem Sinne, so Rohde, sei der koloniale Orientalismus auf eine fundamentale Differenz zwischen Orient und Okzident fokussiert, während der Antisemitismus auf die Ambivalenz selbst und damit auf eine fundamentale Bedrohung der Möglichkeit dieser Unterscheidung abhebe.[74]

Ein grundlegendes Problem all dieser Modelle besteht freilich darin, dass hier im Anschluss an Said von einem mehr oder weniger homogenen europäischen Orientdiskurs im 19. und 20. Jahrhundert ausgegangen wird – eine Vorstellung, die, wie gezeigt, von der neueren historischen Forschung erheblich relativiert worden ist.

Resümee und Ausblick

Der Orientalismus stellt nach wie vor ein viel bearbeitetes Sujet historisch-kulturwissenschaftlicher Forschung dar. Die nachhaltige Brisanz des Themas speist sich indes mindestens ebenso aus dem politischen Kontext wie aus dem wissenschaftlichen Interesse an der Geschichte europäischer Orientrepräsentationen. Dies hat zur Folge, dass die Beschäftigung mit dem Thema immer noch stark auf die Said'sche Orientalismus-Theorie fokussiert ist. Problematisch ist dies vor allem dann, wenn Orientalismus nach wie vor als Neuerscheinung gelesen wird, ohne die in den letzten dreißig Jahren aufgezeigten Aporien und empirischen Fehler des Buches zur Kenntnis zu nehmen. Dies zeigt sich vor allem in bestimmten politischen Debatten der Gegenwart. Wenig überraschend ist freilich die Tatsache, dass die Orientalismus-These als Deutungsmuster des Nahost-Konfliktes (im Sinne der Said'schen Schriften zu diesem Thema) insbesondere auf der politischen Linken eine wichtige Rolle spielt; vor dem Hintergrund der eigenen Kolonialgeschichte scheint dies gerade in Großbritannien evident.[75] Als weiteres Feld wäre hier die Debatte über Islamfeindschaft und die Erfolge entsprechender rechtspopulistischer Kampagnen in verschiedenen europäischen Ländern zu nennen. Auch in diesem Zusammenhang wird vielfach auf den Orientalismus verwiesen, um die beschriebenen Tendenzen in eine vermeintlich ungebrochene europäische Tradition seit dem Mittelalter zu stellen.[76]

Im Gegensatz dazu hat die neuere Forschung den Blick auf ein heterogenes und ambivalentes Feld europäischer Orientalismen im 19. und 20. Jahrhundert freigegeben, in dem keineswegs einfach ausgemacht werden kann, welche Diskurs- oder Repräsentationsstränge in welchen spezifischen Kontexten jeweils als „hegemonial” gelten können. Sowohl der jüdische Orientalismus als auch die Konjunkturen der immer wiederkehrenden romantischen Figuren zeigen dabei, dass Gegendiskurse keineswegs lediglich eine zu vernachlässigende Größe darstellten. Wie insbesondere das deutsche Beispiel erkennen lässt, ist es überdies kaum angebracht, die Orientwissenschaften allein aus dem Kolonialismus heraus erklären zu wollen, wenn dieser Kontext auch gerade im Zeitalter des Hochimperialismus zweifellos eine wichtige Rolle gespielt hat. Insgesamt scheint es notwendig, Orientdarstellungen stärker in ihre historischen und kulturellen Kontexte innerhalb der europäischen Gesellschaften einzubinden. Gerade die konstitutive Bedeutung, die die „Judenfrage” und die Debatte um den aufkommenden Antisemitismus in diesem Kontext spielte, zeigt, inwieweit orientalistische Figuren und Argumentationsmuster vielfach eher innergesellschaftliche Debatten und Identitätsmodelle reflektieren, als dass sie intentional auf einen außereuropäischen Raum verweisen. In dieser Richtung gibt es freilich noch ein weites Feld, das der Erforschung harrt.

Empfohlene Literatur zum Thema

Burkhard Schnepel, Gunnar Brands, Hanne Schönig (Hrsg.), Orient - Orientalistik - Orientalismus. Geschichte und Aktualität einer Debatte (= Postcolonial Studies, Bd. 5), transcript, Bielefeld 2011, ISBN 9783837612936.

Daniel Martin Varisco, Reading Orientalism. Said and the Unsaid, University of Washington Press, Washington 2007, ISBN 9780295987583.

Zitation
Felix Wiedemann, Orientalismus, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 19.4.2012, URL: http://docupedia.de/zg/Wiedemann_orientalismus_v1_de_2012

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  1. Der Beitrag wurde ermöglicht durch Fellowships der CSG V („Space and Collective Identities“) des Berliner Excellence Clusters „TOPOI. The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations“ 2010 und 2011.
  2. Vgl. Fred Halliday, Orientalism and its Critics, in: British Journal of Middle Eastern Studies 20 (1993), S. 145-163; Jürgen Osterhammel, Edward W. Said und die „Orientalismus“-Debatte. Ein Rückblick, in: Asien Afrika Lateinamerika 25 (1997), S. 597-607; Isolde Kurz, Vom Umgang mit dem anderen. Die Orientalismus-Debatte zwischen Alteritätsdiskurs und interkultureller Kommunikation, Berlin 2000; Markus Schmitz, Kulturkritik ohne Zentrum. Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation, Bielefeld 2008, S. 213-260, sowie die Beiträge in A. L. Macfie (Hrsg.), Orientalism. A Reader, Edinburgh 2000; Burkhard Schnepel/Gunnar Brands/Hanne Schönig (Hrsg.), Orient – Orientalistik – Orientalismus. Geschichte und Aktualität einer Debatte, Bielefeld 2011.
  3. Edward Said, Orientalismus, Frankfurt a. M. 2009. Die erste Übersetzung von 1981 weist zahlreiche Mängel auf.
  4. Vgl. u.a. Raymond Schwab, Le Renaissance orientale, Paris 1950; Norman Daniel, Islam and the West. The Making of an Image, Edinburgh 1960; Abdul Latif Tibawi, English-speaking Orientalists. A Critique of their Approach to Islam and Arab Nationalism, London 1964; Anouar Abdel-Malek, Orientalism in Crisis, in: Diogenes 44 (1963), S. 104-112; hierzu Ekkehard Rudolf, Westliche Islamwissenschaft im Spiegel muslimischer Kritik, Berlin 1991.
  5. Vgl. Gérard-Georges Lemaire, Orientalismus. Das Bild des Morgenlandes in der Malerei, Potsdam 2010; Roger Diederen u.a. (Hrsg.), Orientalismus in Europa: Von Delacroix bis Kandinsky, München 2010.
  6. Länder wie Zimbabwe (1980 unabhängig), Südafrika (Ende des Apartheitsregimes 1994), Namibia (1990 unabhängig von Südafrika) und Westsahara (bis heute von Marokko besetzt) stellen historische Sonderfälle dar. Zudem befinden sich bekanntlich noch heute verstreute überseeische Gebiete im Besitz der vormaligen Kolonialmächte.
  7. Said, 1935 in Jerusalem geboren, entstammte einer großbürgerlichen arabischen Familie und wuchs überwiegend in Kairo auf, bevor er Anfang der 1960er-Jahre in die USA übersiedelte. Seine zentrale Rolle als postkolonialer Intellektueller geht auf sein politisches Engagement seit Anfang der 1970er-Jahre zurück. Vgl. zum politischen Aktionismus Saids die (wenn auch affirmativen) Darstellungen bei Birgit Schäbler, Post-koloniale Konstruktionen des Selbst als Wissenschaft. Anmerkungen einer Nahost-Historikerin zu Leben und Werk Edward Saids, in: Alf Lüdtke/Reiner Prass (Hrsg.), Gelehrtenleben. Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, Köln u.a. 2008, S. 87-100; Schmitz, Kulturkritik ohne Zentrum, bes. S. 119-136.
  8. Vgl. Birgit Schäbler, Riding the Turns: Edward Saids Buch „Orientalism“ als Erfolgsgeschichte, in: Schnepel u.a. (Hrsg.), Orient – Orientalistik – Orientalismus, S. 279-302.
  9. Said, Orientalismus, S. 11.
  10. Vgl. ebd., S. 12.
  11. Ebd., S. 11.
  12. Vgl. ebd., S. 15f.
  13. Vgl. Edward Said, Orientalism, London 2003, S. 204. Die deutsche Übersetzung gibt die Schärfe dieser Formulierung nur abgemildert wieder. Vgl. Said, Orientalismus, S. 234.
  14. Said, Orientalismus, S. 340.
  15. Vgl. Said, Orientalismus, S. 327-376; ferner ders., Zionismus und palästinensische Selbstbestimmung, Stuttgart 1981; ders., Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach, Berlin 2002.
  16. Vgl. Ibn Warraq, Defending the West. A Critique of Edward Said’s Orientalism, Amherst 2007; Siegfried Kohlhammer, Populistisch, antiwissenschaftlich, erfolgreich. Edward Saids „Orientalismus“, in: Merkur 56 (2002), S. 288-299.
  17. Vgl. zur Rolle der Orientwissenschaften in der Debatte: Zachary Lockman, Contending Visions of the Middle East. The History and Politics of Orientalism, Cambridge 2004; Schnepel u.a. (Hrsg.), Orient – Orientalistik – Orientalismus sowie die in Anm. 46 angegebene Literatur.
  18. Said, Orientalismus, S. 9. Die anti-essentialistische Stoßrichtung hat Said in seinem Nachwort von 1994 noch einmal nachdrücklich unterstrichen (vgl. ebd., S. 378f.).
  19. Vgl. zu diesen theoretischen Widersprüchen: James Clifford, Orientalism, in: History and Theory 19 (1980), S. 204-223, bes. S. 208f.; Dennis Porter, Orientalism and its Problems, in: Patrick Williams/Laura Chrisman (Hrsg.), Colonial Discourse and Post-Colonial Theory. A Reader, New York 1993, S. 150-161; Ziauddin Sardar, Der fremde Orient. Geschichte eines Vorurteils, Berlin 2002, S. 107ff.
  20. Vgl. Said, Orientalismus, S. 231-259.
  21. Vgl. Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M. 1973, bes. S. 7-30. Vgl. zu diesen Widersprüchen Clifford, Orientalism, S. 212ff.
  22. Vgl Said, Orientalismus, S. 84.
  23. Sadik Jalal al-Azm, Orientalism and Orientalism in Reverse, in: Macfie (Hrsg.), Orientalism, S. 217-238. Der Autor zitiert eine Passage aus Orientalism über die christliche Islamrezeption im Mittelalter und schreibt sie so um, als handele sie von der islamischen Rezeption des Christentums; in Bezug auf den historischen Wahrheitsgehalt unterscheiden sich beide Passagen dabei keineswegs.
  24. Vgl. Andrea Polaschegg, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin/New York 2005, S. 41-49. Die Autorin siedelt das Begriffspaar „das Eigene“/‚„das Andere“ auf der Achse identitätskonstituierender Differenzierung an, während die Unterscheidung zwischen dem „Vertrauten“ und dem „Fremden“ ein Akt hermeneutischer Distanzierung darstelle (ebd., S. 43).
  25. Vgl. ebd., S.135-142.
  26. Vgl. Robert Irwin, Dangerous Knowledge. Orientalism and its Discontents, Woodstock 2006; Daniel Varisco, Reading Orientalism. Said and the Unsaid, Seattle 2007.
  27. Vgl. grundlegend die in der vorherigen Anmerkung angegebene Literatur.
  28. Vgl. den Überblick bei Abdulla Al-Dabbagh, Orientalism, Literary Orientalism and Romanticism, in: ders., Literary Orientalism, Postcolonialism, and Universalism, New York u.a. 2009.
  29. Vgl. Said, Orientalismus, S. 149-175. Der französische Historiker, Archäologe und Orientalist war vor allem durch seine Studien zur Geschichte der semitischen Sprachen hervorgetreten. Dabei glaubte er eine in der Struktur dieser Sprachen angelegte intellektuelle und moralische Unterlegenheit der „Semiten“ feststellen zu können; für Said gilt er vor allem aufgrund seiner extrem stereotypen Sichtweise auf den Islam als Erzvertreter des Orientalismus. Vgl. zu Renans Rolle in der Geschichte der Orientwissenschaften: Irwin, Dangerous Knowledge, S. 166 ff.
  30. Vgl. Said, Orientalismus, S. 9f.; zur Kritik: Osterhammel, „Orientalismus-Debatte“.
  31. Vgl. James G. Carrier, Occidentalism. The World Turned Upside-down, in: American Ethnologist 19 (1992), S. 195-212; Fernando Coronil, Jenseits des Okzidentalismus. Unterwegs zu nichtimperialen geohistorischen Kategorien, in: Sebastian Conrad/Shalini Randeria (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002, S. 177-218, sowie Gabrielle Dietze u.a. (Hrsg.), Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-)Orientalismus und Geschlecht, Bielefeld 2009.
  32. Vgl. Sadik Jalal al-Azm, Orientalism in Reverse; ders., Orientalism, Occidentalism, and Islamism. Keynote Adress to ‘Orientalism and Fundamentalism in Islamic and Judaic Critique’, in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 30 (2010), S. 6-13.
  33. Vgl. Ian Buruma/Avishai Margalit, Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde, München 2005.
  34. Vgl. die Beiträge in Schoole Mostafawy/Harald Siebenmorgen (Hrsg.), Das fremde Abendland. Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute, Stuttgart 2010; hier vor allem die Einleitung von Harald Siebenmorgen, Orientalismus – Okzidentalismus. Interkulturelle Spannungsfelder, S. 12-29.
  35. Said, Orientalismus, S. 65.
  36. Vgl. Frithjof Benjamin Schenk, Mental Maps. Die Konstruktion von geographischen Räumen in Europa seit der Aufklärung, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 493-514, bes. S. 493ff. sowie die Beiträge in Sabine Damir-Geilsdorf/Angelika Hartmann/Béatrice Hendrich (Hrsg.), Mental Maps – Raum – Erinnerung. Kulturwissenschaftliche Zugänge zum Verhältnis von Raum und Erinnerung, Münster 2005.
  37. Vgl. u.a. Derek Gregory, Geographical Imaginations, Cambridge 1998; Martin W. Lewis/Kären E. Wigen, The Myth of Continents. A Critique of Metageography, Berkeley 1997; Julia Lossau, Die Politik der Verortung. Eine postkoloniale Reise zu einer „Anderen“ Geographie der Welt, Bielefeld 2002.
  38. Vgl. Georg Glasze/Jörn Thielmann (Hrsg.), „Orient“ versus „Okzident“. Zum Verhältnis von Kultur und Raum in einer globalisierten Welt, Mainz 2006; Sybille Bauriedl, „Der Orient” als Raumkonstruktion in der Geographie, in: Iman Attia (Hrsg.), Orient- und Islambilder. Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Münster 2007, S. 137-154; Anton Escher, Die geographische Gestaltung des Begriffs „Orient“ im 20. Jahrhundert, in: Schnepel u.a. (Hrsg.), Orient – Orientalistik – Orientalismus, S. 123-150; Ilja Steffelbauer/Khaled Hakami (Hrsg.), Vom Alten Orient zum Nahen Osten, Essen 2006; Thomas Scheffler, „Fertile Crescent“, „Orient“, „Middle East“. The Changing Mental Maps of Southwest Asia, in: European Review of History – Revue européenne d’Histoire 10 (2003), S. 253-272.
  39. Vgl. exemplarisch Paul Reuber u.a. (Hrsg.), Politische Geographien Europas – Annäherungen an ein umstrittenes Konstrukt, Münster 2005; Maria Todorova, Imagining the Balkans, Oxford 1997.
  40. Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen: Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 2002.
  41. Vgl. allgemein: Meyda Yeğenoğlu, Colonial Fantasies. Towards a Feminist Reading of Orientalism, Cambridge 1998; Laura Nader, Orientalism, Occidentalism and the Control of Women, in: Cultural Dynamics 2 (1989), S. 323-355; die Beiträge in Dietze u.a. (Hrsg.), Kritik des Okzidentalismus sowie den Überblick bei Markus Schmitz, Orientalismus, Gender und die binäre Matrix kultureller Repräsentation, in: Regina Göckede/Alexandra Karentzos, (Hrsg.), Der Orient, die Fremde. Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur, Bielefeld 2006, S. 39-66.
  42. Vgl. Said, Orientalismus, S. 218, 238.
  43. Vgl. Dagmar Heinze, Fremdwahrnehmung und Selbstentwurf: Die kulturelle und geschlechtliche Konstruktion des Orients in deutschsprachigen Reiseberichten des 19. Jahrhunderts, in: Karl Hölz u.a. (Hrsg.), Beschreiben und Erfinden. Figuren des Fremden vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2000, S. 45-92; Felix Wiedemann, Heroen der Wüste. Männlichkeitskult und romantischer Antikolonialismus im europäischen Beduinenbild des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte Nr. 56 (2009), S. 62-67.
  44. Vgl. Reina Lewis, Gendering Orientalism. Race, Femininity and Representation, London 1996; Billie Melman, Women's Orients: English Women and the Middle East, 1718-1918. Sexuality, Religion and Work, London 1992.
  45. Vgl. Said, Orientalismus, S. 30.
  46. Vgl. zur Zentralität der deutschen Orientalistik: Irwin, Dangerous Knowledge, S. 197ff., 286ff.
  47. Vgl. grundlegend: Polaschegg, Der andere Orientalismus. Ferner Andrea Fuchs-Sumiyoshi, Orientalismus in der deutschen Literatur. Untersuchungen zu Werken des 19. und 20. Jahrhunderts. Von Goethes West-östlichen Divan bis Thomas Manns Joseph-Tetralogie, Hildesheim 1984; Ludwig Ammann, Östliche Spiegel. Ansichten vom Orient im Zeitalter seiner Entdeckung durch den deutschen Leser 1800-1850, Hildesheim 1989; Nina Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900, Stuttgart 1997; dies., German Literature on the Middle East. Discourses and Practices, Ann Arbor 2011; Nazli Hodaie, Der Orient in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Fallstudien aus drei Jahrhunderten, Frankfurt a. M. 2008; Klaus-Michael Bogdal (Hrsg.), Orientdiskurse in der deutschen Literatur, Bielefeld 2007 und Charis Goer/Michael Hofmann (Hrsg.), Der Deutschen Morgenland. Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770-1850, Paderborn 2008.
  48. Vgl. Ludmila Hanisch, Die Nachfolge der Exegeten. Deutschsprachige Erforschung des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wiesbaden 2003; Sabine Mangold, „Eine weltbürgerliche Wissenschaft“. Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004; Ekkehard Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, Edingen-Neckarhausen 2006; Herling, Bradley L, The German Gita. Hermeneutics and Discipline in the German Reception of Indian Thought. 1778-1831, New York 2006; Suzanne L. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship, Washington 2009; Ursula Wokoeck, German Orientalism. The Study of the Middle East and Islam from 1800 to 1945, London 2009 sowie die Beiträge zum Schwerpunkt „German Orientalism“ in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 24,2 (2004), S. 19-96 und Hanisch (Hrsg.), Der Orient in akademischer Optik. Beiträge zur Genese einer Wissenschaftsdisziplin, Halle 2006.
  49. Vgl. Marchand, German Orientalism, S. 333-386; Susanne Zantop, Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany 1770-1870, Durham/London 1997; Malte Fuhrmann, Der Traum vom deutschen Orient. Zwei deutsche Kolonien im Osmanischen Reich 1851-1918, Frankfurt a. M. 2006; Stefan R. Hauser, Deutsche Forschungen zum Alten Orient und ihre Beziehungen zu politischen und ökonomischen Interessen vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Wolfgang G. Schwanitz (Hrsg.), Deutschland und der Mittlere Osten, Leipzig 2004, S. 46-65.
  50. Vgl. grundlegend Urs App, The Birth of Orientalism, Philadelphia 2010. App stellt das religiöse Interesse als zentrales Motiv für die Genese des französischen und britischen Orientalismus heraus; demgegenüber sei die Rolle des Kolonialismus unbedeutend gewesen (ebd., S. XI).
  51. Vgl. Marchand, German Orientalism, S. 28-38; zum bildungspolitischen Background: Wokoeck, German Orientalism.
  52. Vgl. Martin Bernal, Black Athena. Afroasiatic Roots of Classical Civilization. Vol 1: The Fabrication of Ancient Greece 1785-1985, London 1991. Zweifelhaft mutet die in den folgenden Black Athena-Bänden entwickelte umgekehrte These an, wonach die Genese der griechischen Kultur ausschließlich auf orientalische bzw. ägyptische Einflüsse zurückzuführen sei. Vgl. Suzanne L. Marchand/Anthony Grafton, Martin Bernal and his Critics, in: Arion. Third Series 5 (1997), S. 1-35; ferner zur Thematik: Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer, Orientalismus? Die Rolle des Alten Orients in der deutschen Altertumswissenschaft und Altertumsgeschichte des 19. Jahrhunderts (ca. 1785-1910), in: Robert Rollinger (Hrsg.), Getrennte Wege? Kommunikation, Raum und Wahrnehmung in der alten Welt, Frankfurt a. M. 2007, S. 501-594.
  53. Marchand, German Orientalism, S. 212-251.
  54. Vgl. Wiedemann, Heroen der Wüste.
  55. Vgl. Gottfried Hagen, German Heralds of Holy War. Orientalists and applied Oriental Studies, in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 24 (2004), S. 145-162; Tilman Lüdke, Jihad made in Germany. Ottoman and German Propaganda and Intelligence Operations in the First World War, Münster 2005; Marchand, German Orientalism, S. 436-473.
  56. Vgl. Jeffrey Herf, Nazi Propaganda for the Arab World, New Haven 2009.
  57. Vgl. Felix Wiedemann, „Allahs Sonne“ und „Europas eigene Religion“. Die Verschränkung von Arabophilie und Neuheidentum in der rechtsextremen Ideologie Sigrid Hunkes, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009), S. 891-912.
  58. Vgl. die Beiträge in Ivan Davidson Kalmar/Derek J. Penslar (Hrsg.), Orientalism and the Jews, Hanover/London 2005; ferner: Paul Mendes-Flohr, Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, bes. S. 77-132; Berman, Orientalismus, bes. S. 260-345; John M. Efron, From Mitteleuropa to the Middle East: Orientalism through a Jewish Lens, in: The Jewish Quarterly Review. New Series 94 (2004), S. 490-520; Yaron Peleg, Orientalism and the Hebrew Imagination, Ithaca 2005.
  59. Vgl. Johannes Renger, Altorientalistik und jüdische Gelehrte in Deutschland – Deutsche und österreichische Altorientalisten im Exil, in: Wilfried Barner/Christoph König (Hrsg), Jüdische Intellektuelle und die Philologien in Deutschland, Göttingen 2001, S. 247-266; Ludmila Hanisch/Hanne Schönig (Hrsg.), Ausgegrenzte Kompetenz. Porträts vertriebener Orientalisten und Orientalistinnen 1933-1945, Halle 2001.
  60. Vgl. Bernhard Lewis, The Pro-Islamic Jews, [wiederabgedruckt] in: ders., Islam in History. Ideas, People, and Events in the Middle East, Chicago 1993, S. 137-151; Martin Kramer (Hrsg.), The Jewish Discovery of Islam. Studies in Honor of Bernard Lewis, Tel Aviv 1999; Dirk Hartwig u.a. (Hrsg.), „Im vollen Licht der Geschichte“. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung, Würzburg 2008; Efron, From Mitteleuropa to the Middle East.
  61. Vgl. Ismar Schorsch, The Myth of Sephardic Supremacy, in: Leo Baeck Institute Year Book 34 (1989), S. 47-66; Hannelore Künzl, Islamische Stilelemente im Synagogenbau des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1984; Ivan D. Kalmar, Moorish Style. Orientalism, the Jews and Synagoge Architecture, in: Jewish Social Studies 7 (2001), S. 68-99.
  62. Berman, Orientalismus, S. 282.
  63. Vgl. Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, Berlin 2001, bes. S. 97-136. Vgl. hierzu auch grundlegend den Literaturbericht von Markus Kirchhoff, Erweiterter Orientalismus. Zu euro-christlichen Identifikationen und jüdischer Gegengeschichte im 19. Jahrhundert, in: Raphael Gross/Yfaat Weiss (Hrsg.), Jüdische Geschichte als Allgemeine Geschichte, Göttingen 2006, S. 99-119.
  64. Bruno Bauer, Die Judenfrage, Braunschweig 1843, S. 11; Heinrich von Treitschke, Unsere Aussichten, in: Preußische Jahrbücher 44 (1879), S. 559-576, hier S. 576; Werner Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911, S. VII.
  65. Vgl. Moshe Zimmermann, Aufkommen und Diskreditierung des Begriffs Antisemitismus, in: ders., Deutsch-jüdische Vergangenheit. Der Judenhass als Herausforderung, Paderborn 2005, S. 25-40; Gil Anidjar, Semites. Race, Religion, Literature, Stanford 2008, bes. S. 13-38.
  66. Vgl. hierzu Felix Wiedemann, Völkerwellen und Kulturbringer. Herkunfts- und Wanderungsnarrative in historisch-archäologischen Interpretationen des Vorderen Orients um 1900, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 51 (2010 [2012]), S. 105-128; ders., The North, the Desert and the Near East. Ludwig Ferdinand Clauß and the Racial Carthography of the Orient, erscheint in: Studies in Ethnicity and Nationalism 12 (2012).
  67. Vgl. Marchand, German Orientalism, bes. S. 173f., 222f., 258f., 315-321, 488f.
  68. Said, Orientalism, S. 28f. Vgl. zur Kritik dieser These auch Varisco, Reading Orientalism, S. 137ff.
  69. Bryan S. Turner, Religion and Social Theory, London u.a. 19912, S. 21-29.
  70. Vgl. Achim Rohde, Der Innere Orient. Orientalismus, Antisemitismus und Geschlecht im Deutschland des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Die Welt des Islams 45 (2005), S. 370-411; ferner Efron, From Mitteleuropa, S. 491; Kirchhoff, Erweiterter Orientalismus; Sheldon Pollock, Ex Oriente Lux. Indologie im nationalsozialistischen Staat, in: Conrad/Randeria (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus, S. 335-371; weit ausholend: Gil Anidjar, The Jew, The Arab. A History of the Enemy, Stanford 2003. Die Figur des inneren Orients ist jüngst auch auf andere Kontexte appliziert worden. So interpretiert Manuel Borutta den Antikatholizismus des 19. Jahrhunderts als eine nach innen gerichtete Form des Orientalismus. Vgl. Manuel Borutta, Der innere Orient. Antikatholizismus als Orientalismus in Deutschland, 1781-1924, in: Margrit Pernau/Monica Juneja (Hrsg.), Religion und Grenzen. Transnationale Historiographie in Deutschland und Indien, Göttingen 2008, S. 245-274.
  71. Vgl. James Pasto, Islam’s „Strange Secret Sharer“. Orientalism, Judaism and the Jewish Question, in: Comparative Studies in Society and History 40 (1998), S. 437-474, hier S. 467f.; ferner Jonathan M. Hess, Johann David Michaelis and the Colonial Imaginary: Orientalism and the Emergence of Racial Antisemitism in Eighteenth-Century Germany, in: Jewish Social Studies 6 (2000), S. 56-101; vgl. Susannah Heschel, Theology as a Vision for Colonialism. From Supersessionism to Dejudaization in German Protestantism, in: Eric Ames/Maria Klotz/Laura Wildenthal (Hrsg.), Germany’s Colonial Past, Lincoln 2005, 148-163.
  72. Vgl. Pasto, Islam’s „Strange Secret Sharer“, S. 471.
  73. Vgl. Klaus Holz, Die antisemitische Figur des Dritten in der nationalen Ordnung der Welt, in: Christina von Brau/Eva-Maria Ziege (Hrsg.), Das „bewegliche“ Vorurteil: Aspekte des internationalen Antisemitismus, Würzburg 2004, S. 43-61.
  74. Vgl. Rohde, Der Innere Orient, S. 407ff.
  75. Vgl. Peter Ulrich, Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland, Berlin 2008.
  76. Vgl. exemplarisch Iman Attia, Die „westliche Kultur“ und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Bielefeld 2009; Ilka Eickhof, Antimuslimischer Rassismus in Deutschland. Theoretische Überlegungen, Berlin 2010, bes. S. 47-58.